Achtes Capitel
Reflexionen des Autors und des Don Sylvio

[35] Mancher denkt zu fischen und krebset, sagte der weise Sancho bei einer gewissen Gelegenheit zu seinem Herrn. Nichts begegnet öfters, als daß man etwas anders sucht und etwas anders findet. Saul suchte seines Vaters Eselinnen, und fand eine Crone; Don Sylvio suchte Sommer-Vögel, und fand ein schönes Mädchen, oder doch ihr Bildnis.

Nun war er verliebt, so verliebt als man sein kann, und einzig darauf bedacht, wie er auch das Urbild seines kleinen Gemäldes[35] finden wolle. Denn ob er jetzt gleich wußte, wie seine Geliebte aussah, so wußte er doch weder wer sie war, noch wo sie sich aufhielt.

Es ist leicht zu erraten, was ein gewöhnlicher Mensch an seinem Platz gedacht oder getan hätte; aber davon ist die Rede nicht; Don Sylvio dachte und tat nichts wie gewöhnliche Menschen. Die Gedanken, die sich uns andern am ersten darbieten, fielen ihm allemal am letzten und gemeiniglich gar nicht ein; und wenn ihm ein sonderbarer Zufall begegnete, so riet er augenblicklich diejenige Ursache dazu, die es nach dem Lauf der Natur am wenigsten sein konnte.

Wie leicht konnte das kleine Miniatur-Stückchen eine bloße Phantasie eines Malers gewesen sein? Oder war es nicht eben so möglich, daß es eine Person vorstellte, die längst verstorben war, und konnte sich also Don Sylvio nicht in dem Fall des Prinzen Seif-el-Muluk in den Persianischen Erzählungen befinden, der sich, ein paar tausend Jahre zu spät, in eine Maitresse des Königs Salomon verliebte?

Diese oder dergleichen Gedanken kamen unserm Helden nun nicht in den Sinn. Je mehr er der Begebenheit dieses Morgens nachdachte, desto mehr überzeugten ihn alle Umstände, daß es der Anfang eines so außerordentlichen Abenteuers sei, als vielleicht jemals einem jungen Prinzen oder Ritter begegnet sein möchte.

Allein was sollte er nun anfangen? wo sollte er die schöne Schäferin suchen? Wen sollte er fragen? Der blaue Sommer Vogel, der ihm vermutlich Nachricht von ihr hätte geben können, war verschwunden, und ohne eine nähere Anweisung auf Geratwohl in diesem Walde fortzugehen, schien ihm desto gefährlicher, da eine von seinen unsichtbaren Feindinnen, von deren Bosheit er so viele Proben zu haben glaubte, ihn eben so leicht auf den unrechten, als sein gutes Glück auf den rechten Weg bringen konnte.

Nach langem Nachdenken, welches durch die Betrachtung seines schönen Bildnisses oft unterbrochen wurde, dauchte ihn zuletzt das sicherste, zuzuwarten, bis er von dem blauen Papilion eine nähere Nachricht von seiner Geliebten erhalten haben würde. Denn es war nun etwas ausgemachtes für ihn, daß es[36] eine Fee gewesen sei; und da sie für die Freiheit, so er ihr geschenkt, sich schon so erkenntlich zu beweisen angefangen, so zweifelte er nicht, daß sie fortfahren würde, ihn die Würkungen ihrer Gunst verspüren zu lassen.

Inzwischen hatte Pimpimp, sein Hündchen, der, die Sprache ausgenommen, dem Hündchen der Princessin Wunderschöne, ja dem kleinen Toutou selbst weder an Artigkeit noch Verstand etwas nachgab, ihn im ganzen Walde aufgesucht, und die Freude war auf beiden Seiten sehr groß, da er seinen Herrn endlich gefunden hatte.

In der Tat fing Don Sylvio an zu merken, daß es bald Mittagessens-Zeit sein werde, und es war ihm überaus angenehm, einen Wegweiser bekommen zu haben, der ihn aus diesem Walde, worin er sich noch nie so weit vertieft hatte, wieder nach Hause führen konnte. Denn so bezaubert die Liebhaber in den neuern Zeiten immer sein mögen, so ist doch, wie schon ein berühmter Schriftsteller vor uns angemerkt hat, die Mode, ganze Jahre ohne Essen und Trinken nur von der Liebe allein zu leben, heut zu Tag so sehr abgekommen, daß auch der aller erhabenste und geistigste Verliebte in diesem Stück ein ausgemachter Epicurer ist! Eine Abänderung, welche wir unsers Orts um so weniger mißbilligen können, da wir glauben, daß sich das schöne Geschlecht nichts desto schlimmer dabei befinden dürfte.

Don Sylvio ging also, oder stolperte vielmehr mit dem Schatz, den er so unverhofft gefunden hatte, nach Hause; denn er beschaute ihn im gehen so oft, daß er alle Augenblicke über einen Stock fiel, oder an einen Baum anstieß.

Unterwegs geriet er im Nachsinnen über sein Abenteuer auf tausend wunderliche Gedanken; es fiel ihm ein, ob dieses Gemälde nicht vielleicht die Fee selbst vorstelle, die ihm in Gestalt des blauen Sommer-Vogels erschienen war. Vielleicht liebt sie mich, dachte er, (denn es wäre doch nicht das erstemal, daß ein Sterblicher diese Ehre gehabt hätte,) und sie hat eine Probe machen wollen, was ihre wahre Gestalt für einen Eindruck auf mein Herz machen werde.

Diese Einbildung gefiel ihm so wohl, daß er sie eine lange Weile fortsetzte, allein zuletzt mußte sie doch wieder einer[37] andern Platz machen, und so ging es an einem fort, bis er zu Hause anlangte. Kurz, der blaue Sommer-Vogel und die schöne Schäferin hatten seiner Phantasie einen so außerordentlichen Schwung gegeben, daß man sich nicht irren kann, wann man in kurzem sehr seltsame Würkungen davon erwartet.

Es möchte übrigens scheinen, als ob die Torheit unsers jungen Ritters seit einiger Zeit so stark zugenommen habe, daß der verdächtige Zustand seines Gehirns seiner scharfsichtigen Tante unmöglich habe verborgen bleiben können. In der Tat wäre es auch nicht anders gewesen, wenn diese Dame Zeit und Muße gehabt hätte, ihren Neffen zu beobachten. Allein außer dem, daß sie ihn, seitdem er das siebenzehente Jahr zurück gelegt, aus der engern Aufsicht und der strengern Zucht freigelassen hatte, die sich für sein Alter nicht mehr schickten; so war sie seit einigen Wochen mit einer gewissen Sache beschäftiget, um derentwillen sie öfters abwesend zu sein, und in das benachbarte Städtchen zu fahren genötiget war.

Vermutlich mußte diese Angelegenheit von nicht geringer Wichtigkeit für sie sein; denn, wenn sie wieder zurück kam, schien sie wider ihre Gewohnheit so tiefsinnig und zerstreut, bekümmerte sich so wenig um die Geschäfte des Hauses, redete so viel mit sich selber, und so wenig in Gesellschaft, und sagte, wenn sie mit den Bedienten zu reden hatte, so oft eines für das andre, daß außer ihrem Neffen jedermann über eine so große Veränderung sich nicht genug verwundern konnte.

Es ist leicht zu erachten, daß man über die Ursache derselben allerlei Vermutungen anstellte; allein die Vorsichtigkeit der Donna Mencia, und die Verschwiegenheit der Dame Beatrix hielten so gut aus, daß die Sache ein Geheimnis blieb; und das wollen wir sie auch so lange bleiben lassen, bis die Zeit, die endlich alles offenbar macht, sie zu demjenigen Punct der Reife gebracht haben wird, worin Geheimnisse von dieser Art sich insgemein selbst zu verraten pflegen.[38]

Quelle:
Christoph Martin Wieland: Werke. Band 1, München 1964 ff., S. 35-39.
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