Zweiter Auftritt

[5] Hermann. Lene Schmalenbach.


LENE hinter der Szene singend.

Reich bin ich nicht,

Taschen sind leer –

Schön bin ich nicht,

Manche ist's mehr –

Aber vergnügt –

Weiß nicht, woher!

Sie erscheint draußen hinter dem Gittertor, im leichten Morgenkleide, ein Häubchen auf dem Kopfe, ein Wassergefäß, Besen und Bürste in Händen. Sie schließt das Tor auf, während sie dies tut, bemerkt sie Hermann. Herrjeh! Da steigt jemand übers Gitter ein! Sie tritt rasch ein.

HERMANN. Mo'jen, Lene.[5]

LENE. Und es is unser junger Herr! Was machen Sie denn da?

HERMANN. Ich suche meinen Hausschlüssel.

LENE schlägt lachend die Hände zusammen. Da oben? Fallen Sie man nich 'runter; ich werde gleich eine Leiter holen.

HERMANN. Bemühe die Leiter nicht; so etwas macht man so: Er schwingt sich an der Innenseite der Tür herab. Schlußsprung – Er springt zur Erde. Mahlzeit! Verneigt sich gegen Lene.

LENE. Was Sie aber angeben, junger Herr –

HERMANN. Andere Leute gehen durch die Türen – ich gehe drüber weg; das kommt daher, siehst du, weil ich einer aus der vierten Dimension bin.

LENE. Das verstehe ich nu nich.

HERMANN. Glaub' ich dir; ich bin ein Geist, siehst du; darum kommt dir das alles so sonderbar vor; Geister kriegst du hier in der Fabrik nicht zu sehn.

LENE. Ein Geist sind Sie? Darum gehen Sie wohl des Nachts um?

HERMANN. Bravo! War gut gesagt! Nimmt den Hut ab, wischt sich die Stirn. Solche Mühe gibt sich der Mensch, bloß damit er in den Käfig zurückkommt! Er wirft sich in einen Gartenstuhl. Zu verrückt, nicht wahr?

LENE. Was denn für ein Käfig?[6]

HERMANN. Weißt du, was für ein Unterschied ist zwischen einer Fabrik und einem Käfig?

LENE. Ne.

HERMANN. Ich auch nicht; also ist 'ne Fabrik ein Käfig.

LENE. Na – wenn die Käfige alle so aussehn –

HERMANN. Das soll wohl heißen, daß es dir hier gefällt?

LENE. Warum denn nich?

HERMANN. Mußt du alle Morgen so früh aufstehn?

LENE. Wie's kommt; mal ein bißchen früher, mal ein bißchen später.

HERMANN. Alle Morgen Wasser tragen und fegen?

LENE. Wenn's doch meine Arbeit is.

HERMANN. Ist das eine Welt! Da bleibt unsereinem wahrhaftig nichts weiter übrig, als sich schlafen zu legen.

LENE. Haben Sie die janze Nacht nich geschlafen? Bis jetzt?

HERMANN. So etwas ist dir wohl noch nie vorgekommen?[7]

LENE. Das kann Ihnen doch aber nich gesund sein, junger Herr.

HERMANN. Wie alt bist du denn eigentlich?

LENE. Warum denn?

HERMANN. Weil du mich immer »junger Herr« nennst.

LENE. Nächste Ostern werde ich achtzehn.

HERMANN. Also bin ich ein ganzes Jahr älter als du; wäre also viel richtiger, wenn du mich »alter Herr« nenntest.

LENE. Na, ja – Sie! Es ist doch nur zum Unterschied.

HERMANN. Zum Unterschied? Von was?

LENE. Na – von unsern Herrn.

HERMANN. Unser Herr – August –?

LENE. Na ja – der Herr Aujust.

HERMANN. Aujust – mit die Prinzipien – zum Unterschied von Aujust bei Renz – Gähnt. der ist aber amüsanter.

LENE. Jott, was Sie müde sind; ich werde man aufschließen. Sie geht die Stufen hinauf, schließt die Haustür auf.

HERMANN betrachtet sie. Zum Anbeißen, wie das Frauenzimmer aussieht.[8]

LENE blickt in den Flur. Sie können janz unbemerkt 'rinkommen, es is noch niemand auf im Hause.

HERMANN ohne seine Stellung zu verändern. Weißt du was? Ein Paar neue Morgenschuhe werde ich dir einmal mitbringen aus Berlin.

LENE. Ein Paar – Morgenschuhe?

HERMANN. Solche alte Schlampen – wenn man solch ein Paar niedliche Füßchen hat, wie du.

LENE bemerkt seinen Blick, der auf ihrer Gestalt ruht, zieht unwillkürlich das Tuch fester um die Schultern. Aber, junger Herr –

HERMANN. Braucht dir nicht unangenehm zu sein; ich versteh' mich auf so etwas.

LENE. Aber die Tür is nu offen.

HERMANN. Erst komm mal her, gib mir die Hand und sag' guten Morgen.

LENE. Das hab' ich doch schon gesagt.

HERMANN. Nein.

LENE. Aber – wenn ich nur – wüßte –

HERMANN streckt die Hand aus. Na, zier' dich doch nicht!

LENE. Also – mo'jen auch! Sie huscht die Stufen herab, gibt ihm flüchtig die Hand.[9]

HERMANN hält ihre Hand fest. Blitzkröte, du! Er wirft den Arm um ihre Hüfte, versucht, sie an sich zu ziehen.

LENE sträubt sich. Aber, junger Herr!

HERMANN versucht, sie zu küssen. Es sieht's ja niemand!

LENE reißt sich los. Ne, ne, ne! Das lassen Sie man unterwegs! Sie steht tiefatmend, von ihm abgewandt.

HERMANN. Lauf' man nicht davon; ich bin ja ganz artig.

LENE schiebt sich die Haube zurecht. Verlier' ich – wahrhaftig noch meine Haube.

HERMANN. Ist niedlich das Häubchen; wo hast du das her?

LENE. Von meinem Schneider.

HERMANN. Sieh mal an; wer ist denn das?

LENE hebt die rechte, dann die linke Hand auf. Das ist der Schneider und das die Schneiderin.

HERMANN. Mädchen, dich müssen sie im Panoptikum aufstellen und drunter schreiben: »So sieht die Arbeit aus«.

LENE. Wär' denn das eine Schande?

HERMANN. Du bist aber ganz was andres; soll ich dir sagen, was?

LENE. Na?[10]

HERMANN. Eine Haubenlerche.

LENE. Wie kommt denn das nu wieder 'raus?

HERMANN. Wenn alles noch in den Federn liegt, stehn die Lerchen auf – siehst du, das stimmt auf dich.

LENE. Na ja, einer muß doch zuerst aufstehn.

HERMANN. Kaum, daß sie aufgestanden ist, fängt die Lerche zu singen an.

LENE. Ach so –

HERMANN. Und alle Menschen sind den Lerchen gut. Das stimmt erst recht auf dich.

LENE. Na – wenn ich eine Lerche bin – denn –

HERMANN. Dann? Was?

LENE. Na – ich will's lieber nich sagen.

HERMANN. So sag' doch.

LENE. Ich meinte man – die Lerchen müssen sich in acht nehmen.

HERMANN. Vor wem denn?

LENE. Es gibt manche, die jern Lerchen essen.[11]

HERMANN. Hast recht; ich kenne auch so manchen Lerchenfänger.

LENE sieht ihn mit blinzelnden Augen an. So? Wirklich?

HERMANN. Wenn ich so »unsren Herrn Aujust« ansehe –

LENE sehr ernst. Wovon reden Sie denn?

HERMANN. Denkst du denn, ich hätt's nich gesehn, wie er dich mit den Augen aufessen möchte?

LENE. So etwas mag ich gar nich hören.

HERMANN. Was hab' ich denn gesagt?

LENE. Der Herr Aujust – der is zu allen Menschen gut.

HERMANN. Also auch zu dir.

LENE. Das is ein ehrwürdiger Mann!

HERMANN gähnt. Ehrwürdig – ja – kolossal.

LENE. Den muß jedermann achten und ehren; der tut allen nur Gutes und bringt niemand nich ins Unglück.

HERMANN. Ins Unglück – heißt denn das den Menschen ins Unglück bringen, wenn man ihm gut ist?

LENE. Ja, ja, das kennt man schon.[12]

HERMANN. Was?

LENE. Wenn die reichen Herren einem armen Mädchen »gut« sind.

HERMANN. Raupen! Was schadt's dir denn, wenn ich dir zum Beispiel sage, daß ich dir gut bin?

LENE. Sie – mir?

HERMANN steht auf. Ja.

LENE. Is mir ja eine jroße Ehre.

HERMANN. Sag' mal, Lene, möchtest du einmal nach Berlin?

LENE. Was soll ich denn da?

HERMANN. Dich ein bißchen amüsieren.

LENE. Da würde ich mich ja doch nur verlaufen.

HERMANN. Wenn dich jemand 'rumführt?

LENE. Wer sollte denn das wohl sein?

HERMANN. Zum Beispiel, ich.

LENE. Ach so –

HERMANN. Es sollte dir schon gefallen, das sag' ich dir.[13]

LENE. Möchten Sie denn jetzt nich schlafen gehn?

HERMANN geht an die Haustür. Davon reden wir noch. Er greift in die Tasche. Vorläufig bezahl' ich meine Schulden.

LENE. Was wird denn das?

HERMANN. Du hast heute Portier gespielt – der Portier bekommt etwas fürs Aufschließen – da nimm. Er streckt ihr ein Zehnmarkstück hin.

LENE. Aber, junger Herr –

HERMANN. So nimm doch.

LENE. Sehn Sie sich doch einmal an, was Sie mir da geben.

HERMANN. Hab' ich ja getan.

LENE. Zehn – Mark.

HERMANN. Na, so gib mir 'raus.

LENE. Wovon soll ich denn 'rausgeben?

HERMANN. So bleibst du in meiner Schuld.

LENE. Ne, ne, ne! Das will ich nich.

HERMANN drückt ihr das Geld in die Hand. Na, dann schenk' ich's dir![14]

LENE. Aber für was denn? Ich habe ja gar nichts zu verlangen.

HERMANN. Gott im Himmel, ist das eine Welt hier! Wer spricht denn von verlangen? Ich sage ja, daß ich's dir schenke.

LENE hält das Geld in der flachen Hand. Ach ne, nehmen Sie's wieder!

HERMANN drückt ihr die Hand über dem Gelde zusammen. Mach' die Tür zu, sonst erkältet es sich.

LENE. Und – ich will's nicht haben – das geben Sie mir doch nich umsonst.

HERMANN. Wer spricht denn von umsonst! Ich will etwas haben von dir, das ist gewiß.

LENE. Was denn?

HERMANN. Ein Band für meinen Hausschlüssel, daß ich ihn ins Knopfloch hängen kann. Da sollst du draufsticken: »Für artige junge Männer«.

LENE lacht.

HERMANN. Und nun gut' Nacht, Haubenlerche. Geht ab ins Haus.

LENE steht einen Augenblick in stummem Nachdenken, dann wirft sie das Geldstück auf die Erde. Und ich nehm's nich!

HERMANN steckt noch einmal den Kopf durch die Tür. Wenn du's wegschmeißen willst – das kannst du haben – aber wiedernehmen, was ich geschenkt habe – is nich. Geht ab.[15]

LENE wendet das Geldstück mit der Fußspitze hin und her. Es ist doch sündhaft – was man sich da alles für kaufen könnte. Sie rafft sich entschlossen auf. Ne, ne – lieg' du man da! Sie geht an die Gittertür, holt das Wassergefäß, Besen und Bürste, kommt damit zurück, bleibt wieder vor dem Gelde stehen. Aber hier – mitten vors Haus – wo es jeder gleich sieht? Sie schaufelt mit dem Fuße Sand darüber. Immer kuckt's wieder heraus – ich will's lieber wo anders hintragen – Sie nimmt das Geldstück auf, in diesem Augenblick wird der Fensterladen an einem der Fenster von innen aufgestoßen.

LENE fährt erschreckt auf. Ach Jott – nu kommt das Fräulein! Sie steckt hastig das Geld ein.


Quelle:
Ernst von Wildenbruch: Gesammelte Werke. Band 10, Berlin 1911–1918, S. 5-16.
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