Fünfter Auftritt.

[77] Lätorius, Scipio, Cornelia, Euporus.


SCIPIO. Du bist's!

CORNELIA. Ich war bei deinem Weib. Sie sitzt in der Halle, sorgt um dich und weint. Geh, Scipio, tröste sie!

SCIPIO mit gutmüthig rauhem Lächeln. Ich glaube, ich kenne diese Thränen: wenn die Weiber weinen, wollen sie uns irgend ein Netz über den Nacken werfen. Du warst bei ihr!

CORNELIA. Und was sagst du damit?

SCIPIO. Theure Mutter Cornelia! Der alte Marcus Cato sagte gerne von Rom: »Alle Völker herrschen über die Weiber, wir über alle Völker, – über uns aber die Weiber.« In meinem Hause soll dies Wort nicht Wahrheit werden, so lange Scipio lebt![77]

CORNELIA. Stolzer Mann! Halblaut, mit einem Blick auf Lätorius, der mit abgewandtem Gesicht hinter ihnen steht. Eh du über deine Schwelle trittst, vergönnst du mir noch ein Wort?

SCIPIO seine Ungeduld unterdrückend. Dir kann ich's nicht weigern! Zu Lätorius. Ich bitte dich, geh voran; ich folge dir nach. Lätorius mit Scipio's Sklaven ins Haus. Euporus tritt in den Hintergrund zurück. Was für ein Wort?

CORNELIA düster. Scipio Africanus! Wer nicht will, daß die Frauen über ihn herrschen, der herrsche über sich selbst.

SCIPIO. Und was sagst du damit?

CORNELIA. Herrschtest du über dich selbst, als du heut auf dem Markt meinem Gajus gegenüber standest? Als du seinen Bruder in den Tod verdammtest – als du ihm selbst vor allem Volk ins Gesicht riefst: »du schnöder Feind unsres Staats« – warst du da der Herrscher über dich selbst?

SCIPIO etwas verwirrt. Sagt' ich das? – Nun, so sagt' ich die Wahrheit. Wie ein losgeketteter Dämon stand er da, warf uns seinen Haß, seine Flüche ins Gesicht wie ein Schlossenwetter! War ich noch der Scipio, wenn ich da schwieg?

CORNELIA. Wer ist der Scipio in dir? Der weise, königlich gelassene Mann, der Alle bezwingt, weil er sich selbst bezwang – oder der blinde Sclave seines Zorns? – Gajus ist jung, du nicht. Gajus war's, den man reizte – du nicht. Kanntest du ihn von Jugend auf und wußtest nicht, daß es in seiner heißen, stürmischen Brust donnern muß, wenn ein Blitz hineinfährt? und daß seine Seele krank ist an seines Bruders Tod?

SCIPIO finster vor sich hin. Es kam so über uns beide! Wie ein Wind plötzlich um die Ecke saust, so war es da. – – Mich, seinen Feldherrn[78] von Numantia, seiner Schwester Mann, wie einen Schandfleck der Natur zu verfluchen!

CORNELIA. Weil er dich bewundert und ehrt wie keinen Andern in Rom, kann er dir auch zürnen wie keinem Andern. O Scipio! Ich kenn' ihn: heute Nacht wird er sich aus seinem Lager wälzen, still mit sich reden: Apollo, Jupiter, helft mir – legt mir alle meine bösen Worte wieder auf die Lippen zurück! Reißt sie aus Scipio's Herzen wieder heraus; laßt die Feinde Roms nicht triumphiren, gebt uns den Frieden, den ich wollte – Frieden und Versöhnung!

SCIPIO ergriffen. Hm! – – Ich war der Aeltere; also sollt' ich freilich auch der Weisere sein. Das griechische Feuer, das aus ihm hervorbrach, steckte auch mich in Brand! Faßt ihre Hand. Mutter Cornelia! Ich will gleichfalls auf meinem Lager mit mir selber reden; will's bedenken, beschlafen. Gute Nacht! Gracchus und Scipio dürfen nicht Feinde sein. Da sie reden will. Sage mir nichts mehr! Bin ich so weit, so find' ich selbst meinen Weg. Freundlich lächelnd. Auch in den Frauen, Cornelia, wohnen gute Geister! – Gute, gute Nacht!

CORNELIA glückselig. O Scipio! – Gute Nacht! Scipio geht ins Haus. Pause. Euporus! Euporus tritt heran. Kanntest du den Jüngling mit dem bleichen, spanischen Gesicht, der vorhin ins Haus trat?

EUPORUS. Er zeigte mir nur seinen Rücken; hab' sein Gesicht nicht gesehn.

CORNELIA. Mög' er Scipio's gute Gedanken nicht stören! – Und dann ein sanfter, tiefer Schlaf; Schlaf giebt Vernunft!

EUPORUS lächelnd. Ja, beim Zeus! Gehn in des Gracchus Haus.


Quelle:
Adolf Wilbrandt: Gracchus der Volkstribun. Berlin [1872], S. 77-79.
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