Sechstes Kapitel

[65] Bewundernswürdig ist der Mann, der zuerst die Kunst erfand, seine Leidenschaften, Empfindungen und Urteile so tief in den innersten Winkel seiner Seele zurückzudrängen, daß auch nicht eine Linie breit von ihnen durch Miene und Gebärden hervorschlüpfte: aber dreimal, wo nicht mehrmal bewundernswürdiger ist der Tausendkünstler, der zuerst seine Gesichtsmuskeln zur Freundlichkeit anspannen und seine Worte zum Lobe stimmen konnte, wenn sein Herz zürnte und mißbilligte. Wer sollte glauben, daß die Gräfin bei so vielem innerlichen Unwillen, bei so lebhaftem innerlichen Tadel, bei so starker Empfindung des Lächerlichen in dem ›amour encagé‹ doch nach aufgehobner Tafel den Urheber desselben sogleich in ein Fenster ziehen und ihm mit[65] einer Freude, die fast bis zur Rührung stieg, für sein abenteuerliches Geschenk danken und die Art, wie er ihr es machte, als schön, neu und interessant lobpreisen würde? -Ja, das tat sie wirklich: sie küßte ihrem Gemahle einmal über das andre die Hand und versicherte ihn, daß sie den Knaben weder Tag noch Nacht von sich lassen werde, weil er sie beständig an die Dankbarkeit für ihres Gemahls Gnade erinnere. Jedes unter den Anwesenden, als man von der Sache näher unterrichtet war, hielt es für billig, dem Grafen, der ihnen so viele und schöne Essen vorgesetzt hatte, ein Kompliment über seinen Vogelbauer zu machen, daß Michael Angelo durch seinen Bau an der Peterskirche nicht zur Hälfte soviel Lob und Bewundrung eingeerntet hat als der Graf Ohlau mit seinem hölzernen Käfig. Die Gräfin ging so weit, daß sie dem Manne, der bei der Erbauung die Aufsicht geführt hatte, verbindlich die Hand drückte, seine Arbeit als ein Meisterstück der Baukunst erhob und ihn für seine Mühwaltung mit zehn Louisdoren beschenkte. Der Graf schwamm in Entzücken: er fühlte sich über sich selbst erhaben, wie ein Künstler, der ein Denkmal seines Talents, dauernder als Erz, unzerstörbar durch Regen, Feuer und Wasserfluten, vollendet hat.

Natürlich mußte dieses Entzücken für den Knaben einnehmen, der es veranlaßte: der Graf befahl sogleich, ihn aufzusuchen und herbeizubringen, und die Gräfin ging in eigner Person nach ihm, um ihn wegen des Unfalles bei Tafel zu beruhigen. Ihre Bemühung kam zu spät: die kleine Baronesse Ulrike, die schon einigemal genannt worden ist, war sogleich nach der Mahlzeit mit ihrer gewöhnlichen Übereilung hinausgerennt, um den Liebesgott zu finden, von dem sie, als er aus dem Käfig herausgenommen wurde, ein hübsches weißes Händchen gesehen hatte, das sie in dem Augenblicke herzlich gern in die ihrige zu legen, zu drücken, zu liebkosen wünschte. Auch bildete sie sich ein, daß zu dem hübschen Händchen ein hübsches Gesichtchen gehören möchte, und eilte deswegen, ihre Neubegierde zu befriedigen, weil sie auch schon in ihrem siebenten Jahre eine große Liebhaberins[66] von hübschen Mannsgesichtern war. Sie fand ihn auf dem nämlichen Platze schlafend, wo er sich im ersten Unwillen über seine beleidigte Ehre hingeworfen hatte. Er lag auf dem Fußboden in einer Ecke des Vorsaales, mit dem Kopfe auf einem hingeworfnen Stuhlkissen ruhend: die kleine runde Wange glühte wie ein Abendrot, eines von den niedlichen Händchen war unter dem linken Backen verborgen, das andre lag auf dem rechten, gekrümmten Knie. Die Baronesse ergriff es, streichelte und drückte es mit innigem Wohlgefallen an ihr Gesicht, gab der einladenden Wange einen herzhaften Kuß, kniete, trotz der Konsideration, in welcher sie eingekerkert war, vor ihm nieder und wiederholte, seine Hand in die ihrigen geschlossen, den Kuß so oft und lange, daß sie einige Zeit ganz auf dem Gesichte des Knaben liegen blieb. In dieser Stellung überraschte sie Fräulein Hedwig, ihre seinsollende Gouvernante, watschelte wie eine Gans, die halb fliegt und halb geht, auf sie zu und riß sie mit solchem Ungestüm von dem Liebesgotte hinweg, daß sie zurückstürzte. Die Baronesse, die überhaupt aus einem sehr elastischen Stoffe geschaffen war, raffte sich sogleich auf; und kaum war sie wieder auf den Füßen, als schon die Gouvernante in völliger Rüstung dastand, die Hände in die Seiten gestemmt: ihre schielenden Augen leuchteten unbeweglich, wie ein paar Schneeballen, aus dem kirschbraunen aufgeschwollnen Gesichte hervor, und die breiten aufgeworfnen Lippen zogen sich wie ein Puderbeutel auf und zu, indem sie sprach. »Fi! schämen Sie sich!« fing sie an. »Sich da, wie ein schlechtes Mädchen, auf einen geineinen Jungen zu legen und ihm ein Gage d'amour zu geben!«

Die Baronesse. Ich hab ihn geküßt –

Fräulein Hedwig. O so schämen Sie sich und reden Sie nicht so pöbelhaft! Ein solches gemeines Wort in den Mund zu nehmen! Fi! Baronesse!

Die Baronesse. Alle Leute reden ja so. – Küssen! was –

Fräulein Hedwig. So hören Sie! Wiederholen Sie doch das garstige Wort nicht noch einmal! Haben Sie denn nicht achtgegeben, wie ich mich über solche Unanständigkeiten ausdrücke?[67] – Ich habe ihm ein Preuve d'affection, ein Gage d'amour gegeben: so muß man sprechen, wenn man honett reden will. Die Lateiner nennen das Vinculus amoris. Wenn Sie etwas gelernt hätten, brauchten Sie nicht sich so schlecht auszudrücken wie ein gemeines Bürgermensch.

»Ei!« sagte die Baronesse mit dem natürlichsten Tone und hüpfte auf einem Beine dazu, »das läuft ja doch immer auf eins hinaus. – Der Junge ist allerliebst: ich hab ihn recht lieb.«

Fräulein Hedwig. Reden Sie doch nicht so frei! Unsereins sagt von dergleichen Burschen: ich kann ihn wohl leiden.

Die Baronesse. Sehen Sie nur, wie er so artig daliegt! Wie er die niedlichen Fingerchen auf dem Knie ausgestreckt hat!

Fräulein Hedwig. Ulrikchen! Wer wird denn von Knien sprechen?

Die Baronesse. Wie soll ich denn sonst sagen?

Fräulein Hedwig. Gar nicht davon sprechen! Man muß nichts von einer Mannsperson nennen, was unter dem Kopfe ist.

Die Baronesse. Gefällt er Ihnen nicht?

Fräulein Hedwig. Ach, warum nicht gar gefallen? – Er ist mir nicht zuwider. – Er liegt da wie der junge Prinz Adonis in des Grafen Kabinette. –

Die Baronesse hüpfte zu ihm hin und drückte ihm einen flüchtigen Kuß auf den Backen.

»Lassen Sie das! sag ich Ihnen«, rief Fräulein Hedwig. »Sie sind ja so frech, wie dort bei dem Homerus die Gräfin Lais.« Die Baronesse hüpfte auf einem Fuß den Saal hinunter und sang sich eins dazu: indessen stand ihre Gouvernante, in stummer Betrachtung verloren, vor dem schlafenden Amor und wurde von einer unwillkürlichen Bewegung so hingerissen, daß sie sich zu ihm hinneigte und ihm ein förmliches Gage d'amour gab. War ihr Kuß auch für Schlafende zu herbe, oder drückte sie mit ihrem Rüssel den kleinen Heinrich zu sehr? Genug, er erhub seine Hand und gab ihr eine empfindliche Ohrfeige, welche die Göttin so sehr in den Harnisch jagte, daß sie die verbrecherische Hand ergriff und mit einigen derben Schlägen bestrafte. »Du ungezogner[68] Bube!« sprach sie mit ärgerlichem Tone, und ihre dicke Pfote peitschte darauf los, wie ein Racket den Federball. Die Baronesse war eben auf dem Rückwege in ihrem Tanze, als die Bestrafung des kleinen Heinrichs vor sich ging: sogleich flog sie herbei wie ein Ritter, der seine Geliebte von einem Drachen erlösen will, stieß das Fräulein zornig zurück und versetzte ihr in der ersten Überraschung des Unwillens einige Hiebe auf den Arm. Ihre Gouvernante, die ihre Hände zu allen Arten von Waffen gebrauchte, wozu sie nur die Natur gemacht hat, legte ihre Finger in die Form einer Habichtskralle und grub mit vier Nägeln eine vierfache Wunde in den Arm der Baronesse. In diesem Augenblicke des Scharmützels langte die Gräfin an, um ihren Liebling in das Zimmer zu holen. Der Kleine, als er sie erblickte, sprang sogleich auf und lief ihr entgegen, die Baronesse desgleichen, nur Fräulein Hedwig, die durch den Stoß ihrer Gegnerin in eine sitzende Lage war versetzt worden, konnte ihren dicken schwerfälligen Körper nicht von der Erde aufbringen: sie stemmte sich mit der Hand auf den Fußboden, und kaum hatte sie sich einige Zolle erhoben, so plumpte sie wieder mit allgemeinem Krachen in die vorige Lage zurück, daß die Fenster zitterten: die Scham vor der Gräfin machte ihre Bewegungen übereilt, und je mehr sie arbeitete, emporzukommen, je erschöpfter und keuchender fiel sie wieder hin, bis endlich ein Bedienter herbeieilte, um ihr emporzuhelfen: allein bei der Anwendung seiner Kräfte hatte er die Schwere der Maschine, die er aufziehen sollte, nicht genug berechnet: als sie beinahe schon stund, stürzte sie wieder mit einem lauten Schrei und zog ihren Helfer so unwiderstehlich mit sich nieder, daß er die Beine gen Himmel kehrte. Die Erderschütterung, die dieser doppelte Fall erregte, lockte die ganze Lakaienschaft herbei, und unter allgemeinem Gelächter half man den beiden Unglücklichen endlich wieder auf die Füße. Gräfin und Baronesse kondolierten dem Fräulein sehr herzlich, allein sie konnte den Triumph der letztern so wenig ertragen, daß sie, ohne ein Wort zu hören, zur Tür hinaus auf ihr Zimmer watschelte.[69]

Die Gräfin ging, die beiden Kinder an der Hand, zur Gesellschaft zurück: versteht sich, daß jedermann seinen Witz anstrengte, ihr wegen der Gruppe, in welcher sie hereintrat, etwas Schönes zu sagen! Nachdem sie so durch den Witz einer doppelten langen Reihe im eigentlichen Verstande Spitzruten gegangen war, stellte sie ihrem Gemahle ihre beiden Begleiter zum Handkusse vor. Der Graf wollte anfangen, sich zu freuen, allein man präsentierte die Karten, und ein jedes ging an den Ort seiner Bestimmung.

Für die Baronesse war dies eine erwünschte Begebenheit. Sie wanderte mit ihrem Amor in ein Nebenzimmer und ließ ihre lustige Laune in vollem Strome über ihn ausbrechen. Unter den mannigfaltigen kindischen Neckereien, womit sie ihn überhäufte und die er reichlich erwiderte, zog sie ihn besonders wegen seiner Pfeile auf. – »O du ganz erbärmlicher Amor!« rief sie und schlug die Hände zusammen: »willst die Leute mit Gänsespulen verwunden! Bist du nicht eine kleine Gans?« –

»Oh«, antwortete der verspottete Liebesgott und stellte sich mit einer tapfern Miene in Positur, »ich schieße alle Herzen im Leibe entzwei.«

»Schieß her!« foderte ihn die Baronesse auf und bot ihre Brust dar.

Der drollichte Knabe ergriff einen von seinen gefiederten Pfeilen und warf ihn nach ihrem Herze. Das unschädliche Geschoß blieb in der Garnierung ihres Kleides hängen: Die Baronesse stellte sich tödlich verwundet und sank rückwärts auf einen Sofa.

»Kann ich nicht treffen?« rief Amor und klatschte triumphierend in die Hände. –

O ihr guten Kinder! wüßtet ihr, welche Ungewitter die Liebe von diesem Augenblicke an über euch sammelt – ihr hättet nicht mit ihren Pfeilen gespielt.

»Ich will dich wieder lebendig machen«, sprach der siegende Liebesgott, hüpfte zu ihr hin und drückte auf den Mund seiner hingesunknen Psyche einen der lebhaftesten Küsse: mit ihm schlich ein geheimes Feuer in ihre Kinderseele, durch[70] alle Nerven des kleinen Körpers schoß eine zitternde Flamme, ihr Herz schlug schneller, und alle ihre Sinnen schlummerten in ein minutenlanges Gefühl der sanftesten Behaglichkeit dahin.

Eben wollte der Dreiste die Lippen zurückziehn, als Fräulein Hedwig ins Zimmer trat. Sie rennte mit schwerfälligem Trabe nach dem Sofa hin, um sich zum zweiten Male unter einem schicklichen Vorwande für die Ohrfeige zu rächen: allein der Knabe war ganz mit Amors Unverschämtheit bewaffnet; er trat zurück und drohte ihr, sie gleichfalls mit seinen Pfeilen zu erschießen. Die mürrische Gouvernante war zum Spaß nicht aufgelegt und riß die Baronesse hinweg, mit der ernsten Vermahnung, sich nicht mehr mit einem so gemeinen Jungen einzulassen, weil sie sonst ebenso verbrennen könnte wie die Königin Dido, da sie sich vom Grafen Äneas umarmen ließ.

Die Vermahnung, so gut gemeint und so nötig sie sein konnte, war auf einen schlechten Grund gebaut und tat daher auch eine schlechte Wirkung: die Baronesse, die noch ganz Natur war, fühlte zwischen der Liebenswürdigkeit eines gemeinen und eines vornehmen Jungen keinen Unterschied, und sobald Fräulein Hedwig nur den Rücken wandte, wischte sie zum Zimmer hinaus, den gemeinen Jungen, der so wohltuende Küsse gab, aufzusuchen. Die Alte, wenn sie ihre Abwesenheit inne wurde, setzte gleich mit allen Segeln hinterdrein; Ulrike floh mit ihrem Liebesgotte aus einem Zimmer ins andre, wie ein Paar Tauben vom Geier verfolgt, und jedesmal retteten sie sich in eins, wo Gesellschaft war und wo man sie also nicht ausschelten konnte: so geschah diese Jagd einigemal während des Spiels.

Endlich rückte die Zeit des Balls heran: kaum war er eröffnet, so fand sich die Baronesse mit ihrem Amor auf dem Tanzplatze ein. Ihre Gouvernante verwies ihr etlichemal diese unanständige Aufführung: allein ihre Verweise hatten immer etwas so Komisches bei sich, daß man sich nie entschließen konnte, sie für Ernst gelten zu lassen. Sie tanzten mutig miteinander fort, bis der Graf auf die Entweihung[71] der Gesellschaft durch die Gegenwart eines so gemeinen Jungens aufmerksam wurde: er untersagte seiner Schwestertochter alles fernere Tanzen mit ihm auf das schärfste und ließ ihm einen Platz anweisen, wo er zu sehen und den er bei Vermeidung der höchsten Ungnade nicht verlassen sollte. Die Baronesse begleitete ihn in sein Exilium und wich ihm nicht von der Seite, sooft man sie auch von ihm hinwegrief und hinwegführte.

Plötzlich verbreitete sich durch den ganzen Saal das Gerücht, daß ein Gärtnerbursche bei Anzündung der Lampen, womit der mittelste Gang des Gartens erleuchtet werden sollte, von der Leiter gefallen sei und das Bein gebrochen habe. Der Graf kehrte sogleich alle Anstalten vor, daß es nicht zu den Ohren der Gräfin gelangte, die mit ihrer gewöhnlichen Empfindlichkeit über den Gedanken, sie sei die veranlassende Ursache seines Unglücks gewesen, die ganze übrige Zeit des Balles unmutig und niedergeschlagen geworden wäre. Der Bursche war der Liebling der Baronesse, und kaum wußte sie seinen Unfall – weg war sie! In einem Zuge die Treppe hinunter, über den Hof in den Garten hinein, nach der Gärtnerwohnung zu! und diesen ziemlich langen Weg machte sie in dem ärgsten Regen, bei Donner und Blitz, in ihrem festlichsten Staate ohne die mindeste Bedeckung, daß ihr bei dem ersten Schritte in dem durchweichten leimichten Boden des Gartens die seidnen Schuhe steckenblieben: ohne sich dabei aufzuhalten, nahm sie beide in die Hand und setzte ihre Reise in Strümpfen fort. Als sie bei dem Gärtner ankam, erfuhr sie von seinem kleinen Sohne, daß man den Burschen zu seiner Mutter in das Städtchen gebracht hatte: Jedermann war mit der durchs Donnenvetter verunglückten Illumination beschäftigt, und sie mußte den Knaben durch Geld bewegen, daß er sie mit einer Laterne zu dem Hause brachte, wo der Kranke lag. Sie machte sich in der nämlichen Witterung und mit der nämlichen Bekleidung auf den Weg, erreichte die Wohnung und fand den Chirurgus mit dem Verbinden beschäftigt. Mit der angelegentsten Sorgfalt tat sie ihm Handreichung dabei, half den Fuß halten, sprach dem Burschen[72] Trost ein, wenn ihn der Schmerz zuweilen übermannte, ermahnte den Wundarzt, leise zu verfahren, und hielt bei ihm aus, bis die ganze Verrichtung vorüber war. Bei dem Abschiede gab sie der Mutter einen Gulden – ihr ganzes gegenwärtiges Vermögen – mit dem Versprechen, die Wohltat zu vergrößern, sobald es ihre Umstände zulassen würden. Die Alte, die es entbehren konnte, nahm ihr Geschenk mit vielen Komplimenten an, und weil sie der Baronesse zu komplimentenreich dankte, so wischte diese zum Hause hinaus, ehe noch jene ihren Dank geendigt hatte.

In dem Schlosse hatte sie niemand als Fräulein Hedwig vermißt, die deswegen ängstlich alle Zimmer durchlaufen war, ohne zu erraten, wo sie sein möchte, ob sie gleich eine Entlaufung um irgendeines andern Bewegungsgrundes willen mutmaßte: denn solche Unbesonnenheiten waren ihr gewöhnlich. Sie konnte in keinem Winkel Ruhe finden und war halb des Todes, als die Baronesse in zerrissner, ungepuderter Frisur und schmutzigen Schuhen in der Gesellschaft auftrat. Mit einem freudigen »Er ist verbunden« eilte sie zur Gräfin und erzählte ihr den ganzen Verlauf ihrer Expedition. Der Graf erblickte sie kaum, als er zu ihrer Gouvernante voller Zorn ging und ihr ihre Unachtsamkeit mit einem harten Verweis bezahlte, was sie eben so ängstlich befürchtet hatte: mit gleicher Entrüstung scholt er Ulriken über die Unanständigkeit, sich in so unsauberer Kleidung zu präsentieren, weidlich aus. Die Gräfin, welcher die Übereilung der Baronesse im Herzen gefiel, küßte sie und sagte ihr freundlich: »Du bist beständig ein solch gutherziges unbesonnenes Ding gewesen und wirst es auch wohl bleiben. Geh auf dein Zimmer!«[73]

Quelle:
Johann Karl Wezel: Hermann und Ulrike. Leipzig 1980, S. 65-74.
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