Das achte Abenteuer

Wie die kaum Getrauten sich

mußten trennen


[253] Da ich das Auge wieder auftat, lag Thekla noch immer in festem Schlaf, und hoch vom Himmel schien die warme Sonne. Hunger und Durst plagte mich. Sanft, um meine Frau nicht zu wecken, zog ich den Arm unter ihrem Nacken herfür und bettete ihren holden Kopf in den Rasen.

Was nun? Ich gedachte der Oblaten, die ich beim Verlassen der Kirchengruft zu mir gesteckt. In meiner Tasche waren sie vom Elbwasser zu Brei verwandelt, doch immer noch brauchbare Nahrung.

Behutsam erhub ich mich und schlich durch die Weidenbüsche zum Strome. Eine Leiche trieb auf ihm. Obschon ich mit Ekel zu kämpfen hatte, legte ich mich aus Ufer und trank von dem Wasser. Hierauf pflückte ich Sauerampfer, der in Menge auf der Uferwiese grünte. Da er nicht übel mundete, pflückte ich Hände voll und legte den Vorrat bei der noch schlafenden Gattin nieder.

Endlich erwachte sie, fuhr schreckhaft empor und blickte wild umher. Begütigend streichelte ich ihre Hand: »Danken wir dem Himmel, daß er uns so weit bewahret hat!« Thekla antwortete mit einem stummen Nicken und faltete die Hände.

Hierauf bot ich meiner Liebsten von dem Sauerampfer und vom Oblatenbrei, und sie aß. Da sie auch zu trinken begehrte, hätte ich ihr gern den abscheulichen Anblick der mit Leichen treibenden Elbe erspart, wußte aber nach Verlust meines Hutes keinerlei Mittel, Wasser zu transportieren. So blieb mir nichts übrig, als mein arm Weib zum Strome zu führen.

Gierig hingekauert, schöpfte sie mit den Händen und trank mehrmals. Plötzlich aber krächzte dicht bei uns am Ufer eine Krähe, Thekla wandte ihren Kopf hin, ward plötzlich bleich und spie das eben Genossene wieder aus. Dort lag nämlich[254] auf dem Sande, noch halb im Wasser, eine entkleidete Leiche, deren Fleisch die Krähen speiseten.

Meinen Arm um Thekla gelegt, führte ich sie hinweg, und stöhnend vor Gram saßen wir wieder im Dickicht. Wie ein hilflos Kind weinte Thekla, und auch auf meinem Herzen lastete die ganze Schwere unseres Mißgeschicks. Ach wären wir doch beim Oheim in Schreiberhau geblieben! Wie still und glücklich lebten wir dann!

Meine Gedanken erratend, ergriff Thekla meine Hand, die Augen voll Tränen: »Verzeih, Johannes, daß ich dich verleitet, dein friedlich Gebirgsdörfel zu lassen, um eine heimlose Jungfer durchs Elend zu geleiten.«

Die teure Hand streichelnd, entgegnete ich: »Das war mein freier Entschluß.«

Und nun starrten wir vor uns hin. An einer Weidenrute hingen Maikäfer, vom Laube sich mästend. Ein garstiger Anblick. Würde uns in unserer Verlassenheit etwas anderes übrig bleiben, als diesen Käfern ähnlich Kraut zu speisen?

Endlich sammelten wir unsere Gedanken und überlegten, was zu tun. Das Ratsamste deuchte uns, hier in der Nähe des Feindes den Tag über im Gebüsch verborgen zu bleiben, bei Einbruch der Nacht aber weiter zu ziehen. Nach welcher Richtung indessen? Drüben auf dem andern Elbufer hätten wir schwedisch Volk erreichen können. Weil aber Thekla des Schwimmens unkundig, so blieb uns nichts übrig als einstweilen auf dieser Seite des Stromes gen Mitternacht zu ziehen, in der Richtung auf Tangermünde.

Nachdem wir diesen Entschluß gefaßt, stellte sich bei Thekla aufs neue des Durstes Plage ein. Da fiel mir bei, an manchen Uferstellen werde unschwer durch Graben Wasser zu erreichen sein. Sie stimmte mir zu, und nun umgingen wir die Stelle, wo der Leichnam lag, fanden auch wirklich stromaufwärts zwischen den Weiden nackten Sand, in dem sich mit den Händen graben ließ. Mühsam war unser Werk, doch schließlich kam Grundwasser, und nachdem es sich geklärt, stillten wir unsern Durst.[255]

Aufs neue befiel uns Mattigkeit, und zum Schlafe streckten wir uns nieder. Was hätten wir auch Besseres beginnen können als unsern Kummer zu verschlafen und zugleich Kraft zu sammeln für die nächtliche Wanderung?

Abendkühle weckte uns, grauer Dunst lag auf den Wiesen, die Maikäfer schwirrten. »Diese Käfer«, so scherzte ich wehmütig, »tun uns alles vor; wohlan, fliegen auch wir davon!«

Nun füllten wir meine Tasche mit Sauerampfer, tranken noch einmal aus der Wassergrube, erfrischten durch Baden unsere Füße und brachten das Schuhwerk in Ordnung. Ich schulterte mein Gewehr, zog den Säbel und ging als Späher an den Rand des Gebüsches. Wachtfeuer glühten in der Ferne, die nächste Gegend schien gefahrlos. Das Weidengebüsch zog weiter und weiter am Strom dahin.

Und vorwärts schritten wir gen Mitternacht, uns möglichst im Gebüsch haltend. Erst wie es ganz dunkel geworden, und nur der Sternenhimmel matten Schimmer gab, wagten wir, auf freier Wiese dahinzuschreiten.

Hurtig ging unsere Wanderung vonstatten, und alle Gefahren schienen unsern Weg zu meiden. Einmal freilich packte Thekla erschrocken meinen Arm und flüsterte: »Da steht einer!« Es war aber ein Weidenstumpf.

Wir schwiegen lange und vernahmen nur unsern dumpfen Schritt, das Knirschen der Halme und das Gemurmel des Stroms, zuweilen auch eines Fischotters Rascheln, den klagenden Ruf der Unken oder das Krächzen einer Wiesenschnarre. Wachtfeuer sahen wir nicht mehr, wohl aber einen Flammenschein in der Gegend von Wolmirstedt und Neuhaldensleben, auch, sooft wir uns rückwärts wandten, die Glutwolke über meiner eingeäscherten Vaterstadt.

Um die Mitte der Nacht stellte sich ein ernsthafter Grund zur Furcht ein. Drüben am andern Ufer begann ein Wolf zu bellen, gleich darauf ein zweiter, und nun ging ein Heulen los, als balgten sich Höllenhunde um eine arme Seele. Es war aber gut, daß sich auf unserm Ufer keine Bestie vernehmen[256] ließ. So ergriff ich denn Theklas Hand und sprach den grimmen Trost: »Nicht bange, liebe Frau! Nur drüben sind die Untiere. Hüben haben nämlich die streifenden Pappenheimer ihre vierbeinigen Raubbrüder verscheucht.«

Beschwerlich ward unser Gang, als wir zur Ohre kamen. Dieser Nebenfluß der Elbe mündet in einem sumpfigen, struppichten Gelände. Nachdem uns dickes Gebüsch geplagt, zogen wir es vor, schnurstraks gen Morgen abzubiegen, um wieder den Ufersand der Elbe zu gewinnen. Hier tat ich den Riemen von meinem Gewehr und befestigte das eine Ende an meinem Gürtel, während ich das andre Thekla zu halten gab, die hinter mir ging. So wateten wir durch den Strom längs des Ufers, und wenn ich auch stets die flachste Stelle suchte, so konnten wir doch in Triebsand und plötzliche Tiefen geraten. Nur langsam kamen wir vorwärts. Wie wir die Mündung des Nebenflusses durchwateten, stieß Thekla einen Angstruf aus, da sie auf einmal bis an den Hals ins Wasser sank. Doch gleich darauf gelangten wir wieder ins Flache und Seichte, wie überhaupt der Wasserstand niedrig war.

Nach Passieren der Ohre ging es zunächst wieder im Wasser der Elbe weiter, dicht am Ufer, bis das Zurückweichen der Gebüsche uns einen freien Weg im feuchten Sande darbot.

Schon ein paar Meilen lag die Ohre hinter uns, als der Morgen graute, und die Gegend deutlicher ward. Da sah ich auf einer Sandbank im Strome etwas wie Gebälk liegen. Blieb stehen und deutete hin: »Hier beut mir Gott ein Mittel, dich über den Strom zu bringen.« Und sogleich watete ich durch das seichte Wasser auf den Fund los. Es war ein Gefüge von Balken eines abgebrannten Hauses. Ich zerrte es von der Sandbank, wo es gestrandet war, ins Wasser, und es schwamm gut.

Nun kam Thekla herbei, und wir rüsteten uns zu dem neuen Unternehmen. Banden die Waffen auf das Gebälk, wo es am höchsten über den Wasserspiegel ragte. Meine liebe Frau befestigte ich am neuen Fahrzeug in derselben Weise, wie an jener Schiffmühle, so uns aus Magdeburg glücklich entführt.[257]

Noch ein Bedenken hatte Thekla: »Die Wölfe drüben.«

»Die halten sich an die vielen Leichen, so vom Strom angetrieben werden; haben nicht nötig, mit uns zu raufen. Übrigens kommt uns der Tag zu Hilfe, und ich hoffe, bevor es Abend wird, haben wir schwedisch Volk erreicht, da ist Falkenbergs Schwäherin sicher.«

Und ich schob das Gebälk nach der Mitte des Stromes hin. Bald hatten wir nichts mehr unter den Füßen, Thekla hielt einen Balken umklammert, ich aber schwamm und stieß das Fahrzeug vor mir her.

So waren wir etliche Minuten vorwärts gekommen, und der Tag war hereingebrochen, als auf einmal stromaufwärts dumpfer Ruderschlag erscholl. Ich schwamm so kräftig ich vermochte, indem ich mir sagte: Schweden sind das nicht, Feinde sind es!

»Johannes!« raunte Thekla beklommen, weil nun ein großer Kahn erkennbar ward.

Bestürzt entgegnete ich: »Tauche unter einem Balken hindurch, daß dein Kopf zwischen das Gefüge kommt, und du versteckt bist; ich helfe dir.«

Zu spät! Der Kahn schoß gerade auf uns los, und schon sprangen mehrere Männer aus dem Kahn in ein kleines Boot, das an ihm befestigt war. Wie sie herangerudert kamen, legten sie Karbiner auf uns an: »Ergebet euch!«

»Wir sind hilflose Flüchtlinge!« entgegnete ich. Leise aber, nur für Thekla verständlich, fügte ich hinzu: »Sprich du möglichst gar nicht, und dann mit männlicher Stimme.«

Vorn im Boot sah ich einen Offizier stehen, der meinte spöttisch: »Ei, ihr habet ja Feuerrohr und Säbel; hilflose Flüchtlinge führen kein Gewaffen. Magdeburger Rebellen seid ihr! Nur heran, ihr Fischlein, und sein willig! Zappeln hilft nichts.«

Und der Feinde Arme griffen nach Thekla und zogen sie aus dem Wasser. Dabei nun geschah ein Zerren an ihrem Gewand, daß es über dem Busen aufriß, und einer der Kerle rief: »Ei, sehet doch, ein Weibsbild!«[258]

»Schonet ihrer!« flehete ich, indessen man auch mich in das Boot zog. »Seid menschlich, um Jesu willen! Sie ist mein ehelich Weib.«

»Hoho! Ist das nicht der Tielsch? Johannes Tielsch? Maria und Josef, ein wunderlich Wiedersehen!« – Dem vor mir stehenden Offizier starrte ich ins Gesicht. Es war jener Zetteritz, der mit mir das Hirschbergische Gymnasium besucht und beim Komödiespiel als Teufel mein Widersacher gewesen. Ein Adliger katholischer Konfession.

Nicht ohne Hoffnung entgegnete ich: »Herr Ritter Zetteritz! Ja, ich bin der Johannes Tielsch, Gott hat uns in Eure Hand gegeben, auf daß Ihr uns Gnade erweiset.«

Nun hielt Zetteritz den spähenden Blick auf Thekla geheftet und lachte: »Eia! Immer besser!«

»Seid edelmütig!« bat Thekla.

Höfisch neigte sich Zetteritz vor ihr, eine gefährliche Glut im Blicke: »Um Ihretwillen, schöne Jungfer!«

»Sie ist meine Frau!« brausete ich auf.

»Halt Er das Maul!« herrschte er mich an.

Ein Blitz des Unwillens traf ihn aus Theklas Augen, sie stampfte mit dem Fuße auf: »Und ich bin seine Frau!«

Zetteritz runzelte die Stirn und zuckte die Achseln.

Das Boot hatte bei dem großen Kahne angelegt. Zetteritz schwang sich hinein, und wir alle folgten nach.

Gleich darauf befahl Zetteritz den Soldaten: »Untersucht den Mann, ob er keine schriftliche Botschaft bei sich hat. Alsdann bindet ihm die Hände, sonsten mag er sich frei bewegen. Der andere da ist ein Frauenzimmer, wie der holde Busen verrät.« Die Soldaten lachten, Zetteritz aber fuhr sie an: »Daß ihr Schweinepelze euch gebührlich benehmet, verstanden? Korporal, bring Er das Weibsbild unter Deck und schaff Er ein trocken Wams herbei! Drunten möget Ihr Euch umkleiden, Jungfer. Nehmet nur fürder mit Soldatenhosen fürlieb; Weibsröcke führen wir halt nicht. Da müsset Ihr schon warten, bis wir in Güstrow sind.«[259]

Nun durchsuchte der Korporal meine nassen Kleider, fand mein Geld sowie meine Briefschaften und nahm alles weg.

Thekla blickte mich ermunternd an, bevor sie dem Korporal unter das Deck folgte. Zetteritz begab sich zum Vorderteil des Kahns, wo stampfend und wiehernd Rosse stunden. Ich setzte mich auf eine Tonne, da ich Erschöpfung spürte und vor Kälte mit den Zähnen klapperte.

Die Ruderer, teils Soldaten, teils auch Schiffer vom Handwerk, hatten sich aufs neue in die Riemen gelegt, und ihre taktmäßigen Rucke trieben den Kahn hurtig stromabwärts.

Wie zum Hohn huben auch jetzt die Soldaten jenes Lied an:


»Ein Schifflein sah ich fahren –

Kapitän und Leutenant –

Darinnen waren verladen

Zwei Fähnlein brave Soldaten.

Kapitän, Leutenant, Fähnderich, Sergeant,

Nimm das Mädel bei der Hand –

Soldaten, Kameraden!«


Ich verbiß meinen Gram und suchte Rat. Unser Leben mochte nicht ohne weiteres bedroht sein. Theklas weibliche Reize indessen bildeten in dieser Gefangenschaft für uns beide eine Gefahr. Hier war List und Nachgiebigkeit angebracht. Um meines lieben Weibes willen nahm ich mir vor, alle Demütigung zu ertragen und Zetteritz nicht von neuem zu reizen.

Nach einer Weile trat er sporenklirrend, mit strenger Miene zu mir. Soldatisch stund ich vor ihm auf, und er sprach: »Tielsch, wir sitzen nicht mehr auf einer Schulbank, als Feind ist Er in meine Hand gegeben – wird ja nicht leugnen, daß Er von Magdeburg kommt.«

Da ich schwieg, herrschte er mich an: »Antwort! Sein Verhör hat hiermit begonnen. Und das sage ich Ihm, so Er verlogen ist, will ich schon die Wahrheit herausbringen, oder ich ersäufe Ihn wie einen jungen Hund. Still, halt's Maul. Kein Mahnen an unsre Pennälerzeit kann da helfen, also kurz und gut, gesteh Er, wie kommt Er hierher? und wer ist das Weibsbild?«[260]

Mein Odem ging aufgeregt, doch festen Mutes gab ich die Antwort: »Die Schulbank, auf der wir Virgilium und Horatium lasen, hat uns gemeinsam in die lateinischen Tugenden der Großmut und Gerechtigkeit eingeführt, ganz zu schweigen von dem Christensinne ....«

»Laß Er den Christensinn aus dem Spiel; ein Rebell ist Er wider Christi Kirche.«

»Dem Evangelio diene ich, und meiner Vaterstadt Magdeburg hab ich geholfen, ihre Libertät zu verteidigen, wie es einem Patrioten geziemet. Ach freilich, mein gutes Magdeburg ist hin, der Himmel aber hat mich und mein Weib bis zu dieser Stunde behütet und wird uns vollends erretten. Ja, erretten, Herr Ritter, indem er nämlich Euer Herz aufschließet – sei's auch nur um meines Weibes willen, das Euch vorhin gebeten, edelmütig zu sein.«

Spöttisch lächelnd nickte Zetteritz, schwieg eine Weile und meinte dann: »Nun gut. Er hat wenigstens sein Geständnis abgelegt; ich werde nun das Weibsbild verhören.«

Und er verließ mich und begab sich in den Raum unter Deck, worauf ich mich wieder setzte und in finster Brüten versank.

Nach einer Stunde kam der Korporal und gebot mir, ihm zum Herrn Rittmeister zu folgen. Eine schmale Treppe führte unter Deck.

In dem engen Raum, so durch ein klein Fensterlein wenig Licht erhielt, saßen bei Thekla um einen Tisch Zetteritz und ein milchbärtiger stutzerhafter Kornet. Bier in Kannen, Brot und Schinken war aufgetragen. Auf einer Laute klimpernd trällerte der Kornet, ein polierter Affe, und blickte vergnügt auf Thekla, die traurig dasaß, mit einem groben Soldatenwams angetan. Zetteritz betrachtete ebenfalls frech genung meine Frau und weidete sich an ihrer Schönheit, wie auch an ihrer Hilflosigkeit und Verlegenheit.

Nun wandte sich Zetteritz zu mir: »Setz Er sich in die Ecke, Tielsch, und bedank Er sich bei der Jungfer Gräfin; sie hat gebeten, daß wir Ihm zu essen geben. Glaub's schon,[261] daß Ihm der Magen knurrt. Wohlan, hier steht zu essen, zugegriffen! Zapf ihm eine Kanne voll Bier, Korporal, und nimm dir selber eine! Geh aber wieder auf Deck und sorge, daß wir sein inmitten der Strömung bleiben. Sollst auch immer scharf nach dem rechten Ufer spähen; die Schweden könnten dorten streifen.«

Der Korporal stellte mir eine Kanne auf die Bank und trat ab, worauf Zetteritz mit Stirnrunzeln mich ansprach: »Warum isset Er nicht? Soll ich Ihm etwan aufwarten?«

»Erlaubet,« sagte Thekla hastig, schnitt Brot und reichte mir eine Schnitte nebst Schinken, wobei sie mir einen zärtlichen Blick schenkte, mich zu ermuntern.

Während ich meinen grimmen Hunger stillte, klimperte der Milchbart und sang spöttisch:


»Nun friß, mein Schimmel, friß!

Und rühre dein Gebiß!

Kannst du nicht mehr die Glieder rühren,

So laß ich dich zum Schinder führen.

Drum friß, mein Schimmel, friß!«


Zetteritz wandte sich an Thekla: »Also eine Gräfin Schlick ist das Fräulein! Ei, ei, wie seltsam doch das Schicksal sein Spiel treibt! Euer Vater war ein hoher Herr, ein reicher, angesehener Herr. Meine Frau Mutter hat ihn wohl gekannt. Wenn wir nach Güstrow kommen, kann sie Euch erzählen, wie sie in ihrer Jugend mit Eurem Vater verkehrt hat. Ja, ja, der stolze Graf Schlick – und solch jämmerlich, unwürdig Ende hat er genommen! Doch freilich, Rebellion gegen Kaiser und Kirche nimmt mit nichten ein gut Ende. Übrigens waren die böheimischen Anführer unklug, da sie sich mit dem Winterkönige eingelassen. Diese Memme hat ihnen alles verdorben. Euren Vater, Jungfer Gräfin, hätten sie lieber zu ihrem Könige wählen sollen. Der hatte eine Faust! Das war ein Soldat!«

»Wie schade!« witzelte der Kornet; »dann wäre die Jungfer Gräfin jetzo eines Königs Tochter, und an Eures[262] Thrones Schwelle, Prinzessin, würde das Knie Euer Sänger beugen; denn auf Ehre, alsdann wäre ich lieber böheimisch als kaiserisch.« Dabei neigte er sich mit spöttischer Untertänigkeit; dann warf er den Kopf zurück, griff in die Saiten und sang, indem er bald Thekla, bald Zetteritz listig anblinzelte:


Es ritt ein Knecht wohl durch das Ried,

Da hub er an ein wildes Lied,

Gar stürmisch tät er singen,

Daß Berg und Tal erklingen.


Das hört des Grafen sein Töchterlein

In ihres Vaters Prachtkämmerlein.

Sie flocht ihr Härlein in Seiden,

Mit dem Knechte wollte sie reiten.


Wie beide nun zum Walde kamen,

Das Rößlein möchte Futter haben.

»Feinslieb, hie wöllen wir rasten;

Mein Rößlein will fein grasen.«


Er spreitet den Mantel ins weiche Gras,

Gebot ihr, daß sie zu ihm saß:

»Feinslieb, nun mußt du mich lausen,

Mein gelbkraus Härlein durchzausen.«


Des härmt sich des Grafen sein Töchterlein,

Ihre Zähren glänzten wie Edelgestein.

Er schaut ihr finster ins Auge:

»Was weinest du, schöne Jungfraue?«


»Wie sollt ich nicht weinen und reuevoll sein?

Ich bin ja des Grafen sein Töchterlein!

Hätt ich meinem Vater gefolget,

Frau Königin war ich worden.«


Da zog der Grobian Knecht sein Schwert

Und mähte der Jungfer Häuptlein zur Erd.

»Prinzessin, bin ich dir zu schlechte,

So reite mit keinem Knechte!«


»Bravo, bravissimo!« rief Zetteritz und warf Thekla einen Blick zu, dessen Übermut meinen Grimm anstachelte.

Dann rollte er mißtrauisch das Auge zu mir: »He Tielsch! Erklär Er mir eins: Wie gehet es zu, daß Herr Falkenberg,[263] ein Ritter und Würdenträger, seiner Schwäherin, einer Gräfin Schlick, erlauben gekonnt, einen Soldaten zu heuraten, so weder adlig ist noch Offizier?«

Thekla blickte verwirrt, und auch ich stutzte, sammelte mich aber zu der Antwort: »Den Obersten Falkenberg haben wir nicht erst um Erlaubnis gefragt.«

Aber Zetteritz hatte unsere Bestürzung über seinen Einwand wahrgenommen und forschte weiter: »Wie denn? Fand eure Trauung etwan heimlich statt? Wie konnte das geschehn, da doch in Magdeburg des Kommandanten Schwäherin bekannt war? Welcher Prädikant hat sich zu solchem Wagnis verstanden?«

Thekla errötete und schwieg.

Scharf beobachtend fuhr Zetteritz fort: »Und was hat Falkenberg hinterher gesagt, wie er es nun vernommen? He?«

»Nichts davon hat er vernommen,« erwiderte Thekla; »erst als der Held gefallen, sind wir Eheleute worden.«

Zetteritz machte große Augen, stieß einen leisen Pfiff herfür und nickte mit listigem Lächeln. Dann inquirierte er weiter: »Also erst vorgestern seid ihr getraut? Während des Kriegsgetümmels und in der Plünderung? Und in der Johanniskirche? Ei, wie denn? Habe ich nicht soeben zu hören bekommen, wie ihr nicht bei dem Geistlichen der Johanniskirche und seiner Gemeinde, sondern in einem Versteck, lediglich zu zweien euch befunden? Da stimmt etwas nicht! Tielsch, mach Er sich wieder fort! Ich werde die Gräfin allein befragen. Hernach komme ich zu Ihm, und weh Ihm, so Er Flausen macht.«

Ich sprang auf und rang nach Worten: »Ich selber – ich habe die Trauung vollzogen – war mein eigener Priester – vor Gott sind wir Eheleute.«

»Hoho«, lachte Zetteritz. »Vor Gott? Ohne Sakrament? Sag Er lieber, vor Frau Venus, der Teufelin!«

Das Blut stieg mir zu Kopfe, zumal der freche Milchbart jetzt ein höhnisch-hohl Gelächter anhub. Mit geballten Fäusten[264] hätte ich mich auf die Beleidiger stürzen mögen und stund schwer atmend vor ihnen.

Auch Zetteritz war aufgesprungen und maß mich dräuenden Auges, während ihm dunkle Röte ins Gesicht schoß. »Untersteh Er sich!« rief er hochmütig.

Abwehrend trat Thekla zwischen uns. Mich sah sie flehend an, zu Zetteritz aber sprach sie entrüstet: »Herr Ritter! Wie dürfet Ihr an wehrlosen Gefangenen so Euer Mütchen kühlen? Meine Frauenehre verletzet ihr! Tut denn so ein Edelmann?«

Zetteritz mäßigte sich und kehrte ihr genüber den Kavalier heraus: »Halten zu Gnaden, Jungfer Gräfin. Nicht Euch will ich kränken. Mein ritterlicher Schutz ist Euch sicher. Zu bedauern seid Ihr ja ob Eures Mißgeschicks, und daß Ihr obendrein an diesen Tropf geraten, der nach einer Gräfin seine Kommispratzen ausstreckt.«

Da erhub sich in mir der Zornteufel so heiß, daß ich aufbrüllend meine Bierkanne dem Verhaßten ins Angesicht schleuderte und, ohne mich von Thekla zurückhalten zu lassen, ihn anpackte und mit ihm rang. Aber der Kornet und die Soldaten, vom Geschrei alarmiert, packten mich von hinten, und schnell war ich gefesselt, daß kein Sträuben etwas half.

Während man mich hinauf zum Deck schleppte, hörte ich Thekla rufen: »Gnade, Herr Ritter! Ihr habt ihn aufgebracht. Er hat Ehre nicht minder wie Ihr!«

»Bindet ihm auch die Füße!« rief Zetteritz.

Das letzte, was ich von Thekla vernahm, war ein Aufschluchzen und das Wort, an das ich lange mit heißer Dankbarkeit zurückdachte: »Er ist mein ehelicher Gatte!«

Wie ein Bündel, ohne daß ich Arme und Füße regen konnte, hatte man mich auf das Deck gelegt, wo scharrend die Rosse stunden, indes die Sonne mir wie zum Hohn gerade ins Gesicht schien, und die Soldaten schimpften: »Ins Wasser mit dem Landstörzer! Solch Gesindel bringt uns noch die Pest an Bord. Soll man sich mit unnützen Fressern[265] herumplagen? Und beißen will der Hund auch noch? Unsern Rittmeister anzugreifen! Na warte, du Knollfink!«

Der Korporal aber näherte sich mir, und wiewohl er zum Schein ein finster Gesicht machte, raunte er mir die tröstlichen Worte zu: »Ego tibi condoleo, nam et ego addictus sum Augustanae confessioni – will sehen, daß ich Euch freimache.«

»Gratias tibi ago!« raunte ich zurück, worauf sich der Korporal entfernte und hinunter zu Zetteritz ging.

Nach einem Weilchen kam Zetteritz mit dem Korporal an Deck und ließ drei Dragoner antreten. Mit gedämpfter Stimme sprach er zu ihnen. Drauf machten sich die drei Kerle an mich heran, und ehe ich ihr Vorhaben erraten konnte, hatten sie mich am Kopf gepackt und meinen Mund geknebelt, so daß ich nicht zu schreien vermochte. Drauf erscholl ein Hornsignal, die Ruderer stellten ihre Arbeit ein, und das Boot, mittels dessen unsere Gefangenschaft zustande gekommen, ward flott gemacht. Mich hub man ins Boot hinunter und legte die Ruder ein.

Eine Zögerung entstand noch dadurch, daß der Korporal, an Bord geblieben, den einen Soldaten zu sich heranrief und ihm etwas zuraunte.

Hierauf ruderten die Soldaten dem rechten Elbufer zu. Man wollte mich also von Thekla trennen, vielleicht gar umbringen. Das Boot fuhr auf den Sand, man packte mich, warf mich ans Ufer und wollte sogleich wieder wegrudern.

Doch der eine Soldat kehrte zu mir zurück und machte sich mit einem Messer über meine Fessel, als wolle er sie lösen.

»Zum Henker, was tust du?« rief ein andrer Soldat und kam heran. »Bist du des Teufels? Du willst den Rebellen befreien?«

»Wir können ihn doch nicht so hilflos liegen lassen« – antwortete der mitleidige Soldat kleinlaut.

Aber der andere stieß ihn rauh von mir weg und rief: »Auf der Stelle packe dich ins Boot!«[266]

Nun gingen die beiden, und bald hörte ich, wie das Boot wieder zum Kahn zurückkehrte, und wie dann nach einem neuen Hornsignal der Kahn weiter fuhr. Immer ferner, dumpfer erschollen die Ruderschläge, bis ich hülflos allein lag. Auf einmal fiel ein Schuß, und ihm folgten mehrere Schüsse. Es mußte zwischen dem Kahn und einer feindlichen Partei ein Gefecht entstanden sein. Indessen war es bald gänzlich still. Ich suchte meine Fesseln zu zerreißen und wälzte mich im Sande. Der Knebel im Munde erschwerte das Atmen, so daß ich Gefahr lief zu ersticken, insonderheit wenn die Empörung über mich kam. Bald lag ich erschöpft zum Sterben. Einmal kam es mir vor, als trabe in der Nähe ein Pferd. Die Dunkelheit brach herein, und nun traten Gesichte vor meine Seele, als solle ich mein ganzes Leben in dieser letzten Nacht noch einmal durchleben. Böses, das ich getan, ängstete mich wie umherflatternder Spuk. Nicht los werden konnte ich den Wahn, ich müsse jetzo für das büßen, was ich dem kaiserischen Soldaten Wenzel angetan. Wie er am Strande des Saaleflusses hatte liegen und stöhnen müssen, verzweifelt, weil er seine Kameraden an mich verraten sollte, so lag ich nun hier am rauschenden Strom hilflos und gefesselt, dem unerbittlichen Gebot des Schicksals untertan. Wenzels anklagende Augen waren auf mich gerichtet, ich hörte ihn mit einem Fingerzeig auf mich sprechen: »Der da hat's getan.« Nun erfüllte sich der Fluch, den damals Wenzel im Herzen gen mich geschleudert hatte. Bittere Zähren erpreßte mir die Reue, und ich dachte an meines Vaters Lehre, die Hölle sei kein äußerer Ort, sondern der unselige Zustand unseres Herzens, den wir uns selbst durch Torheit und Sünde bereiten. Oh, daß es mir gelänge, meine guten Geister zu sammeln, daß sie mich beschützten vor den höllischen Dämonen! Daß mich nur einmal noch das innere Himmelreich begnadete, sei es auch nur wie den Dürstenden Tautropfen laben! Da kam mir ein tröstlich Bild: Hoch ob den Talen des Riesengebirges war ich auf einmal[267] bei säuselnden Tannenwipfeln, auf die der blaue Himmel warmes Sonnengold herniedergoß. Hoch vom Felsen der Abendburg sah ich die blauen Wogen der Waldberge und die lichten Gefilde des fernen Tieflandes. Das alles war wie strahlende Augen und wie ein Jauchzen. Und ich flehte zum geheimnisvollen Born, aus dem alle Geschicke quellen: Oh, daß mich der verlorene Garten Eden noch einmal umfinge, und ich droben im Bergfrieden weilen dürfte!

Siehe, da stund mein Vater bei mir und sprach: »Gewährt ist dir dein Wunsch! Wirst zur Abendburg gelangen.« Dann zerflatterte das tröstliche Gesicht, die Sehnsucht nach dem Bergfrieden ward verscheucht, mich schauderte. Ein wiehernd Geschrei vernahm ich, wie von einem geängsteten Pferde. Bald darauf stampfte es im Galopp hinweg, dann heulten Wölfe. So sollte mir denn wohl das elende Los beschieden sein, von Raubtieren zerrissen zu werden. Doch diese Sorge spornte meine Lebenskraft, von neuem wälzte ich mich auf dem Sande, an meinen Fesseln reißend. Auf einmal fühlte ich an der Hand, die mit der andern auf meinem Rücken zusammengebunden war, einen Schmerz, wie von einem Schnitte, und meines Vaters Stimme sprach: »Greif zu!« Da hielt ich in den Fingern die Schale einer Muschel, wie sie häufig im Elbsande zu finden sind. Am Rande zerbrochen bildete sie eine Schneide, und mir kam der Gedanke, sie als Messer zu brauchen. Mühte mich nun, mit der einen Hand die scharfe Muschel an die Fessel zu bringen und daran zu sägen. Die halbe Nacht hatte ich so zu tun. Endlich nach einem verzweifelten Ruck sprengte ich den Rest der Fessel und konnte die Arme regen. Das erste war, daß ich mir den Knebel aus dem Munde nahm. Dann knüpfte ich die Fesseln auf, mit denen meine Füße gebunden waren, und war nun völlig frei. Halb abgestorben waren die Beine, und ich ward inne, wie bald ich des Todes gewesen wäre. Aber noch waren die Gefahren nicht vorüber. Von Zeit zu Zeit bellten und heulten die Wölfe ganz in der Nähe. Vielleicht,[268] so sagte ich mir, liegt dort vom Gefechte her ein toter Schwede, und weil dann gewiß auch Waffen dabei sind, wird es das Ratsamste sein, die Leiche aufzusuchen. Mit diesem Vorsatz erwartete ich den Tag.

Nachdem ich meinen Durst im Strome gelöscht und auch Sauerampfer gegessen hatte, suchte ich im Morgengrauen Waffen wider die Wölfe. In den linken Arm nahm ich ein paar faustgroße Steine und hielt eine harte Baumwurzel in Bereitschaft, die ich als Keule verwenden wollte. Nun beschlich ich die Wölfe, es waren zween, sie fraßen an einem menschlichen Leichnam. Ich warf einen Stein so gut, daß der eine aufheulend zur Seite sprang und mit eingezogenem Schwanz sich trollte. Der andere fletschte die Zähne und sträubte die Rückenborsten. Ohne Zaudern schritt ich auf ihn los, und wie er sich zum Sprunge duckte, traf ihn mein zweiter Stein, gleich darauf auch ein Keulenhieb. Davon brach die Vorderpfote, ihm blieb nichts übrig, als zu kämpfen. Fletschend und schnappend hinkte er auf mich los. Ich aber hatte wieder einen Stein aufgehoben und traf so wuchtig die Schnauze, daß er umfiel und nicht mehr jappte.

Nun wandte ich mich dem toten Menschen zu. Der bildete eine unförmige Masse von zernagten Gliedern. Ich zog Gewänder und Stiefel ab und reinigte sie im Wasser. Die Kleidung war von fürnehmer Art. Zum Trocknen breitete ich sie in die Morgensonne. Besonders willkommen waren mir die Waffen des Toten, ein Karbiner, auch Munition, ein Pistol und ein Stoßdegen, dazu ein Beutel mit einer ansehnlichen Summe Geldes. Schließlich kam mir noch der Federhut zustatten. Bald hatte ich meine geringe Kleidung mit der neuen Montur vertauscht. Nachdem ich die Schärpe mit dem Degen umgehängt, Karbiner und Pistol geladen hatte, war ich bemüht, das entlaufene Roß des Toten auszuspähen und verfolgte eine Stunde lang die Stapfen, so kreuz und quer in der Gegend gingen. Auf einmal waren sie tief in den Boden gestampft und führten schnurgerade[269] aus. Weil nun dabei auch Wolfsspuren waren, so zog ich den Schluß, die Raubtiere würden das Pferd gänzlich verjagt haben. Das war nun freilich ein großer Verlust, nachdem ich schon gehofft hatte, durch Aneignung des Pferdes den Kahn einzuholen, der mein Weib entführte. Mit Zähneknirschen gestund ich mir, daß ich zu Fuße dem Zetteritz nicht zu folgen vermöchte; mutlos warf ich mich ins Gras.


Nur das eine Ziel gab es jetzo für mich: die verlorene Eheliebste wieder zu gewinnen. Es fiel mir bei, daß Zetteritz zu Thekla die Äußerung getan: »Weibsröcke führen wir halt nicht; da muß Sie schon warten, bis wir in Güstrow sind«. Hieraus entnahm ich, daß Zetteritz nach der Stadt Güstrow wolle; beschloß also unverzüglich dorthin aufzubrechen und mir baldigst ein Reisepferd anzuschaffen. Aus meinem Magdeburger Schulunterricht wußte ich, daß Güstrow gen Mitternacht in Mechelnburg gelegen. Wanderte also längs der Elbe, so daß die Morgensonne meine rechte Wange beschien. Mittag war's, als mir ein breiter Fluß in die Quere kam, der in die Elbe mündete. Von einem Fährmann, der hier hausete, vernahm ich, es sei die Havel. Um Geld erhielt ich Wegzehrung und ließ mich übersetzen. Im Dorfe drüben gingen mir die Leute scheu aus dem Wege. Doch mein freundlicher Zuruf lockte einen Bauernknecht herbei, und auf meine Frage nach einem Pferd erhielt ich von ihm den Bescheid, seines Vaters Bruder habe ein herrenlos Soldatenroß in seinem Stall geborgen; das werde käuflich zu haben sein. Der Bauer, zu dem wir gingen, wollte anfangs nichts von einem eingefangenen Rosse wissen, ward aber gefügig, sobald ich aus meinem Geldbeutel eine gute Summe herfürholte. Nachdem das Tier gut gefüttert, auch mit Zaum und Sattelzeug versehen war, schwang ich mich hoffnungsvoll hinauf und trabte auf die Stadt Pritzwalk los, die ich noch vor Abend erreichte. Wiewohl zum Umfallen[270] erschöpft, begnügte ich mich mit kurzer Rast und legte noch etliche Meilen zurück, bis ich bei Nacht zu einem Städtlein gelangte, an einem großen See gelegen. Hier pochte ich einen Wirt heraus, ließ mein Pferd einstellen, aß und trank, legte mich und schlief wie ein Stein. In sonniger Maienfrühe ging es weiter, und bereits mittags langte ich am Ziel, in der Mechelnburgischen Residenz Güstrow an. Im nächsten Gasthaus stieg ich ab, und auf meine scheinbar gleichgültige, doch mit Herzklopfen getane Frage, ob kaiserisch Volk hier sei, erfuhr ich, vor fünf Tagen seien hier allerdings Dragoner im Quartier gewesen, aber nur eine Nacht, auf dem Rückzuge vor dem anmarschierenden Schweden. Ich forschte nun behutsam weiter, ob etwan ein Rittmeister namens Zetteritz in Güstrow erwartet werde. »Zetteritz?« versetzte der Wirt. »So hieß ja die adlige Frau, die von den Dragonern geleitet wurde und bei mir Losament hatte. Die ist aus Sorge vor dem Feinde nach Wittenberge gereiset – vor vier Tagen – ihrem Sohne entgegen – und der soll sie nach Magdeburg holen.« Ich hatte Mühe, meinen Schrecken über diese Enttäuschung zu verhehlen. Doch während ich der Hoffnung schon Valet sagte, kam der Wirt, der Rücksprache mit seinem Knecht genommen hatte, wieder zu mir. »Mein Krischan hier will vernommen haben, Frau Zetteritz sei zu ihrem Schwäher nach Rostock gereist, an dessen Verteidigung ihr Sohn, ein Offizier, mitzuwirken habe.« Ich atmete auf, wandte mich sogleich an den Knecht und erhielt aus seinem Munde in glaubhafter Weise diese Auskunft. Nach Rostock also! Unverzüglich und mit verhängtem Zügel trabte ich gen Schwaan und erreichte dies Städtchen, an der Warnow gelegen, nach wenigen Stunden. Ließ mich über den Fluß setzen und begrüßte nach einem mehrstündigen scharfen Ritte von einer Anhöhe die Rostocker Türme.

Zugleich aber sah ich drei bewaffnete Reiter mir entgegentraben, lenkte daher mein Pferd flugs vom Wege ab, hinter Gebüschen mich zu bergen. Doch bemerkt hatten mich die[271] Reiter, und ich gebrauchte die Sporen. Ein Schuß krachte hinter mir, die Kugel hörte ich sausen, und nun hub ein Wettrennen an. Mein gutes Pferd blieb im Vorteil, und ein Buchenwald kam mir zustatten, zwischen dessen hohen Stämmen sich reiten ließ. Als ich darin einen Weg fand, verfolgte ich ihn, die sinkende Sonne zur Linken. Damit die Verfolger meine Fährte verlieren sollten, bog ich vom Wege ab, wo der Waldboden mit welkem Laube bedeckt war, ritt einen Bogen und kam dann wieder auf den Weg. Als der Wald aufhörte und vor mir ein kahler Hügel lag, wollte ich mein Tier verschnaufen lassen, stieg ab und band es an einen Baum. Seltsam war's, daß ich ein Brausen vernahm, wie Waldesbrausen, indessen doch kein Wind ging. Auf den Hügel stieg ich nun und nahm mit Staunen wahr, daß vor mir ein endlos Gewässer lag, die See. Wolkenballen schwebten darüber, angeglüht von der Sonne, die zur Linken unterging. Wellen rollten zum Strande und warfen sich rauschend auf den Sand, eine nach der andern. Im Anschauen vergaß ich der Gefahr, die mich soeben bedräuet hatte. Klein war ich vor diesem riesenhaften Wogewesen, und mir fiel bei, was mein seliger Vater gesagt hatte, als ich zum ersten Male das Schlesische Gebirge von ferne sah: »Willst du Gott schauen, so vergiß nicht die Berge, und nicht das Meer.«

Doch ich durfte nicht verweilen, weil es galt, meine Eheliebste zu suchen und womöglich noch vor Nacht Rostock zu erreichen. Kehrte also zum Pferde zurück, das sich inzwischen an Gras und Läublein gütlich getan, lobte und streichelte es und schwang mich aufs neue in den Sattel. Ich wollte längs des Strandes zur Warnowmündung reiten und mich von einem Schiffer nach Rostock fahren lassen. Wie ich nun vom Hügel hinunter will, ist da ein Abhang, und ich muß daran entlang reiten, bis sich quer eine Schlucht auftut. Mein Pferd strebt die Schlucht hinunter, stolpert aber und stürzt so unglücklich, daß ich mit dem linken Bein unter seinen Körper komme, vermeinend, das Bein sei mir gebrochen.[272] Das Tier sprang wieder auf, ich aber blieb liegen, da ich das Bein nicht brauchen konnte. Daß mir die Weile nicht lang ward, dafür sorgte mein Gliederweh. Das Pferd stund geduldig in meiner Nähe und wieherte manchmal. Ich wünschte, daß es zu mir käme, weil ich hoffte, mich an ihm aufzurichten und vielleicht gar in den Sattel zu gelangen. Doch wie ich auch lockte und schnalzte, es kam nicht. Schon war der Abendglanz an den Wolken verglommen und die Dämmerung brach herein, als ich eines Mannes gewahr wurde, der am Strande ging. Wie ich um Hilfe schrie, stutzte er, kam dann zögernd näher und rief mir zu: »Wer da? Schwed oder Kaiserischer?« Zur Antwort gab ich, daß ich ein Reisender und mit meinem Pferde gestürzt sei. Der Mann, dem Aussehen nach ein Knecht, war anfangs mißtrauisch. Als ich ihm aber guten Lohn für Beistand versprach, holte er mein Pferd, richtete mich auf, daß ich auf mein heiles Bein zu stehen kam, und hub mich in den Sattel. Am Zügel führte er das Pferd über die sandige Düne zu einem Bauernhof, so zwischen Büschen versteckt lag.

Bellende Hunde kamen gesprungen, und auf der Schwelle des Wohnhauses erschien ein bärtiger, martialischer Mann, halb wie ein Soldat, halb wie ein Bauer gekleidet. Der Knecht berichtete ihm, wie er mich gefunden habe, und ich bat den Herrn Rittmeister, wie ihn der Knecht nannte, mich aufzunehmen. Da ordnete dieser an, es solle mir in der Scheune ein Lager aus Stroh und Wolldecken bereitet werden. Als man mich darauf gebettet hatte, betastete der Rittmeister mein Bein und sagte, ich habe mir einen Bruch des Knochens zugezogen und werde wohl wochenlang liegen müssen. Mir war nicht anders, als höre ich mein Todesurtel. Denn nun war die Möglichkeit, Thekla wiederzufinden, völlig dahin, und ohne meine Liebste deuchte mich die Welt ein leeres Nichts. Die Trauer machte mich so schweigsam, daß mein Wirt auf seine Fragen nur einen kargen und wirren Bescheid erhielt. Das hinderte ihn nicht,[273] meine geschwollenen Gelenke mit nassen Linnen zu kühlen und den Bruch mit einer festen Hülle zu umgeben, wobei er äußerte, als alter Soldat habe er dem Feldscher etliches von seiner Kunst abgesehen. Wenig Schlummer fand ich, unaufhörlich raunete mir die Sorge zu, wie Thekla weiter und weiter entführt, und ihre Spur immer mehr verwischt werde. In meiner Hilflosigkeit schluchzete ich, daß mein Wirt es im Hause hörte. Er kam, schalt gutmütig und sagte, ich solle ihm offenbaren, was mich bekümmere. Da er alsdann meine Geschichte vernommen, war er gerührt und erbot sich, sofort nach dem Schwäher der Frau Zetteritz in Rostock zu forschen. Ferner tat er mir wohl, indem er mich aus der Scheune ins Wohnhaus bringen ließ und mir ein Gemach einräumte. Hier lernte ich die Frau Rittmeister kennen, ein großes, starkes Weib. Sie labte mich mit Trank und Speise, hörte teilnehmend meine Geschichte und gab mir den Trost, ich werde schließlich doch noch meine Eheliebste ausfindig machen; das Leben werde man ihr ja nicht gleich nehmen, ich müsse nur Geduld haben. Andern Tages tat mein Wirt die Reise nach Rostock und blieb eine ganze Woche aus. Doch keine frohe Kunde brachte er heim, nichts wußte man in Rostock, nichts auf den umliegenden Höfen von einem Schwäher der Frau Zetteritz und einem kaiserlichen Offizier dieses Namens. So war ich denn darauf angewiesen, der Frau Rittmeister Mahnung zur Geduld zu beherzigen.

Eine seltsame Kurzweil ward mir in den Monden meiner Krankheit. Nach all der erlittenen Trübsal schien der Himmel mich aufheitern zu wollen, indem er etwas zum Lachen auftischte. Der Rittmeister, Schulte mit Namen, und sein Weib zeigten oft ein wunderlich Gebaren. Im polnischen Kriege hatte er Dienste getan und sein Weib geehelicht, das Marketenderin gewesen und ein gut Stück Geld zusammengebracht hatte. Diese Mitgift hatte ihn befähigt, den Hof zu kaufen. Er fand jedoch kein Gefallen am Bauernleben, zumal der Krieg in Mechelnburg ihn um sein reiches Gestüte gebracht[274] hatte. Am Soldatenleben hing immer noch sein Herz, und wenn er an seine Kriegsfahrten zurückdachte, geriet er derart in Eifer, daß er zum närrischsten Prahlhansen aufschwoll. Zum Exempel reichte er mir seinen Säbel und warf sich in die Brust: »Das ist die Waffe, die mir im polnischen Kriege große Ehre eingebracht hat. Ich wäre wohl ein reicher Mann, hätt' ich soviel Dukaten, als von meinem Säbel Tarternköpfe abgeflogen sind. Ich ward bei der köstlichen Klinge des Blutvergießens so gewohnt, daß ich oft mit meinen besten Freunden Händel anfing. Sie wußtens auch alle, drum schickten sie mich gern auf Rekognoszierung und Parteigängerei, nur daß sie im Quartier unbeschädigt blieben. Ja, Czernitzky hatte Glück, daß er mir aus den Händen entwischte; ich hatte ihm – soll mich der und jener – schon die Charpe vom Leibe weggehauen; doch man weiß wohl, was die polnischen Klepper vor Kröten sein, wie sie durchgehen. Sonsten hätt' es geheißen: Bruder, gib eine Tonne Goldes, oder ich haue dich, daß dir die Kaldaunen am Sattelknopf hängen bleiben. Ach, das war ein Leben! Drei Teutsche, sieben Polacken, zehn Kosaken, vierzehn Tartern und ein halb Schock Moskowiter dienten mir als Morgenbrot. Hätt' ich meinen Schecken, der mir leider unter dem Leibe weggeschossen ist, behalten können, ich gäbe zehntausend Taler darum. Er ging in einem Futter dreißig Meilen hin und her, und einmal, von einer ganzen Kompagnie Tartern umringt, sprengte ich über die Feinde hinweg, wobei mein Schecke seine Hinterbeine dem Rittmeister um die Ohren schlug. Was das Beste war, das Tier hatte Menschenverstand, es legte sich flugs auf die Streu zu mir und schlief die ganze Nacht mit. Hatte ich Met und Branntewein, das Pferd soff einen so tüchtigen Rausch wie ein Kerl. Ewig schade, daß es so liederlich hat draufgehen müssen und ich es nicht wenigstens ausstopfen gekonnt. Jawohl, es ist eine brave Sache um den Krieg, wenn einer Courage hat und weiß sie zu brauchen.« Wiewohl nun Schulte mit dem Munde[275] solch ein Held war, hatte doch tatsächlich seine Frau, wie man sagt, die Hosen an. Manchmal hörte ich in meinem Bette, wie sie ihrem Manne die Leviten las, daß das ganze Haus davon hallte. »Was? Du ehrvergessener Vogel willst wieder ausfliegen? Hättest mögen ein Landstörzer werden, so hättest dir lieber eine Zigeunerin aussuchen sollen, nicht mich. Jetzo aber bist du mein Mann, und ich habe dich mit meinem sauer verdienten Gelde in diesen Hof eingesetzt, daß du mir parierest – Potzregiment! Treib es nicht zu bunt! Sonsten machen meine Nägel mit deinem Gesichtsspiegel Kameradschaft.« Hier fiel der sonst so kriegerische Mann mit der allersanftesten Stimme in ihre Rede: »Ach herzliebste Frau, erzürne dich nicht um so geringe Sache! Soll ich daheim bleiben, so brauchst du es bloß zu sagen. Im guten sag es doch, tu deiner Gesundheit keinen solchen Schaden.« – »Laß dein Winseln, du Bettelhund!« fing sie wieder an; »bildest dir wohl gar ein, daß ich mir deinetwegen das Herze abfresse? Rede mir kein Wort dazwischen, sonsten wollen wir sehen, wer Herr im Hause. Wer anders hat dich denn zum Manne gemacht, als eben ich? Ein dürrer Tropf warst du, ein Schuldenmacher, vom Sauf- und Spielteufel besessen, ein prahlender Hanswurst. Ein fetter Gutsherr bist du worden durch meine Mitgift. Nun sei's auch recht, du eingemachter Eselskopf, und bleib mir fein zu Hause sitzen! Und damit du nicht hinwegschleichest zu deinen Kumpanen, so magst du heut und morgen deine Schuh und Strümpfe suchen.« Gleich darauf hörte ich die Türe zukrachen, Herrn Schulte aber kläglich murmeln.

Etliche Stunden nach diesem ehelichen Dialogo besuchte er mich, bloß Strümpfe an den Füßen, und diesmal war auf seinem Angesicht nichts von dem gemeiniglichen Heldenstolz verzeichnet. »Lieber Tielsch,« seufzete er, »wie heftig meine Eheliebste sein kann, wenn ihr körperlich Übel sie befällt, hat Er wohl vernommen. Er muß nämlich wissen, sie leidet an der Galle; im übrigen ist sie eine gute Seele, und[276] man darf ihr die zeitweilige Hitzigkeit nicht nachtragen. Ich mag sie in ihren Anfällen nicht obendrein reizen, denn ich habe Mitleid mit ihr, und unser Herrgott hat mir zwar die Kühnheit verliehen, Feinde niederzusäbeln, doch vor Göttinnen, wie Venus oder Juno, ist selbst der wilde Mars ein Lamm.« Begütigend stimmte ich meinem Wirte bei, und er war mir dankbar dafür. Bald darauf hörte ich aus dem Gespräch im Nebenzimmer, daß die Frau Rittmeister sich nicht allzu lange damit aufhielt, ihren Zorn zu kochen. Sie traktierte ihren Mann mit Koseworten und erlaubte ihm, den Ausgang zu tun, den sie zuvor versagt hatte.

Als er fort war, machte sie mir einen Besuch. Die beleibte Frau nahm im Sessel Platz, und aus dem Vollmondgesicht blickten die Äugelchen freundlich. »Der Herr hat mit angehört, daß es in diesem Hause, gleichermaßen wie im Himmelsgewölbe, zuweilen ein Wetter gibt. Das muß Er schon exküsieren; solch Wetter kommt aus dem Geblüt und hat wenig zu sagen. Diesmal hat mein Mann seinen saubern Kumpan, einen emeritierten Leutnant, besuchen wollen, und den mag ich nicht sonderlich leiden. Nahm daher meinem Mann das Schuhwerk weg, daß er daheim bliebe. Doch mein Zorn ist wie ein Hagelwetter; rasch vorüber geht's, und dann scheint die Sonne. Mein Männchen hat mir versprochen, zur Nacht daheim zu sein, und da hab ich ihm seine Schuh gegeben.« Ich fand das ganz in Ordnung, erlaubte mir aber die Frage: »Nichts für ungut, ehrsame Frau Rittmeister! Wie kommt es nur, daß Ihr Eheherr, eine so heroische Natur, sanfter als ein Lamm ist, wenn Ihr ihm entgegentretet?« – »Ha, das will ich Ihm erzählen,« schmunzelte die Frau. »Wir haben gleich am ersten Tage unserer Ehe durch einen Zweikampf entschieden, wer das Kommando hat.« – »Zweikampf?« staunete ich. »Allerdings!« versetzte sie. »Höret zu! Wir waren also ein neugebacken Paar, hatten die erste Nacht zusammen im Rittmeisterzelte verbracht, und das Frührot lugte herein. Da ruft mein Mann seinen Kommißjungen,[277] der soll einen Prügel beschaffen. Der Junge geht, und da ich mir einbilde, der arme Schelm solle die Schläge bekommen, so bitte ich für ihn. Mein Hochzeiter aber spricht: ›Nicht für ihn sind die Prügel. Meine Liebste weiß ja, daß jedermann im Regiment prophezeiet, Sie werde die Hosen tragen. So aber soll es bei uns nicht sein. Drum will ich Ihr beizeiten mit dem Prügel weisen, wer dem andern über ist.‹ Indem kommt der Junge und legt mit verschmitztem Lächeln den Prügel auf den Tisch. Wie er wieder hinausgeht, merke ich, daß vor dem Zelte ein paar Offiziere lauschen, von meinem Hochzeiter hinbestellt, auf daß sie Zeugen seien, wie er seine Frau zum Gehorsam ziehe. Da geht mir meine Galle über, und wahrlich alsdann ist mit mir nicht gut Kirschen essen. Ehe sichs mein Mann versieht, habe ich den Prügel erfaßt und wische ihm eins über den Kopf, daß er dürmelt wie ein geschlagener Ochs. Beim Kragen schmeiß ich ihn zum Zelt hinaus, daß er lang hinschlägt und als ein Betäubter von seinen Kameraden mit Wasser wieder zu sich selbst gebracht werden muß. Ja, ja, so bin ich, und so hab ich meinen Mann gekirrt, daß er seitdem meinen Widerspruch, wo ich ihn für gut befinde, mit gebührender Sanftmütigkeit entgegennimmt.«

Diese Geschichte hatte für mich das Gute, daß ich nach einer langen Zeit des Grams wieder einmal empfand, was lachen heißt, und vom Hinstarren auf mein trüb Geschick abgelenket ward. Mit meinem Beinschaden ging es aber so schlecht, daß sich die Entzündung steigerte. Rittmeister Schulte holte einen Wundarzt aus Rostock, der schnitt an mir herum und stellte die Prognose, daß ich vor Herbst das Bein nicht werde brauchen können. In der Tat, erst als der rauhe Wind das verblichene Laub von den Bäumen riß, konnte ich humpeln. Wie dann mein Fußgelenk hinreichend erstarkt war, besuchte ich die Stelle, wo mein Pferd zu Fall gekommen.

Um die See zu betrachten und dabei meinen Gedanken[278] nachzuhängen, setzte ich mich auf einen der großen Steine, die hier lagen. Über den Sand zu meinen Füßen spülte die Welle, floß dann zurück und schlug mit der nächsten Welle schäumend zusammen. Und es war das Heer von schwarzen, schäumenden Wellen anzuschauen wie ein Volk von Eisenrittern, gekrönt mit weißen Federn, zum Kampfe heransprengend. Seltsamer Kampf, ohne Ziel, ohne Sinn! Mein Auge starrte dorthin, wo Meer und Himmel sich berühren. Und sieh, auf der düstern Schneide unter finstern Wolkenballen schwebete ein Segel. Du armer Kahn, auf den Wogen wankend, bist du ein Bildnis meiner Liebe. Ins Ungewisse treibst du dahin, und wie rasch haben Sturm, Woge, Klippe dich zertrümmert. Alsdann aber, ach wofür ist dann mein Kämpfen gewesen? Ist es nicht umsonst, wie dies Branden der Flut wider den Strand? Und lohnt es sich, nach dem Scheitern meiner Hoffnung noch länger dies wüste Spiel des Lebens zu treiben, all das grausige Streiten, Blut, Angst und Schuld weiter auf mich zu nehmen? – Ein Auge fühlte ich auf mir ruhen, und mit einem süßen Schauder vermeinete ich zuerst, Thekla betrachte mich mit dem Blicke, den sie mir in der Gefangenschaft gespendet. Dann aber sah ich, daß aus dem Gewölk der Abendstern winkete, den sie auch den Stern der Meere heißen.


Ach Liebe, daß du wankest auf den Wogen,

Ein morscher Kahn,

Zerfetzt das Segel, steuerlos gezogen

Auf Nebelbahn.


Des Tages Herz ist blutig hingesunken

In düstre See.

Wo bist du, armer Kahn? Zerschellt, ertrunken?

Ach Lieb, ade!


Nun will auch ich hintaumeln und versinken

In feuchte Gruft.

Doch warnt ein Stern, der Meere Stern, mit Winken

Aus blauem Duft:
[279]

»Nur Unrast wirf hinab, die eiteln Sorgen

Der wüsten Welt!

Dein Lieben gib empor! Es sei geborgen

Im Sternenzelt!


Was in der Zeiten Brandung ging verloren,

Muß nichtig sein.

Ein Herz allein, dir liebend eingeboren,

Bleibt ewig dein.


Und schlug es auch an deinem nur für Stunden,

Doch Reim bei Reim

Seid ihr dem Chor der Seligkeit verbunden

Und seid daheim.«
[280]

Quelle:
Bruno Wille: Die Abendburg. Jena 1909, S. 252-281.
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