Erster Auftritt.

[5] Kleon, der Freigelassene schlecht gekleidet, verdächtige Erscheinung, steht im Vordergrunde, lebhaft redend und gesticulirend, mit Carbo, Agricola und andern römischen Bürgern. Kleinere Volksgruppen stehen im Hintergrunde oder ziehen vorüber. Später Euporus.


CARBO. Es ist nicht wahr!

KLEON. Es ist wahr!

AGRICOLA näher tretend. Was soll wahr sein, was soll nicht wahr sein?

CARBO. Unsinn! Ich glaub's nicht Gajus Gracchus, der junge Gracchus, der Quästor –

AGRICOLA. Was ist mit dem?[5]

CARBO. Hier in Rom soll er sein; soll sich vom sardinischen Heer verlaufen haben, auf seine eigene Faust. Warum? Weil er Unruh' und Aufruhr machen will wie sein Bruder Tiberius!

AGRICOLA. Das Heer verlassen: das ist ungesetzlich.

CARBO entrüstet. Das ist Rebellion!

KLEON. Rebellion oder nicht – was geht's mich an! In Ostia hat man ihn ans Land steigen sehen; ich sag's euch. Er will den Senat in ein Mausloch jagen, Volkstribun werden, und aus allen römischen Bürgern reiche Leute machen.

AGRICOLA lachend. Nun, das wär' nicht schlecht! Ich bin ein armer römischer Bürger, mit sieben Kindern.

KLEON. Mich gehts nicht an! Bin Sclav gewesen, hab' nun meine Freiheit, – helfe mir selber durch. Mit den vornehmen Leuten – und der Gajus Gracchus ist auch so einer – hab' ich nichts zu schaffen.

AGRICOLA. Außer, wenn sie dem guten Kleon Futter geben, damit er für sie thut, was kein Andrer thun will! Da ist er allzeit zu haben –

KLEON trotzig. Ich! – Wer sagt mir was Unsauberes nach? Hüte deine borstige Zunge, du »armer römischer Bürger«.

AGRICOLA. Man hört zuweilen von dir! Sieht hinten Euporus von links vorübergehn; ruft. Heda! Euporus! – Ist das nicht Euporus, einer von Gracchus' Sklaven? – Euporus!

EUPORUS kommt nach vorn. Wer ruft da? – Ich muß fort; haltet mich nicht auf.[6]

AGRICOLA. Brennt's dir unter den Sohlen? – du sollst uns sagen, ob dein Herr heimgekommen ist; dann kannst du dir Merkurflügel anschnallen und weiterfliegen.

EUPORUS. Mein Herr? Was weiß ich? Geschrei links hinter der Scene. Hört ihr den Lärm da hinten am Palatin? Alle Gassen mit Menschen vollgepfropft, ich kann nicht nach Haus. Sie rufen und schreien durch einander: »Gajus Gracchus ist da! – Gajus Gracchus ist nicht da! – Es lebe Gajus Gracchus! – Nieder mit Gajus Gracchus!« – Und ich stehe und dränge und rufe, und kann nicht nach Haus.

KLEON. Hast du Narr keine Ellenbogen?

CARBO. Ist dein Herr, der Gajus Gracchus, da oder nicht?

EUPORUS. Weiß ich's? Sie sagen Ja, sie sagen Nein! Niemand hat ihn gesehn. Die Herrin ist fort, zum Inno-Tempel; und ich kann nicht nach Haus. Neues Geschrei hinter der Scene. Ei so schrei du Gesindel! – »Macht Platz«, ruf' ich, »macht Platz« – aber sie lachen mir ins Gesicht und schreien: »Nieder mit Gajus Gracchus!«

CARBO. Was will er auch hier in Rom? Das Gesetz hat ihn nach Sardinien geschickt: er soll warten, bis das Gesetz ihn heimruft.

EUPORUS ängstlich. Er ist nicht da, sag' ich. Wer hat ihn gesehn – wo ist er?

KLEON. Nun, wo wird er sein? In seine Geldkiste gekrochen – oder hinter dem Spinnrocken seiner Mutter versteckt. Aus Furcht vor dem Senat –

AGRICOLA. Seiner Mutter? Da kommt sie grade die heilige Straße herab.

EUPORUS. Wo?


Quelle:
Adolf Wilbrandt: Gracchus der Volkstribun. Berlin [1872], S. 5-7.
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