Der Überfall

[18] Recht goldig klar war der nächste Morgen, und Minna, die gar wohl im Hause angreifen konnte, wenn es einmal über sie kam, hatte fröhlich singend das Frühstück besorgt, etwas kalten Küchenvorrat für die Seereise gerüstet, der Mutter bei den ungeheuren Anstalten für den Herrn Oberamtmann geholfen und harrte bereits reisefertig im Hut mit wehenden Bändern am Rande des Flusses, zu dem ein Pfad aus dem Garten führte, wo Eduard und Otto emsig mit der Zurüstung des Kahnes beschäftigt waren; Friederike in Hauskleid und Küchenschürze stand hinter dem Nudelbrett, würgte und wellte mit verzweifelter Entschlossenheit.

»Ein göttlicher Morgen!« rief Mathilde zu ihr herein. – »Ach ja, es ist schade, daß wir nicht heut die Wäsche haben!« entgegnete Friederike.

»Gehst du nicht mit, Bäschen?« fragte Vetter Wilhelm unter der Küchentüre. »Gewiß nicht,« sagte sie etwas patzig, »das wäre mir unmöglich, bei solchem Geschäft Schiff zu fahren!« Wilhelm suchte vergeblich sie zu bereden und eilte endlich hinab, wo das schon segelfertige Schiff eben von den Mädchen noch mit Blumen bekränzt wurde.

Eduard brachte Pfarrers fünfzehnjährige Emma her bei, die glühend rot vor Freude und Verlegenheit sich ins Schiff führen ließ, um ihren Platz neben den Mädchen einzunehmen. Vater und Mutter sahen wohlgefällig lächelnd zu, wie hübsch sich die junge Gesellschaft in dem bekränzten Kahn gruppierte, – da keuchte atemlos der alte Amtsbüttel herbei, sein entsetzliches Gesicht ließ das Schlimmste fürchten, noch ehe er imstande war, ein Wort hervorzubringen. »Der Herr Oberamtmann!« stieß er endlich hervor, als er zu Atem kam. – »Was, wie, wo?« schrie der Amtmann, diesmal auch außer Fassung, und packte den Alten am Rockkragen.

»Heut! Eben angefahren! Der Schreiber hat's falsche Datum gesetzt!« Und die Mutter sah von weitem Friederike allerlei verzweifelte telegraphische Zeichen machen und bemerkte, daßder Herr Oberamtmann in höchst eigener Person auf die Gesellschaft zuschritt.

Eduard und Otto hatten große Lust, schleunig mit dem Schifflein in See zu stechen und so allen Wirren zu entfliehen; Minnas Tochterherz ließ aber nicht zu, daß sie die Mutter in solch kritischer Lage verließ. Sie sprang wieder ans Land, eben als der Oberamtmann, die Pfeife im Munde, langsam vom Hause herabspazierend am Ufer ankam.

Es war soweit ein stattlicher Herr, der Herr Oberamtmann, vorn in den Dreißigen, noch jung für die hohe Staffel im Leben, die er bereits erstiegen, nur etwas zu umfangreich für seine Jugend. Der Amtmann war allerdings durch seine Ankunft in schweren Schrecken versetzt, faßte sich aber bald wieder; der Fehler des Schreibers war ja nicht der seinige.

»Ja, was tun wir, Herr Oberamtmann? Meine Vorarbeit zu Ihrer heutigen Verhandlung könnte ich etwa den Vormittag zu Ende bringen, aber früher können Sie nichts vornehmen. Wenn sich der Herr Oberamtmann sonst unterhalten könnten? ...« Dieser hatte, wie es schien, mit einigem Wohlgefallen den bekränzten Kahn, das jugendliche Schiffsvolk betrachtet, obwohl er das durch nichts ausdrückte als durch gelindere Rauchwölkchen, die er aus der Pfeife blies. »Weiß wirklich nicht, ob Sie Liebhaber von Wasserfahrten sind?« fragte der Amtmann zum Entsetzen seiner Frau, der das wie eine ganz freche Zumutung vorkam. »Hab's noch nie versucht, wäre nicht abgeneigt,« ließ sich zum Schrecken der jungen Gesellschaft der Oberamtmann vernehmen, »ist das Brett fest?« – »Wir haben starke eichene Dielen!« bemerkte mit geheimer Ironie der Amtmann, »geh, Eduard, hol eine herunter!« So mußte es denn sein; die Diele ward auf den Kahn gelegt, ihre Festigkeit probiert; die Frau Amtmännin hatte einstweilen in aller Eile den Mundvorrat noch reichlich vermehrt, namentlich mit einigen vielversprechenden Flaschen, was die jungen Leute wieder in etwas versöhnte mit dem aufgedrungenen Passagier, und hatte in lauterem Respekt ihren roten Schal, vierfach zusammengelegt, auf die Diele[20] gebreitet, um den Sitz weicher zu machen, zu Mathildens großer Empörung.

Endlich war der Kahn segelfertig; der Oberamtmann hatte sich etwas schwerfällig niedergelassen, Eduard und Otto, die sich insgeheim schämten, daß sie sich von dem Philister so verblüffen ließen, stimmten das allbekannte Schifferlied an, und die Barke stach in See.


»Du Land der süßen Wonne,

O Heimat, lebe wohl!«


klangen die frischen jungen Stimmen herüber; die Mama vergaß einen Augenblick Respekt und Schrecken und Gastmahl in der Freude über den lieblichen Anblick, und der Amtmann lachte herzlich, als er den schwerfälligen Oberamtmann mit seinem Meerschaum unter den schlanken jungen Gestalten sitzen sah. »Der ist gut versorgt,« lachte er, »jetzt muß ich aber ans Geschäft. Wenn sie mir nur nicht meinen Oberamtmann über Bord werfen; er war ihnen grausig ungeschickt!« – »Ich mußte nur staunen über deine Keckheit,« sprach die Frau; »du fürchtest auch gar niemand, du würdest den Kaiser von China spazieren schicken.« – »Närrchen,« sagte lächelnd der Amtmann, »die Zeiten sind vorbei, wo ein Beamter so ein ungeheures Tier war, wir lassen ihm deshalb doch nichts abgehen.«

Friederike erschien wieder, ihre junge Stirn in die bedenklichsten Matronenfalten gelegt: »Zu Nudeln ist's jetzt natürlich zu spät, ich denke: gebackene Suppe; der Schinken ist am Feuer und der Backofen angezündet.« Eilig folgte die Amtmännin ihrer umsichtigen Tochter, und der Amtmann ging in seine Schreibstube.

Quelle:
Ottilie Wildermuth: Ausgewählte Werke. Band 2, Stuttgart, Berlin und Leipzig 1924, S. 18-21.
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