Geleitwort des Verfassers

Vielleicht ist es dem Leser willkommen, den Verfasser dieser Gedichte auch in begrifflicher Sprache über das, was ihn hier bewegt hat, ein wenig zu hören.

Die Titel der beiden Abteilungen dieses Buches bezeichnen zwei Perioden meiner Entwickelung und gleichzeitig zwei dauernde Pole meines Gefühlslebens: aus einem »Einsiedler« habe ich mich zu einem »Genossen« entwickelt, freilich ohne völlig die »Einsiedler«-Natur abzustreifen. Die Gedichte der ersten Abteilung entstanden fast sämmtlich in jenen jüngeren Jahren, als ich, dem Leben der Gesellschaft noch abgewandt, vorwiegend mit »Wäldern und Büchern« verkehrte. Damals richtete sich mein tiefstes und wiederkehrendes Sehnen auf jene Mischung von erhabener Begeisterung und sanfter Ruhsamkeit, welche die einsame Betrachtung gedanklicher und landschaftlicher Gegenstände hervorzurufen pflegt – oder, besser gesagt, die Betrachtung gedanklicher und landschaftlicher Wesen; denn Hochgedanken,[101] Wolken, Bäume und Stürme waren mir seelenvolle Wesen, mit denen ich ergreifende Gespräche führte. Da nun die Menschengesellschaft durch ihre häufige Häßlichkeit und Bösartigkeit mein Stimmungsglück störte, so wurde meine Gemüt zu einer gewissen Menschenflucht und überschwänglichen Einsamkeitsliebe getrieben. Diesem einseitig ästhetischen Bereiche, welches mich bis zur Mitte meiner zwanziger Jahre umfing, wurde ich nun entführt, und zwar besonders durch unsere Riesenstadt, welche mich in das moderne sociale Leben einweihte, meine bisher mehr latenten ethischen Gefühle entwickelte und den Socialisten in mir aus einem Theoretiker in einen lebhaften Praktiker umwandelte. Nun galt mir mein bisheriges Dichten als Schwäche und Sünde, und ein neuer Geist rang in mir nach Gestalt. Ich wollte aus einem »Romantiker« ein »Realist«, einem Ästhetiker ein Ethiker, einem Individualisten ein Socialist, einem Einsiedler ein Genosse werden. Auf dieser neuen Bahn glaubte ich mich nicht in der alten Weise bewegen zu können. Die breiten und unebenen Massen des neuen Stoffes erforderten eine andere Art der Gestaltung. So wurde die liedhafte Harmonie der üblichen Strophe vielfach zerrissen oder gar aufgegeben, während Versbau, Rhytmus und Reim den an Raum und Stimmung ungleichen Entwickelungsphasen meiner Seelenereignisse zu entsprechen suchten. – Was die in diesen Gedichten hervortretenden Welt- und Lebensanschauungen betrifft, so bemerke ich für Leser, welche an diesbezüglichen Einzelheiten Anstoß nehmen, daß ich als höchste Lebensaufgabe die Mitarbeit an der Beseligung der[102] Menschheit betrachte und daß der Grundzug der Gedichte »Genosse« wohl dasselbe ist, was zu der träumenden Wjerotschka (in Tschernyschewky's »Was thun?«) spricht: »Ich habe viele Namen und sehr verschiedene. Mit welchem Namen mich jemand nennen soll, das teile ich ihm mit. Du nenne mich Menschenliebe, das ist mein wahrer Name. Es giebt nicht viele, die mich so nennen, du aber sollst mich so nennen.« Nennt man mich aber Naturalist, Atheist, Demokrat, Socialist oder Anarchist, so lasse ich mir das gefallen, jedoch mit der Bemerkung, daß ich es keineswegs dulde, auf ein Prokrustesbett gestreckt und von irgend einem Parteibegriff vergewaltigt zu werden, und daß daher nicht jede Folgerung aus jenen Begriffen für mich gelten darf.


Friedrichshagen bei Berlin;

Weihnachten 1890.


Bruno Wille.

Quelle:
Bruno Wille: Der heilige Hain. Jena 1908.
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