41.
Kleonidas an Aristipp.

[315] Wenn unsre Freunde oder Verwandten in einem lebenssatten Alter ohne Reue, indem sie ins Vergangene, ohne Kummer, wenn sie vorwärts blicken, die Welt verlassen, so sollte der Gedanke, daß wir nie hoffen konnten sie von dem allgemeinen Loose der Menschheit ausgenommen zu sehen, billig zu unsrer Beruhigung hinreichend seyn.

Nach dieser kleinen Vorrede, lieber Aristipp, wirst du, wie ich hoffe, die Nachricht, daß dein achtzigjähriger Oheim zu leben aufgehört, und dich nebst deinem Bruder zu einzigen Erben seines ansehnlichen Vermögens eingesetzt hat, bloß als einen Ruf des Schicksals aufnehmen, dein Vorhaben, bald nach Cyrene zurückzukehren, desto bälder auszuführen. Vermöge seines letzten Willens ist dir sein schönes Haus in der Stadt und sein nur wenige Stadien von derselben entferntes Landgut zum voraus vermacht: und dein Bruder, der dich zu gut kennt, um deine Weigerung nicht voraus zu sehen, läßt dir wissen, daß er euerm Oheim sehr ernstlich angelegen habe, dir die ganze Erbschaft zu hinterlassen, und daß er also um so fester über dem Buchstaben des Testaments halten werde, da er durch das große Vermögen seiner Frau ohnehin reicher sey, als es einem Bürger eines kleinen Freistaats zustehe.

Nach dieser Erklärung, die dein Bruder bereits öffentlich gethan hat, würde es dir als eine bloße Ziererei aufgenommen[316] werden, wenn du dich nicht mit guter Art fügen wolltest; zumal da ganz Cyrene das Benehmen deines Bruders höchlich billiget, und sich darauf freut, dich künftig auf immer bei uns festgehalten zu sehen.

Das Gut wirft wegen seiner Nähe an der Stadt jährlich über zwei Talente ab, das Haus ist eines der besten in Cyrene, und, wie mir dein Bruder sagt, so kommen von dem übrigen Nachlaß wenigstens vierzig Talente auf deinen Antheil. Du wirst also auf einen hübschen Fuß in deiner Vaterstadt leben, und (was mir vorzüglich Freude macht) uns deine Sokratische Philosophie und deinen eigenen Geist unentgeltlich zum Besten geben können. Das Glück thut äußerst selten so viel für Männer deines Schlages; du bist weise genug, daß du es entbehren konntest; aber Sokrates selbst hätt' es schwerlich von sich gestoßen, wenn es ihm so ungesucht in die Arme gelaufen wäre.

Musarion ist beinahe ein wenig ausgelassen vor Freude, und wirkt und webt und stickt mit ihren Mägden über Hals und Kopf, um ihre kleinen Amorinen auf deine Ankunft recht herauszuputzen. Auch Kleone nimmt ihren Antheil an unserm Vergnügen, und scheint kaum der persönlichen Bekanntschaft zu bedürfen, um eine so gute Meinung von dir zu hegen, als einem viel eitleren Mann als du bist genügen könnte. In der That kennt sie dich, da sie alle deine Briefe an mich gelesen und wieder gelesen hat, bereits so gut, daß ihre Phantasie nur sehr wenig von der kleinen Parteilichkeit, für dich zu verantworten hat, deren sie zuweilen im Scherz von Musarion und mir beschuldiget wird.[317]

Deine Neugier, ob das Bildniß, woran sie in dem Gemälde zu arbeiten scheint, einen Freund oder eine Freundin vorstelle, hätte mich beinahe vergessen gemacht, daß Kleone nicht weiß daß ich sie gemalt habe, geschweige daß du im Besitz dieses Bildes bist. Du siehest leicht, daß beides ein Geheimniß vor ihr bleiben muß, wenn sie in ihrer ganzen holden Unbefangenheit vor dir erscheinen soll. Uebrigens muß ich dir sagen, daß die nachdenkliche und theilnehmende Miene, die dir an ihrem Bilde aufgefallen zu seyn scheint, der gewöhnliche Ausdruck ihres Gesichtes ist, und eigentlich nichts weiter sagt, als daß sie sich immer in einem Zustande von Besonnenheit und reiner Zusammenstimmung mit der ganzen Natur befindet. Sie ist immer in sich selbst ruhend, aber immer bereit sich mit andern zu freuen oder zu betrüben. Ich kann mich nicht erinnern, sie jemals weder gleichgültig noch in Leidenschaft gesehen zu haben. Sie ist nichts weniger als zurückhaltend, und ich bin ihres Zutrauens zu mir so gewiß, daß ich es für unmöglich halte, daß sie irgend eine Neigung in ihrem Herzen nähren sollte, die sie vor mir oder Musarion verheimlichen müßte. Auf alle Fälle rathe ich dir indessen auf deiner Hut zu seyn. Denn wenn du sie in einem spangenhohen Bilde schon so anziehend findest, was wird es erst seyn, wenn du sie selbst in Lebensgröße siehest, und die Musik der Peitho hörest die auf ihren Lippen sitzt?

Dein edler Bruder, dem es an Zeit fehlt, dir selbst zu schreiben, ersucht mich dir zu melden, er habe alle Verfügungen getroffen, daß du bei deiner Ankunft, wenn sie auch so bald erfolgt als wir wünschen, deine beiden[318] Häuser zu deinem Empfang bereit und ausgeschmückt finden werdest.

Quelle:
Christoph Martin Wieland: Sämmtliche Werke. Band 23, Leipzig 1839, S. 315-319.
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