Erster Auftritt.

[48] Euporus allein, dann Carbo, Agricola und andere Bürger.


EUPORUS steht hinten, sieht hinaus, die Hand vor den Augen. Ei so blende du –! – Ich halt's nicht aus, in die Sonne hineinzusehn; doch so viel blinzl' ich mir heraus, daß sie schwerlich noch zwei Stunden so blitzen wird, eh sie sich verkriecht. Zu zwei Bürgern, die von rechts kommen. Könnt ihr mir genau sagen, wie viel's an der Zeit ist?

CARBO ein zusammengeknüpftes Tuch mit Früchten in der Hand. Ungefähr so viel, um zur Versammlung zu gehn; auf die große Wasseruhr hab' ich nicht Acht gegeben.

EUPORUS. So sollt' ich nach Haus! – Warum so spät am Tage noch Versammlung? Das war doch sonst nicht der Brauch.

AGRICOLA kommt mit einem Haufen. Warum die Versammlung ist? – Leute, es giebt jetzt alle Tage was Neues! Gestern hätten uns die Hunde um ein Haar unsern Tribun erstochen: heut kommt der große Scipio Africanus nach Rom.

CARBO. Kommt er wirklich?[48]

AGRICOLA. Ist heute Mittag gekommen; ich selbst hab' ihn gesehn. Auf der Tiberstraße zog er daher, unter'm Aventin –

CARBO. Und um des Scipio willen soll die Versammlung sein?

AGRICOLA. Nun ja, so sagten die Leute. Der Scipio sagte nichts, sah uns alle nicht an, sondern ging gradaus in seinem Feldherrnschritt, mit seinem gegossenen erzkalten Gesicht, wie ihr ihn kennt. Doch sie behaupten ja alle, es soll Aussicht sein, daß er und sein Schwager Gracchus gute Freunde werden! Die Frauen, wißt ihr – die Cornelia und so weiter – die spinnen so was zurecht.

CARBO nachdenklich. Es wär' nicht übel; es gäb' eine gute Zeit für's Handwerk, beim Mercur! Wenn unser scharfes Schwert und unsre scharfe Zunge aus Einem Ton pfiffen, da sollte kein Andrer mehr dazwischen pfeifen – da gäb's Frieden und gute Geschäfte in Rom!

AGRICOLA. Das leiden die Wölfe nicht.

CARBO. Was für Wölfe?

AGRICOLA. Die Senatoren, die gefräßigen großen Herren. Gieb Acht, ob sie nicht mit ihren langen Dolchzähnen unsern Tribun noch zerreißen! Hier steht sein Sclav; der kann davon reden.

CARBO. Ah was: sie kriegen ihn nicht, sie treffen ihn nicht! – Aber, Kinder, das soll mir Einer erklären, daß man die Mörder nicht packt! Die eigentlichen mein ich, die Anstifter. Jedes Kind sagt, Opimius hat's gethan; warum greift denn das Gesetz dem Mordsverräther nicht an den Hals?

AGRICOLA. Warum? – Mann des Nachdenkens, das will ich dir sagen! – Du hast zum Beispiel auf dem Markt junge Feigen[49] gekauft, für dein Weib und die theuren Kleinen; hältst sie in ein Tuch geknüpft in der Hand, auf dem Rücken, und denkst an nichts. Da kommt nun einer und stiehlt dir die beste davon heraus; Nimmt eine Feige aus dem Tuch, ohne daß Carbo es merkt; die Andern lachen verstohlen. wie willst du den Dieb erwischen? He?

CARBO. Nun, bei dem ich die Feige finde, den halt' ich fest!

AGRICOLA. Aber der Dieb frißt sie auf, bringt sie aus der Welt; Steckt, sich abwendend, die Feige in den Mund. wie willst du den Mordsverräther dann erwischen? He? Die Bürger lachen.

CARBO. Aber beim Jupiter, worüber lacht ihr?

EUPORUS ihm spöttisch auf die Schulter klopfend. Weiser Mann! Ich will heimgehn und beten, daß man dich bei der nächsten Wahl zum Volkstribun macht! – Guten Abend! Geht nach links ab.


Quelle:
Adolf Wilbrandt: Gracchus der Volkstribun. Berlin [1872], S. 48-50.
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