Streit in der Liebe

[353] Die Kinder wuchsen zu Leuten heran, Georg als ein stämmiger, etwas untersetzter Bursch mit offenem, frischem Gesicht, Lisbeth als ein feines, sauberes Mädchen, schlank von Wuchs und gar pünktlich und sorgsam in ihrem Anzug, der aber um keine Linie die Kleiderordnung einer rechten Bäuerin überschritt. Wie die meisten Dorfkinder war sie sehr frühe in alle materiellen Interessen des Lebens eingeweiht worden und wußte den Wert des Besitzes als Kind schon gar wohl zu schätzen. Das Pfarrtöchterlein, deren Elternhaus nie leer von Gästen wurde, erzählte ihr einmal vergnügt: »Denk nur, wir haben sechs Onkel.« – »Und mir hent sieben Säu,« rühmte Lisbeth[353] dagegen, ihres Übergewichts gewiß. Sie war nie mit andern Kindern herumgesprungen, um ja nicht Kleider und Schuhe zu zerreißen, und je älter sie wurde, desto mehr trat dieser praktische Sinn hervor. Man sagte ihr nach, sie gehe barfuß, sobald sie vor dem Dorfe sei, um ihre Schuhe zu schonen, und wo sie im Grasen gewesen, da sei der Boden wie vom Barbier rasiert.

Georg dagegen war ein sorgloser, leichtsinniger Bursch, dem alles, was teuer war, am besten gefiel und am besten schmeckte, rasch, hitzig und unbedacht, ein »Schußbartle« nach dem Volksausdruck, und gescheite Leute meinten, er und Lisbeth passen nimmermehr zusammen, sie seien gar zu zweierlei; noch gescheitere fanden das eben gut: »Die können einander helfen; was er vertut, das kann sie hereinhausen.«

In Wahrheit konnten die zwei nicht voneinander lassen, wie oft sie sich auch gegenseitig erzürnten. Georg verhöhnte Lisbeth, wo er konnte, wegen ihrer Sparsamkeit. Einmal lud er ein Dutzend junge Bursche und Mädchen in ihrem Namen zum Karz (Spinnstube) ein. Lisbeth spann eben im Mondenlicht wie das Waldfräulein, aber nicht aus Romantik, sondern um Öl zu sparen; da polterten ihre unerwarteten Gäste herein und lachten hell auf, als nicht einmal Licht in der Stube war. Georg kam hinterdrein und klärte den Spaß auf; Lisbeth aber mußte, wohl oder übel, Licht anzünden und Äpfelküchlein backen.

Ein andermal kamen drei alte Weiber aus dem Armenhause und bedankten sich gar schön bei ihr für Speck und Fleisch, das sie ihnen geschickt hatte. Lisbeth wußte nicht, wie ihr geschah. Sie führte als einzige Tochter den Haushalt des verwitweten Vaters und hatte die bestausgestattete Rauchkammer im Dorfe; man behauptete aber, sie lasse den Vater, wenn er Kraut esse, nur riechen am Speck und habe so den ganzen Winter an einer Speckseite; wie würde sie nun Bettelweibern Speck und Fleisch schicken! Tödlich erschrocken sah sie in der Rauchkammer nach – da war freilich eine bedeutende Lücke; – das hatte kein andrer Mensch als der Georg getan! Nehmen konnte sie den Weibern das Fleisch nicht wieder,[354] und so mußte sie mit sauersüßem Gesicht den Dank für ihre unfreiwillige Großmut hinnehmen.

Der Georg aber sollte es büßen, und als er nach einer Weile mit pfiffigem Lachen über den Zaun herüberblickte, da sagte sie ihm in geläufigem und lichtvollem Vortrag die Wahrheit umsonst über sein faules und nichtsnutziges Leben und verhieß ihm ganz und gar keine lockende Zukunft.

Sonntags drauf wollte Georg auch trutzen, er schloß sich an des Adlerwirts Sohn an und zog an der Lisbeth Haus vorüber, andern Mädchen nach. Lisbeth war nicht vor dem Hause und nicht am Fenster zu sehen; daheim aber fuhr sie herum wie unsinnig, und als Georg spät am Abend nach Hause kam, da hatte sie scheint's noch Geschäfte im Hausgärtchen, sie sah ihn aber gar nicht, bewahre! »Guten Abend!« rief Georg hinüber. – Keine Antwort. – »Warum bist nicht auch spazieren gegangen?« – »Hab' noch gar nicht Zeit gehabt nur zum 'nausgucken, meine Dote ist hier gewesen,« sagte Lisbeth kurz. – »Schön Wetter heut,« hub etwas verlegen Georg wieder an, der nicht recht wußte, wie er anknüpfen sollte. – »Freilich,« schnurrte Lisbeth; »wenn man mit so schönen Jungfern 'rumspaziert, ist 's Wetter alleweil schön.« – »So, ich hab' glaubt, du habst heut gar nichts gesehen; woher weißt du's denn, mit wem ich spazieren gegangen bin?« – »Ha, wenn des Schulzen Bub' des lumpigen Schuhmachers Mädle nachlauft, so kann man's erfahren, ohne zu gucken.« – »Ei, wenn du dich hättest sehen lassen, hättest du mit mir spazieren dürfen!« – »Ich mit dir? Nicht mit einer Meßstang' möcht' ich dich anrühren.« – »Gelt, was man veracht't, das hätt' man gern,« lachte Georg und ging ins Haus. Am selben Abend aber trug er ihr noch den Wasserkübel heim und half ihr die flüchtigen Hühner einfangen, und der Friede oder doch Waffenstillstand war für eine Weile wieder geschlossen.

Georg wurde zum Soldaten ausgehoben und gab nicht zu, daß sein Vater ihn loskaufe; Lisbeth hatte einmal gesagt, als ein schmucker Gardist durchs Dorf ging: »Da muß man doch Respekt haben!« – »Nun soll sie auch vor mir Respekt lernen,«[355] dachte er und ließ sich nicht abhalten, obwohl die Leute meinten, so ein heißgrätiger Bursch tauge nicht unters Militär, wo man sich kuschen müsse. Er fügte sich wirklich zum Verwundern, und kleine Ausschreitungen in Trunkenheit ausgenommen, hielt er sich vortrefflich als Soldat; sein Obermann, der je und je den Herrn Schultheiß besuchte, meinte: »Wenn wir Krieg hätten, so gäbe der einen General nichts desto Schöners.« Er war ein freigebiger Kamerad und teilte von dem Zuschuß zu seinem mageren Sold, den ihm der Vater reichlich zufließen ließ, den andern gern mit; so war er hoch angesehen unter den Kameraden.

Lisbeth hatte allerdings Respekt, als er in der feinen Uniform, die er sich aus eigenem Beutel angeschafft, zum erstenmal am Sonntag einen Besuch machte; sie sprach im Gärtchen lange mit ihm und gestattete, daß er sich zu ihr auf die Hausbank setzte. Aber doch war diese Militärzeit eine qualvolle für sie, weil sie beständig von Eifersucht verzehrt war. Wenn ihr Georg einen Gruß sagen ließ, so war ihre Antwort: »Dem wird's ernst sein mit Grüßen! Man weiß ja, wie die Soldaten mit den Stadtmägden herumscharmuzen, wird auch eine haben, die ihm am Sonntag den Dreibätzner in den Sack gibt!« Durch ähnliche Suggestivfragen suchte auch Georg mutmaßliche Treulosigkeiten seiner Geliebten zu erfahren; – wenn er dann heimkam, so hatte er den halben Tag zu tun, bis er sein Schätzchen versöhnte, die wegen allerlei eingebildeter Untaten seinerseits mit ihm trutzte. War das gelungen und sie begleitete ihn abends auf dem Rückweg zur Stadt, so fing sie schon wieder an: »Hättest noch nicht nötig, fortzugehen, wirst eine auf unterwegs bestellt haben.« Oft ward er's auch müde, den Untertänigen zu spielen, eine Rolle, die ohnehin nicht für ihn paßte; ließ sein ungnädiges Lieb stehen und ging in den Adler. Lisbeth blieb dann in irgend einem Versteck, von dem aus sie auf das Wirtshaus sehen konnte, ließ sich aber nirgends finden, und in den nächsten Tagen ließ sie ihm durch einen Kameraden sagen, er solle sich nur nicht einbilden, daß sie ihn einmal nehme, lieber wolle sie ins Wasser springen. Dieser Groll[356] dauerte bis zu seinem nächsten Besuch, wo er die Wolken vertrieb, um Raum für neue zu bereiten.

Georg beschloß, diesem Elend ein Ende zu machen, aber wie? Ans Heiraten konnte er noch nicht denken, und sie gehen lassen, das war vollends unmöglich. »Wenn ich ganz gewiß wüßt', daß kein andrer sie kriegt, so wollt' ich sie meinetweg mein Lebtag nimmer angucken,« sagte er den Kameraden.

Er freute sich unbändig auf die Kirchweih; Lisbeth war noch immer seine Tänzerin gewesen, so konnte sie ihm jetzt, wo er[357] Soldat war, nicht fehlen; da wollt' er ihr einmal so recht in Güte sein Herz ausleeren.

Die Ballregeln auf dem Dorfe sind sehr einfach, und die zierlichen, goldeingelegten Büchlein am Gürtel, auf denen unsre jungen Damen ihre versagten Tänze vermerken, sind für Bauernmädchen ein entbehrliches Gerät. Wer ein Mädchen zum Tanz führt, hat für den ganzen Abend ausschließlich das Recht auf sie, und nur selten und ungern wird einem andern Burschen ein Tanz gestattet; bloß bei Markttänzen oder Hochzeiten herrscht mehr Freiheit. Diese Sitte, die uns sehr langweilig erscheint, verleiht dem Tanz etwas Stetes, Ehrenfestes und schneidet viel Gelegenheit zu Händeln ab.

Quelle:
Ottilie Wildermuth: Ausgewählte Werke. Band 1, Stuttgart, Berlin und Leipzig 1924, S. 353-358.
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