Vierzehnter Auftritt.

[85] Jeronymo, Grandison.


JERONYMO. Kommen Sie, liebster Freund; fürchten Sie nicht, dass ich Ihnen Vorwürfe mache, Mein Herz blutete für Sie, da ich sah, was es Ihnen kostete, der zaubernden Beredsamkeit dieses holdseligen Geschöpfes zu widerstehen. Ich bewundere die Grösse Ihrer Seele. Nach dieser letzten Probe, die Sie ausgehalten haben, müssen Sie keiner andern ausgesetzt werden.

GRANDISON. Wo ist sie, Jeronymo, wo ist die theure Heilige?

JERONYMO. Sie wollte nicht warten, bis Sie zurück gekommen wären. Vielleicht getrauete sie sich nicht, sich in der stillen Grösse zu erhalten, zu der sie sich empor geschwungen hatte.

GRANDISON. Ich sehe sie noch vor mir; ihre reitzende Stimme tönt noch in meinen Ohren – Jedes Wort, das sie aussprach, jeder gütige Blick, womit sie es begleitete, war ein feuriger Pfeil, der meine Seele durchdrang! – Ach Klementina! es ist einer andern Welt vorbehalten, uns glücklich zu machen! – Reden Sie[86] mir nicht mehr von Hoffnung, Jeronymo! Mein Herz weissagt mir einen traurigen Ausgang –

JERONYMO. Weder Sie noch Klementina wissen, was ich für Sie gethan habe. Verzeihen Sie mir, mein Freund, dass ich mich mit den übrigen vereinigte, Sie zu quälen. Ich war dazu genöthigt. So sehr ich wünschte, dass Sie in Ansehung der Religion weniger standhaft wären, so habe ich doch niemahls gehofft, dass Sie es weniger seyn würden. Ich kannte Sie zu wohl! Aber eher wollte ich sterben, als zugeben, dass meine Schwester noch einmahl von Ihnen getrennet würde! Es wird nicht geschehen, mein Freund! Ich habe schon alles vorbereitet. Meine Mutter ist sehr für Sie eingenommen; es war nicht schwer, sie zu erbitten. Wir verlassen uns auf Ihre Ehre, liebster Grandison! Klementina soll unter Ihren Bedingungen die Ihrige seyn. Selbst der Pater Mareskotti fängt an, sich für Sie zu erklären. Ich fürchte niemand als meinen Bruder, den General. Er vermag viel über meinen Vater; er fühlt das Ansehen, das ihm die Erstgeburt in der Familie giebt; er ist stolz und ungestüm; aber sein Herz ist edel. Er wird meinen Gründen und meinen Bitten nachgeben. O wie glücklich werden wir dann alle seyn! Wie wird meine Seele frohlocken, wenn ich eine Schwester und einen Freund vereiniget sehe, die alles sind, was mir in der Welt am theuersten ist![87]

GRANDISON. Ach, Jeronymo! Sie hoffen – weil Sie mich lieben; aber ich besorge, Sie hoffen umsonst. Ich kann diese traurigen Ahnungen nicht unterdrücken – Meine Seele ist umwölkt – Ich muss mich entfernen.

JERONYMO. Bey Ihrer Zurückkunft, mein Freund, werden Sie sehen, dass ich nicht umsonst gehofft habe. Meine Liebe für Sie soll in dieser Zwischenzeit nicht müssig seyn. Kommen Sie nur bald zurück, Ihre Klementina von der Hand eines Bruders anzunehmen, der keiner andern Glückseligkeit mehr fähig ist, als sich an der Ihrigen zu erfreuen.


Ende des dritten Aufzugs.


Quelle:
Christoph Martin Wieland: Sämmtliche Werke. Supplemente Band 5, Leipzig 1798, S. 85-88.
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