Dreizehntes Capitel
Don Eugenio setzt die Erzählung der Hyacinthe fort

[252] Die liebenswürdige Hyacinthe schien, indem sie dieses sagte, so gerührt zu werden, daß sie, so sehr sie sich auch bemühte es zu verbergen, ein wenig inne halten mußte. Erlauben Sie, schöne Hyacinthe, sagte Don Eugenio, ohne daß er ihre Beunruhigung zu merken schien, daß ich ihre Erzählung fortsetze, da sie nun auf denjenigen Teil ihrer Geschichte gekommen sind, wo sie mit der meinigen verwickelt zu sein anfangt.

Es ist bei nahe ein Jahr, fuhr er fort, daß ich mit Don Gabriel nach Grenada reiste, wo ich verschiedene Angelegenheiten in Ordnung zu bringen hatte. Ich besuchte einsmals die Comödie und sah Hyacinthe; sie gefiel mir, und rührte mich. Das erste war eine natürliche Folge der Annehmlichkeiten ihrer Person, denn wem gefiel sie nicht? Und das andere schien mir eine eben so natürliche Würkung der Rolle zu sein, die sie damals spielte. Der allgemeine Beifall, in dessen Besitz sie war, und der mir ihre eigene Person mit denen, die sie annehmen mußte, zu vermengen schien, blendete mich nicht, ich bemerkte, daß sie nur eine mittelmäßige Schauspielerin war. Es ist wahr, in einigen Stellen, wo sie edle Gesinnungen oder wahre und ungekünstelte Empfindungen der Natur zu sagen hatte, schien sie unverbesserlich; aber der Poet hatte dafür gesorgt, daß sie nur selten Anlaß hatte, es zu sein, und in allen übrigen glaubte ich zu bemerken, daß sie sich zwingen mußte Gesinnungen oder Gemüts-Bewegungen anzunehmen, die nicht ihr eigene waren. Diese Beobachtung war ihr sehr vorteilhaft bei mir, und ich glaube in der Tat, daß sie mir denselben ganzen Abend nie besser gefiel, als wenn sie, als eine Schauspielerin betrachtet, am wenigsten hätte gefallen sollen. Ich ging aus der Comödie, und war betroffen, wie ich fand, daß mir das Bild dieses jungen Mädchens überall folgte, ich sahe sie diesen ganzen Abend vor mir; der rührende Klang ihrer Stimme tönte noch immer in meinen Ohren, und alle Zerstreuungen der Gesellschaft, wo ich den Abend zubrachte, waren nicht zulänglich, diesen Eindrücken das mindeste von ihrer Lebhaftigkeit zu benehmen. Ich gab[252] eine Zeit lang keine Acht darauf, und bemühte mich endlich diese Ideen zu zerstreuen; aber sie kamen immer wieder, und ich hatte ein paar Tage nötig, bis sie andern Vorstellungen Platz machten, mit denen ich damals beschäftiget war.

Nach einigen Tagen kam ich wieder in die Comödie, und erwartete vergeblich, daß Hyacinthe auftreten würde. Sie wurde diesesmal durch eine andere ersetzt, die das Talent sich in alle mögliche Gestalten zu verwandeln, welches eigentlich den guten Schauspieler macht, in einem weit höhern Grade besaß. Aber sie mißfiel mir, ohne daß ich einen andern Grund hätte angeben können, als weil sie nicht Hyacinthe war, und niemals hatte ich so ungedultig auf den letzten Aufzug gewartet. Ich erkundigte mich bei einem meiner Freunde nach Hyacinthen, und erfuhr von ihm den Character der Arsenia, die für ihre Tante gehalten wurde, und die ein gezogene Lebensart, die sie führten. Diese Nachrichten vermehrten meine Neugier; ich beschloß mich mit ihnen bekannt zu machen, ich besuchte sie und fand, daß mir mein Freund nicht zu viel Gutes von Arsenien gesagt hatte. Man ist so wenig gewohnt, Tugend, Grundsätze und edle Gesinnungen bei Schauspielerinnen zu suchen, daß man sich, wenn man sie bei ihnen findet, nicht erwehren kann, diesen Character eben so sehr für ein Werk ihrer Kunst zu halten, als die übrigen, die ihnen die Poeten zu spielen auferlegen. Ich beobachtete Arsenien eine geraume Zeit mit allem dem Mißtrauen, welches ihr Stand notwendig zu machen schien, und sie gewann so viel dadurch, als vielleicht manche, die ein großes Geräusch mit ihrer Tugend macht, dabei verlieren würde. Urteilen sie, ob ich weniger Aufmerksamkeit auf Hyacinthen gehabt haben werde. Ihre Jugend schien sie zwar von allem Verdacht loszusprechen, als ob Verstellung und Kunst einen Anteil an der Unschuld haben könnte, die aus ihrem ganzem Wesen zu atmen schien; es war unmöglich sie mit einem mißtrauischen Auge anzusehen: Aber das Vergnügen, so ich darin fand, mich immer mehr in der Idee bestärkt zu sehen, die ich mir beim ersten Anblick von ihr gemacht hatte, machte daß sie mit einer Scharfsichtigkeit, der nichts entging, beobachtet wurde. Eben diese Aufrichtigkeit und liebenswürdige[253] Einfalt des Herzens, welche sie aller der kleinen Kunstgriffe unfähig machte, wodurch die Schönen aus Eitelkeit oder anderen Absichten unsern Herzen nachzustellen pflegen, ließ sie auch nicht bemerken, daß sie beobachtet wurde. Sie dachte eben so wenig daran sich zu verbergen, als sich zu zeigen. Sie gefiel ohne gefallen zu wollen, und die Anmut, die ihre kleinsten Bewegungen anzüglich machten, war eben so natürlich und ungeschminkt als ihre Gesichtsfarbe. Ihre Handlungen hatten nie mehr als eine Absicht, und nie eine andere als die sie natürlicher Weise haben sollten. Sie schien nicht zu wissen, daß man die Augen, so beseelt auch die ihrigen von Natur waren, zu etwas anderm als zum sehen gebrauchen könne; sie lachte niemals um ihre schöne Zähne zu zeigen, und ließ oft in einer einzigen Stunde zwanzig Gelegenheiten entgehen, wo eine andere sich das Vergnügen gemacht hätte, die Anwesenden von der Schönheit eines wohlgestalten Arms, oder von der verführerischen Artigkeit eines kleinen Fußes zu überweisen. Ihre Gegenwart, Hyacinthe, macht es überflüssig ein Gemälde fortzuführen, womit ich ohnehin nie zufrieden sein würde. Die Unschuld hat eine unendliche Menge Annehmlichkeiten, die eben so wenig beschrieben, als von der Kunst nachgeahmt werden können, und deren Eindruck desto gefährlicher ist, da er so sanft und unschuldig zu sein scheint als sie selbst. Mein Herz war schon völlig von ihr eingenommen, ehe ich daran dachte, wie weit mich die Gesinnungen führen könnten, die sie mir, wiewohl ohne ihr Zutun einflößte. Unvermerkt wurde ich es gewohnt, sie alle Tage zu sehen, unvermerkt verlor alles andere, was mir sonst angenehm gewesen war, seinen Reiz für mich; ihre bloße Gegenwart setzte mich in Entzücken, und ohne sie machte mir alles Langeweile. Ich entzog mich nach und nach allen Gesellschaften, Lustbarkeiten und Zerstreuungen, um des einzigen Vergnügens ungestört zu genießen, dessen jetzt mein Herz fähig war. Jeder Augenblick, um den irgend ein Zufall mich nötigte sie später als gewöhnlich zu sehen, dehnte sich in eine tödliche Länge aus, und ein ganzer Abend, den ich in ihrer und Arseniens Gesellschaft zubrachte, (denn allein sah ich sie niemals) schien mir ein Augenblick, wenn er vorüber war.

Die Vorwürfe meiner Freunde nötigten mich endlich ihnen[254] von einer Neigung Rechenschaft zu geben, die alle andere in meinem Herzen ausgelöscht zu haben schien; und die kleinen Streitigkeiten, die wir darüber mit einander bekamen, entdeckten mir, daß diese Neigung, an statt, wie man für recht und billig hielt, ein bloßer Zeitvertreib und flüchtiger Geschmack zusein, eine Leidenschaft war, die das Glück oder Unglück meines Lebens entscheiden würde. Ich will Ihnen durch keine umständliche Beschreibung alles dessen, was von dieser Entdeckung an in meinem Herzen vorging, beschwerlich fallen. Diejenigen, welche glauben, daß man die Liebe mit Erfolg bekämpfen könne, reden von einer Liebe, die nur in sehr uneigentlichem Verstande so genennt zu werden pflegt. Diese auflodernde Flammen, die bloß durch die Schönheit oder ein beidseitiges Bedürfnis angezündet und durch die Begierden unterhalten werden; diese willkürlichen Verbindungen, an denen das Herz keinen Anteil hat, die man aus Eitelkeit, Langerweile, Vorwitz, Caprice, Gewohnheit oder Convenienz eingeht und wieder aufhebt, wie und wenn man will, und die man, so wenig sie mit der Liebe gemein haben, bloß darum Liebe nennt, um ihnen einen ehrbaren Namen zu geben; diese mögen wohl ohne Mühe bekämpft und besiegt werden. Aber über eine wahre Liebe, die sich auf ein geheimes Verständnis der Herzen gründet, und mit gegenseitiger Hochachtung ver bunden ist, ist noch nie kein Sieg erhalten worden, und die Schwierigkeiten, die ihr in den Weg gelegt werden, dienen zu nichts, als den ihrigen zu befördern. Ich machte mir selbst alle nur ersinnliche Einwürfe, ich fühlte ihre Stärke, ich wußte nur gar zu wohl, daß man die Vorurteile, die meiner Liebe das Urteil sprachen, nicht ungestraft verachten könne. Aber was vermochten alle diese Betrachtungen gegen eine Neigung, die für mein Herz die Quelle einer innerlichen Glückseligkeit war, der ich alle Augenblick bereit war alles andere Glück aufzuopfern? Ein Opfer, wofür derjenige, der wahrhaftig liebt, sich durch einen einzigen Blick, eine einzige Träne der Zärtlichkeit für entschädiget halten würde. Doch, ich weiß eben so wohl, daß ich in dieser kleinen Gesellschaft von Freunden keine Entschuldigung nötig habe, als daß diejenigen, die das Unglück haben, dieser Art von Gesinnungen selbst unfähig zu sein, keine Entschuldigung gelten lassen.[255]

Ich entschloß mich also mit aller nur möglicher Unerschrockenheit in den Augen dieser letztern ein Tor zu sein, und richtete jetzt alle meine Bemühungen allein dahin, mich einer Gegenliebe zu versichern, von der die Glückseligkeit meines Lebens abhangen sollte. Mein Umgang mit Hyacinthe daurte bereits etliche Monate, und meine Absichten waren bei mir selbst fest gesetzt, ohne daß sie Ursache hatte mich als einen Liebhaber anzusehen. Mein Betragen war so zurück haltend, und die Zärtlichkeit, die ich für sie zeigte, derjenigen so ähnlich, die ein Bruder für eine Schwester haben kann, daß Arsenia endlich einen kleinen Argwohn über meine Absichten bekam. Sie erriet zwar, daß ich das Vergnügen haben wollte, eine gewisse Sympathie, die zwischen unsern Herzen zu sein schien, sich in dem ihrigen nach und nach und von sich selbst entwickeln zu lassen, aber sie zweifelte zuweilen, ob der Gebrauch, den ich einst davon machen würde, so unschuldig sein möchte, als sie es aus Liebe zu ihrer Hyacinthe wünschte. Sie hatte zwar Ursache sich zu meiner Denkungsart und zu meinen Grundsätzen das beste zu versehen; aber auf der andern Seite setzten die Vorurteile der Welt, oder vielleicht die Betrachtung meines eigenen Glücks eine so weite Kluft zwischen uns, daß sie mir nicht Mut oder Liebe genug zutrauen konnte, sie zu überspringen. Sie wußte, daß die Welt weit geneigter sein würde, mir eine Verbindung, wobei nur Hyacinthe aufgeopfert würde, zu gut zu halten, als eine solche, wodurch nach den Maximen des großen Haufens meine eigene Ehre verdunkelt würde, und was meine Denkungsart betraf, so kannte sie die Menschen zu gut, als daß sie die Grundsätze eines jungen Mannes für eine hinlängliche Gewähr gegen seine Leidenschaften hätte halten sollen. Diese Betrachtungen, die sie mir in der Folge selbst entdeckte, schienen ihr zwar nicht dringend genug, die unschuldige Neigung, die durch fast unmerkliche Grade in dem Herzen ihrer jungen Freundin sich entwickelte, durch voreilige Besorgnisse zurück zu schrecken, aber sie verdoppelten doch ihre Aufmerksamkeit auf mich, und bewogen sie, mir, wiewohl auf eine sehr feine Art, Gelegenheit zu machen, wo ich, wie sie glaubte, meine Gesinnungen deutlicher verraten sollte.

Unter einer Menge von jungen Leuten, die sich zu erklärten[256] Verehrern der liebenswürdigen Hyacinthe aufgeworfen hatten, und sich ihres vermeinten Rechts bedienten, sie hinter der Scene mit allem dem Unsinn zu ermüden, den sie ihr vorsagten, waren verschiedene, die ihre Absichten gerne weiter getrieben hätten, wenn sie, so lang ich ihnen ihrer Meinung nach im Wege stund, sich einigen Erfolg davon hätten versprechen können. So unangenehm es mir war, daß ich Hyacinthe nicht von diesem ganzen beschwerlichen Schwarm befreien konnte, so wenig hatte ich Ursache zu besorgen, daß irgend einer von ihnen ihrem Herzen gefährlich sein könnte; es ist, dachte ich, eine natürliche Unbequemlichkeit, der die Rose ausgesetzt ist, daß sie allerlei Ungeziefer um sich her sumsen lassen muß; und das Betragen der Hyacinthe, welche diesen Gecken eine Art von Ehrfurcht, über die sie selbst erstaunte, einzuflößen wußte, machte mich über diesen Punct so ruhig, als ich nur immer hätte sein können, wenn sie mir ganz gleichgültig gewesen wäre. Allein Don Fernand von Zamora, der um diese Zeit nach Grenada kam, und vom erstenmal, da er Hyacinthen auf dem Theater sah, eine heftige Leidenschaft nach seiner Art für sie faßte, ließ mich nicht lange in dieser stolzen Ruhe. Ein Rival, der die Schönheit eines Narcissus mit der frechen Ausgelassenheit eines Satyren verband, der gewohnt war seinen Leidenschaften den Zügel zu verhängen, und die unermeßlichen Reichtümer, über die ihn der Tod seiner Eltern zum Herrn gemacht hatte, zu Befriedigung seiner Begierden unmäßig verschwendte, ein solcher Rival, so wenig ich auch für Hyacinthens Herz von ihm besorgte, war doch in verschiedenen andern Absichten nicht als gleichgültig anzusehen. Er machte seine erste Liebes Erklärung mit Geschenken, die vielleicht manche spröde und stolze Tugend in Versuchung hätten führen können. Hyacinthe schickte sie zurück, ohne zu glauben, daß sie ihrer Unschuld oder meiner Liebe, die ihr, ungeachtet ich noch immer in den Grenzen der Freundschaft zu bleiben schien, kein Geheimnis war, ein beträchtliches Opfer gebracht habe; allein sie konnte sich doch mit guter Art nicht erwehren, seine Besuche anzunehmen, und an den ausschweifenden prächtigen Lustbarkeiten, die er seiner Eitelkeit zu Ehren, anstellte, mit Arsenien und andern von ihren theatralischen Freundinnen Anteil zu nehmen.[257] So schwer es meinem Herzen wurde, so beschloß ich doch sie in dieser Gefahr, wenn es eine war, gänzlich dem ihrigen zu überlassen.

Don Fernand, dem ganz Grenada sagen konnte, daß ich sie niemals anders als in Arseniens oder anderer Gesellschaft sah, konnte sich um so weniger bereden, daß ich sein Rival sei, da er durch die genaueste Beobachtung nichts in meinem Betragen entdeckte, das mich hätte verdächtig machen können; und wenn er auch einigen Verdacht gehabt hätte, so würde ihn das nur desto eifriger gemacht haben, seine Anfälle auf ihr Herz zu verdoppeln. Allein weder seine Schönheit noch sein schimmernder Aufzug, noch seine Geschenke, noch seine Feste, noch die ungeheure Menge von Oden und Elegien, in denen er über die diamantne Härte ihres Herzens klagte, oder sich wunderte, wie der warme Schnee ihres schönen Busens so kalt sein könne, waren nicht vermögend aus diesem kleinen Felsen-Herzen ein einziges armes Fünkchen von Mitleiden heraus zu schlagen, so kläglich auch die ganze poetische Zunft von Grenada auf seine Unkosten darum winseln mußte, und Don Fernand von Zamora fand endlich für gut, sein Herz, seine Geschenke und seine Elegien einer andern Schauspielerin anzubieten, welche die Sprödigkeit, (wie sie es nannte,) ausgenommen, in allen andern Stücken mit Hyacinthen in die Wette eiferte. So sehr ich nun Ursache hatte, mit dem Ausgang dieses Abenteuers zufrieden zu sein, so ungedultig hatten mich die Unbequemlichkeiten des theatralischen Lebens, denen ich Hyacinthe bei dieser Gelegenheit ausgesetzt sehen mußte, gemacht, sie davon zu befreien. Ich glaubte nunmehr ihres Characters und Herzens so gewiß zu sein, daß ich eine längere Beobachtung für überflüssig hielt, und ich ging würklich damit um, mich Arsenien zu entdecken, und die Mittel zur Ausführung meines Entwurfs mit ihr abzureden, als eine auszehrende Krankheit, deren schneller Anwachs sie gar bald an ihrer Wiedergenesung zweifeln machte, sie veranlaßte mir zuvor zukommen. Sie bat sich eine Unterredung mit mir aus, wovon außer einer kurzen Erzählung ihrer eigenen Schicksale, Hyacinthe der einzige Gegenstand war. Ich liebe sie, sagte diese hochachtungswürdige Frau zu mir, als ob sie mein eigenes Kind wäre, und die Umstände, worin ich sie[258] verlassen muß, sind das einzige, was mir die Verlängerung eines Lebens angenehm gemacht hätte, das mir durch eine lange Kette von Unglücks-Fällen und einen Gram, den nur mein Tod enden kann, schon lange zu einer beschwerlichen Bürde worden ist. Meine Liebe zu ihr ist desto unparteiischer, da sie kein Werk eines mechanischen Triebs ist, sondern sich allein auf die Eigenschaften ihres Herzens gründet. Wie würdig ist sie eines bessern Schicksals, und wie wenig Hoffnung darf ich mir machen, daß ihr Glück jemals mit ihrem Wert übereinstimmen werde! In ihren Umständen kann sie keine Lebensart erwählen die nicht ihre eigene Gefahren hat. Jugend und Unschuld von so vielen Annehmlichkeiten begleitet, sind ohne die Vorteile der Geburt oder des Glücks, gefährliche Gaben für unser Geschlecht; eben diese Unschuld, eben diese Reizungen, die an einer jungen Person von Stande, oder an einer reichen Erbin eine ehrerbietige Liebe oder doch wenigstens rechtmäßige Absichten einflößen würden, machen ein Mädchen, die dem Glück nichts zu danken hat, zu einem bloßen Gegenstand von Begierden, die auf ihr Verderben zielen; und eben derjenige, der sich nicht schämt, zu ihren Füßen hingeworfen, sie in der Sprache der Schwärmerei und Anbetung für die Göttin seines Herzens zu erklären, würde sich durch den bloßen Verdacht, daß er ehrliche Absichten auf sie haben könnte, für beleidigt halten. Urteilen sie nun selbst, Don Eugenio, ob ich über Hyacinthens Schicksal ruhig sein kann. Sie ist für die Umstände nicht gemacht, wo zu ihr Unglück sie verurteilt hat; sie ist liebenswürdig, und wie ich glaube, durch ihre Unschuld und sanfte Gemütsart nur desto fähiger, gerührt zu werden. Ich besorge nichts für sie von allen diesen schimmernden Gecken, die um sie herum flattern, und gleich unfähig sind Liebe zu empfinden und einzuflößen; aber wenn sie einen Mann findet, der mit den Eigenschaften eines edlen Gemüts, mit tugendhaften Gesinnungen und einer ehrerbietigen Zärtlichkeit sich ihre Hochachtung erwirbt, der seine Begierden unter uneigennützigen Empfindungen zu verbergen, und die Liebe unter dem Namen und in Gestalt der Freundschaft heimlich in ihr Herz einzuführen weiß, der Geduld genug hat, den Zeitpunct abzuwarten, da sie durch das Vertrauen, das sie ihm schuldig zu sein glaubt, durch die[259] Unschuld ihrer eigenen Empfindungen, durch den zauberischen Reiz der Sympathie und gewisser geheimer Triebe, die sie in der unerfahrnen Einfalt ihres Herzens mit den zärtlichen Regungen desselben vermengt, entwaffnet, unbesorgt und ganz in Liebe aufgelöst, als ein williges Opfer seinen Begierden überliefert wird – –

Ach! Don Eugenio! – wie sehr besorge ich, daß sie diesen Mann schon gesehen hat! – Vergeben sie mir, mein edler Freund; die Umstände, worin ich bin, berechtigen mich freimütig zu sein; eine Person, die in kurzem von den Menschen nichts mehr zu fürchten noch zu hoffen hat, sieht durch alle die Blendwerke durch, die unsere Urteile zu betören, zu verfälschen, oder zurück zu halten pflegen, so lange wir noch selbst in die menschliche Angelegenheiten verwickelt sind. Sie werden nicht daran zweifeln, daß ich schon lange weiß, daß sie Hyacinthen lieben, und sie müssen es so gut wissen als ich, daß sie ihre Absichten auf das zärtlichste und beste aller Herzen nur gar zu gut erreicht haben. Ich schätze sie hoch, Don Eugenio, und noch vor wenig Tagen würde ich es für beleidigend angesehen haben, ihnen das geringste Mißtrauen sehen zulassen; aber was wollen sie, daß ich jetzt, da Hyacinthens Sicherheit meine einzige Sorge ist, von ihrer Neigung denken soll? – Hier fuhr die redliche Arsenia fort mir ihre Besorgnisse zu entdecken, und endigte ihre Rede endlich damit, daß sie mich mit vielen Tränen beschwur, der Unschuld ihrer jungen Freundin zu schonen. Sie sah mich so lebhaft gerührt, daß sie unmöglich in die Wahrheit der Erklärungen, die ich ihr hierauf gab, einen Zweifel setzen konnte. Ich entdeckte ihr umständlich, was von dem ersten Augenblick an, da ich Hyacinthen gesehen hatte, in meinem Herzen vorgegangen war, wie sehr jederzeit das Verlangen sie glücklich zu sehen, die Begierde mich selbst durch sie glücklich zu machen überwogen habe, und wie fest ich nunmehr entschlossen sei, alle andere Betrachtungen, so wichtig sie immer an sich selbst sein möchten, unserer gemeinschaftlichen Glückseligkeit aufzuopfern. Ich bat sie, Hyacinthe hierüber vorzubereiten, und alsdann zu gestatten, daß ich in ihrer Gegenwart mich gegen sie erklären dürfte. Beides geschah, und die liebenswürdige Hyacinthe machte sich kein Bedenken, mich sehen zu lassen, wie[260] gerührt sie davon war. Diese Zeichen des vollkommenen Vertrauens, das ich in ihre Rechtschaffenheit setze, sagte sie, indem sie mich mit tränenden Augen ansah, diese Tränen, die ich mich nicht bemühe vor ihnen zu verbergen, bin ich ihren allzugroßmütigen Gesinnungen schuldig: Aber das ist alles, was die unglückliche Hyacinthe tun kann, ihnen ihre Dankbarkeit zu zeigen. – Sie entdeckte mir hierauf mit einer Offenherzigkeit, die sie noch tausendmal liebenswürdiger in meinen Augen machte, die ganze Geschichte ihres Lebens.

Urteilen sie jetzt selbst, Don Eugenio, fuhr sie fort, wie sie damit zu Ende war, ob ich nicht die unwürdigste Creatur wäre, wenn ich das Übermaß ihrer Gütigkeit für mich mißbrauchen wollte, so lang ich nicht eine völlige Gewißheit dessen habe, was vermutlich eine bloße Eingebung meiner Eitelkeit ist, wenn ich mir schmeichle, daß ich vielleicht weniger Ursache habe über meinen Ursprung zu erröten, als die Zigeunerin, die mich erzogen hat, mich bereden wollte. Arsenia vereinigte sich vergebens mit mir, sie zu überzeugen, daß ihre Bedenklichkeit zu weit getrieben sei; sie blieb unbeweglich bei ihrem Entschlusse, wenn sie Arsenien verlieren sollte, sich in ein Kloster zu begeben; und alles, was ich endlich von ihr erhalten konnte, war, daß sie mir die Wahl des Orts überließ, und feierlich versprach, sich ohne meine Einstimmung durch kein Gelübde binden zu wollen. Ich schrieb so gleich an einen Freund zu Sevilla, um Nachrichten von der alten Zigeunerin einzuziehen; erfuhr aber, daß die Aufmerksamkeit, die der Corregidor auf ihr Haus zu wenden angefangen, sie vor kurzem genötiget habe sich durch eine schleunige Flucht in Sicherheit zu bringen. So verdrießlich mir dieser Umstand war, so gab ich doch die Hoffnung nicht auf, durch die Maßregeln, die ich deswegen nahm, die Alte noch endlich aufzutreiben, die ich alsdann unfehlbar zum Geständnis, wie sie zu Hyacinthen gekommen sei, zu bringen hoffte; und im Fall sie mir entgehen würde, so schmeichelte ich mir doch, Hyacinthens Entschluß endlich durch meine Beständigkeit zu erweichen. Inzwischen nötigten mich die Angelegenheiten meiner Schwester, die meine Gegenwart zu Valencia schlechterdings erforderten, von Grenada abzureisen, und meine Geliebte bei einer würdigen Freundin zurück zu lassen,[261] von der sie sich durch nichts als den Tod trennen lassen wollte, und deren täglich abnehmendes Leben mir wenig Hoffnung überließ, sie jemals wieder zu sehen.

Quelle:
Christoph Martin Wieland: Werke. Band 1, München 1964 ff., S. 252-262.
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