Fünfter Auftritt

[19] August. Juliane erscheint in der Haustür und bleibt dort, August betrachtend, stehen, der sich im Gartenstuhl niedergelassen hat und gedankenvoll vor sich hinblickt.


JULIANE. Frühstücken Sie im Hause?

AUGUST aufblickend. Guten Morgen, Juliane. Er steht auf, geht auf sie zu; sie steigt die Stufen herab; sie reichen sich die Hand.[19]

JULIANE. Ob ich Ihnen den Hut bringe? Es wird heiß.

AUGUST. Immer für mein Wohl besorgt; nein, danke. Das bißchen Morgenluft tut einem gut, wenn man nachher an die Arbeit muß. Setzen Sie sich ein wenig zu mir.

JULIANE setzt sich neben ihn. Die viele Arbeit.

AUGUST. Ich habe mich seit langem nicht so wohl gefühlt.

JULIANE. Erklärlich; wenn man am frühen Tage zwei Menschen glücklich macht –

AUGUST. Ich bitte Sie – was ist denn daran? Sagen Sie doch mal, habe ich denn eigentlich so etwas Steifes, Geheimrätliches an mir?

JULIANE. Weshalb?

AUGUST. Weil das Mädchen sich gar nicht abgewöhnen kann, mich gnädiger Herr zu nennen. Es wäre ja möglich, daß ich's von meinem Vater geerbt hätte, dem Wirklichen Geheimen Oberregierungsrat; oder weil ich selbst schon in früheren Jahren solch ein angehender Geheimrat gewesen bin.

JULIANE. Ich habe nichts davon bemerkt.

AUGUST. Es steckt immer noch ein Rest von knechtischer Gesinnung in diesen Leuten; sie empfinden es als eine Gnade, wenn man sie als Menschen behandelt.

JULIANE. Wäre es Ihnen lieber gewesen, wenn sich die Kleine nicht bedankt hätte?[20]

AUGUST. Wenn man es so allerliebst macht wie sie – ein hinreißendes Geschöpf!

JULIANE. Sie meinen – die Lene?

AUGUST. Wie ein Sonnenstrahl geht das Mädchen durch mein Haus.

JULIANE. Sie gibt Ihnen nur wieder, was sie selbst und all diese Leute von Ihnen empfingen.

AUGUST. Wie meinen Sie das?

JULIANE. Sie sind sehr gütig gegen Ihre Arbeiter.

AUGUST. Seit wann schmeicheln Sie denn?

JULIANE. Es gibt Menschen, die man an sich selbst erinnern muß; sonst vergessen sie, was sie zu fordern haben.

AUGUST. Ich dächte, ich hätte der Welt gegenüber meine Stellung energisch genug gewahrt?

JULIANE. Sie meinen – damals –

AUGUST. Damals, als ich den Beamten an den Nagel hing und hier die Papierfabrik übernahm. Wissen Sie, warum ich es tat? Weil ich's mit ansah, wie mein Vater, nach dreißig Jahren treu erfüllter Pflicht, den Abschied nehmen mußte, weil seine Gesinnung mit den Ansichten höheren Ortes nicht mehr harmonieren wollte.[21]

JULIANE. Müssen Sie mich daran erinnern? Die Tochter des armen, verabschiedeten Majors?

AUGUST. Darum gelobte ich meinem sterbenden Vater in die Hand, daß es seinen Söhnen nicht so gehen sollte – Er springt auf, reckt die Arme. und hier stehe ich nun – auf eigenen Füßen und bin frei.

JULIANE blickt ihn starr an, dann sagt sie tonlos. Ja.

AUGUST. Was sagten Sie?

JULIANE mit blassem Lächeln. Ich kann es nicht so niedlich machen wie die Kleine; aber Sie müssen sich's gefallen lassen, daß auch ich Ihnen danke.

AUGUST. Sie wollen mich heute mit Gewalt eitel machen, wie mir scheint.

JULIANE. Aus einem verkümmerten Dasein haben Sie die Tochter des armen Majors in Ihr freies, gesundes Leben hinübergerettet.

AUGUST. Als ob Sie mir das nicht täglich und stündlich durch die Sorgfalt bezahlten, mit der Sie mir die Wirtschaft führen. Aber es ist recht so, wer frei sein will, muß keine Geschenke nehmen, kein Gehalt und keine Pension. Dieses Sich-selbst-bezahlt-machen an jedem Tage, dieses Sorgen für das Leben andrer, weil man dadurch am eigenen Leben baut, wie das anders, freier, besser ist, als der kalte, sichere Egoismus, in dem ich an der Krippe des Staats gelebt habe! Sehen Sie die Häuser meiner Arbeiter da drüben, wie sie in der Sonne funkeln – sehen Sie die Gärtchen vor jedem der Häuser – die habe ich ihnen gebaut, habe ich ihnen gepflanzt. Und hören Sie das? Hören Sie's nicht?[22]

JULIANE beugt sich lauschend vor. Ich höre etwas, aber ich weiß nicht, ob es das ist, was Sie meinen?

AUGUST. Also –?

JULIANE. Ehrlich gestanden – ich höre Schweine grunzen.

AUGUST. Na freilich, das meine ich ja.

JULIANE lacht auf.

AUGUST. Ja, lachen sie nur; wenn Sie wüßten, was das heißt, bis man's dahin bringt, daß jeder der Leute sich sein Schwein fett machen kann. –

JULIANE. Dann lache ich nicht mehr.

AUGUST. Manche haben sogar schon zwei –


Aus dem Hause ertönt

Lenes singende Stimme.


»Schön bin ich nicht,

Andre sind's mehr –«

AUGUST wendet rasch den Kopf nach dem Hause. Da kommt sie wieder!


Quelle:
Ernst von Wildenbruch: Gesammelte Werke. Band 10, Berlin 1911–1918, S. 19-23.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Lohenstein, Daniel Casper von

Epicharis. Trauer-Spiel

Epicharis. Trauer-Spiel

Epicharis ist eine freigelassene Sklavin, die von den Attentatsplänen auf Kaiser Nero wusste. Sie wird gefasst und soll unter der Folter die Namen der Täter nennen. Sie widersteht und tötet sich selbst. Nach Agrippina das zweite Nero-Drama des Autors.

162 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon