Zehntes Kapitel
Der Senat zu Abdera gibt dem Euripides, ohne daß er darum angesucht hätte Erlaubnis, eines seiner Stücke auf dem abderitischen Theater aufzuführen Kunstgriff; wodurch sich die abderitische Kanzlei in solchen Fällen zu helfen pflegte
Schlaues Betragen des Nomophylax
Merkwürdige Art der Abderiten, einem, der ihnen im Wege stund, allen Vorschub zu tun

[292] Nachdem Euripides die Wahrzeichen von Abdera sämtlich in Augenschein genommen, führte man ihn nach dem Garten der Salabanda, wo er den Ratsherrn ihren Gemahl, (einen Mann, der bloß durch seine Gemahlin merkwürdig wurde,) und eine große Gesellschaft von abderitischem Beau-Monde fand, alle sehr begierig zu sehen, wie man es machte, um Euripides zu sein.


Euripides sah nur Ein Mittel, sich mit Ehren aus der Sache zu ziehen; und das war – in so guter abderitischer Gesellschaft nicht Euripides – sondern so sehr Abderit zu sein, als ihm nur immer möglich war. Die guten Leute wunderten sich, ihn so gleichartig mit ihnen selbst zu finden. Es ist ein scharmanter Mann, sagten sie; man dächte, er wäre sein Leben lang in Abdera gewesen.


Die Cabale der Dame Salabanda ging inzwischen tapfer ihren Gang, und des folgenden Morgens war schon die ganze Stadt des Gerüchtes voll, der fremde Dichter würde mit seinen Leuten eine Komödie aufführen, wie man in Abdera noch keine gesehen habe.

Es war ein Ratstag. Die Herren versammelten sich, und einer fragte den andern, wenn Euripides sein Stück geben würde? Keiner wollte was davon wissen, wiewohl jeder positiv versicherte, daß bereits die Zurüstungen dazu gemacht würden.

Als der Archon die Sache in Vortrag brachte, formalisierten sich die Freunde des Nomophylax nicht wenig darüber. »Wozu, sagten sie, braucht's uns noch zu fragen, ob wir erlauben wollen, was schon beschlossen ist, und wovon jedermann als von einer ausgemachten Sache spricht?«

Einer der hitzigsten behauptete, daß der Senat eben deswegen Nein dazu sagen, und dadurch zeigen sollte, daß Er Meister sei.

»Das wäre mir ein sauberes Participium, rief der Zunftmeister Pfrieme; weil die ganze Stadt für die Sache bordiert ist, und die[292] fremden Komödianten zu hören wünscht, so soll der Senat Nein dazu sagen? Ich behaupte just das Gegenteil. Eben weil das Volk sie zu hören wünscht, so sollen sie aufspielen! Fox pobulus, Fox Deus! Das ist immer mein Simplum gewesen, und soll es bleiben, so lange ich Zunftmeister Pfrieme heißen werde!«

Die Meisten traten auf des Zunftmeisters Seite. Der politische Ratsherr zuckte die Achseln, sprach Pro und Contra, und beschloß endlich: wenn der Nomophylax nichts dabei zu erinnern hätte, so glaubte er, man könnte für diesmal connivendo geschehen lassen, daß die Fremden auf dem Stadttheater spielten.

Der Nomophylax hatte bisher bloß die Nase gerümpft, gegrinst, seinen Knebelbart gestrichen, und einige abgebrochne Worte mit untermischtem Hä, hä, hä, gemeckert. Er hätte nicht gerne dafür angesehen werden mögen, als ob ihm daran gelegen sei, die Sache zu hintertreiben. Allein je mehr er's verbergen wollte, desto stärker fiel's in die Augen. Er schwoll zusehends auf, wie ein Truthahn, dem man ein rotes Tuch vorhält, und endlich, da er entweder bersten oder reden mußte, sagte er: »Die Herren mögen nun glauben was sie wollen – aber ich bin wirklich der erste, der das neue Stück zu hören wünscht. Ohne Zweifel hat der Poet den Text und die Musik selbst gemacht, und da muß es ja wohl ein ganzes Wunderding sein. Indessen, weil er sich nicht aufhalten kann, wie man sagt, so seh ich nicht, wie man mit den Decorationen wird fertig werden können. Und wenn wir zu den Chören unsre Leute hergeben sollen, wie zu vermuten ist: so bedaur ich, daß ich sagen muß, vor vierzehn Tagen wird nicht daran zu denken sein.«

Dafür lassen wir den Euripides sorgen, sagte einer von den Vätern, aus deren Sprachröhren die Stimme der Dame Salabanda sprach; man wird ihm ohnehin Ehren halben die ganze Direction seines Schauspiels überlassen müssen – Den Rechten eines zeitigen Nomophylax und der Theatercommission unpräjudicierlich, setzte der Archon hinzu.

»Ich bin alles zufrieden, sagte Gryllus; die Herren wollen was Neues – Gut! Wünsche, daß es wohl bekomme! Bin selbst begierig, das Ding zu hören, wie gesagt. Es kommt freilich alles[293] bloß darauf an, ob man Glauben an die Leute hat – Verstehen Sie mich? – Indessen wird Recht Recht, und Musik Musik bleiben; und ich wette was die Herren wollen, die Terzen und Quinten und Octaven der Herren Athenienser werden just so klingen wie die unsrigen, hä, hä, hä, hä!«

Es ging also mit einem großen Mehr durch, »daß den fremden Komödianten, semel pro semper und citra consequentiam, erlaubt sein sollte, eine Tragödie auf der Nationalschaubühne aufzuführen, und daß ihnen hiezu von Seiten der Theaterdeputation aller Vorschub getan und die Kosten von der Cassa bestritten werden sollten.« Allein, weil der Ausdruck erlaubt sein sollte dem Euripides, der nichts verlangt hatte, sondern sich bloß erbitten lassen, hätte anstößig sein können: so veranstaltete Frau Salabanda, daß der Ratsschreiber, der ihr besonderer Freund und Diener war, im Bescheid die Worte erlaubt sein sollte in ersucht werden sollte, und die fremden Komödianten in den berühmten Euripides verwandelte – Alles übrigens dem Ratschluß und der Kanzlei ohnpräjudicierlich und citra consequentiam!

So wie der Senat auseinander ging, begab sich der Nomophylax zum Euripides, überschüttete ihn mit Complimenten, bot ihm seine Dienste an, und versicherte ihn, daß ihm aller möglicher Vorschub getan werden sollte, um sein neues Stück recht bald aufführen zu können. Der Effect dieser Versicherung war, daß ihm, ohne daß jemand Schuld daran haben wollte, alle mögliche Hindernisse in den Weg gelegt wurden, und daß es immer an allem fehlte, was er nötig hatte. Beschwerte er sich, so wies ihn immer einer an den andern – und jeder beteuerte seine Unschuld und seinen guten Willen, indem er ganz deutlich zu verstehen gab, daß der Fehler bloß an diesem oder jenem liege, der eine Viertelstunde zuvor seinen guten Willen eben so stark beteuert hatte.

Euripides fand die abderitische Art, allen möglichen Vorschub zu tun, so beschwerlich, daß er sich nicht entbrechen konnte, der Dame Salabanda am Morgen des dritten Tages zu erklären: seine Meinung sei, sich mit dem ersten Winde, woher er auch blasen möchte, wieder einzuschiffen, wofern sie nicht einen Ratschluß auswirkte, der den Herren von der Commission anbeföhle, ihm keinen Vorschub zu tun. Da der Archon, wie wohl[294] eigentlich alle executive Gewalt von ihm abhing, kein Mann von Execution war, so war das einzige Mittel in dieser Not, den Zunftmeister Pfrieme und den Priester Strobylus, welche alles beim Volke vermochten, in Bewegung zu setzen. Salabanda übernahm beides mit so guter Wirkung, daß binnen Tag und Nacht alles, was von Seiten der Theatercommission besorgt werden mußte, fertig und bereit war; welches um so leichter geschehen konnte, da Euripides seine eignen Decorationen bei sich hatte, und also beinahe nichts weiter zu tun war, als sie dem abderitischen Theater anzupassen.

Quelle:
Christoph Martin Wieland: Werke. Band 2, München 1964 ff., S. 292-295.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Geschichte der Abderiten
C. M. Wielands sämtliche Werke: Band XX. Geschichte der Abderiten, Teil 2
C. M. Wielands sämtliche Werke: Band XIX. Geschichte der Abderiten, Teil 1
Geschichte Der Abderiten (1-2)
Geschichte Der Abderiten
Geschichte Der Abderiten (2)

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Meine Erinnerungen an Grillparzer

Meine Erinnerungen an Grillparzer

Autobiografisches aus dem besonderen Verhältnis der Autorin zu Franz Grillparzer, der sie vor ihrem großen Erfolg immerwieder zum weiteren Schreiben ermutigt hatte.

40 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon