Erster Auftritt

[96] Juliane sitzt an dem Frühstückstische und blickt in den Garten hinaus; im Garten sieht man Lene, die an einem der Rosenstöcke auf dem Rasen kniet und sich daran zu schaffen macht. Eine Harke und anderes Gartengerät liegt neben ihr. Sie ist anders als in den ersten beiden Arten, städtisch, im langen Kleide, angezogen.


JULIANE sieht ihr eine Zeitlang gedankenvoll zu, dann ruft sie, laut und etwas scharf. Helene!

LENE springt hastig auf. Ja?

JULIANE. Kommst du nun endlich?

LENE. Ja, jawol! Sie zieht das Taschentuch, reibt sich die Hände ab, kommt über die Treppe herein.

JULIANE. Immer Packtierchen? Kannst du's gar nicht lassen? Das Arbeiten und Basteln?

LENE. Gefegt aber habe ich nich – wirklich nich.

JULIANE. Aber geharkt – da liegt ja die Harke noch.

LENE. Nur ein bißchen.

JULIANE. Und auf dem feuchten Rasen gekniet – mit dem Kleide.[96]

LENE. Das verjesse ich immer wieder.

JULIANE. Du mußt aber jetzt daran denken lernen.

LENE. Wenn man's noch so jar nicht gewöhnt is – Sie blickt an sich nieder. ach Jott –

JULIANE. Nun?

LENE. Da hab' ick mir wirklich einen Grasfleck jemacht.

JULIANE. Siehst du?

LENE. Ich möchte doch gleich gehn, ihn auswaschen. Will nach rechts ab.

JULIANE. Das hilft jetzt doch nichts.

LENE. Wenn man gleich mit Wasser –

JULIANE. Ich sage dir, es hilft jetzt nichts, nun sollst du hierbleiben. Setz' dich – wir wollen jetzt frühstücken.

LENE setzt sich Juliane gegenüber an den Tisch.

JULIANE steht auf, nimmt die Kaffeekanne. Ich werde dir einschenken – du trinkst doch Kaffee?

LENE springt auf. Sie werden mir doch nich einschenken wollen?

JULIANE. Warum nicht?[97]

LENE. Ne ne – das kann ich nich zujeben! Sie will Juliane die Kanne abnehmen.

JULIANE ungeduldig. Sei doch nicht töricht.


Lene setzt sich; Juliane füllt zwei Tassen.


JULIANE. Du nimmst doch auch Milch? Sie gießt Milch ein. Und da steht der Zucker.

LENE nimmt ein Stück Zucker.

JULIANE. Hast du damit genug?

LENE. Jawol, ja. Sie beißt ein Stück von dem Zucker ab, nimmt dann einen Schluck Kaffee.

JULIANE. So mußt du den Zucker nicht essen, mein Kind.

LENE blickt sie ängstlich an.

JULIANE. Du mußt ihn in den Kaffee tun und darin zergehen lassen.

LENE. Ach so – Sie wirft den Rest, den sie in der Hand hält, in die Tasse.

JULIANE. Nimm dir doch ein frisches Stück.

LENE. Ich hab' ja schon eins.

JULIANE. Mein Gott – ein Stück Zucker –

LENE. O, wenn Sie wünschen. – Sie nimmt ein zweites Stück, wirft es in ihre Tasse.


Pause.


[98] Lene hebt die Obertasse, gießt sich den Kaffee in die Untertasse und trinkt.


JULIANE. Aber – nicht doch.

LENE wie oben. Ach –?

JULIANE. Das sieht nicht hübsch aus, siehst du; zum Trinken ist die Obertasse da – so wie ich es mache, siehst du?

LENE gießt aus der Untertasse in die Obertasse zurück. Entschuldigen Sie nur –

JULIANE. Zu entschuldigen ist da nichts; das sind alles keine Sünden und mit der Zeit wirst du's schon lernen. – Blick' nur nicht so angstvoll darein da nimm dir eine Semmel und iß.

LENE greift nach einer Semmel, beißt ein Stück ab, legt sie wieder hin.

JULIANE. So iß doch!

LENE. Ich – danke schön –

JULIANE. Hast du keinen App'tit?

LENE. Ach aber –

JULIANE. Nun?

LENE. Ich – weiß nich – ich kann nich essen.

JULIANE. Warum denn nicht?[99]

LENE. Ich – weiß ja nich – ach Jott – Sie zieht rasch das Taschentuch und fängt an zu weinen.

JULIANE. Aber Kind, was ist denn eigentlich los? Hat es dich gekränkt, daß ich dir ein paar gute Ratschläge gegeben habe?

LENE schüttelt stumm das Haupt.

JULIANE. Du weißt doch, daß ich dir das alles in deinem eigenen Interesse sage? Du wirst mir das doch nicht übelnehmen?

LENE schluchzend. Wer – spricht denn – von Übelnehmen? Sie haben ja – janz recht – und ich – hab's ihm ja gleich gesagt –

JULIANE. Was?

LENE. Dem Herrn Aujust – daß ich viel zu ungebildet bin für ihn.

JULIANE. Das hast du ihm gesagt?

LENE. Aber er hat doch jar nich darauf hingehört – er – hat nur dazu gelacht.

JULIANE für sich. Und darum weinst du jetzt, armes Ding. Sie lauscht nach links, wendet sich dann zu Lene. Hör' nur auf zu weinen jetzt, er kommt.

LENE fährt angstvoll zusammen. Ach?

JULIANE. Und er darf dich nicht weinen sehn.

LENE. Nein, nein! Sie wischt sich hastig das Gesicht ab.


Quelle:
Ernst von Wildenbruch: Gesammelte Werke. Band 10, Berlin 1911–1918, S. 96-100.
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