Der holländische Apis.

[66] Herodot erzählt uns in seiner Geschichte Aegyptens, die Ochsen dieses Landes hatten einen gewissen Ochsen aus ihrer Mitte als lebenslänglichen Repräsentanten ihres löblichen Naturstandes nach Memphis abgesandt. Dieser Ochse, wie man weiß, nannte sich Apis, wohnte, dem Osiris geweiht, in einem prächtigen Hause, ward vom Volk angebetet und von den Pharaonen mit mehr Achtung behandelt, wie die Repräsentanten des Ixixes vom Fürsten Ypsilon in der Hauptstadt Zev.

Man wird es vielleicht für ein Mährchen halten, wenn man hört, daß Holland noch in unsern Tagen eine ähnliche Abgötterei treibt. Aber nichts ist thatsächlicher. Ich erzählte, wie Heredot, als Augenzeuge; ich war in dem Hause, oder vielmehr in dem Tempel, worin der holländische Stier verehrt wird, ich sah den Stier, ich sah, wie die Holländer ihm Opfer und Weihrauch darbrachten.[67]

Wer es nicht glaubt, befindet sich im selben Fall, wie ich, als ich zuerst das Mährlein hörte. Der gute Freund, der sie mir brachte, faßte mich statt aller Antwort am Arm und führte mich an Ort und Stelle. Wer im Haag sich aufgehalten hat, kennt das sogenannte Prinz-Moritz-Haus, in der Nähe des alten Schlosses, als ein sehr großes und schönes Haus, nach hinten an der Pfeifer gelegen, nach vorn durch einen erhöhten Hofraum von der Gasse getrennt. In diesem Hause befindet sich der Stier, dem die Holländer fast göttliche Ehren erweisen. Mein Begleiter zog die Klingel, die Thür öffnete sich, und der Pförtner machte keine Schwierigkeiten uns einzulassen, da mein Freund für Einlaßkarten gesorgt hatte. Eine breite Treppe führte uns nach oben, stark genug, um unter einem Ochsen nicht zu beben, geschweige zu brechen. In der Mitte derselben war eine Thür angebracht, die beim Aufmachen hell klingelte. Oben auf dem Vorsaal angekommen, näherten wir uns einer Thür, die grasgrün ausgeschlagen und hinlänglich hoch und breit war, um einem derben Ochsen Durchlaß zu geben. Es war in der That die Thür, die nach dem Heiligthum führte, ein Wächter in grasgrünem Rock und kuhmistgelben Beinkleidern stand Schildwache davor. Er wehrte uns nicht geradezu ab, aber er äußerte, es stände[68] in unserm Belieben, ob wir uns in die Nebensäle erst vorläufig einführen wollten. Mein Freund lächelte und flüsterte mir zu, Freund Apis nimmt vielleicht in diesem Augenblick einen natürlichen Proceß vor, der keinen Erdengott in seiner Glorie zeigt; wir thun daher besser, dem Wink des guten Mannes zu folgen und den Tempeldienern eine Verlegenheit zu sparen. Darnach durchwanderten wir eine Reihe in einander laufender heller Säle, deren Wände von unten bis oben durch Meisterwerke des Pinsels verziert waren. Eine große Zahl der Gemälde hatte Bezug auf das Land- und Hirtenleben und offenbarer oder versteckter auf die Zeugungskräfte der Natur als deren Sinnbild bereits das uralte Aegypten und Indien den Stier der Schöpfung verehrte. Viele darunter gehörten weltberühmten niederländischen Meistern an, und ich vergaß sehr bald über ihrer Betrachtung die Ursache, die mich hergelockt hatte und dachte nicht mehr an den abentheuerlichen Stier. Von wem, rief ich, ist dies Sonnenlicht, diese Landschaft, die nicht mit gemeinen Oelfarben, sondern mit Sonnenstrahlen aufgetragen zu sein scheint? Welch ein silberner Tag scheint auf die Leinewand. Wie idyllisch ist das Ganze ausgeführt. Da sehe ich einen jungen Stier, der seinen heißen Kopf an einem Baumstamme streicht, er wird[69] die Borke abreiben. Im kühlen Schatten liegen zwei Lämmer, ein lammfrommes Hirtenmädchen sieht daneben, sie hält eine Spindel in der Hand und neckt sich mit dem Hündchen, das sie anbellt. Von wem ist die Malerei? Von Karl du Jardin, sagte mein Begleiter, hier ist sein Lehrer, Nicolaus Berghem. – O der liebe Nicolaus! Was hat er da gemalt, einen Esel, eine Kuh, eine Ziege, ein Schaf, einen Mann, eine Frau mit ihrem Kinde, alltägliche Gegenstände, aber wie poetisch Alles verknüpft. Die Scene liegt hoch, ein kleiner Raum am Bergesabhang faßt alle diese Figuren in Lebensgröße in sich. Rechts eine Ulme von Weinranken umflochten, wir sind in Italien. Im Schatten der Ulme liegt eine Kuh, die äußerst gemüthlich wiederkäut. Vor der Kuh sitzt eine junge Frau, nackt bis unter die Brüste, sie hat im Schooß einen fetten Jungen, der nicht süßer schlafen kann. Warum streckt sie ihren Arm abwehrend nach dem närrischen Ziegenbocke aus? Der Bock will spielen, er weiß nicht, daß der Junge schläft. Das liegt, spielt, schläft, kaut, ist unthätig. Der Mann hingegen ist thätig, er schreitet, der Kübel ist schwer, er hält ihn mit beiden Armen vor dem Leibe. Es ist ein roher nackter Kerl, von der Sonne gebräunt, von der Arbeit gehärtet, aber immer ein Mann für eine Frau,[70] und noch dazu ein Familienvater, Eigentlich wundert mich das, er hat spitze Ohren, gehört offenbar zu dem Geschlecht der Faune und Waldbrüder, welche sonst keinen Sinn für die Ehe und ihre Pflichten haben, überall und nirgends sind und nur in der Fahrt genießen wollen. Wir sehn vielleicht einen gesetzten Faun, der des Umherstreichens müde geworden ist, und sich als Philister gefällt. Er gibt seinen Brüdern ein gutes Beispiel, er macht, wie er da schreitet und für Weib und Kinder sorgt, den ersten Schritt zur bürgerlichen Cultur. Neben ihm sieht ein Esel gedankenvoll ins Gras, man wird ihm nicht lange Zeit zum Philosophiren gönnen, bald wird er mit Körben von Käse und Butter in jenes Thal traben, wohinunter das Schäfchen sieht. Im tiefen Hintergrunde des Thales steht die Villa eines vornehmen Herrn. Der Weg dahin ist ziemlich weit, noch weiter ist der Weg vom rohen Hirtenleben zu den Arbeiten und Genüssen einer verfeinerten Gesellschaft. Will er das sagen? ich glaube ja, sein poetischer Geist führt gewöhnlich etwas im Schilde, was nicht Jedermann mit Augen sieht. Kann man anmuthiger gruppiren und seine Gedanken mit wärmerem Pinsel ausführen, wie Berghem?

»Unmöglich!« sagte mein Freund. »Aber sehen Sie nur, wie viel schon die Uhr ist.« –[71] »Wie, zwei Stunden verflossen? Lassen Sie uns gehn.« Der grüne Mann öffnete bis grüne Thür, und vor uns stand, wie er leibte und lebte, der Repräsentant des holländischen Rindviehs, wohlgekämmt und gesäubert, wie es einem Halbgott ziemt. Ein junges Thier mit kurzem, idealem Kopf, kurzen Beinen, breiter Brust, faltig dickem Hals, auf Brust und Nacken anwachsenden Kraftbüscheln. Alles an ihm bezeichnete Wachsthum, künftige Stärke und insbesondere glichen seine Schenkel einer Goldbarre, welche Tausende der schönsten Goldstücke noch ungeprägt in sich faßt. Nun konnte ich die Verehrung begreifen, welche der Holländer dem Stier erweist, und gleich sollte ich mit Augen etwas sehn, was meinen Respect noch erhöhte. Eine junge Friesin trat herein, und – Natur, wie einfältig ist dein Mechanismus – den Stier sehen und unwillkührlich in die Knie schießen, war derselbe Augenblick. Das Weib fühlt ihre Schwäche und zittert beim Anblick männlicher Uebergewalt, ob sie ihm auf zwei oder vier Beinen entgegentritt. Darauf kam ein dicker Holländer herein, so recht feist und behaglich, man hätte ihm von dem stauen Gesicht das Fett abstreichen können. Er lehnte sich mit dem Doppelkinn auf seinen goldenen Stockknopf, spreizte die Beine, und betrachtete, den holländischen Normalhut auf dem[72] Kopf, seinen Landsmann vom Schwanz bis zu den Hörnern mit den Augen eines Kenners und Liebhabers; dann betastete er neugierig dessen rothbraunes, weißbeflecktes Fell, was der Apis so gutmüthig war, sich gefallen zu lassen. Allein ein Priester des heiligen Lukas, dem Tempel und Stier geweiht sind, verwies ihm diese Profanation aufs nachdrücklichste. Allmählig füllte sich dann der Saal mit Männern und Frauen jedes Standes, die um den jungen Stier-Athleten ehrerbietig einen Kreis schlossen und nach einer langen stummen Pause, erst einzeln, dann Mehrere, dann vereint in eine Art Hymne ausbrachen, worin ihre Bewunderung sich Luft machte. Darauf hielt ein kleiner Lukas-Priester eine lange feurige Rede, welche für diesmal des Apis Schwanzbüschel zum Text hatte; der Mann sprach sehr gut, wie alle öffentlichen Redner, die sich in Holland hören lassen, es mag nun auf dem Markt oder in der Kirche sein, eine Bemerkung, die ich gelegentlich ausführen werde, wenn ichs nicht vergesse. Gegen das Ende des Vortrags nahm der Redner plötzlich eine Wendung, welche die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer auf einige Zeit vom Büschel des Stiers abwandte und gegen einen Mann kehrte, der sich außerhalb des Kreises befand, und so gleichgiltig und seelenruhig aussah, wie der Stier selbst, der[73] während der ganzen Zeit gegähnt hatte. Blasses Gesicht, blaue Augen, lange, rothe, gescheitelte Haare, nackter Hals und über den schwarzen Wams geschlagener Hemdkragen, machten ihn überdies vor allen andern Menschen im Saal kenntlich. Auf diesen Mann nun zeigte der kleine Redner mit der Hand und rief, de Potter, großer Meister, nur deiner unsterblichen Hand gelingt ein Schwanzbüschel, wie dieser, nur dein schöpferischer Pinsel konnte einen Stier, wie diesen, schaffen, einen Stier, auf den Holland stolz sein wird, so lange auch nur ein verwitterter Fetzen von ihm übrig bleibt.

Quelle:
Ludolf Wienbarg: Holland in den Jahren 1831 und 1832. Erster und Zweiter Theil, Hamburg 1833, S. 66-74.
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