Viertes Kapitel

[38] Die Frau Herrmann konnte vor brennender Ungeduld die Rückkunft ihres Mannes nicht in der Stube abwarten: kein Tropfen Kaffee schmeckte ihr: sie mußte sich schlechterdings in die Tür stellen, wo sie noch mit glühenden Backen stand, als ihr Mann um die Ecke der nächsten Gasse herumkam. Gern wäre sie ihm entgegengegangen, wenn ihr nur der[38] leidige Wohlstand nicht verboten hätte, sich im Negligé über die Türschwelle zu wagen. – Warum geht er nur so langsam? – Ach! da führt der böse Feind gar einen Mann her, mit dem er spricht! – Die arme Frau möchte vergehen über dem ewigen Geschwätze: der Hals wird ihr ganz trocken, sie schmachtet vor Erwartung, sie kann auf keiner Stelle bleiben, tut bald einen Schritt vorwärts, bald einen rückwärts. – Itzt nehmen sie Abschied; jetzt kömmt er. – ›Was wollte der Graf?‹ schwebt ihr schon auf der Zunge; sie steht unbeweglich da und strebt ihm mit Kopf und Brust entgegen. – »Was wollt ...« ist schon ausgesprochen. – O so muß doch der leibhafte Teufel mit im Spiele sein: nicht zwei Schritte ist er von der Tür, da ruft ihn der Herr Nachbar ans Fenster: man möchte unsinnig werden; vor heute abend erfährt die arme Frau gewiß nichts. – Die Tränen stehen ihr schon in den Augen vor Ärger, und dreimal knirscht sie unwillig mit den Zähnen – aber nein! sie hatten einander nur ein paar Worte zu sagen, und der Mann kömmt mächtig dahergeschritten.

»Was wollte der Herr Graf?« rief ihm die Frau mit freudigem Tone entgegen, indem sie auf die unterste steinerne Stufe vor der Tür herabstieg. – Der Mann ging in das Haus und antwortete nichts. – »Adam, was wollte der Herr Graf?« wiederholte sie mit etwas stärkerer Stimme, als sie hinter ihm drein in den Hof ging.

Der Mann. Was wollte er? – Nicht viel Gescheites! was solche Leute immer wollen!

Die Frau. Nun? so erzähle mir doch, Adamchen! – Dachte er nicht an unsern Heinrich?

Der Mann. Mehr als zuviel! – Das ist heiß! – (und so jagte er mit seinem Stocke ein paar Hühner von einer alten Schnitzbank und nahm ihren Platz ein.)

»Was sagte er denn von unserm Heinrich?« setzte die Frau das Gespräch fort, indem sie sich mit halbem Leibe auf des Mannes linke Schulter legte.

Der Mann. Kannst du dir einbilden, Nillchen? Er will unseren Jungen zu sich auf das Schloß haben und einen Narren aus ihm machen.[39]

»Ach!« – tat die Frau einen lauten Schrei vor Freude.

Der Mann. Aber ich hab es ihm rund abgeschlagen.

Die Frau. Abgeschlagen! – (Dies sprach sie mit der leisen erlöschenden Stimme eines Kranken, der eben abscheiden will: in den Augen zogen sich schon eine Menge wehmütige Feuchtigkeiten zusammen.)

Der Mann. Mein Junge soll nicht so ein Taugenichts, so ein Tagedieb werden wie die Schlaraffengesichter, die da beständig hinter dem Grafen dreinziehen.

Die Frau. So eine hohe Gnade! und abgeschlagen! – Du bist ein recht ungeschliffner Mann – (wobei er einen wegstoßenden Schlag von ihrer Hand bekam).

Der Mann. Der Graf mag seine Gnade für sich behalten; ich brauche sie nicht. Nicht den Hut nehme ich dafür ab. – Wo willst du hin, Nillchen?

Die Frau. Zur Gräfin Frau, um ihr zu sagen, daß mein Mann den Verstand verloren hat! –

»Nillchen! bleib hier!« antwortete er ganz gelassen und zog sie bei dem Rocke von hinten auf die Bank zurück. – »Wenn du einen Schritt tust, Nillchen«, fuhr er mit gesetzgebendem Ton fort, »um den Jungen bei der Gräfin anzuschmarotzen, so schließ ich ihn oben in den großen Kleiderschrank, daß ihn der Teufel nicht herauskriegen soll, solange ich nicht will; und müßt er gleich darinnen verschmachten.«

Die Frau. Das kannst du: ich gehe doch. Ich will deine Grobheit nicht auch auf mich kommen lassen. –

»Nillchen«, sagte der Mann mit dem nämlichen kalten Blute und zog sie auf die nämliche Art bei dem Rocke zurück – »da halte meinen Stock! ich komme gleich wieder. –«

Sie setzte sich; er ging und kam nach einigen Minuten zurück. – »Nun kannst du zur Gräfin gehen«, sprach er trocken, nahm ihr seinen Stock ab und setzte sich.

Die gute Frau vermutete wohl hinter dieser plötzlichen Sinnesänderung einen bösen Streich und ging also mehr aus Neubegierde, um zu sehen, ob er wirklich die Tollheit begangen habe, den kleinen Heinrich einzuschließen. Sie rief an dem Kleiderschranke und in allen Winkeln: nirgends war[40] ein Heinrich, der ihr antwortete. Ihre Empfindlichkeit wurde durch dieses hämische Verfahren noch mehr gereizt – denn sie glaubte wirklich, ihr Mann habe ihn irgendwo versteckt – und wollte ihren Willen deswegen schlechterdings durchsetzen: hastig warf sie einen Teil ihres Negligés von sich und wollte sich anputzen, um zur Gräfin zu gehen. Sie eilte zur Kommode – sie war verschlossen: zum Schranke – er war verschlossen. Nun merkte sie wohl die Bosheit: ihr Mann hatte ihr vorhin, als er sie verließ, alle Kleider eingeschlossen und die Schlüssel zu sich gesteckt.

Sie wußte nicht, ob sie zu ihm zurückgehen oder bleiben sollte: endlich entschloß sie sich kurz, legte ihr Negligé wieder an und wanderte in den Hof zurück, fest entschlossen, Ärger und Verlegenheit zu verbergen.

»Warum gehst du denn nicht?« fragte der Herr Ehegatte, tückisch nach ihr hinschielend.

»Ich will warten bis Nachmittag«, erwiderte sie mit persiflierendem Tone und ließ sich neben ihm nieder. Er saß da, beide Hände vor sich auf den Stock gestemmt, das Kinn auf die Hände gestützt, den Blick vor sich hin nach dem Hause gerichtet: der linke Schoß des Überrockes hing nach der Länge über die Bank hinten herunter. Hurtig wischte die Dame mit der rechten Hand leise in seine Tasche, holte einen Schlüssel heraus und – husch! damit in die andere Hand unter den Mantel! Die Rechte tat noch ein paar solche heimliche Gänge, bis alle nötigen Schlüssel durch diesen Hokuspokus sich unter ihrem Mantel befanden: alsdann tat sie einen verstellten Seufzer, wandte mit angenommener Niedergeschlagenheit eine ökonomische Angelegenheit vor und ging, innerlich triumphierend, langsam ins Haus.

Desto schneller flog sie die Treppe hinauf und zum Kleiderschranke. Keine Schleife wurde aufgeknüpft, alles heruntergerissen, mit freudiger Übereilung das schönste Galakleid herausgeholt, die schönste Haube aufgesetzt, und in einer halben Viertelstunde wallte schon ihr Busen vor Entzücken unter dem flornen Halstuche, und ihr Herz klopfte vor Freude[41] über ihre gelungene List und vor Triumph, ihren Mann zu übertrotzen, so hoch, daß die seidne Kontusche knisterte. Nicht zufrieden, gesiegt zu haben, wollte sie ihren Gegner auch kränken: noch einen selbstgefälligen Blick in den Spiegel! – und dann nahm sie alle eroberten Schlüssel zu sich und rauschte glühend und sich räuspernd die Treppe hinunter in den Hof. Da stund sie vor dem Manne, der staunend die Augen weit aufriß und hastig mit der Hand in die Tasche fuhr: er wurde bald inne, wie man ihn überlistet hatte, aber er ließ sich nichts merken.

»Ich will zur Frau Gräfin gehn«, sprach sie mit spöttischer Gleichgültigkeit, machte eine tiefe Verbeugung und sagte:

»Leb wohl.«

»Nillchen«, rief der überwundene Ehegatte mit der äußersten Kälte, ob ihm gleich der innerliche Groll beide Backen mit einer merklichen Röte färbte, »warte noch ein wenig! Ich habe mich anders besonnen. –«

Nillchen hielt diesen vorgegebenen Vergleich für eine neue List, wodurch er sich für ihre Taschenspielerei desto empfindlicher rächen wollte; sie wartete nicht.

»So warte doch!« rief er abermals, ging ihr nach und erwischte sie in der Hoftüre bei dem kanevasnen Rocke. – »Warte doch! Ich habe mir's überlegt: ich will meinen Jungen aufs Schloß geben!«

Sie sah ihn mißtrauisch an und wußte nicht, ob sie seiner trocknen ernsten Miene glauben sollte. – »Nun gut!« sagte sie endlich, »so will ich zur Gräfin gehen und ihr deinen Entschluß melden.«

Der Mann. Ja, das sollst du! – Aber sage mir nur erst: welche Bündel Stroh soll denn der Pfarrknecht kriegen? – Er möchte indessen kommen.

Die Frau. Daß du ihm ja nicht die guten gibst!

Der Mann. Zeige mir sie doch, ehe du gehst, damit du nicht hernach wieder sprichst, ich gebe alles weg, wenn ich die unrechten –

»Komm! ich will sie dir zeigen«, unterbrach sie ihn und tanzte, wie ein triumphierendes Mädchen nach der ersten[42] Eroberung, über den Hof nach der Scheune hin. Der Mann schlenderte langsam hinterdrein.

Das Tor wurde geöffnet: sie trat mit vorsichtigem Schritte, um die weißen seidnen Schuhe nicht zu verletzen, unter die Strohbündel und erhub den rechten Zeigefinger, dem Manne deutlich und augenscheinlich zu demonstrieren, was er tun sollte. Mitten in ihrer Demonstration hörte sie das Tor hinter sich knarren, sie sah sich um und entdeckte – daß sie eingeschlossen war.

»Adam, Adam! wo bist du?« rief sie mit innerlicher Ängstlichkeit; umsonst: Adam legte eben das große Schloß vor das Scheunentor, schnappte es zu, sagte nicht eine Silbe und ging langsam in das Haus.

Nun merkte die arme eingesperrte Frau wohl, durch welche betrügerische Verstellung sie hintergangen war, daß sie in diesem dunkeln Gefängnisse aushalten mußte, solang es ihrem Mann beliebte, daß sie nicht zur Frau Gräfin gehn konnte, daß ihres Mannes Trotz die Oberhand behielt. »Ach!« rief sie bei diesem letzten entsetzlichen Gedanken aus, riß das weiße Schnupftuch mit theatralischem. Anstande aus der Tasche, bedeckte ihr beträntes Gesicht und sank auf ein Bündel Stroh hin – ob in Ohnmacht? – das weiß ich wahrhaftig nicht: aber ich zweifle; denn es war ja niemand in der Scheune, der es gesehn hätte. Voller Schadenfreude nahm indessen der Mann den geraden Weg nach Heinrichs Schlafkammer, fand ihn nicht, stutzte, ging weiter: er durchwanderte das Haus von dem obersten Bodenwinkel bis zum untersten Keller, suchte, rief – vergebens: er ging vor die Tür, in den Hof – nirgends eine menschliche Kreatur, die Heinrich heißen wollte! – ›Hui‹, dachte er, ›daß mir die Frau den Streich gespielt und den Jungen auf das Schloß vorangeschickt hat! Warte, Nille! wir wollen dich schon kriegen!‹-Die Vermutung, so falsch sie auch war, wiegelte seine ganze Galle auf: seine eheliche Autorität war durch die kränkendste Hinterlist beleidigt, und er sann auf eine exemplarische Strafe für eine so unerhörte Empörung gegen seine gesetzgebende Macht. Die Ehe dieser beiden Leutchen hatte überhaupt[43] einen ganz originalen Ton: ohne sich jemals förmlich zu zanken, lagen sie in beständigem Kriege widereinander: nimmermehr ließ eins das andre zur offnen Schlacht, nicht einmal zum Scharmützel kommen, sondern jeder Teil suchte den andern beständig durch heimtückische Überfälle, Streifereien und listige Kniffe zu necken, und mitten unter solchen Plagereien liebten sie sich so feurig als nur jemals ein Paar, das der Trauring verknüpft hat.

Sobald es bei ihm ausgemacht war, daß er, trotz der Einsperrung seiner Frau, der überwundne Teil sei, so machte er, weil sich allmählich die kleinstädtische Zeit des Mittagessens näherte, in eigner Person Anstalt dazu. Seine Kochkunst war äußerst gering, und wenn sie auch einen weitern Umfang gehabt hätte, wollte er doch vorsätzlich nichts hervorbringen als eine Wassersuppe. Um sich aber nicht zugleich selbst zu strafen, stillte er erst seinen Appetit mit einigen soliden Stücken geräucherten Fleisches, und als die kalte Küche verzehrt war, richtete er seine magere ungesalzene Wassersuppe an, deckte den Tisch, setzte sein einziges Gericht in die Mitte und ringsherum eine große Menge leere Schüsseln. Darauf ging er zur Scheune, öffnete sie und lud seine Gefangene zur Mittagsmahlzeit ein.

»Ich mag nicht essen«, sagte sie etwas schnippisch, kehrte ihm den Rücken und ging an das andre Ende der Scheune.

Der Mann. Nillchen, du wirst dich doch nicht zu Tode hungern wollen! Komm! Die Frau Gräfin hat die hohe Gnade gehabt, uns ein ganzes Gastmahl zu schicken – vor großer Freude, daß unser Heinrich bei ihr ist. Sie hatte sogar die allerhöchste Gnade und ließ uns versichern, daß wir alle Tage ein paar Schüsseln aus ihrer Küche könnten holen lassen: aber das sieht mir so almosenmäßig aus: ich hab es ausgeschlagen.

»Ausgeschlagen!« rief die leichtgläubige Ehefrau. »Ja, wenn du deiner Frau eine Mühe ersparen kannst, so tust du's gewiß nicht.«

Der Mann. Wenn ich's angenommen hätte, alsdann, denkst du, brauchtest du nicht mehr zu kochen? – Nillchen, ebendeswegen[44] hab ich's ausgeschlagen, damit du das Kochen nicht verlernst, bloß um deines Bestens willen! – Die Frau Gräfin ließ besonders sehr viele gnädige Komplimente an dich machen.

Die Frau. Es ist doch eine recht liebreiche Dame – (wobei ein tiefer Knix in das Bündel Stroh hinein gemacht wurde, worauf sie stand).

Der Mann. Das ist sie! Der Laufer fragte sehr nach dir, Nillchen: ob er vielleicht gar Präsente für dich mitbrachte? Es kam mir so vor –

Die Frau. Und da fragte der alte Adam auch nicht weiter?

Der Mann. Was sollt ich fragen? – Ich sagte ihm, meine Frau wäre im Gefängnisse, nach Tische käme sie los, alsdann könnt er sie sprechen.

Die Frau. Und das sagtest du ihm? – Wahrhaftig, es wäre kein Wunder, wenn man sich zu Tode bei dir ärgerte. Mir solche Schande zu machen!

Der Mann. Was ist denn das nun für Schande mehr! – Wenn ein Beutelschneider auf dem Diebstahl ertappt wird, so steckt man ihn ein: wenn dir's keine Schande gewesen ist, meine Taschen zu bestehlen, so kann dich's auch nicht beschimpfen, daß man dich in Arrest gebracht hat. – Aber komm! ehe das Essen kalt wird! es sind sehr fette Speisen dabei.

Die Arrestantin folgte ihm halb mit Betrübnis, daß ihre Einsperrung durch ihren eignen Mann bekannt gemacht war, halb mit freudigem Verlangen nach dem versprochenen herrlichen Gastgebote und den noch herrlicheren Geschenken, die nach Tische sich wieder einfinden sollten.

Sie trat in die Stube: wie versteinert stand sie da, als sie ihre Leichtgläubigkeit abermals auf das Schändlichste betrogen fand, biß sich in die Lippen und vermochte vor Scham kein Auge aufzuheben. In der Bestürzung ließ sie sich vom Manne an den Tisch führen und auf einen Stuhl setzen: welch neue Bosheit! Der Heimtückische hatte die Wassersuppe so reichlich mit Zwiebeln – einem für sie unleidlichen Gewächse – angefüllt, daß ihr der entgegenkommende Geruch den Atem versetzte.[45]

Was war zu tun? – Essen konnte sie weder vor Ärger, der in ihr bis zu den Lippen heraufschwoll, noch wegen der widrigen Zubereitung des Gerichts. Adam hingegen, so übel es ihm selbst schmeckte, aß ihr zum Trotz mit einer Begierde, als wenn es der köstlichste Leckerbissen wäre.

»Sage mir einmal!« fing er nach einem langen Stillschweigen an, »wenn hast du denn Heinrichen auf das Schloß geschickt?«

Die Frau kratzte mit den Fingern auf dem Tischtuche, senkte den tränenvollen Blick unbeweglich auf den Teller, schluchzte und schwieg.

»Nillchen, sei kein Trotzkopf!« fuhr er nach einer kleinen Pause fort. »Sage mir's aufrichtig, wenn hast du den Jungen zur Gräfin geschickt?«

Die Frau. Ich hab ihn nicht geschickt.

Der Mann. Wo ist er? – Verschweig mir's nicht, wenn du ihn versteckt hast! er ist weg. Wenn er mit deinem Wissen und durch deinen Vorschub, bloß um mir zu trotzen, aus dem Hause gekommen ist, so soll – ich will nicht schwören –, aber der Teufel soll mich holen, wenn ich zeitlebens wieder in einem Bette mit dir schlafe.

Bei so vielem Ernste war ein zeitiger Rückzug das klügste: sie fühlte ihre schlimme Lage und die Notwendigkeit, ihm durch Nachgeben auszuweichen, so lebhaft, daß sie ihm sogleich ins Wort fiel und mit einem teuren Eide versicherte, sie wisse nichts von dem Knaben.

Der Mann. So komm, wir wollen ihn suchen! Diese Aufforderung geschah freilich zum Teil aus heimtückischer Absicht, weil er nicht glaubte, daß sie ihr Gewissen bei ihrem Schwur rein und unbefleckt erhalten habe: er wollte ihr die Kränkung antun, sie an einem Tage, wo sich keine Seele im ganzen Städtchen putzte, in ihrem Galakleide durch alle Gassen und, bei der großen Sonnenhitze, durch Staub, über Stock und Stein zu führen. Sie wollte zwar zur Umkleidung Anstalt machen, allein er faßte mit einem Griffe so plötzlich Hut, Stock und ihren Arm, daß keine Zeit zur Einrede übrigblieb: der Marsch ging fort. Mit der[46] Neubegierde der kleinen Städte, wo die Leute hinter den niedrigen Fenstern wie die Diebe hinter dem Busche auf die Vorübergehenden lauren, waren gleich alle Häuser die ganze Gasse durch mit Menschenköpfen besetzt, an welchen sich die Nasen rümpften oder die Lippen spöttisch grinsten, oder die Augen sich weit aufsperrten, als unser edles Paar vorbeispazierte. Etwas komisch war der Anblick, an dem Arme eines so unsauber gekleideten Gesellen die Dame in dem auserlesensten Schmucke dahinwandeln zu sehn: doch das war noch lange nicht der unangenehmste Akt des Possenspiels. Ungegessen, ohne Schutz und Schirm wider die Sonne, in dem durchhitzten Sande, auf offnem Felde, bei der brennendsten Mittagsglut, unter beständiger Ängstlichkeit, daß vielleicht dem Anzuge ein Unglück widerfahre, mit ziemlich starken Schritten dahinzutraben, das was allerdings eine ausgesuchte Strafe, und man mußte mehr als grausam sein, um einen weiblichen Eigensinn so bestrafen zu können. Der Spaziergang wurde zwei Stunden lang fortgesetzt: das arme Weib schmachtete, der Schweiß rann in starken Strömen herab und tigerte die apfelgrüne Kontusche mit Flecken: aber Trotz und Verzweiflung gaben ihr Mut: sie spannte alle Kräfte an, um ihren Schmerz nicht merken zu lassen oder um Vermindrung ihrer Qual zu bitten. Endlich, da fast alle Nerven ihrer Standhaftigkeit erschlafften, nötigte sie ihr strenger Gesetzgeber, in einem kleinen Tannenwäldchen auszuruhen. Traurig saß sie da und scheuerte mit dem Schnupftuche an den unauslöschbaren Flecken ihrer Kleidung und brach in bittres Weinen aus, als sie alle Wahrscheinlichkeit den gänzlichen Untergang der geliebten Kontusche erwarten hieß.

»Weiter! wir müssen aufbrechen!« rief der grausame Mann und hub sich von der Erde auf.

»Ich kann nicht mehr«, rief die Frau mit schwacher Stimme – »mir schwindelt!« –

»Fort! fort!« erschallte abermals, und zwar etwas gebietrischer, wobei er ihr zugleich die Hand reichte und sie aufhob. War es Verstellung oder wirkliche Kraftlosigkeit? –[47] genug, sie sank wieder zurück und würde sich den Kopf an einem Stamme zerschmettert haben, wenn er sie nicht beizeiten aufgefangen hätte.

Der Mann. Wir müssen aufs Schloß: itzt wird die Gräfin abgespeist haben. Willst du deine Präsente nicht holen?

Die Frau. Bringe mich doch lieber gleich um, du Barbar! Da! schlag mich vor den Kopf oder hänge mich hier an einen Baum! Weiter willst du doch nichts, als daß ich wegkommen soll, damit du wieder eine andre zu Tode plagen kannst, du Weiberhenker!

Der Mann. Laß gut sein, Nillchen! Laß gut sein! – Marsch!

Die Frau. Nicht eher sollst du mich von der Stelle bringen, als wenn du mich in Stücken zerreißest.

Der Mann. Ach warum nicht gar? Da werd ich mir wohl so viele Wege machen und dich stückweise wegtragen. Lieber transportiere ich dich auf einmal im Ganzen.

Wie ein Blitz hatte er sie auf seine Schultern geladen, und sosehr sie mit Händen und Füßen kämpfte, so packte er sie doch so fest, daß sie sich nicht loszureißen vermochte; und nun fortan! wie ein Römer mit einer geraubten Sabinerin auf dem Rücken eilte er über das Feld hin, nach dem Städtchen zu! Jedermann blieb vor Verwundrung stehen, jedermann ließ Sichel und Sense ruhen, alle Weiber und Mädchen, so weit das blache Feld reichte, lehnten sich auf die Harken und gafften mit offnem Munde dem sonderbaren Schauspiele nach. In der Länge ward ihm doch ihre Last zu schwer: er setzte sie also keuchend unter einem Weidenbaum ab und gebot, den übrigen Weg zu Fuß zu machen. Ergrimmt, daß sie seinen Steifsinn durch keins von ihren herzangreifenden Mitteln mürbe machen konnte, wollte sie ihn auf das Äußerste treiben und beschloß bei sich, schlechterdings nicht von der Stelle zu gehen. Nach einer dreifachen Ermunterung zum Aufbruche fragte er sie: »Willst du nicht mit, Nillchen?« – Hierauf bekam er nichts als ein trotziges, flüchtig hingeworfnes »Nein«. – »So bleib hier! Ich will dir einen Wagen schicken«, sprach er und verließ sie.

Hier saß nun die arme Betrübte unter einer großen Weide[48] mitten auf einem ungeheuren Felde, wenigstens eine gute Stunde von der Stadt, und wußte nicht, ob sie gehn oder bleiben, sein Versprechen in Ansehung des Wagens für Spott oder Ernst annehmen sollte. Ihm nachzulaufen? – welche Erniedrigung für ihren ohnehin schon tief verwundeten Stolz! welcher Triumph für die Schadenfreude ihres Mannes! Dazubleiben und den Wagen zu erwarten? – wie mißlich und zugleich wie gefährlich! Wenn er sie nun bis in die späte Nacht warten ließe? – denn einer solchen Tyrannei wäre er fähig–.Wenn sie nun nach langem Warten mit Spott und Schande für ihre abermalige Leichtgläubigkeit zurückkehren müßte?

Ihre Verlegenheit und ihr Kummer stieg wirklich so hoch, daß sie mit heißen Zähren den Kopf in die Hände legte und im völligen Ernste den Himmel um ein schleuniges Ende anflehte: sehr leid tat es ihr, daß nicht gerade ein Gewitter über dem Horizonte stand, um sich einen hülfreichen Donnerschlag ausbitten zu können. Weder ihr körperlicher Zustand noch ihre weite Entfernung von dem Städtchen war so höchsttraurig: aber ihr überwältigter Trotz, ihre überlistete Feinheit, die kalte Grausamkeit ihres Mannes, die tückische Schadenfreude, womit er sie so vielfältig hinterging, die Unmöglichkeit, ihm an irgendeiner schwachen Seite beizukommen – das, das waren die Stacheln, die ihr Innerstes, wie der Geier Tityus' Leber, zerfleischten.

Ein tüchtiger, brausender Zank ist das beste Heilungsmittel wider zurückgehaltnen Ärger: die Natur fing allmählich an, in ihr zu diesem Zwecke zu wirken. Da sie wohl merkte, daß mit dem Tode nichts anzufangen war, setzte sich ihr Blut nach und nach in schnellere Bewegung: sie ließ ihren Lebensgeistern den straffgezognen Zügel schießen, und in weniger denn drei Minuten war die kleinste Nerve zu Streit und Hader gewaffnet. Sie machte sich sogleich auf, um ihrem Manne nachzusetzen und ihren ganzen Grimm ins Gesicht zu schwatzen. Unterwegs bereitete sie sich zu diesem feierlichen Aktus vor und hatte schon den ganzen Dialog im Kopfe, als sie von hinten durch die Gartentüre ins Haus ging.[49]

Aber wie an ihn zu kommen? – Eine Gelegenheit mußte sie doch haben, die den Zank auf eine natürliche Art einleitete: zudem sollte er, nach ihrem Wunsche, den Angriff tun, damit sie durch die Selbstverteidigung zu ihrer beschlossnen Rache berechtigt wäre. Sie wußte für ihren Plan keinen schicklichern Ausweg, als daß sie im Hause herum aus einer Stube, einer Kammer in die andre wanderte und jede Tür mit einer Heftigkeit hinter sich zuschlug, daß sich alle Fenster unaufhörlich in einem erdbebenmäßigen Zittern befanden. Daß nur der alte Fuchs ihre Absicht nicht gemerkt hätte! Anfangs hielt er das Bombardement ruhig aus und schrieb ungestört an seiner Rechnung fort: da es ihm in der Länge zu lästig wurde, ging er hinter ihr drein, und sobald sie aus einer Kammer oder Stube heraus war, schloß er die Tür ab und steckte den Schlüssel ein, ohne nur einen Laut zu sagen. In kurzem war sie so sehr aus allem Vorteile herausgetrieben, daß ihr nichts als die Küchentür übrigblieb, und da sich diese wegen eines Gebrechens am Schlosse nicht verschließen ließ, hub er sie aus: das nämliche tat er mit der Stubentür und ging zu seiner Schreiberei zurück.

Dergleichen Bösewicht! nach so unendlichen Plagereien der armen Frau nicht einmal die Freude zu gönnen, daß sie sich zanken kann! – Dieser neue Streich erhöhte den vorigen Groll: sie wollte mit aller Gewalt durchbrechen und stellte sich zu dem Ende an die hinterste Haustür mit dem wohlgemeinten Vorsatze, sie unaufhörlich auf- und zuzuschlagen: allein bei dem ersten Öffnen lehrte sie der Zufall ein andres Mittel, das ihren Zweck mit millionenmal sichererm Erfolge beförderte. Die Türangel war bei der großen Hitze ganz trocken von Öle und so durstig geworden, daß sie bei jeder Umdrehung in einem hellen schneidenden Tone schrie: unter allen Unannehmlichkeiten, die sterbliche Ohren martern können, war dieses für ihren Mann die angreifendste, das wußte sie. Was sie tat, kann man nunmehr leicht raten: das war so ein durchdringendes, Mark und Nerven zerreißendes Quieken in einer Leier fort, als wenn sich alle Türen im Hause verschworen hätten, den Mann musikalisch zu Tode[50] zu martern. In der ersten Überraschung schwoll sein Zorn wohl ein wenig auf, allein sogleich faßte er sich wieder, holte einen Strick aus der Kammer, und da sie ihn mit diesem Instrumente kommen sah und vermutete, daß vielleicht gar ihr Rücken damit gemeint sei, verließ sie bestürzt ihren Posten und flüchtete in die Küche. Ohne etwas mehr im Sinne gehabt zu haben, band er die Hoftür, die auch kein zuverlässiges Schloß hatte, so fest an einen inwendigen Haken, daß mehr als Weiberstärke dazu gehörte, sie wieder musikalisch zu machen. Ohne ein Wort zu sagen, ging er zurück an seine Arbeit.

Die Frau wollte in Verzweiflung geraten, daß ihr alle Anschläge mißlungen. Indessen, daß sie auf neue Ränke sann, kam der Laufer des Grafen, überbrachte einen gnädigen Gruß von seinem Herrn und drei Bouteillen Wein, mit der Bitte, sie morgen an dem Geburtstage der Gräfin auf ihre Gesundheit auszuleeren.

»Ich mag keinen Wein vom Grafen«, sagte Herrmann trotzig und schrieb, ohne aufzublicken, brummend fort. – »Was für Wein ist es denn?« fragte er in der nämlichen Positur nach einer kleinen Pause.

»Ungarwein«, antwortete der Laufer.

Herrmann stund von seinem Stuhle langsam auf, steckte die Feder hinter das rechte Ohr, zog den Kork von der Flasche, setzte an und tat einen herzhaften Schluck.- »Er ist gut«, sprach er, indem er sie wieder auf den Tisch stellte; »ich will ihn behalten.«

»Zugleich«, fuhr der Laufer fort, »soll ich Ihnen auch die Nachricht von Ihrem Heinrich bringen –«

Herrmann. Ist der verfluchte Junge auf dem Schlosse?

Der Laufer. Ja, schon seit heute früh um sechs Uhr. Er ist heimlich aus dem Bette fortgeschlichen und war schon lange da, ehe Sie zum Grafen kamen: aber er bat inständig, daß wir ihn vor Ihnen verstecken sollten. So ist er in unsrer Stube geblieben, bis es der Graf erfuhr und ihn zu sich aufs Zimmer kommen ließ. Er hat ihn dem Kammerdiener übergeben, bei dem er wohnen und schlafen soll. Man könnt ihn gar nicht[51] bereden, wieder wegzugehen, und er läßt Ihnen sagen, daß Sie sich weiter nicht um ihn bekümmern sollten, er wäre versorgt.

Herrmann. Darum braucht er nicht zu bitten, daß ich mich nicht weiter um ihn bekümmern soll. – Nicht einen Fuß darf er mir wieder über die Schwelle setzen, der Tagedieb! –

Er tat zu gleicher Zeit einen zweiten Schluck aus der Flasche, die er beständig während des Sprechens in der Hand behielt. – »Der Wein ist recht gut«, sagte er freundlich, als er absetzte.

Der Laufer. Morgen werd ich Ihnen mehr bringen, wenn der Herr Graf weiß, daß er Ihnen so gut schmeckt.

Herrmann hatte während dieses Versprechens den dritten Schluck getan und antwortete mit beinahe stammelnder Zunge: »Es soll mir lieb sein.«

»Sagen Sie nur dem Grafen«, setzte er hinzu, als der Laufer Abschied nahm, »er möchte meinen Heinrich bei sich behalten, so lang er wollte – er darf sich gar nicht fürchten, daß ich mich deswegen wieder mit ihm zanken werde – ich hab ihm auch heute früh nichts übelgenommen, das kann er versichert sein – nur soll er mir nicht so einen Tagedieb aus ihm machen, wie es die Laffen alle um ihn herum sind! Oder ich schmeiße den Jungen mit dem Kopfe an den ersten Stein, wo ich ihn finde.«

Während dieser halbtrunknen Rede hatte er den Laufer an die Haustür begleitet und nahm itzt Abschied mit einem Händedrucke und dem nochmaligen Auftrage, daß er den Grafen ja versichern sollte, er habe ihm heute früh gar nichts übelgenommen; er wüßte wohl, daß es des Grafen Art einmal sei, etwas frei zu reden. – Eine solche Verwechslung der Personen begegnete ihm gewöhnlich auch bei dem kleinsten Rausche: immer glaubte er alsdann, daß die Leute ihm die Grobheiten gesagt hätten, wodurch sie von ihm kurz vorher waren beleidigt worden: widerfuhr es ihm – welches auch nicht selten geschah –, daß er in der Trunkenheit jemanden recht derb ausschalt, so beging er, wenn er wieder nüchtern war, die nämliche Verwechslung und versicherte ihn herzlich, daß er ihm alles vergeben habe. Beständig schien er sich der[52] beleidigte Teil, und nur seine Frau machte hierinne eine Ausnahme.

Überhaupt hatte er das Unglück, daß er bei aller Stärke und Klugheit, womit er ihrem Eigensinn und Trotze widerstand, gemeiniglich sein gewonnenes Spiel selbst wieder verdarb. Auch ohne Trunk wurde er immer zunehmend schwach, je mehr sich die Sonne nach Westen neigte: wie ein Fieber überfiel ihn gegen Abend ein so heftiger Paroxysmus von Liebe und Zärtlichkeit, daß er ängstlich um seine Frau herumging und auf alle ersinnliche Weise sie wieder auszusöhnen suchte und oft wegen des Widerstandes, den er ihr den Tag über mit der überlegtesten Klugheit getan hatte, demütig und reuig um Vergebung bat. Führte ihn nun vollends das Schicksal ein begeisterndes Getränk in den Weg, so war es ganz um seine Standhaftigkeit geschehen: sein schwachnervichter Kopf war auf den ersten Schluck eingenommen, und er wurde bis zum Gecken in sein Nillchen verliebt. Gegen jeden andern beobachtete er in einem solchen Zustande die Regel genau, daß er sich mit ihm zankte, wenn er den Tag über sein Freund gewesen war, und sich mit ihm versöhnte, wenn er sich mit ihm gezankt hatte. Deswegen wartete auch seine Frau bei mittelmäßigen Bedrückungen gelassen den Abend ab oder setzte ihm des Nachmittags ein Glas Branntewein in den Weg; denn zu keiner andern Zeit nahm er einen Tropfen starken Getränkes zu sich.

Bei der Ankunft des Laufers mit dem Weine freute sie sich von dem Wirbel bis zur Fußzehe herzinniglich auf die demütigende Rache, die sie auf seine eigne Veranlassung an ihm zu nehmen gedachte. Er ging nach dem Abschiede des Laufers wieder zu seiner Flasche zurück, doch ohne zu trinken: die vorigen drei Schlucke wirkten schon hinlänglich: er stund vor dem Tische, die linke Hand auf die offne Bouteille gelegt.

»Nillchen«, redete er vor sich hin, »so hab ich dir ja, hol mich der Teufel! unrecht getan! – Du armes Nillchen! habe dir deine Kontusche verdorben! – habe dich eingesperrt!«

Er lief die Stube auf und nieder und rang die Hände. – »Was[53] mach ich nur?« klagte er mit wehmütigem Tone. »Was nur? daß sie sich nicht zu Tode grämt? – Ich habe das Herzblättchen so lieb und martre sie so! Ich möchte mir gleich die Kehle abschneiden.«

Er blieb mitten in der Stube stehen, erblickte sich im Spiegel: – »O du alter gottloser Adam!« rief er und spie auf sein Bild im Spiegel. »Was du einmal gemacht hast! – hast deine Frau einmal geplagt! Ich möchte dich gleich zu Tode prügeln« – (und dabei gab er seinen eignen Backen eine reiche Ladung kräftiger, lautschallender Ohrfeigen). – »Da! du abscheulicher Höllenbrand!« sagte er sich im Spiegel dazu. »Du eingefleischter Teufel! Wirst die arme Frau wohl noch unter die Erde bringen, du Katzenkopf! – Ich kann dich nicht mehr ansehn; pfui!«

Mit dem größten Unwillen kehrte er sich von seinem Bilde hinweg und wurde bei der Wendung das Gesicht seiner gemißhandelten Ehegattin gewahr, die hinter einem Fenster, das neben dem Ofen aus der Küche in die Stube ging, seine Reue mit kitzelnder Freude belauschte. – »Nillchen, liebes Engelskind!« rief er und lief mit ausgebreiteten Armen nach ihr hin, daß er wider die Wand taumelte. – »Komm! köpfe, hänge, rädre, erschieße mich! Ich bin's wert. Ich bin ein rechter Teufelsbraten. Hab ich dich einmal gemartert? – Ach! es tut mir so leid! es frißt mirs Herz ab. – Sieh nur! wie ich dich wieder lieb habe! recht lieb, du scharmantes Cyperkätzchen!«

Diese Liebkosungen, die beständig mit den kläglichsten Ausdrücken der Reue abwechselten, wurden von einer höchst komischen Bewegung begleitet: sooft er ihr seine Liebe beteuerte, hub er das rechte Bein in die Höhe, um durch das Fenster zu ihr hinauszusteigen, ob es gleich gute zwei Ellen von dem Fußboden und so enge war, daß kaum eine große Katze durchkriechen konnte

Die Frau antwortete lange nicht: endlich sprach sie verdrießlich: – »Es liegt mir nichts an der Liebe eines solchen Weiberteufels: erst reißest du deiner armen Frau den Kopf ab, hernach willst du ihn wieder aufsetzen.«

[54] Der Mann. Will ihn nicht wieder abreißen! – Du sollst mich an den Spieß stecken und braten wie eine Schöpskeule, wenn ich dir ihn wieder abreiße. – Habe dir Unrecht getan; vergib mir's, mein Augäpfelchen! –

Nach langem Kapitulieren ließ sich endlich die siegende Ehefrau bewegen und kam zu ihm in die Stube: sie mußte sich in den Lehnstuhl setzen, er warf sich zu ihren Füßen und bat sie in den reuvollsten Ausdrücken, bald mit weinerlichem, bald mit wütendem Tone, unter heftigen Schmähungen gegen sich selbst um Verzeihung und foderte zum Zeichen der Versöhnung die Erlaubnis, in ihrem Schoße zu schlafen. Um ihn zu besänftigen, mußte sie ihm seine Bitten zugestehn: er warf sich aus der knienden Positur herum in eine sitzende Lage, legte den Kopf in ihren Schoß, und in einer halben Minute schnarchte er schon, wie der überwältigte Simson in Delilas Schoße. Die Frau, um sich für ihr erlittnes Kreuz zu entschädigen, langte nach einer von den nahe stehenden Weinflaschen, ersetzte den Abgang ihrer Kräfte durch einige starke Züge so reichlich, daß sehr bald die ganze Stube vor ihrem Blicke schwamm und sich ihre Augenlider gleichfalls zu einem herzstärkenden kummerstillenden Schlafe zusammenschlossen.

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Johann Karl Wezel: Hermann und Ulrike. Leipzig 1980, S. 38-55.
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