Studentle der Hexerei

[67] Kind einer Großstadt, hatte ich Dorfleben immer nur in den Ferien und auf Spaziergängen kennen gelernt, also bei Gelegenheiten, die der Erholung dienen. Kein Wunder, daß ich mit dem schwäbischen Dorfe, wo ich wohnhaft geworden war, die Vorstellung verband, es komme hier hauptsächlich auf Naturschwärmerei an. Sah ich die Wiesen mit den Obstbäumen, die ländlichen Gärtchen oder auch nur blühendes Gestäude am staubigen Wege, sah ich die Enten zum Goldersbach watscheln und vernahm ich das Muhen von Nachbars Kuh, so ging mir gleich das Herz auf, und ein Glück glaubte ich zu versäumen, wenn ich nicht der Lockung zum Idyll Folge leistete.

Begünstigt von der Ländlichkeit, der ich ergeben war, schoß jenes Benehmen ins Kraut, das den sogenannten Flegeljahren eigentümlich ist. Der Umgang mit anderen Halbwüchsigen trug auch dazu bei. Wohl hätte der ältere und sehr verständige Schmidt erziehlich auf mich einwirken können; aber sein gesetztes Wesen war mir bald langweilig, und es verdroß mich, daß mir von den Eltern immer seine Bravheit vorgehalten wurde. Das einzig Flotte, das er hatte, sein Fechten, verlor den Reiz, als wir einander unsere Finten abgelernt hatten. Eine Störung war's auch, daß Enzio, wenn wir fochten, mit Verdrossenheit dabei stand, weil er wegen seiner kleinen Gestalt nicht mithalten konnte.[68]

Enzio gehörte keineswegs zu den Musterknaben. Immerhin kam er in der Schule leidlich vorwärts – er fürchtete seines Vaters Drohung: wenn er sitzen bleibe, müss' er Kaufmann werden. Das genügte seinem Ehrgeiz nicht, Student wollt' er werden. »Und was willst du studieren?« fragte ich. Stolz lautete die Antwort: »Staatskarriär!« – »Also Jura?« – »Iura et cameralia.« – »Was ist das, cameralia?« – »Dees sind die Koriehs, wo cameralia studiere, Grafe ond Millionär. Ond du, Bruno? Waas willscht du studiere, he?« – »Ich, oh! Mein Vater rät zur Theologie – aber im Puppentheater hab' ich den Doktor Faust gesehn – der hat alles mögliche zusammenstudiert. Und leider auch Theologie! hat er gesagt. Auch ich kann mir nicht denken, daß an der Theologie viel dran ist. Na ja, ein Landpastor lebt gemütlich, sein Garten könnte mich schon locken. Aber die vielen Kirchenlieder, die man sich einpauken muß, und der Katechismus, so was ist furchtbar langweilig.« – »Dees scho! Naa wirscht halt Philosophie studiere, gelt? Der Doktor Fauscht war e Philosoph!« – »Nein, die Philosophie hat ihm auch nicht gepaßt. Drum hab' ich mich der Magie ergeben, sagt er ja. Und Magie, siehst du, die möcht' ich auch studieren. Schade, daß man's auf den heutigen Universitäten nicht mehr kann, wie in der guten alten Zeit, wo es noch Ritter und Hexen gab.«

»Aber waas tut mr denn mit der Magie? Kann mr davon gut lebe?« – »Und ob! Magie ist einfach Hexerei – und wenn ich hexen kann, hexe ich mir gradezu her, was ich wünsche.« – »Aber zaubern kann heuer kein Mensch mehr – verlernt hat mr dees!« – »Verboten hat man's,« sagte ich; »die Theologie hat schuld, die ist giftig auf die Zauberei. Luther sagt im Katechismus: wir sollen nicht fluchen, schwören, zaubern! Ich finde das kurios. Meine Mutter sagt: Fluchen tun ordinäre Leute, das schickt sich nicht. Aber wenn ich Donnerwetter sage oder[69] Verflucht und zugenäht, das sind einfach derbe Redensarten, sie tun doch keinem was. Warum machen nun die Theologen aus der Mücke einen Elefanten? möcht' ich wissen. Und wie steht's denn mit dem Schwören? Warum soll das eine Sünde sein? Wenn doch, jeder, der als Zeuge vor Gericht kommt, schwören muß! Na also! Nun kommen wir zum Zaubern. Das soll auf einer Stufe stehen mit Lügen und Betrügen? Unsinn! Die Zauberbuden auf den Jahrmärkten sind meine Schwärmerei, und dagegen hat sogar die Polizei nichts. Ich selber zaubere mit meinem Zauberkasten, den hat mir meine Großmutter zu Weihnachten geschenkt. Das ist doch kein Betrug! Und ich meine sogar: Jammerschade, daß ich nicht allen Ernstes zaubern kann! Kennst du das Märchen vom Knaben, der hexen lernen wollte?«

Sinnend meinte Enzio: »Wenn i hexe könnt, honderddausend Dukate tät i mir wünsche, besser no, daß mei Geldbeutel nimmer lär werde tät. Na hätt i ällweil Geld – ond wär e nobler Korieh mit roter Kapp, Samtjäckle ond Kanonestiefel, gelt?« – »Welches Kor trägt denn rote Kappen?« – »Suevia sei's Panier!« sagte Enzio prahlerisch und holte aus seiner Westentasche ein Stückchen Band schwarz-weiß-rot: »Mei Bändle ischt dees, ond älleweil bei mir han i's. Später trag i's om die Bruscht, ond als Renommierbursch stolzier i durch Tübinge – mit meim Reißebeiß!« – »Wer ist denn das?« – »Mei Hund heißt so, e kolossale Dogg, auf Mensche dressiert. Deescht e rechts Zauberviech – wie der Reißebeiß im Märle vom Metzgergsell – den hat der Reißebeiß begleitet auf seiner Wanderschaft – ond wie der Gsell in eine Räuberherberg graten ischt, wo ihn die Räuber hänt schlachte wolle, na hat der Reißebeiß die Räuber verrisse

Auf Räuber kam Enzio auch sonst gern zu sprechen; einmal deutete er nach einem Bergwalde: »Dort hinter Kirchetellinsfurt[70] hat's no richtige Räuber.« Ein zerlesenes Buch lieh er mir, es handelte vom Räuber Schinderhannes. Ich peitschte den Schmöker durch, habe indessen nichts davon behalten als eine spannende Szene – im allgemeinen fand ich diese Geschichte verworren und wüst.

Neuerdings hatte sich Enzio einem rotköpfigen Realschüler angeschlossen, der auch in Lustnau wohnte. Auf Obst und süße Erbsenschoten waren diese zwei erpicht, ohne den Unterschied von mein und dein sonderlich zu achten. Sie hatten am Pfrondorfer Berge gelbe Rüben gemaust, und meine Tasche war prall von Fallobst, das ich in kindlichem Sammeleifer aufgelesen hatte. Da sah ich, wie der Feldhüter geduckt heranschlich. Gleich darauf kratzten meine Gefährten aus, und ich langbeinig wie ein Hase hinterdrein, schnurstracks immer bergab – Steinhaufen übersprang ich, durch Gebüsche brach ich, eine Gewandtheit entwickelnd, die ich mir bisher nicht zugetraut. Bald war ich außer Gefahr und wieder vereint mit den nicht minder leichtfüßigen Spießgesellen.

Nun bargen wir uns in einer Grube, die zum Flachsrösten hergerichtet war. Die Aschenreste brachten uns auf den Einfall, hier ein Feuer zu machen. Als das zusammengesuchte Holz flackerte, schlug Enzio vor, Frühkartoffeln zu rösten, und wollte sie mausen. Hieran mochte ich mich nicht beteiligen, übernahm es aber, das Feuer zu unterhalten, während die anderen gingen. Als ich neuen Reisig zusammengesucht hatte und behaglich die qualmende Glut nährte, stand auf einmal ein bäurisches Weib bei mir und überschüttete mich mit Entrüstung. Wie sie gar mit ihrer Hacke auf mich losging, zog ich es vor, Fersengeld zu geben. »Fuirlesmacher!« hatte mich das Weib geschimpft, und als ich andern Tags durchs Dorf ging, riefen die Kinder hinter mir her: »Fuirlesmacher!« Anfangs war ich in Sorge, meine Schandtat[71] könne dem Naso kund werden. Doch hatte sie keine andere Folge, als daß ich hinfort bei der Lustnauer Jugend der Fuirlesmacher hieß.

Solch wilde Geschichten wechselten mit Erlebnissen von sanfter Schönheit. In der Richtung nach Bebenhausen streifte ich gern, längs des rauschenden Baches, wo Forellen schlüpften. Ueber die großen Klettenblätter des Ufers erhob sich wallender Weizen, Mohn und Flachs. Das ganze Talgelände ein einziger Obstgarten. Manche Apfelbäume derart mit Frucht beladen, daß die hängenden Aeste ein Dutzend Stützen nötig hatten. Die Wiesen strotzten von Halmen und hochgeschossenem Kraut. Falter gaukelten über die bunten Blumen, Hummeln summten, vom Feldrain schwirrten Grashüpfer, so zahlreich, daß sie förmliche Wölkchen bildeten.

Vater, der mich gern auf seine Spaziergänge mitnahm, fand im Naturgenuß einzig ungetrübtes Lebensglück. Er machte mich mit der Vogelwelt bekannt, wußte mit seinem einen Auge Erdbeeren zu entdecken und zeigte mir schmackhafte oder heilkräftige Kräuter. Am Saum der Wälder, die auf den Höhen beiderseits des Goldersbaches säuselten, fand er Haselsträucher und freute sich der Nüsse, wenn sie auch noch nicht reif waren. Das lebhafteste Behagen widmete er den Pilzen, von denen die Buchen- und Nadelwälder wimmelten.

Ging ich allein in die Landschaft, gab ich mich weniger dem Ausnutzen der Natur hin, was Vaters Spezialität war, als dem Träumen und einem Umherschweifen, das bloß der Stimmung folgte. Ich konnte mich derart an die Dinge verlieren, daß ich mein Alltagsdasein vergaß und geradezu in einer andern Welt lebte. Einmal hatte ich den Goldersbach aufwärts verfolgt, war hinter dem Kirnbache abgebogen, in einen domartigen Wald. Die Säulen waren dicke Buchenstämme, hart wie grauer Stein.[72] Die Wurzeln überkrustete Moos, Efeu rankte zum Gezweig empor. Den steil abfallenden Boden deckte braunes Laub, und wo die Sonne durchs grüne Dach lugte, hatten sich Gewächse angesiedelt, lila Glockenblumen, Waldmeister und zarte gelbe Blüten. Nahe dem Berggipfel war ein Gewimmel starrender Felsen, zwischen denen Farne ihre grünen Wedel breiteten. Als ich auf bemoostem Blocke saß, war mir's, als rege er sich, und ich wurde die Vorstellung nicht los, diese Felsen seien eines Ritters Reisige, von einem Zauber versteinert. Den verwunschenen Ritter entdeckte ich in Gestalt eines hoch über den Wipfeln kreisenden Raubvogels. In einem Banne hielt mich die Träumerei, so daß ich mir selber schier versteinert vorkam und mit diesem Walde verwachsen. Als unweit eine Ringelnatter in der Sonne lag, beobachtete ich sie, ohne mich zu regen, und glaubte, sie werde mir wunderbare Heimlichkeit offenbaren, etwa ein Krönlein aus einem Loche holen oder ein Kraut pflücken, mit dem man die versteinerten Ritter nur zu berühren brauche, um sie wieder zum Leben zu erwecken.

An einem strahlenden Sonntagmorgen hatte ich einen Abstecher ins Neckartal gemacht und am Fuße eines Waldberges die Blaulach gefunden, einen langgestreckten Sumpf, von Rohr umflüstert. Durch diese Wildnis führte ein bretterner Steg, und auf das vorspringende Ende setzte ich mich, ins Wasser zu starren. Es fesselte durch seine dunkelblaue Farbe, mit breiten Flächen grüner Linsen bedeckt. Geheimnisvoll war eine Stelle, wo der Wasserspiegel Perlmutterglanz hatte, ein grünblaues und lilarotes Schillern. Ein Zauber muß hier im Spiel sein, dachte ich. Aus der Wassertiefe kommt das bunte Flimmern, drunten haben die Seejungfern ihr Schloß von Kristall, und wenn's für gewöhnlich unsichtbar bleibt, so bin ich doch vielleicht ein Sonntagskind, weil ich Nixen und Elfen so gern habe und mich sehne,[73] das Zaubern von ihnen zu lernen. Libellen kamen geschwirrt und zitterten wie Hauch über duftigen Wasserdolden – ich bestaunte den blauen, biegsamen Leib, die langen Flügel, wie aus Glas gesponnen. Und nun tauchte aus dem Wasser ein buntes Entlein, schwamm näher, mit munteren Aeuglein mich betrachtend. Mein Herz pochte, da die ersehnte Zauberwelt fast greifbar war. Ich brauchte dem Entlein nur ein magisch Reimlein zu sagen und durfte dann mit ihm hinabtauchen zum gläsernen Schlosse. Sagt nicht die Bibel, man könne Berge versetzen, brauche nur an die eigene Kraft zu glauben? – Und ich reimte:


»Blaulach-Entle,

Du Wasserfei!

Bin ein Studentle

Der Hexerei!«


Aber die Ente tauchte blitzschnell unter, weil ich eine Armbewegung gemacht hatte. Dafür regte sich etwas in einer braungelben Masse, die zwischen den Wasserlinsen schwamm: ein dickköpfiger Frosch kroch aufs breite Blatt der Seerose und meckerte fettes Spottgelächter: »Na – a – arr!« Und zerstoben war die schillernde Seifenblase der Träumerei – ganz gewöhnlich war auf einmal die Welt – es glühte die Sonne, eine Bremse stach mich, mein Magen knurrte.

Quelle:
Bruno Wille: Glasberg. Berlin [o. J.], S. 67-74.
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