Sechster Auftritt.

[59] Die Vorigen ohne Euporus, Metellus, Lictoren, Scipio, Opimius, Drusus, Censoren, Senatoren und Volk füllen von hinten rechts hereinziehend die Bühne.


GRACCHUS dem Scipio entgegengehend, wie Dieser ihm. Sieh da! Scipio, sei mir willkommen in Rom.

SCIPIO nicht unfreundlich, doch ernst. Sei mir gegrüßt. Ich gedachte dich aufzusuchen, doch man ließ mir nicht Zeit.

GRACCHUS. So erging's auch mir –[59]

LICTOR. Im Namen des Consuls: Ruhe!

METELLUS auf der Tribüne, steht auf; Scipio setzt sich zu den Senatoren, Gracchus auf den Sessel zur Rechten. Scipio Africanus! Es ist ein Ehrentag für das römische Volk, dich, den Sieger über alle seine Feinde, nach glücklicher Heimkehr wieder in diesen Mauern zu sehn. Wär' ich ein Redner wie Gracchus, würd' ich deine Verdienste so zu preisen wissen, daß selbst die Steine auf dem Forum dich begrüßen sollten. Doch als ein alter Mann, mit mehr Herz als Zunge, sag' ich nur dies; deine Freunde im Senat Auf Opimius blickend. haben es für eine Pflicht der Dankbarkeit erachtet, dich heute in feierlicher Versammlung willkommen zu heißen; ich, der Consul, habe ihnen freudig beigestimmt; und so ruf' ich dir zu: Heil dem Scipio Africanus, unserm großen Krieger und erleuchteten Bürger!

OPIMIUS. Heil ihm!

SENATOREN UND VOLK. Heil, Heil dem Scipio Africanus!

SCIPIO steht auf. Ihr Senatoren und Bürger! Mein Dank kann nicht so laut sein, wie euer ehrender Ruf: ich habe nur Eines Mannes Stimme gegen die geschäftigen Tausende um mich her. Doch die Ehre, die mich hier empfängt, täuscht mich nicht über den Fieberpuls des Kranken, an dessen Lager ich heimkehre –

METELLUS. Welches Kranken?

SCIPIO. Welches Kranken, fragst du? Des römischen Staats! – Ich verließ ihn in gesunder Kraft, find' ihn nun im Fieber; von der Seuche der Empörung angesteckt, unbändig, verwildert, mit verwüstetem Haupt und unruhigen Gliedern! Was für ein Zustand ist das? Wem verdanken wir's, daß diese große Republik, vor der der Erdkreis erzittert, unanständig auf der Gasse liegt und in ihrem trunkenen Taumel weder regieren noch gehorchen kann?[60]

GRACCHUS steht auf; mit ruhiger Würde. Diese Frage fordert ihre Antwort; fordert sie von mir.

VOLK Einzelne. Hört! Gracchus antwortet.

GRACCHUS. Von allen Römern, die ich kenne, ehre ich Keinen so hoch wie dich, Scipio Africanus; darum antwortete ich auch Keinem so gelassen, wie dir! – Rom sagst du, ist krank. Wer ist Rom? Das Volk allein, oder Volk und Senat? Wenn Rom krank ist – und beim Himmel, es ist so – scheint allein der römische Senat dir gesund? Fühl' auch ihm an den Puls; du wirst in seinem Blut ein wildes, verderbliches Feuer finden! Als du im Lager vor Numantia lagst, wer zerbrach da das Gesetz in Rom und schickte Tiberius Gracchus, den Volkstribun, in den schmachvollen Tod? Als du jetzt von Spanien herüberschifftest, wer sandte Gajus Gracchus, dem Volkstribun, den Meuchelmörder ins Haus? Wenn das Volk, durch das Gift dieses Beispiels angesteckt –

DRUSUS. Volkstribun, hüte deine Zunge! Wenn ein elender Bandit den Dolch gegen dich zückt, was geht's uns an?

LÄTORIUS der hinter Gracchus steht. Ein elender Bandit, den noch Elendere schickten!

SCIPIO. Wer spricht dort? Still! – Gajus Gracchus, laß diese Frevelthat aus dem Spiel. Es gab Diebe und Mörder in Rom, so lange Rom steht. Den allgemeinen Geist der Empörung klag' ich an –

GRACCHUS. Rom krankt, sagst du! Es war krank, eh ich kam; ich kam als Arzt, ihm zur Genesung zu helfen! Mit wachsendem Gefühl. Römische Männer! Ich, ein Bürger von edlem Blut, der Letzte vom Stamm des Scipio, des Siegers von Zama, ich, der ich um Roms willen meinen Bruder verlor, der ich von allen Söhnen der Cornelia einzig noch übrig bin, – wenn ich von den großen Göttern Ruhe und Frieden begehrt und mich in[61] mein stilles Haus verschlossen hätte, damit unser Stamm nicht mit der Wurzel hinweggerafft würde, – weder Götter noch Menschen, denk' ich, hätten mir diese Gunst versagt. Doch ich sah diesen kranken Staat und gelobte mir, ihm Glück, Jugend, Frieden, und wenn das Geschick es wolle, auch das Leben zu opfern. Sprecht, was hab' ich gethan? Wenn das römische Volk mich zum Tribunen erwählte, duldete ich das gegen das Gesetz? Wenn ich euch beredete, die verpesteten Eiterbeulen unserer Verfassung wegzubrennen, that ich das gegen das Gesetz? Wenn ich sage; Senat, theile deine Macht mit dem Volk! sag' ich das gegen das Gesetz? – Hier steh' ich, ein so treuer Sohn unsrer Republik, wie Scipio, wie irgend ein Mann unter der römischen Sonne! Ist meine Liebe ihr verderblich, statt ihr Heilung zu bringen, nun so rufe sie mich selbst als Opfer auf: was der Name Gracchus zusammenfaßt, ist ihr geweiht. War mein Leben ein Irrthum, so berichtige ihn mein Tod! Oeffnet meine Brust wie die des Tiberius, stoßt eure Schwerter hinein; – und ihr Götter, deren Fluch wie eine Wetterwolke über diesem siechenden römischen Staate schwebt, lenkt den tödtlichen Donnerkeil auf des Haupt des letzten Gracchus ab und nehmt seine Asche als Sühnopfer für uns alle dahin!

LÄTORIUS begeistert. Gracchus! Gracchus, unser Gott! – Nein, du sollst leben für Rom!

VOLK begeistert durcheinander. Sollst leben, leben für Rom!

METELLUS. Nun beim Jupiter, das heißt gut gesprochen; das war ein Wort!

OPIMIUS zu Drusus, leise. Sieh den Scipio an; siehst du, wie sein ehernes Gesicht zu schmelzen anfängt? Ich kann nicht mehr hinschauen, mir wird übel –

DRUSUS leise. Still!

GRACCHUS. Scipio Africanus! Ich sage noch ein Wort zu dir – nicht weil du meiner Schwester Gemahl bist, auch nicht weil[62] du keinen Antheil hast an meines Bruders Mord; sondern weil ich in dir ein edles, heiliges Abbild dieses römischen Staats, die reinste Form römischer Mannheit und Tugend vor Augen sehe. Ich weiß, meine Werke gefallen dir nicht! Ob sie den Göttern gefallen, weiß weder Scipio, noch Gracchus. Ich begehre nur Eins; Scipio bekenne, daß, was hier geschehen ist, nach dem Recht geschah – und er gehorche den neuen Gesetzen, wie er den alten gehorchte. Der erste Bürger Roms lehre Senat und Volk, daß der Grundstein jedes Reichs die Selbstüberwindung ist, und der Frieden des Gesetzes wird uns wiederkommen.

METELLUS. Das ist ein Wort; so solls sein!

SCIPIO sanfter als vorhin. Warum rufst du mich so feierlich auf? Wär' ich den neuen Gesetzen nicht gehorsam, wär' ich nicht Scipio. So lange du so denkst, wie du heut im Angesicht der Götter gesprochen, ehr' ich in dir, wie Manches ich auch beklagen mag, den guten Bürger des Staats. Mög' es uns dann in Rom an Frieden und an Eintracht nicht fehlen!

METELLUS. Frieden – Eintracht! So sei es!

POMPONIUS Gracchus' Hand drückend, leise. Gajus, ich vergöttere dich! – Alles, Alles wird gut.

DRUSUS leise zu Opimius. Fasse dich, sag' ich! Noch giebts einen Keil, zwischen sie zu treiben! Steht auf; laut. Ich höre viele sanfte Worte, doch ich sehe nicht klar. Wie denkt Scipio? Denkt er über des Tiberius Gracchus Tod noch wie vordem, oder nicht?

METELLUS. Des Tiberius Gracchus Tod – das gehört nicht hierher!

OPIMIUS. Gehört nicht hierher? Wenn Gajus Gracchus gekommen ist, seines Bruders Tod an uns zu rächen?[63]

DRUSUS leise. Das ist gut, das ist gut! – Sieh, wie Gracchus erblaßt! – Es ist heut des Tiberius Gracchus Todestag.

OPIMIUS steht auf; laut. Es ist heut des Tiberius Gracchus Todestag! Ist es wahr oder nicht, Scipio Africanus, daß, als du vor Numantia von seinem Untergang hörtest, du jenen alten Vers des Homeros ausriefst; »Also verderb' ein Jeder, der ähnliche Werke vollführt hat?« Gabst du damals dem Blutgericht des Senats Recht, oder nicht?

METELLUS. Warum rührst du das auf –

DRUSUS. Sprich, Scipio, sprich! Starb Tiberius Gracchus mit Recht, oder nicht?

SCIPIO. Was ich sagte –

GRACCHUS mit erregter Stimme. Sprich, Scipio, sprich! Du warst nicht mitschuldig an jenem Mord: verhüten die Götter, daß du's heute werdest! Wenn die dreisten Mörder –

SCIPIO stolz. Belehre mich nicht, wie ich mich fassen soll! Rede nicht von »Mord«. War des Tiberius Gracchus Wille, die Republik zu zerstören und sich zum König zu machen – wie man von ihm sagte – so starb er mit Recht. Doch wenn er nicht so Verderbliches wollte –

DRUSUS. Sprachst du vor Numantia jenes Wort des Homer, oder nicht?

SCIPIO. Ob ich es gesprochen –

GRACCHUS. Scipio Africanus! sprachst du vor Numantia jenes Wort, oder nicht?

SCIPIO gereizt. Ja, ich sprach's! Warum fragst du mich mit dieser hebenden, verurtheilenden Stimme? Ich sprach's und ich wiederhol's![64] Wenn den Senat die Nothwehr zur Rettung des Staate zwang –

GRACCHUS in wachsender Erregung. Was sprichst du von Nothwehr? Stolzer Priester der Bürgertugend, heiligst du den Mord, wenn das vermeintliche Wohl des Staates ihn gebietet? Soll der blutigste Frevel –

SCIPIO. Was that dein Bruder Tiber? Er rüttelte an den Säulen der Republik. Er war für sein Vaterland gefährlich, wie nicht Hannibal war! Wer so in den Eingeweiden seines Staates wühlt –

GRACCHUS. Scipio, halt' ein! Und wär' er selbst gefährlich gewesen, wie nicht Hannibal war: rechtfertigst du vor allem Volk, vor den Göttern des Himmels seinen Mord? Er war der Bruder deines Weibes, war mein Bruder, – und mir ins Angesicht wagst du zu sagen: man erschlug ihn mit Recht?

SCIPIO. Fürcht' ich mich vor dir? – Und wär' er Blut von meinem eigenen Blut, – was ist das Leben Eines Mannes gegen das Heil des Staats? Nieder mit ihm in den Staub, Vater, Sohn oder Bruder, wenn der Staat ohne seinen Tod nicht leben kann!

OPIMIUS. Nieder mit ihm!

DIE SENATOREN. Nieder, nieder mit ihm!

GRACCHUS. Hört es, die Geier krächzen über seinen Tod! Sie hören die mordlustige Stimme des Adlers, und ihre eigne verschüchterte Mordgier schreit wieder auf! – Scipio, ich sage dir, gieb Acht, was du sprichst! Wenn du die bösen Geister wieder entflammst – wenn es euer Recht war, meinen Bruder zu tödten –

SCIPIO. Nun? Was dann?[65]

GRACCHUS. So ist es des Gajus Gracchus Recht, zum Heil des Staats den römischen Senat, Mann für Mann, niederzustoßen mit geheiligtem Schwert! Diese Tausende von Bürgern zum Gemetzel gegen euch aufzurufen, »Mord! Mord!« durch die Gassen zu predigen, und in wilder Feuersbrunst der Rache Alles, was nur die Brauen gegen meinen Willen zuckt, zu Asche eingesunken in den Koth zu treten!

METELLUS. Still, still! – Heiliger Jupiter!

SCIPIO. Was für ein Feuer flackert in deiner Stimme? – Du warst gekommen, sagtest du, Roms Krankheit zu heilen –

GRACCHUS. Widerrufe, sag' ich! Widerrufe, daß meinem Bruder Tiberius Recht geschah! Oder ich gebe dein Haupt, wie du das Haupt des Tiber, jedem blutigen Gedanken preis!

OPIMIUS. Hört ihr ihn? Er verräth sein Herz; hört ihn!

SCIPIO wild. Gieb mich preis, wem du willst: ich bin Scipio, vor Menschen fürcht' ich mich nicht. Und hätt' ich noch vor einer Stunde widerrufen wollen, – jetzt gieß' ich meine Worte in Erz und schleudre sie dir ins Gesicht. Wie der Geist der Rache stehst du da, wie der verkörperte Schatten deines Bruders Tiber! Dein Gedanke ist nicht Versöhnung, sondern Blut! Unsern Untergang willst du –

GRACCHUS die Hände hebend. Ja, beim rächenden Mars! Rühmt ihr euch eurer Werke, so ruf' auch ich die Geister meiner Thaten gegen euch an! Dolche sind die Gedanken, die ich hier aussäe unter das römische Volk; Dolche sind die Gesetze, die das Volk hier durch seinen Tribun verkündet: den morschen Leib des Senats sollen sie zerfetzen! – Schärfe sie nicht! Widerrufe, Scipio – bekenne, daß Tiberius durch elende Mörder fiel – oder ich rufe: Vergeltung über dich und sie![66]

LÄTORIUS wild. Vergeltung über sie alle!

VOLK. Rache, Rache, Rache über die Mörder!

METELLUS. Gracchus, halt ein –

SCIPIO. Ruft dein Echo schon »Rache?« – Nun denn, beim Olympier, so wiederhol' ich's dir ins Angesicht, du entlarvter Heuchler, du schnöder Feind unsers Staats: Tiberius Gracchus fand seinen gerechten Tod! Und »so verderb' ein Jeder, der ähnliche Werke vollführet!«

GRACCHUS. Römische Bürger, ihr hörts! Römische Bürger, ihr hört's! – Ihr Erinnyen, ihr Rachegeister der Hölle – Die geballten Fäuste gegen Scipio hebend. Ich verfluche dich – ich verfluche dich – bis in den Tod!

POMPONIUS ergreift Gracchus entsetzt am Arm. Gajus! Gajus!

LÄTORIUS mit wilder Stimme. Er ist verflucht – er ist verflucht und verfallen!

VOLK durcheinander, während Metellus, händeringend, vergebens zu sprechen sucht. Nieder mit Scipio! – Tod über die Mörder!

SCIPIO. Ruft, bellt, heult, ihr heisern Schweißhunde der Rache! Zwanzigmal hab' ich euch in wilden Schlachten geführt: ich, der Feldherr, fürchte eure Kehlen und eure Mordmesser nicht. Ich werde heute so ruhig schlafen gehn, wie einst auf den Trümmern Carthago's, und die römischen Mörder so unbesorgt, wie die Hyänen Afrika's erwarten!

VOLK nur noch einzelne Stimmen. Fort mit dir![67]

SCIPIO. Wer geht mit Scipio?

SENATOREN heben die Hände. Wir! wir! wir! Metellus verläßt die Tribune, tritt zu Scipio. Es lebe Scipio, der Fürst des Senats! Entfernen sich tumultuarisch mit Scipio nach links.

VOLK. Es lebe Gracchus der Volkstribun!

OPIMIUS zu Drusus, mit Triumph, – während das Volk mit Gracchus nach rechts hinauszieht. Drusus, dein Keil war gut! Diese beiden Mühlsteine sollten uns zermalmen; rechts und links rollen sie hinunter – wir athmen frei!


Der Vorhang fällt.


Quelle:
Adolf Wilbrandt: Gracchus der Volkstribun. Berlin [1872], S. 59-68.
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