Fünfter Auftritt.

[36] Gracchus allein; dann Kleon. Es dunkelt.


GRACCHUS. »Sei auf deiner Hut!« – Geht der Mord wieder um? Wollen die Mörder des Tiber mir selber das Schwert in die Hand drücken, schreien sie selber nach Blut? – In die Luft starrend. Mir ist, als säh' ich diesen Lätorius noch, mit den glühenden Augen; – und doch ist er fort. Er stand vor mir da wie mein eigenes Bild: wie der Jüngling Gajus Gracchus nach seines Bruders Tod! Da er auch die unterirdischen Götter angerufen und Eide geschworen hatte, blutig wie der Mord, grauenvoll wie die Rache – – Wie die Gedanken von sich abschüttelnd. Hinweg! Es tödtet die Vernunft, solcher Tage zu denken. Er steht rechts in der Nähe des Vorhangs; ruft. Syrus! Syrus! Ein Sclave erscheint rechts. Wenn du die Abschrift des neuen Gesetzentwurfs vollendet hast, bring sie mir herein. Doch bring eine Lampe mit: denn hier im Atrium wird es Nacht. Der Sclave ab. Gracchus steht in Gedanken da. Kleon erscheint hinten, den Teppich vorsichtig lüftend, in dem gleichen rothen Gewand wie Euporus und in gleichem Haar.

KLEON für sich. Er sah mich nicht an, der alte Thürhüter, der Seleukus; er hielt mich für Euporus! – Alles still; der Tribun allein. Zieht einen Dolch hervor. Meine Hand ist nicht ruhig; – hab' noch nie so einen großen Mann vor der Klinge gehabt. Vorwärts, feiger Hund! Er will nach vorn; Gracchus rührt sich. Kleon erschrickt und tritt hastig hinter die Statue des Tiberius.

GRACCHUS sich der Statue seines Vaters nähernd. Mein Vater Sempronius! Dein stolzester Gedanke war's, ein guter Bürger zu sein! Kleon tritt wieder vor, will von hinten an Gracchus heran, die rechte Hand in der Brust. Doch deine Nächte waren ruhig: nie hat der bleiche Schatten eines geliebten Bruders dich zur Rache gerufen. Nie haben dich in der Finsterniß Mordgeister umstanden und dir den Dolch in die Hand gedrückt![36]

KLEON verstört, für sich. Wovon spricht er? Von mir? Bleibt stehn.

GRACCHUS. Blut fordert Blut! Bruder Tiberius, unser Tag wird kommen – Wendet sich zur Statue des Tiber; plötzlich zurückfahrend. Wer steht dort?

KLEON verwirrt, mit dumpfer Stimme. Herr –!

GRACCHUS. du bist es, Euporus? Warum stehst du und horchst?

KLEON zieht einen Brief aus dem Busen, hält ihn Gracchus hin. Hier –

GRACCHUS. Ein Brief für mich? – – Heiliger Jupiter, das ist nicht Euporus! – Mensch, wer bist du?

KLEON den Dolch ziehend, auf Gracchus zu. Gleichviel, wer ich bin!

GRACCHUS. Wehrlos! Weicht aus; plötzlich laut, drohend. Halt! Siehst du nicht, Mörder, wie dort mein Bruder Tiber die Hand gegen dich hebt?

KLEON wendet sich erschrocken um. Wo –? Gracchus springt auf ihn zu, will ihm den Dolch entreißen, der Dolch fällt zur Erde. Ha, war das die Meinung? Rafft den Dolch wieder auf, macht sich von Gracchus los. Noch bist du mein!

SKLAVIN erscheint rechts in der Thür; schreit auf. Mörder! Mörder! – Herbei! Zwei Sclaven drängen sich ihr nach, der eine mit Schreibtafeln, der andere eine Fackel in der Hand. Lätorius reißt hinten den Teppich zurück; man sieht durch die offene Hausthür auf die Straß hinaus, wo sich eine Menschenmenge mit Fackeln und Schwertern drängt; verworrenes Getöse.


Quelle:
Adolf Wilbrandt: Gracchus der Volkstribun. Berlin [1872], S. 36-37.
Lizenz:
Kategorien: