34.
Aristipp an Lais.

[225] Die gute Gesellschaft, die man gewöhnlich bei Hippias findet, hat sich seit kurzem um eine sehr interessante Person vermehrt. Sie nennt sich Timandra113, und war die Gesellschafterin und Geliebte des schönen Alcibiades, in der letzten Zeit des herumirrenden Lebens dieses berüchtigten Abenteurers. Da ich so glücklich bin, eine Dame zu kennen, neben welcher jede andere erröthen würde, wenn man sie schön nennen wollte, so sage ich bloß, daß diese Timandra eine der liebenswürdigsten Personen ist, die ich noch gesehen habe; und was sie in meinen Augen auch achtungswürdig macht, ist die Anhänglichkeit und Treue, mit welcher sie jenem im Guten und im Bösen unübertrefflichen Manne, auch im Unglück und bis[225] in seinen Tod zugethan blieb. Die unaffectirte Wärme, womit sie noch jetzt von ihm spricht, scheint die Aufrichtigkeit der Trauer zu bestätigen, worin sie etliche Jahre nach seinem Tode in einsamer Verborgenheit zugebracht haben soll. Nun hat sie sich mit dem, was sie aus den Trümmern der unermeßlichen Reichthümer ihres unglücklichen Freundes retten konnte, nach Athen begeben, wo sie sehr eingezogen lebt, und nur mit vieler Mühe vermocht werden kann, zuweilen in einer ausgesuchten kleinen Gesellschaft die Tafel des Hippias zu zieren; der (wenn ich dir's nicht schon gesagt habe) in seinen Talenten und in seiner Gewandtheit Mittel gefunden hat, sich zu einem der reichsten Sophisten in der ganzen Hellas zu machen, so wie er, mit deiner Erlaubniß, einer der ersten Virtuosen in der Kunst gut zu essen ist. Er hat der schönen Timandra Anträge gethan, die in ihrer Lage kaum zu verwerfen wären, wenn Hippias auch weniger von allem dem besäße, was sie über den Verlust eines Alcibiades trösten kann. Noch scheint sie unentschlossen; doch zweifle ich nicht, daß sie sich überreden lassen wird, uns auf der Reise nach Syrakus Gesellschaft zu leisten. Du siehst also, liebe Laiska, falls du etwa einen kleinen Anschlag auf meinen Reisegefährten gemacht haben solltest, daß du eine Rivalin zu bekämpfen haben wirst, die sich dermalen, wo nicht seines Herzens (und rathe warum?) doch gewiß seines Geschmacks und seiner Phantasie gänzlich bemächtigt zu haben scheint.

Kleombrotus dauert mich. Er hat, als er hörte daß wir nach Korinth gehen würden, alles versucht, um von der Gesellschaft zu seyn: aber Hippias der mit einer natürlichen Antipathie[226] gegen alle Arten der Schwärmerei und Schwärmer geboren ist, konnte nicht bewogen werden, seine Einwilligung dazu zu geben. Die Noth des armen Jungen stieg endlich so hoch, daß ich, wenn wir allein waren, sein Geheimniß schon mehr als Einmal, unter dem heftigsten Grimmen und Würgen, sich schon ganz nah an seine Lippen hinauf arbeiten sah; aber immer hatte er doch Stärke genug es mit Gewalt wieder hinunterzudrücken. Da ich ihm nun geholfen wissen möchte, so sann ich lange auf Mittel und Wege, bis mir endlich einfiel, ihn mit meinem edeln Freund Eurybates bekannt zu machen. Eurybates ist ein leidenschaftlicher Liebhaber der Dichter und der Kunst ihre Werke gut zu lesen; und Kleombrotus, außerdem daß er selbst Dithyramben von der ersten Stärke macht, declamirt so vortrefflich, daß er es beinahe mit dem großen Rhapsodisten Ion114 aufnehmen könnte. Diese Talente haben ihn bereits in so hohe Gunst bei Eurybates gesetzt, daß ich gewiß bin, er wird ihn künftigen Frühling mit nach Aegina nehmen, und die beiden liebenden Seelchen werden sich dort unter deinem Schutze, wieder – nach Herzenslust anschauen, durchdringen, und in Eine hermaphroditische Seele zusammenfließen können. Kleombrotus ist von seinem neuen Freunde ganz bezaubert. – Ich bedaure nur, sagte ich diesen Morgen mit der arglosesten Miene zu ihm, daß ihr euch so bald wieder werdet trennen müssen; denn Eurybates wird den Frühling in Aegina zubringen. – Was thut das? versetzte Kleombrotus; warum sollt' ich ihn nicht nach Aegina begleiten können? – Das ist wahr, erwiederte ich, wenn dich deine Anhänglichkeit an Sokrates und Plato nicht zurückhält. – Du siehst,[227] Laiska, ich wollte mir nur eine kleine Kurzweil mit dem verschwiegenen Liebhaber machen; aber meine letzten Worte verdarben alles. Sie fielen ihm so stark auf die Brust, daß er plötzlich den Kopf hängen ließ, und mit einem tiefen Seufzer traurig fortschneckte. Ich bin gewiß, es wird ihm harte Kämpfe kosten bis ihn die Leidenschaft überzeugt haben wird, daß, in der Nothwendigkeit zwischen beiden zu wählen, Musarion doch den Vorzug haben müsse.

Hippias hat endlich über die Bedenklichkeiten der schönen Wittwe des Alcibiades gesiegt, und unsre Abreise ist auf einen der nächsten Tage angesetzt. Wenn uns der Gott der Winde nicht zuwider ist, hoffe ich noch vor dem Eintritt des nächsten Vollmonds, zur Feier unsrer ersten Zusammenkunft in Korinth, den Grazien mit dir zu opfern.

Quelle:
Christoph Martin Wieland: Sämmtliche Werke. Band 22, Leipzig 1839, S. 225-228.
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