[284] JOHANNA.
O Guilford! O mein Vater!
O welche Prüfung! – Ach! – Gerechter Himmel!
Sind diese stillen Seufzer, die ich unablässig
Für Sie zu dir geschickt, ach! sind sie alle
Vergeblich, unerhört? – O! Der du mir
Das Leben gabst, o du, mit dem ich es
Zu theilen hoffte, euer Leben ist
Unendlich kostbarer als meines! Könnt ich es
Mit meinem Blut, erkaufen, o wie wollt ich
Mich glücklich preisen! – Meine Seele nur,
Nur mein unsterblich Theil ist mir noch theurer
Als euer Leben! – Nein! Ihr fordert nicht,
Erwartet nicht, dass ich –
SUFFOLK.
O Tochter, deine Tugend,
Dein Werth entzückt und ängstigt mich zugleich![284]
Du zwingest mich, den bangen Mund zu öffnen,
Der lieber, gleich dem Marmorbild der Trauer
Auf einem Grabmahl, ewiglich verstummte!
Ach mein geliebtes Kind! Sieh, ich bin alt,
Das schwache Leben, das mir die Natur
Noch Stundenweise vorgezählet hätte,
Hat keinen Reitz als dich! Das Beil kann mir
Nur wenig Tage rauben. Ach Johanna!
Für dich, für dich allein zerfliest mein Auge
In väterlichen Zähren – Du sollst sterben? –
Du, Liebling meiner Seele, sollst du sterben?
Gewaltsam, vor der Zeit, im Frühling deiner Jahre
Vernichtet worden? – O mein Kind, die Qualen,
Womit der schwarze schreckliche Gedanke
Mein Herz zerreisst, kann nur dein Vater fühlen.
Vor kurzem priesen mich noch alle Lippen
Den glücklichsten der Väter, und ich war's!
Ach! dacht ich jemahls, wenn dich meine Arme
Umschlossen hielten; wenn mein thränend Auge
Mit stummem Dank von dir zum Himmel aufsah,
Konnt ich es denken, dass dein Elend einst
Den Wunsch aus meiner Seele zwingen würde,
Dass, – ach! – Der süsse Vaternahme mich
Aus deinem Munde nie entzücket hätte![285]
GUILFORD.
Vergieb dem Übermass der unaussprechlichen
Gedrängten Schmerzen, die mein Herz bestürmen,
Mein Herz, das einzig dich zu lieben, athmet!
Du solltest sterben? Schönste Zier der Schöpfung!
Die kalte Hand des ungerechten Todes
Soll vor der Zeit dich pflücken! – Diese Augen,
Wo in der Farbe des entwölkten Himmels
Der schönste Geist sich spiegelt, sollen sich
Auf ewig schliessen! Diese keuschen Wangen,
So blühend, wie die Rosen, die am Haupte
Der Engel duften, soll der Tod entfärben!
Ach! dieser holde Mund sich nimmer wieder
Zu Reden öffnen, die mir süsser sind
Als Sterbenden – Johanna! Höre mich!
Wo wendest du dein himmlisch Auge hin? –
JOHANNA.
O Guilford, Guilford!
Sind das die edeln muthigen Gedanken,
Womit der Christ sich zu der letzten Grösse
Im Tod erhebt? – Vergiss mich, oder liebe
Mich so, wie einer dessen reine Seele
Sich jetzt entkörpern soll! – Mein Vater, mein Gemahl![286]
Der Tod ist nicht, wie sich der Aberglaube,
Nicht wie die Seelen, die zu tief im Schlamme
Der Sinnlichkeit versunken sind, nicht wie
Des Lasters bebendes Gewissen
Ihn mahlt! Er ist ein Übergang ins Leben!
Nur tun zu sterben wurden wir geboren!
Er raubt uns nichts als unsre Sterblichkeit,
Die Quelle unsrer Leiden! – Lasst uns sterben!
Was kann der Christ, der Tugendhafte sich
Und denen, die er liebet, bessers wünschen,
Als schön zu sterben?
SUFFOLK.
Jetzt, mein theures Kind,
Bereite dich zum letzten Streich des Unglücks!
Sieh! deine Mutter kommt.
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»Fanni war noch jung und unschuldigen Herzens. Ich glaubte daher, sie würde an Gamiani nur mit Entsetzen und Abscheu zurückdenken. Ich überhäufte sie mit Liebe und Zärtlichkeit und erwies ihr verschwenderisch die süßesten und berauschendsten Liebkosungen. Zuweilen tötete ich sie fast in wollüstigen Entzückungen, in der Hoffnung, sie würde fortan von keiner anderen Leidenschaft mehr wissen wollen, als von jener natürlichen, die die beiden Geschlechter in den Wonnen der Sinne und der Seele vereint. Aber ach! ich täuschte mich. Fannis Phantasie war geweckt worden – und zur Höhe dieser Phantasie vermochten alle unsere Liebesfreuden sich nicht zu erheben. Nichts kam in Fannis Augen den Verzückungen ihrer Freundin gleich. Unsere glorreichsten Liebestaten schienen ihr kalte Liebkosungen im Vergleich mit den wilden Rasereien, die sie in jener verhängnisvollen Nacht kennen gelernt hatte.«
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