Erster Auftritt

[60] Frau Schmalenbach. Ale.


FRAU SCHMALENBACH sitzt in einem Armstuhl.

ALE die Pfeife im Munde, geht auf und ab, setzt sich, steht wieder auf; zeigt an seine Hüfte. Hier sitzt es? Nich wahr?

FRAU SCHMALENBACH zeigt auf ihre Beine. Ne – tiefer.

ALE. Das kenn' ich, das is das Hüftweh – das werden Sie unter'n paar Jahren nich wieder los.

FRAU SCHMALENBACH. In die Hüfte sitzt es ja nich; tiefer, in die Beene.

ALE. In die Beene? Denn is es janz schlimm; das is das Reißen.[60]

FRAU SCHMALENBACH. Was man so das Reißen nennt, is es wohl eigentlich nich.

ALE. Das tut schmählich weh – Sie werden was erleben.

FRAU SCHMALENBACH. Schmerzen habe ich keine.

ALE. Meine Mutter ihre Schwester hat 'ne Freundin gehabt und die hat das Reißen gehabt und wenn sie das gekriegt hat, dann hat sie geschrien wie ein Ochse.

FRAU SCHMALENBACH. Wenn's doch aber das Reißen jar nich is.

ALE. Und das behalten Sie Ihr Leben lang, da können Sie Jift drauf nehmen.

FRAU SCHMALENBACH. Jott, Ale, Sie hören ja gar nich hin; bloß schwer sind mir die Beene.

ALE. Schwer?

FRAU SCHMALENBACH. Aber wie Blei.

ALE. Alles von dem Schreck?

FRAU SCHMALENBACH. Muß wohl sein. Erst, wie ick mir so erschrocken habe, sind mir die Beene janz fix geworden, daß ick habe aus dem Wagen aufstehn können; und nachher aber, wie ich retour gekommen bin, jrade als wie ein Klumpen bin ich hingefallen, und denn is es so geblieben.

ALE. Sehn Sie, nu sind Sie anjeleimt.[61]

FRAU SCHMALENBACH. Es wird ja wohl mal wieder besser werden.

ALE. Des jloben Sie man ja nich.

FRAU SCHMALENBACH. Jott, Ale, Sie machen dem Menschen aber och das Herz schwer.

ALE. Wovon wollen Sie denn gesund werden? Wenn Sie Jeld hätten, na ja, denn könnten Sie sich eenen Arzt nehmen und in die Bäder fahren – aber so – for die Reichen, sehen Sie, is das Kranksein bloß ein Verjnügen – aber unsereins – na ich sage weiter nischt. Spuckt aus.

FRAU SCHMALENBACH. Aber, Ale – in die frisch gescheuerte Stube –

ALE. Ach so – und so wütig also is er jeworden?

FRAU SCHMALENBACH. Na, aber ich sage Ihnen – und nu dacht' ich doch erst, daß es wegen der Lene wäre –

ALE. Die war's aber nich?

FRAU SCHMALENBACH. Ne, die hat er ja noch dazu um Entschuldigung gebeten.

ALE. For was denn?

FRAU SCHMALENBACH. Das verste' ick ja selbst nich; mit seinem Bruder hat er's jehabt.

ALE. Das kömmt von die Naturen, wissen Sie; die zwee haben verschiedene Naturen.[62]

FRAU SCHMALENBACH. Das is auch man jut; denn was der Hermann is, das is doch eigentlich ein rechter Fahrebund.

ALE. Des stimmt.

FRAU SCHMALENBACH. Wohingegen unser Herr Aujust – na, so einen kann man suchen.

ALE. Aber in einem Punkte sind sie sich gleich.

FRAU SCHMALENBACH. Wie denn so?

ALE. Sie haben beide Jeld.

FRAU SCHMALENBACH. Das müssen Sie doch aber selber sagen, daß es ein seltener Mann is?

ALE brummt vor sich hin. Hat Jeld.

FRAU SCHMALENBACH. Was schad't denn das?

ALE. Ick kann's nu mal nich leiden, wenn Menschen so viel Jeld haben.

FRAU SCHMALENBACH. Wenn er doch so viel Jutes mit dem Jelde tut?

ALE. Keen Kunststück, wenn man's hat.

FRAU SCHMALENBACH. Na, wissen Sie, Ale, wenn Sie dem sein Jeld hätten, ob Sie auch so für die andren sorgen würden?[63]

ALE. Warum denn nich?

FRAU SCHMALENBACH. Na na –

ALE ist an das Fenster getreten. Sind Sie mal stille – da kommt er.

FRAU SCHMALENBACH. Der Herr August? Hierher?

ALE. Sieht doch fast so aus – wahrhaftig –


Quelle:
Ernst von Wildenbruch: Gesammelte Werke. Band 10, Berlin 1911–1918, S. 60-64.
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