Erster Auftritt.

[114] Grandison, Kamilla.


KAMILLA. Ich wünsche Ihnen Glück, gnädiger Herr, zu dem Siege, den Sie über die Hindernisse Ihres Glücks erhalten haben. Sie haben aus dem General einen Freund, und aus Ihrem Nebenbuhler selbst einen Fürsprecher Ihrer Sache gemacht. Alle Glieder der Familie haben es der Gräfin Klementina aufgetragen, die Verbindlichkeiten zu erstatten, welche sie Ew. Gnaden schuldig zu seyn erkennen. Die allzu zärtliche Denkungsart der jungen Gräfin ist die einzige Schwierigkeit, die Ihnen, wie ich besorge, noch zu überwinden übrig ist.

GRANDISON. Die vergangene Nacht ist mir lang geworden, Kamilla! Ich weiss nicht, was für traurige Vorempfindungen sich meiner bemeistert haben. Ich gestehe Ihnen, dass ich vor der Zusammenkunft zittre, die mir mit Ihrer Gebieterin bevorsteht.[114]

KAMILLA. Die Gräfin Klementina befindet sich in den gleichen Umständen. Sie hat diese ganze Nacht schlaflos zugebracht, und ihre Furcht vor dieser Zusammenkunft scheint jetzt eben so gross, als ihre Erwartung derselben Anfangs ungeduldig war. Seit dem Augenblick, da ihr die Markgräfin den Entschluss der Familie entdeckte, ist ihr Bezeigen ganz anders als vorher. Sie ist still, zurückhaltend, und auf eine feierliche Art ernsthaft. Sie hat etliche Stunden in ihrem Kabinet mit Schreiben zugebracht. Es war Mitternacht, da sie noch schrieb. Morgen, Kamilla, sagte sie endlich nach einem langen Stillschweigen, und ihr Gesicht veränderte sich, indem sie diess sagte, morgen wird ein wichtiger Tag für mich seyn. O dass er schon gekommen, und auch schon vorüber wäre! – Es kostete mir viele Mühe sie zu bereden, dass sie sich zur Ruhe begeben möchte. Doch um vier Uhr des Morgens stand sie schon wieder auf, und ging an ihren Schreibetisch. Ich vermuthe, sie setzt einige Bedingungen auf, welche Sie unterzeichnen sollen. Aber aus etlichen Worten, die ihr ungefähr entfallen sind, getraue ich mir zu sagen, dass es grossmüthige Bedingungen seyn, und dass sie mehr Fantasie als Härte haben werden.

GRANDISON. Hat Ihre junge Gräfin während meiner Abwesenheit eine Unterredung mit dem Pater Mareskotti gehabt?[115]

KAMILLA. Ja, und ich bekenne Ihnen, dass ich der Begierde nicht habe widerstehen können, sie zu behorchen. Ich hatte keine böse Absicht. Was ich von ihrer Unterredung hören konnte, gereicht zur Ehre dieses würdigen Mannes. Er erhob Ihren Karakter, gnädiger Herr, in Ausdrücken, die nun das Herz eingeben kann; und ich hörte ihn sagen, er hoffe Klementina werde, wenn sie die Ihrige sey, das gesegnete Werkzeug Ihrer Bekehrung seyn.

GRANDISON. Ich habe niemahls einen Zweifel in die Redlichkeit des Pater Mareskotti gesetzt. – Aber die Stunde der Zusammenkunft ist da. – Melden Sie mich der Gräfin, Kamilla!

KAMILLA. Sie ersucht Ew. Gnaden, Sich indessen bey ihrem Bruder Jeronymo zu verweilen, bis sie, wie sie sagt, mehr Muth gefasst hat, Sie zu sehen. Die Wunden des armem Barons haben sich diese Nacht verschlimmert. Sie werden die Ärzte bey ihm antreffen.


Quelle:
Christoph Martin Wieland: Sämmtliche Werke. Supplemente Band 5, Leipzig 1798, S. 114-116.
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