Erstes Capitel
Worin der Autor eine tiefe Einsicht in die Geheimnisse der Ontologie an den Tag legt

[148] Wenn jemals ein Mensch sich in einer seltsamen Verfassung befunden hat, so war es Pedrillo, nachdem er die schönen Geschöpfe, mit denen wir ihn im vorigen Buch zusammen gebracht, aus dem Gesichte verloren hatte. Die Verwirrung, die diese Erscheinung in seinem Kopf und in seinem Herzen zurück ließ, war so groß, daß uns die bloße Bemühung eine Beschreibung davon zu machen, beinahe in eine eben so große Verwirrung setzt. Ob er gewacht oder geträumt habe, ob es Feen oder Sterbliche gewesen, ob sie verschwunden oder davon geflogen seien, das waren Fragen, die er sich immer weniger beantworten konnte, je öfter er sie sich machte. Nachsinnen ist in der Tat nicht jedermanns Sache. Pedrillo wenigstens wußte so wenig damit umzugehen, daß er sich endlich in seinen eigenen Gedanken wie in einem Netze gefangen sah, worin er sich immer desto mehr verwickelte, je mehr er sich bemühte los zu kommen; kurz, nachdem er eine gute Viertelstunde lang mit sich selbst gestritten hatte, so hörte er endlich damit auf, daß er in ganzen Ernst an seinem eignen Dasein zu zweifeln anfing.

Unter allen Zweifeln, denen die arme blödsinnige Vernunft des Menschen ausgesetzt ist, wird man vielleicht keinen finden, der sich weniger in die Länge aushalten läßt als dieser; auch war es dem guten Pedrillo nicht anders dabei zu Mute, als ob er mit der Geschwindigkeit einer Trille oder eines Wind-Mühlen-Rads um seine eigene Achse herum getrieben würde.

Vielleicht möchte man denken, wenn er ein Cartesianer gewesen wäre, so hätte er sich durch das berühmte, cogito, ergo sum, gar leicht aus seinem Zweifel heraus helfen können. Allein in den Umständen, worin der arme Knabe war, hätte vielleicht Cartesius selbst sein Latein dabei verloren; denn er dachte würklich gar nichts, und wenn er in einem solchen zustande ja noch[148] fähig gewesen wäre, einen Syllogismus zu machen, so würde doch der Cartesianische Grundsatz zu nichts anderm gedient haben, als ihn aus den Zweifeln an seinem Dasein in die Gewißheit, daß er nicht sei, zu stürzen, welches in der Tat nicht viel besser gewesen wäre als ex Scylla in Charybdin oder aus dem Regen unter die Traufe zu kommen.

Man muß gestehen, daß der rohe natürliche Mutterwitz, Instinct, Sensus communis, oder wie man es sonst nennen will, (denn über Worte werden wir nie malen keinen Streit anfangen) seinem Besitzer zuweilen weit nützlicher ist als die subtilste Vernunft. Wäre Pedrillo ein Metaphysicus gewesen, so würde er gewiß bei dem Zweifel an seinem Dasein nicht stille gestanden sein; er würde so lange nachgegrübelt, reflectiert, analysiert, abstrahiert, distinguiert und combiniert haben, bis er sich selbst, und vermutlich auch allen andern Dingen die Würklichkeit, ja wohl gar die Möglichkeit selbst völlig weggeleugnet hätte; und wer weißt, ob er endlich nicht der Stifter einer neuen philosophischen Secte geworden wäre, von der sich nicht ohne Grund vermuten läßt, daß sie, wegen ihrer besondern Bequemlichkeit die schwersten physicalischen und moralischen Problemata ohne die geringste Mühe aufzulösen, alle andere Secten der Dualisten, Materialisten, Pantheisten, Idealisten, Egoisten, Platoniker, Aristoteliker, Stoiker, Epicuräer, Nominalisten, Realisten, Occamisten, Abälardisten, Averroisten, Paracelsisten, Machiavellisten, Rosenkreuzer, Cartesianer, Spinozisten, Wolfianer und Crusianer; in kurzer Zeit verschlungen hätte.

Wir können nicht ohne Granen und Erschütterung daran gedenken, was für verderbliche Folgen eine solche Philosophie in dem System der menschlichen Gesellschaft hätte nach sich ziehen können, da es in der Tat unmöglich scheint, daß der Grundsatz der nicht-Existenz weder mit irgend einer bekannten Religion, noch mit den eingeführten Gesetzen und Gewohnheiten der policierten Nationen in einen erträglichen Zusammenhang sollte gebracht werden können. Denn mit welchem Schein Rechtens könnte man von einem Menschen, der nicht ist, Zehenten, Opfer, oder Jura stolæ eintreiben, oder wie wäre es möglich, denjenigen eines Verbrechens zu überweisen, der[149] den Richter durch eine lange Demonstration in geometrischer Methode beweisen würde, daß er zu der Zeit, da er dieses oder jenes getan haben solle, gar nicht einmal existiert habe?

Allein zum größten Glück für die öffentliche Ruhe hatte Pedrillo nicht den geringsten Ansatz zur speculativen Philosophie; und an statt über seinen beschwerlichen Zustand lange zu räsonnieren, ließ er sich nichts angelegener sein, als wie er sich bald davon befreien wolle. Sein Herr, dachte er, der in dieser Sache desto unparteiischer sei, da er diese ganze Zeit über geschlafen habe, werde ihm am besten aus dem Wunder helfen können.

Ob und wie ferne Pedrillo hierin richtig gedacht habe oder nicht, wollen wir dahin gestellt sein lassen, indem uns eine nähere Untersuchung davon unfehlbar in den berühmten Streit über den Intellectum agentem und patientem verwickeln könnte, wozu wir uns diesmal um so weniger aufgelegt finden, als würklich der tiefsinnige Inhalt dieses Capitels unser Gehirn so sehr abgemattet hat, daß wir uns genötiget sehen, mit Erlaubnis des großgünstigen Lesers eine Pause zu machen.

Quelle:
Christoph Martin Wieland: Werke. Band 1, München 1964 ff., S. 148-150.
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