Siebenter Auftritt.

[67] Der Schauplatz verändert sich in Jeronymo's Zimmer.

Der Markgraf, Jeronymo.

Der Markgraf sitzt in einiger Entfernung von Jeronymo, in einer kummervollen Stellung. Sie schweigen eine Zeit lang; endlich sagt.


DER MARKGRAF. Mir wird bange, mein Sohn! Ich besorge, sie werden den Chevalier nicht überreden. Er ist ein stolzer Mann und ein hartnäckiger Protestant. – O wozu hat mich dieses Kind gebracht, das der Liebling meines Herzens war! – Armselige Vorzüge! Was ist Adel der Geburt? Was ist hoher Stand? Was ist Reichthum? Was sind alle diese Gunstbezeigungen des Glücks, von denen wir uns in freudigen Tagen dünken lassen, dass sie uns über das Loos der Sterblichkeit erheben? Können sie uns vor Sorgen und Schmerzen, vor den bittersten Kränkungen unsers Stolzes, vor der schimpflichsten Erniedrigung bewahren? – Beklage mich, mein Sohn! beklage deinen Vater, der dahin gebracht ist, den Mann, der an dem Unglück seines Hauses Schuld ist, um dasjenige als eine Gunst zu bitten, was sich ehemahls Fürsten Italiens für eine Ehre geschätzt hätten. Arme,[68] erniedrigte Klementina! – Ich habe Mühe, diese Vorstellungen mit Gelassenheit zu ertragen.

JERONYMO. Erlauben Sie mir, gnädiger Herr, Sie zu erinnern, dass Sie selbst von der Unschuld und dem untadelhaften Betragen meines Freundes überzeugt sind. Ich gestehe, unser Unglück wäre unerträglich, wenn der Mann, der die unschuldige Gelegenheit dazu ist, nicht Grandison wäre. Aber seine Verdienste, sein Charakter rechtfertigen alles; die Liebe meiner Schwester hört auf, eine Schwachheit zu seyn, und alles, was die Familie für ihn thun kann, ist Gerechtigkeit.

DER MARKGRAF. Die Freundschaft führet dich zu weit, mein Sohn! Du kannst ihn nicht so sehr erheben, ohne zu vergessen – Doch, ich muss es ja selbst vergessen! – Meine Betrachtungen verwirren mich! Es ist hart, sich von einer gewohnten Grösse so herab gesetzt zu sehen! – Aber mein Entschluss ist genommen: Ich will nicht ungerecht, nicht undankbar seyn!


Quelle:
Christoph Martin Wieland: Sämmtliche Werke. Supplemente Band 5, Leipzig 1798, S. 67-69.
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Klementina von Porretta
C. M. Wielands sämtliche Werke: Supplement, Band V. Klementina von Porretta; Pandora; Die Bunkliade; Auszüge aus Jakob Forsters Reise um die Welt