Fünfter Aufzug

[62] Der Schauplatz stellt einen kleinen Tempel im Palaste des Admets vor. Ein Todtenopfer.

Admet. Parthenia. Ein Chor von Hausgenossen des Admet.


ADMET.

Ihr heil'gen unnennbaren Mächte

In deren grauenvolle Nächte

Kein sterblich Auge dringen kann!

PARTHENIA.

Du, Hekate! und Ihr,

Gewogne Eumeniden![62]

Euch flehen wir,

O seht zufrieden

Seht gnädig unser Opfer an!

CHOR.

Euch flehen wir, o seht zufrieden,

Seht gnädig unser Opfer an!

ADMET.

Zürnet nicht der frommen Zähre

Die auf ihre Urne fällt!

Ach! was ich mit Ihr entbehre,

Ersetzt mir nicht der Götter Sphäre,

Ersetzt mir nicht die ganze Welt!

PARTHENIA.

Ihr selbst im Olympus gefürchtete Mächte,[63]

Die in dem Heiligthum geheimnißvoller Nächte

Hyperions Fackel nie erhellt.

ADMET. PARTHENIA.

O! daß dieß Opfer euch versöhne!

O zürnet nicht der frommen Thräne

Die auf Alcestens Urne fällt!

ALLE.

O! daß dieß Opfer euch versöhne!

Verzeiht, verzeiht der frommen Thräne

Die auf Alcestens Urne fällt!

ADMET.

Und du, wenn noch im Reich der Wonne, in den Kreisen

Der schönen Seelen, wenn im stillen Schoos

Des ewgen Friedens, ein Gedanke noch[64]

An deine Hinterlaßnen dich erinnert:

Wenn unsre Thränen, unsre Sehnsucht, unser nie

Ermüdendes Gespräch von deiner Tugend,

Von deines Umgangs Reiz und unserm Glück in dir,

Dich noch erreichen kann, –

Geliebter Schatten,

So hör uns! – Fühle, fühle wie wir unaussprechlich

Dich noch im Grabe lieben,

Und möchte dieß Gefühl

Selbst in Elysium deine Wonne mehren!


Herkules. Die Vorigen.

Der Chor entfernt sich.


PARTHENIA.

Wie? Seh ich, oder blendet mich der Schein

Der Opferflamme? Herkules schon wieder[65]

Zurück? – Admet, sieh deinen Freund!

Und Freude blitzt aus seinen Augen!

ADMET.

– Freude?

Er sprach von Hülfe, da er gieng –

HERKULES.

Und kömmt zu halten was er dir versprach.

ADMET.

O Herkules, ich hielt dich

Für meinen Freund; –

Ists möglich, kannst du meiner Schmerzen

spotten?

HERKULES.

Dein Unglück macht dich ungerecht, Admet.

Ich tadle nicht daß du in seinem ganzen Umfang

Es fühlst. Du traurst mit Recht. Alceste[66]

Ist deiner Thränen werth. Sie ist die Zierde ihres

Geschlechts, verdient es daß ihr Bild in Marmor

Den Enkeln heilig sey; verdient, so oft der Tag,

An dem sie sich für ihren Gatten hingab,

Zurückkömmt, daß Thessaliens fromme Töchter

Der Heldinn Grab mit Blumenkränzen schmücken.

Man soll den Frauen sie zum Beyspiel nennen!

Sey wie Alceste soll der Segen seyn

Der künftig jede Braut zur Gattinn weyhe!

Wir sind ihrs schuldig! Mehr, Admet,

Verlangt ihr Schatten nicht.

ADMET.

Du sprichst wie einer der das Glück[67]

Nie kannte, das die Götter mir

Zu Neidern machte. Du verlohrest keine

Alceste –

HERKULES.

Diesseits des Olymps, Admet,

Ist kein Verlust, den uns die Götter nicht

Ersetzen könnten.

ADMET.

O Herkules, ermüde die Geduld

Von deinem Freunde nicht! – Du hast sie nie gekannt,

Wenn dir Alcestens

Verlust ersetzlich scheint.

HERKULES.

Nicht ohne Grund spricht Herkules

So zuversichtlich. Höre mehr, Admet!

Was dir unmöglich scheint, ist schon gefunden.[68]

Ich bringe den Ersatz. Die liebenswürdigste

Der Töchter Gräciens begleitet meine Schritte.

ADMET.

Dieß nennst du dein Versprechen halten?

HERKULES.

Was hälf es dir, den schmerzversüßenden

Einladungen der Liebe deinen Busen

Hartnäckig zu verschließen?

Den einz'gen Trost, den dir in deinem Gram

Das Schicksal anbeut, wilt du von dir stoßen?

Schau um dich her, Admet?

Ist auch im ganzen Weltbau nur ein Rad

Aus seinem Gleis getreten? Alles ist

So wie es war, da du dich glücklich hieltest.

Die Quellen jeder Freude strömen fort,

Und werden ewig strömen!

Verschmachtest du, so ist es deine Schuld.[69]

PARTHENIA.

Erkläre mir dein Räthsel, Herkules.

Du sprichst von einer Schönen die dir folge?

Wie nennst du Sie? Von wannen kömmt Sie uns?

Was kann Sie wollen?

HERKULES.

Euer Leid ergötzen,

Parthenia; diese traurigen Cypressen

In Rosen wandeln; diesen Tempel wieder

Den Liebesgöttern weyhen. – Starre mich

Nicht so aus Augen an, Admet, worinn Verachtung

Und Zorn sich mit Erstaunen mischen!

ADMET.

Unfreundlicher, auf deines Vaters Nahmen

Zu stolzer Freund! Hör auf! Ich will nicht länger[70]

Alcestens Ruhm

Und meine Liebe lästern hören!

Mich prüfen willst du? – Spare deine Mühe!

Mein Herz verschmäht sie! –

HERKULES.

Du mißkennest meine Absicht.

Ich will dein Glück, und du

Du stössests von dir. Hast du denn die Schöne

Gesehn, die mich begleitet? – Sieh sie erst!

Mich müßte alles trügen, wenn du mir

Für das Geschenk nicht dankest, das du itzt verschmähst.

ADMET.

Nicht meine Treue – die ist ewig, ewig[71]

Alcesten heilig! – Unsre Freundschaft setzest du

Auf eine Probe der sie unterliegt.

Ich geh – und du – hast einen Freund verlohren!


Ihr sollt' ich untreu werden können?

Dir ungetreu, Alceste? Dir?

Von fremder Flamme sollt ich brennen?

O! Wenn ich dessen fähig werde,

So öffne sich vor mir die Erde!

Der Eumeniden Fackel blitze

Mir ins Gesicht, und aus dem Sitze

Der Wonne fluch Alceste mir!


Er geht ab.

[72] Parthenia. Herkules.


PARTHENIA.

Alcmenens Sohn, bey den Göttinnen!

Du gehst zu weit –

Was konnte dich bewegen, deinen Freund

So grausam, vor der Urne einer

Geliebten Gattinn, an dem Tage selbst

Der sie geraubt,

In ihres Schattens heil'ger Gegenwart,

Durch einen Antrag, der sein Herz

Zerreissen muß, zu kränken?

HERKULES.

Zu kränken? Ferne sey es! glücklich, glücklich

Will ich ihn machen, ihn und dich, Parthenia.

Der nächste Augenblick soll für mich reden.[73]

PARTHENIA allein.

Was kann er meynen? – Sollt es möglich seyn?

Welch ein Gedanke! – Aber nein, es ist unmöglich!

Von da, wo sie in diamantnen Mauern

Die Ewigkeit gefangen hält,

Ist keine Wiederkunft!


Herkules. Alceste. Parthenia.


PARTHENIA.

Allmächt'ge Götter!

Was seh ich? – Ja, sie ists! Sie ists! –

O theurer Schatten –


Sie geht mit ausgebreiteten Armen auf Alcesten zu, aber zittert wieder zurück, da sie ihr nahe kömmt.
[74]

HERKULES.

Fürchte nichts!

Es ist kein Schatten der aus deinen Armen

In Luft zerfließt. Sie lebt. Es ist

Alceste selbst, die ich vom Ufer

Des Styx zurückgebracht.

ALCESTE.

O Schwester! Schließ ich dich in meine Arme

wieder?

Aus welchem Traum erwach' ich!

PARTHENIA.

– O Entzücken!

O Wunder! – Darf ich meinen Sinnen glauben,

Du Göttersohn? – Ich seh sie, halte sie

In meinem Arm, Ihr Busen schlägt an meinem Busen,

Und doch besorg' ich daß es Täuschung sey.[75]

HERKULES.

Besorge nichts! Die Götter schenken sie

Dir wieder.

ALCESTE.

Ließ in meinen Augen,

Wie glücklich mich dein Wiedersehen macht.

Gewiß sie sagen dir daß ich Alceste bin!

PARTHENIA.

Ja, Schwester, ja, du bists! – O welche Wonne!

Laß mich eilen – Dein Admet

Kann nicht zu schnell erfahren

Wie viel er seinem Freund zu danken hat.

HERKULES.

Ruf ihn zurück, Princessin, sag, es schmerze mich[76]

Sein Herz gekränkt zu haben; doch entdecke ihm

Nicht alles. Laß Alcesten

Und mir die Freude, ihn mit seinem Glücke

Da ers am mindsten hoft zu überraschen.

PARTHENIA.

Wenn nur Gesicht und Ton mich nicht verräth,

Dem Mund soll nichts entschlüpfen!


Sie geht ab.

Herkules. Alceste.


HERKULES.

Hülle, Königin,

In deinen Schleyer dich, und tritt

Zurücke. Sein Entzücken, in der schönen Fremden

Die seinen Zorn mir zuzog, dich zu finden,[77]

Sey die Belohnung dessen was ich heute

Für euch gewagt! –

ALCESTE.

O Göttersohn! Noch immer scheint mir Alles

Was mir begegnet ist ein Traum,

Ein wunderbarer Traum!

Ich frage mich erstaunt, ob ich es bin?

Die Erde, die ich wieder

Betrete, diese Wohnung die ich kaum auf ewig

Verlassen, dieser Tempel – Alles ist

Mir fremd. Elysium schwebt

Mit allen seinen unnennbaren Freuden

Vor meinen Augen noch.

Wie selig war ich! – Ach! mit meinem Glücke

Verlohr ich auch die Macht es auszusprechen.[78]

Dieß weiß ich nur, dieß fühl' ich – o! im Grunde

Der Seele fühl' ich es – es war kein Traum.

Noch athmet mir aus ewig blühenden Gefilden

Der Geist der Unvergänglichkeit entgegen.

Noch saugt mein Ohr

Die Wollust eurer Lieder, o ihr Söhne

Des Musengottes! –

HERKULES.

Still! – ich hör' Admetens Tritte –

Entferne dich!


Alceste zieht sich in den Grund des Schauplatzes zurück.

Die Vorigen. Parthenia. Admet der ihr in einiger

Entfernung mit düstern niedergeschlagenen Blicken folgt.


HERKULES.

Admet, vergieb mir! Zürne nicht[79]

Auf deinen Freund! Er fehlte bloß

Aus gutem Willen. Der Gedanke, wieder glücklich dich

Zu machen, riß mich hin. Vergieb mir, Freund!

ADMET.

Vergieb dir Selbst! Unzärtlich, Herkules,

War dein Betragen –

HERKULES.

Hebe deine Augen,

Und sieh, was mich entschuldigt!

ADMET.

O! Ihr Mächte des Olymps!

Was seh ich! – Nein, ich sehe nichts! – Mich täuscht

Ein Gott, der meiner spottet. Liebe, Sehnsucht, höhnen[80]

Mein gernbetrognes Herz. Es ist ein Blendwerk!


Alceste nähert sich ihm mit offnen Armen.


– Wie! Es nähert sich? – Bist du's,

Geliebter Schatten, der zum Troste mir erscheint?

ALCESTE.

O mein Admet!


Sie eilt auf ihn zu und umarmt ihn.


ADMET.

O Götter, laßt ihn ewig, ewig dauren

Den süßen Wahn! –


Er umarmt sie von neuem.


Ists möglich, gute Götter! O ists möglich!

Umfaß' ich dich, Alceste, keinen Schatten?

ALCESTE.

Ich bin es selbst, Admet,[81]

Die den Ersatz für ein verlohrenes

Elysium in deinen Armen findet.

ADMET.

O! einmal noch und abermal, Geliebte,

Umarme mich! – Ich kann nicht oft genug

Mich überzeugen, daß ich glücklich bin.

Dich selbst, dich selbst, Alceste, neubelebt

Umfaß ich! – Götter, welch Entzücken!

ALCESTE.

Den allvermögenden Belohnern

Der Tugend, mein Admet, – und deinem Freunde

Dank es mit mir! – Er wagte sich für uns,

Stieg unerschrocken in den furchtbarn Abgrund

Der ew'gen Nacht hinab, erbat, erkämpfte

Von Proserpinen mich.[82]

ADMET.

O Sohn des Donnergottes! welch ein Dank

Kann meiner unbegrenzten Schuld

Mich gegen dich entbinden? – Sage,

Den Göttern gleicher Freund, wie konntest du

Lebendig in den unzugangbarn Sitz

Der Schatten dringen? – O erkläre mir

Ein Wunder, das mir noch in diesem Augenblick,

Da ichs mit Augen seh, mit Händen fühle,

Unglaublich ist.

HERKULES.

Begehr es nicht zu wissen!

Ein heil'ger Schleyer, den die Götter selbst

Nicht wegzuziehen wagen, liegt

Auf den Geheimnissen des Geisterreichs.

Der Eumeniden Hand schließt meinen Mund![83]

Genug für dich, daß dir Alceste wieder

Gegeben ist. Geneuß der wundervollen Wohlthat

Der Götter, Freund, und feßle deinen Vorwitz.

ADMET.

Allgüt'ge Mächte, seht mit Wohlgefallen

Die Freudenthränen an, die meinem Aug' entströmen!

Was hat ein Sterblicher, um euch zu danken,

Als Freudenthränen? Als sein Unvermögen

Die Größe seines Dankes auszudrücken?

ALCESTE.

Wie glücklich sind wir! Wie empfind ich es

Für dich und mich! – Es ist kein Blendwerk, mein Admet!

Ich leb', ich lebe wieder

Für dich, und fühl' erst itzt[84]

Den ganzen Werth des Glücks für dich zu leben!


Schon wandelt' ich

Im Chor der schönen Seelen,

Schon grüßte mich

Aus tausend Wunderkehlen

Elysiums schönster Hayn:


Ich fühlte Götterfrieden

Tief in der Brust:

Doch, konnte meine Lust

Vollkommen seyn?

Geliebter, war ich nicht

Von dir geschieden?


Itzt findt Alceste sich in deinen Armen wieder.

Elysium war ein Traumgesicht![85]

O nun erst lebt sie wieder!

Ist wieder dein!

Vermißt nicht mehr der Amphionen Lieder,

Nicht ihren schönsten Hayn!

ADMET.

Du hast Elysiums Glück empfunden!

Sprich, ist es unsrer Wonne gleich?

ALCESTE.

Ich hab Elysiums Glück empfunden!

Allein dem Augenblick, wo ich dich wiedergefunden,

Ist keine andre Wonne gleich.[86]

ADMET zu Herkules.

O! Freund! wie kann ich dir vergelten?

Was ist ein Königreich?

Sind ganze Welten

Dem Werthe deiner Wohlthat gleich?

HERKULES.

Ich bin belohnt an euern Freuden

Mein mitempfindend Herz zu weiden,

Ich bin der glücklichste von euch!

PARTHENIA.

Ihr Götter! die uns zu beglücken

Dieß Wunderwerk gethan,[87]

Nehmt unser dankendes Entzücken

Zum Opfer an!

ADMET. ALCESTE.

Ihr Götter, die uns zu beglücken

Dieß Wunderwerk gethan:

ALLE.

Nehmt unser dankendes Entzücken

Zum Opfer an!

Quelle:
Christoph Martin Wieland: Alceste. Leipzig 1773.
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Alceste
Alceste. Ein Singspiel in fünf Akten - Text von Christoph Martin Wieland, Musik von Anton Schweitzer: Text und Dokumentation, herausgegeben von Bodo Plachta

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