[312] Dietrich Quitzow kommt durch die Mitte. Schwalbe ist rasch aufgesprungen. Konrad steht mit untergeschlagenen Armen an den Fensterpfeiler gelehnt.
DIETRICH. Ist es wahr, daß die Friesacker das Maurerzeug fortgeworfen haben und davongelaufen sind?
SCHWALBE. Ja, gnädiger Herr; Ritter Otto vom Pflug is in Friesack eingerückt und hat die Stadt belegt; da haben die Kerle es mit der Angst gekriegt und gesagt, Burg Friesack wäre eingeschlossen und sie wollten nach dem Ihrigen sehn und fort find sie gewesen.
DIETRICH. Burg Friesack eingeschlossen! Wenn's wenigstens gelogen wäre! Wer ihm das zugetraut hätte, dem Nürnberger Tandelmann! [312] Er tritt ans Fenster. Da drüben bei der Mühle – das ist sein Banner.
SCHWALBE. Ja, gnädiger Herr; aber die da hinter ihm kenne ich nich.
DIETRICH. Die hat er sich aus Franken mitgebracht: das ist der Hohenlohe und der von Uttenhofen. – Und da rechts, das sind die Bredows.
SCHWALBE. Ja, die Bredows.
DIETRICH. Und auf der anderen Seite –
SCHWALBE. Das sind die Grafen von Lindow.
DIETRICH. Und neben ihnen Kurt von Rohr. Und dann kommen die Städte – da links sehe ich Berlin.
SCHWALBE. Und da rechts Brandenburg und Frankfurt.
DIETRICH. Und nun auch Friesack die Stadt besetzt – sie haben uns eingekreist wie den Bären im Loch. – Es wird schon dunkel – sie stehen uns dicht auf dem Leibe, – glaubst du, daß sie zur Nacht einen Sturm versuchen?
SCHWALBE. Da würden sie sich die Zähne ausbeißen. Nein, gnädiger Herr, aber was andres werden sie tun.
DIETRICH. Was?
SCHWALBE. Schießen werden sie –
DIETRICH. Schießen –[313]
SCHWALBE.
Seht Ihr nicht die große Donnerbüchse da drüben?
DIETRICH düster hinausblickend.
Ja, ich seh's – ich seh's.
Ha – wie es dasteht auf den plumpen Tatzen,
Bis an den Bauch ins Erdreich eingewühlt.
Das ganze Ding nur Bauch und Schlund und Maul,
Nichts Edles dran. Nein, das ist keine Waffe!
Das ist nicht Kampf mehr! Kampf war Männerhandwerk
Und Mut entschied – jetzt wird der Kampf gemein,
Und feige Schlauheit lacht des dummen Mutes.
Tod war ein Held, frei wandelnd im Gefilde,
Jetzt ist's ein Mörder, lauernd im Versteck!
Du also bist das Sinnbild dieser neuen Zeit,
Vor der sich Quitzow beugen soll?
Unflät'ger Stoff, du brüllende Maschine,
Sprachrohr des Hasses, den die dumpfe Masse
Dem ritterlichen Mann ins Antlitz wirft!
Ich hasse dich! Aus allen Seelentiefen
Verachte ich die Zeit, die dich gebar!
Und soll ich sterben, nimm zum letzten Abschied
Du meinen Fluch: Wachse, vermehre dich
Du Ungetüm, aus deinem schwarzen Schoße
Krieche der Mord und eine Brut von Mördern!
Das jüngste deiner Kinder stets das schrecklichste
Und der Verschlinger seiner Vorderen!
So stampfe durch die Welt, bis daß im Menschen
Die Zeugungskraft der Menschheit du zertreten,
Die Leidenschaft! Bis nichts mehr übrigbleibt
Als der anschläg'ge Kopf, der im verborg'nen
Gifte ersinnt, bis du zum Welttyrannen,
Zum gräßlich seelenlosen ausgewachsen
Und bis die Menschheit, heulend dir zu Füßen,
Ihr eigenes Geschöpf zum Tod verflucht!
Ausgewählte Ausgaben von
Die Quitzows
|
Buchempfehlung
Im Jahre 1758 kämpft die Nonne Marguerite Delamarre in einem aufsehenerregenden Prozeß um die Aufhebung ihres Gelübdes. Diderot und sein Freund Friedrich Melchior Grimm sind von dem Vorgang fasziniert und fingieren einen Brief der vermeintlich geflohenen Nonne an ihren gemeinsamen Freund, den Marquis de Croismare, in dem sie ihn um Hilfe bittet. Aus dem makaberen Scherz entsteht 1760 Diderots Roman "La religieuse", den er zu Lebzeiten allerdings nicht veröffentlicht. Erst nach einer 1792 anonym erschienenen Übersetzung ins Deutsche erscheint 1796 der Text im französischen Original, zwölf Jahre nach Diderots Tod. Die zeitgenössische Rezeption war erwartungsgemäß turbulent. Noch in Meyers Konversations-Lexikon von 1906 wird der "Naturalismus" des Romans als "empörend" empfunden. Die Aufführung der weitgehend werkgetreuen Verfilmung von 1966 wurde zunächst verboten.
106 Seiten, 6.80 Euro