Viertes Kapitel.
Ein Fund.

[84] Vor dem Dammthore bewohnte die Wittwe Öhlers mit ihrer erwachsenen Tochter Clara ein heiter gelegenes, von wohlgepflegten Rasenplätzen und dichten Hecken umschlossenes einfaches Haus. Diese Lage unmittelbar vor der Stadt und doch in der kühlen grünen Umarmung eines kleinen Parles vereinigte auf's angenehmste die Vorzüge des Stadtlebens mit dem freien Genuß ländlicher Einsamkeit und gestattete der noch rüstigen Frau, Sommer und Winter in dem ihr lieb gewordenen Hause zuzubringen.

Madame Öhlers war die Wittwe eines reichen Hamburger Kaufherren, der ihr bei seinem Tode ein großes Vermögen nebst einem blühenden Handelsgeschäft hinterlassen hatte. Die[85] Wittwe suchte nach dem Ableben ihres Mannes für die Fortführung dieses Geschäftes, das sie nicht selbst betreiben konnte, einen zuverlässigen Mann, der sich desselben annehmen sollte, und machte dies in mehreren weit verbreiteten Zeitungen bekannt. Dies geschah um jene Zeit, wo die Grafen von Boberstein und namentlich Adrian mit dem Plane umgingen, in Hamburg, als dem ersten Stapelplatz des norddeutschen Handels, ein eignes Handelshaus zu gründen, um mittelst desselben die Erzeugnisse ihrer Spinnerei mit größerem Gewinn wieder umsetzen zu können. Adrian zog genaue Erkundigungen über die Verhältnisse der Firma Öhlers ein, fand dieselben seinen Wünschen vollkommen entsprechend und machte der Wittwe den Vorschlag, das Geschäft käuflich an sich zu bringen. Man einigte sich in Kurzem über den Kaufpreis, über die Zahlungstermine und was sonst noch bei derartigen Veräußerungen festzustellen und zu berücksichtigen ist. Madame Öhlers war froh, eine große Sorge los zu sein, Adrian hatte unter verhältnißmäßig billigen Bedingungen ein in der großen Handelswelt accreditirtes Geschäft erhalten und konnte nunmehr mit bedeutendem Gewicht an der Börse[86] erscheinen. Ein Geschäftsführer, wie er ihn wünschte, war ebenfalls bald gefunden und somit die Angelegenheiten zweier Familien zu beiderseitiger Zufriedenheit geregelt.

Durch das Hin und Wider während der Geschäftsunterhandlungen hatte sich im Verkehr zwischen den Gebrüdern Boberstein oder, wie sie als speculirende Handelsherren sich consequent nannten, am Stein und der Familie Öhlers ein freundschaftliches, auf gegenseitige Achtung gegründetes Verhältniß ausgebildet. Als späterhin Aurel von England herüber kam, um als Rheder festen Fuß in Hamburg zu fassen, öffnete Madame Öhlers dem lebenslustigen Manne ihr gastfreies Haus. Clara, hübsch, jung und aufgeweckten Geistes, eine Meisterin auf dem Fortepiano, das sie leidenschaftlich gern spielte, war für Aurel ein fesselnder Magnet, wenn er auch keine ernstlichen Absichten auf das junge Mädchen hatte, was die Mutter laut, die Tochter vielleicht im Stillen wünschte.

Die Flatterhaftigkeit des jungen Kapitäns und sein Hang zu sinnlichen Ausschweifungen konnte den Frauen zwar nicht gar lange verborgen bleiben, allein es störte derselbe doch in keiner Weise[87] den freundschaftlichen Verkehr unter einander. Clara ärgerte sich freilich, so oft ihr wieder ein neuer toller Streich des in der Stadt umher schwärmenden Kapitäns zu Ohren kam, persönlich aber ward er ihr dadurch nur interessanter. Sie war nie freundlicher, zuvorkommender, liebenswürdiger, als wenn sie Aurel recht viele Jugendsünden zu vergeben hatte, und Aurel konnte wieder nie zarter dem jungen Mädchen begegnen, als nach wild durchtobten Nächten. An ein Verhältniß mit Clara oder gar an eine Heirath mit ihr dachte er nicht. Das hatte bei ihm noch lange Zeit; zuvor wollte er auf die lustigste und mannichfaltigste Weise sein Leben genießen. –

Clara hatte eben die singende Theemaschine auf den zierlichen Kohlenhalter gesetzt, um für sich und die Mutter das Frühstück zu bereiten, als der Bediente einen Brief überbrachte. Es war das Billet Aurels. Die Wittwe erbrach es und durchlas mit einigem Staunen die wenigen Zeilen. Sie las sie zwei- und dreimal und legte sie dann kopfschüttelnd neben sich auf's Sopha.

»Von Aurel?« fragte Clara neugierig, denn ihr scharfes Auge hatte das Wappen erkannt.[88]

»Von unserm abenteuerlustigen Kapitän,« erwiederte die Mutter mit ironischem Lächeln. »Der muntere Herr, scheint es, wird mit jedem Tage ausgelassener, ja kennte ich nicht bereits zur Genüge seine excentrischen barocken Einfälle, so würde ich das, was er mir in diesen Zeilen meldet, gradezu für eine Mystification halten.«

»Ja was gibt es denn?« fragte mit schlechtverhehltem Ärger die Tochter, indem ihre vollen runden Wangen im Feuer der Eifersucht erglühten. »Hat Aurel einen dummen Streich gemacht?«

»Das wag' ich gegenwärtig noch nicht zu entscheiden, liebe Tochter. Höre, was mir der tolle Mensch schreibt.«

Madame Öhlers nahm den Brief wieder auf und las:


»Meine verehrteste Freundin!

Wenn Sie beim Lustwandeln irgendwo eine zarte Blume von wunderbarer Farbenpracht und süßem Duft gewahren, die eine frevelnde Hand absichtlich zerstören will, nicht wahr, dann schirmen Sie das bezaubernde Gewächs gegen boshafte Gewalt und bergen sie an Ihrem Busen? Ich habe durch Zufall heut[89] Abend eine solche Blume gefunden, ein junges Mädchen, weiß, zart, schlank, wie die Lilien in Ihrem Garten, bescheiden, wie ein Veilchen, sanft, gut und schuldlos, wie jedes unverdorbene Frauenherz. Dieses schöne, verlassene Mädchen entriß ich den Händen eines Wüthrichs, der ihr Vater zu sein vorgibt. Sie warf sich mit Freudenthränen vor mir nieder und wollte gar nicht mehr von mir lassen. Was war da zu thun? Ich versprach dem lieblichen Kinde Schutz und Pflege, aber in meine Kammer kann ich sie doch nicht nehmen! – Da dachte ich an Sie, meine treffliche Freundin, an Ihre Güte, Ihre sinnige Tiefe, Ihren schönen wohlthuenden Gleichmuth! Ich dachte auch an die gute liebe Clara und ihre Engelsstimme. Nicht wahr, Sie Beide, Mutter und Tochter, Sie können mir nicht abschlagen, bei einem verlassenen Mädchen so lange Mutter- und Schwesterstelle zu vertreten, bis – ja wie lange denn! Gott mag es wissen! Genug, machen Sie sich morgen vor Mittag auf einen Besuch gefaßt, der Sie überraschen wird, und vergeben Sie im voraus für solche Überrumpelung[90] und Erweiterung Ihres Familienkreises

Ihrem unermüdlichen Kreuzer

Aurel.«


»Was hältst Du davon, meine Tochter?«

Clara war noch weit ärgerlicher geworden. Sie kniff recht bitterböse den kleinen Mund zusammen und sagte, noch tiefer erröthend: »Ich finde das Verlangen des Herrn Kapitäns über Gebühr ungezogen. Uns ein stockfremdes, vielleicht gar gemeines Mädchen aus freien Stücken ins Haus zu schicken! Manchmal scheint es wirklich, als leide der gute Mann an Verstandesschwäche.«

»Verdamme ihn nicht, liebes Kind! Aus seinem Schreiben geht hervor, daß er eine gute That entweder gethan hat oder doch hat thun wollen. Dies müssen wir vor Allem ins Auge fassen und darüber das Ungewöhnliche seines Verlangens vergessen. Lassen wir uns immerhin das Mädchen vorstellen, dem unser wackerer Kapitän seinen Schutz zugesagt hat. Entspricht sie unsern Erwartungen, so kann sie bei uns bleiben und Dir eine liebe Gefährtin werden; sollte sie unsere gewohnte Ordnung stören, uns überhaupt[91] nicht gefallen, so wird es ja doch Mittel und Wege geben, für ein verlassenes Geschöpf auf anständige Weise zu sorgen.«

»Ich wette, daß es eine von den saubern Liebschaften des Herrn Kapitäns ist!« versetzte Clara, ein Stückchen geröstetes Weißbrod mit ihren Perlenzähnen zermalmend, um den aufkochenden Ärger besser verschlucken zu können. »Man kennt den Herrn von dieser Seite, und es wundert mich wirklich, liebe Mutter, daß Sie ihm noch nicht einmal recht tüchtig den Text gelesen haben. Sie könnten es am ersten, vor Ihnen hat er Respekt, und es ist doch wirklich gradezu ein Unglück und eine Schmach, daß ein so gescheidter, tüchtiger, liebenswürdiger junger Mann aus einer so alten und ehrwürdigen Familie sich und seine Ehre so ganz vergißt und wohl auch noch Andere obendrein compromittirt!«

»Auch die Sonne hat ihre Flecken, liebe Tochter,« sagte die Mutter sanft und gelassen. »Kapitän Aurel ist gut, nur etwas flatterhaft; und das ist für einen Mann von Geist und Herz kein gar zu arger Fehler. Überdies sagt man ihm mehr Schlimmes nach, als er verdient. Weil[92] er den Mädchen gefällt, verleumdet man ihn. Das ist so der Welt Lauf.«

»Er wird nie ein Mädchen glücklich machen! Welch Frauenherz soll auch einem solchen Wüstling vertrauen!«

»Jedes, mein Kind, glaube mir! Man hat zahllose Beispiele, daß solche überlustige Kumpane die besten, treuesten, zärtlichsten und aufmerksamsten Gatten geworden sind.«

»Es ist aber doch schlecht!«

»Man kann es nicht billigen, liebe Clara, allein man muß und darf es entschuldigen.«

»Ich sehe den Kapitän nicht mehr an, wenn er nicht ein ganz anderer Mensch wird.«

»Schwöre nicht darauf!« versetzte die Mutter lächelnd. »Man nennt uns nicht mit Unrecht das schwache Geschlecht. Ein Wort, ein Blick, eine Bitte versöhnt uns schneller, als wir glauben, und häufig sind grade die Fehler der Männer die scharfen Angelhaken, an denen wider Willen unsere Herzen hangen bleiben. Wir können wohl den Haß der Abwechselung wegen und um uns selbst zu genügen bisweilen versuchen, zur Meisterschaft bringen wir es in ihm nie. Auch aus dem geringsten unserer Blicke leuchtet[93] ein Versöhnungsfunke der vergebenden Liebe, die Gott in unser Herz gelegt hat! – Und was, mein Kind, was hat Dir der Kapitän gethan, daß Du so gar böse auf ihn bist?«

Clara seufzte, bückte sich, als suche sie etwas am Boden, und trocknete sich verstohlen die Thränen ab. Es war keine Frage, sie liebte Aurel. Die scharfsichtige Mutter bemerkte wohl die heftige Bewegung ihrer Tochter, sie ignorirte sie aber, da sie eine Neigung weder nähren noch unterdrücken wollte, von deren Reife sie sich noch nicht überzeugt hatte. Eben wollte sie das abgebrochene Gespräch wieder anknüpfen, da trat der Bediente ein und meldete Aurel.

Clara stand schnell auf und ging in's Nebenzimmer. Madame Öhlers gab Erlaubniß, den ungewöhnlich frühen Morgenbesuch einzulassen. –

Aurel war an diesem Morgen zeitig aufgestanden, hatte in größter Eile gefrühstückt und sich dann unverweilt auf den Weg nach Klütken-Hannes Keller gemacht. Der Eingang zur Kellertreppe stand bereits offen und war jetzt mit einigen abgetragenen, stellenweise schadhaften Kleidungsstücken behangen, um Kauflustige anzulocken.[94] Auf den obersten Stufen lagen Ringe, Schnallen, Ketten und andere Putzwaaren von unedlen Metallen in kleinen Körbchen zur Beschauung Vorübergehender bereit. Klütken-Hannes selbst saß am Fuß der Treppe auf einem wackeligen Rohrstuhle, rauchte aus kurzer Matrosenpfeife einen widerlich riechenden Tabak und schenkte sich aus einer schmutzigen Flasche in ein halbzerbrochenes Glas Genever, den er gierig hinunterstürzte. Sein freches, verthiertes Gesicht war aufgedunsen und verrieth an den röthlichblauen Flecken, die es schmückten, den Säufer von Profession. Eine ungeheure Warze auf dem linken Backen, zerrissen und in den weißlichgrauen Spalten mit starken Haaren bewachsen, vermehrte noch die thierische Rohheit, die sich in der ganzen Erscheinung des Trödlers aussprach.

Als sich der Raum unter der Treppe durch Aurels Eintritt verdunkelte, warf Klütken-Hannes einen schielenden Blick nach oben und goß sich dabei ein frisches Glas Genever in den breiten, von dem struppigen Bartwuchs einer Woche verunstalteten Mund.

»Aha, Sie sind's, Herr Kapitän,« redete er Aurel an, als er ihn erkannte, stand auf und[95] bemühte sich, ihn mit einer Art Compliment zu begrüßen. »Kann ich dienen? Echter Genever, scharf und heiß wie Feuer aus der Hölle! Ist zu brauchen bei solchem verfluchten Hundewetter!«

»Ich danke, Klütken-Hannes. Wie geht's Eurer Tochter?«

»Verteufelt gut, Herr Kapitän, aber ich will froh sein, wenn ich sie los bin! Seit Sie ihr den Kopf verdreht haben und ein vornehmes Fräulein aus ihr machen wollen, hört sie nicht mehr auf mich, die Wetterdirne!«

Der Trödler hatte inzwischen die Thür zum eigentlichen Keller geöffnet und forderte den Kapitän auf einzutreten. Elwire saß im Hintergrunde unter einem schief abfallenden Fenster, das nach dem Hofe hinausging und der unterirdischen Wohnung das einzige Licht gab. Sie war beschäftigt, einige Putzsachen, die sich auch die ärmsten Mädchen zu verschaffen wissen, in ein Bündel zusammenzupacken. Sie erwiederte den freundlichen Morgengruß Aurels durch eine stumme Verbeugung und ein hohes Erröthen, das selbst Nacken und Brust mit flüchtigem Purpur übergoß. Ihre Tracht war ärmlich, aber rein und[96] sauber. Ein Kleid von gestreiftem Kattun, hie und da schon geflickt, umhüllte Elwirens tadellose Glieder und trug durch seine Feinheit nur dazu bei, die herrlichen Formen des ungewöhnlich schönen Mädchens durchschimmern zu lassen. Ein kleiner Fuß, eine schmale schlanke Hand, obwohl von schwerer Arbeit gehärtet, zeichneten sie vor Hunderten ihrer Schwestern aus.

Aurel fand das Mädchen heut noch schöner, noch reizender, als am vergangenen Abend, und es reute ihn nicht, ein Wort gegeben zu haben, das ihm noch manche verdrießliche Stunde machen, zu mancher üblen Nachrede Anlaß werden konnte. Um Elwiren Muth einzuflößen, reichte er ihr brüderlich zutraulich die Hand und fragte sie, ob sie noch geneigt sei, heut wie gestern einen Freund und Beschützer in ihm erblicken zu wollen? Flüsternd bejahte Elwire diese Frage.

»Dann wollen wir uns einigen, Klütken-Hannes, und wo möglich im Guten. Was verlangt Ihr, wenn Ihr von Stund' an jeden Einfluß auf Elwire verlieren, wenn Ihr überhaupt Euch nicht im geringsten mehr um das Mädchen kümmern sollt?«[97]

»Herr Kapitän,« erwiederte der Trödler, »Kind bleibt immer Kind und Vater bleibt Vater, und wenn wir uns zusammen auch nicht immer zum Besten vertragen haben, so waren wir einander doch so zu sagen in's Herz gewachsen Nicht wahr, Elwire?«

Elwire seufzte und legte ein paar verschossene Schürzen auf ihrem kleinen Arbeitstischchen zusammen.

»Hören Sie's?« fuhr der Trödler fort. »Sie seufzt, daß ihr's Mieder knackt, wie lange wird's dauern, so fängt sie gar an zu heulen! O die Mädel und zumal die hübschen, die hängen an ihren Vätern mit einer Liebe, o mit einer Liebe –«

Den Schluß des Satzes verschluckte Klütken-Hannes zugleich mit einem frisch eingegossenen Glas Genever.

»Und also, sehen Sie, Herr Kapitän, das müssen Sie Alles mit einander, ich meine unsere Liebe und unsern Schmerz, – ja, das müssen Sie bezahlen – baar bezahlen!«

Der schnell genossene schwere Branntwein äußerte bereits seine Wirkungen auf den Trödler, was Aurel möglichste Beschleunigung seines[98] Geschäftes – denn ein solches war das zu treffende Abkommen – wünschenswerth machen mußte. Er hatte einen frechen, betrügerischen, herzlosen, jeder Schandthat fähigen Handelsmann vor sich, der nur auf seinen Nutzen bedacht war und jedes Mittel ergriff, wenn es nur zum Ziele führte.

»Klütken-Hannes,« versetzte Aurel, »erinnert Euch, daß Ihr gestern Abend bereits eine ansehnliche Summe von mir erhieltet. Diese will ich Euch schenken. Ihr könnt damit nach Belieben schalten und walten, könnt Euern Trödelkram vergrößern und besser ausstatten, könnt Euch einen wohnlicheren Keller miethen, oder die Summe, wenn Euch das mehr behagt, verjuxen –«

»Ja, verjuxen, mein' Seel', das ist's Beste! Verjuxen will ich tausend Mark, wenn ich sie erst habe! Nun, Herr Kapitän, wie ist's mit tausend Mark, he? Banko, versteht sich und in gutem alten Silber! Ist's nicht ein delikater Bissen für tausend Mark, wie? Noch keine achtzehn Jahr, weiß wie gefallener Schnee und schuldlos wie ein Gänschen! Mein' Seel', tausend Mark, 's ist ein Spottgeld!«

Aurels Blut kochte vor Wuth und Entrüstung,[99] aber er mußte den alten Sünder im Guten zu erhalten suchen, wenn er leichten Kaufes davon kommen wollte.

»Ihr kommt wieder auf Eure verruchten Sprünge, Klütken-Hannes, die in's Zuchthaus führen,« sagte er in ernstem Tone. »Ich will aus Rücksicht für Euer Kind die gottlosen Worte nicht gehört haben, die Ihr so eben ausstießt, und warne Euch nur, in diesem Tone nicht etwa fortzufahren!«

»Was da, Herr Kapitän, Handel ist Handel, und ob alte Lumpen oder frische junge Mädels, das ist all eins. Der Türke –«

»Ich hoffe, Ihr seid ein Christ, Klütken-Hannes.«

»So wahr es einen Gott im Himmel und einen Satan in der Hölle gibt!«

»Laßt uns also unsere Angelegenheit wie Christen beendigen. Gestern erhieltet Ihr an funfzig Mark Courant. Ich habe Euch gesagt, daß Ihr dieselben als Euer Eigenthum betrachten könnt. Wenn ich jetzt noch zweihundert Mark zulege, so glaube ich, wird dies vollkommen hinreichend sein, um Eure Helfershelferin, das schlechte Weib, das ich gestern hier traf, befriedigen[100] zu können und auch noch eine erkleckliche Summe übrig zu behalten.«

Der Trödler brummte mit unzufriedener Miene, goß sich abermals ein Glas Genever ein und stürzte es auf einen Schluck hinunter. Er taumelte vor Aurel hin und her, denn die ganze bisherige Unterredung war stehend geführt worden.

»Ist ein Preis für eine – puh, schämt Euch, Kapitän!«

»Zweihundert Mark, Klütken-Hannes! Bedenkt, daß Ihr für immer einer großen Sorge und Plage überhoben werdet und daß Euch Elwire keinen Stüber mehr kostet!«

»Oho, rechnen Sie die Thränen für nichts, Kapitän? Für nichts den Trennungsschmerz? Ich bin ein Vater, ich! Und ich habe auch ein Herz, ich, Herr Kapitän!«

Der halbtrunkene Trödelmann schwankte, die Flasche in der einen, das Glas in der andern Hand, während dieser großprahlerisch gesprochenen Worte von einem Bein auf's andere. Elwire faltete die Hände und sah mit stieren Augen, leichenblaß und vor Furcht und Scham zitternd, auf den entsetzlichen Vater.[101]

»Hier sind zweihundert Mark, Klütken-Hannes,« sagte Aurel, indem er eine strotzende Geldbörse, mit Gold und Silber gefüllt, hervorlangte, dem Trödler die Flasche entriß und die klingenden Münzen ihm in die Hand drückte. »Dafür hört Ihr auf, dieses Mädchen für Eure Tochter anzusehen; versprecht, Euch nie mehr um sie zu bekümmern, noch nach ihr zu fragen. Seid Ihr das Willens?«

»Ist mir bei allen Branntweinteufeln nicht möglich!« betheuerte der Trödler, eine wichtige Miene annehmend und sich mit der dicken, rauhen und häßlich behaarten Hand wiederholt auf die breite Brust schlagend, daß es dröhnte. »Ein Trinkgeld muß ich noch haben, sonst schick' ich zu Mutter Lievers und mein Töchterchen kehrt unter meine Zuchtruthe zurück!«

»Um Gottes willen, edler, großmüthiger Mann,« flehte Elwire, »geben Sie das nicht zu! Lieber will ich unter freiem Himmel liegen, will hungern und dürsten, als mich dem Willen jenes Weibes unterwerfen!«

»Da hören Sie's, Kapitän! Das Blitzmädel singt, treff' mich der Schlag, wie eine Drossel! Noch fünf und zwanzig Mark, und[102] das Vögelchen gehört Ihnen. Sie können's dann in einen silbernen oder goldenen Käfig stecken und ihm alle Federn einzeln ausrupfen, wird kein Hahn darüber krähen, sag' ich Ihnen!«

Aurel zog eine zweite Börse. Er fühlte, daß er seiner Entrüstung über die Scheußlichkeit dieses gänzlich verworfenen Menschen nicht mehr länger Meister werden könne, auch konnte er sich in die Lage des armen Mädchens versetzen, um das der eigene entmenschte Vater wie um ein Stück Schlachtvieh feilschte. Ruhig zählte er fünf und zwanzig Mark ab und warf sie dem Trödler verächtlich vor die Füße.

»Hier ist das Geld, mit dem Du Dir für immer den Eintritt zur ewigen Pein erkaufst, jetzt gib Raum, Klütken-Hannes, und sieh Dich vor, daß Du nie meine Wege kreuzest, sonst wehe Deinem Schädel!«

»Der Herr Kapitän haben nur zu befehlen,« erwiederte der Trödler mit grinsendem Lächeln, in dem sich die Freude über den abgeschlossenen Handel kund gab. Zugleich nahm er seine Kappe ab, kniete nach einigem Schwanken nieder und las die verstreuten Silberstücke zusammen,[103] die er sorgfältig nachzuzählen ungeachtet seines Rausches nicht vergaß.

Aurel hatte Elwire in seine Arme geschlossen, und indem er einen Kuß auf die kalte Stirn der Schluchzenden hauchte, sagte er gerührt: »Jetzt komm, armes, geduldiges Opferlamm! Nach so schweren Leiden soll Dich eine heitere Zukunft liebend umfangen.«

Während der Kapitän seinen Findling die schlüpfrige Kellertreppe hinaufgeleitete, fiel der matte Wiederschein eines zurückgeworfenen Sonnenstrahles auf die in Körbchen ausgestellten Schmucksachen. Die abgeputzten unedlen Metalle glitzerten wie das reinste Gold und veranlaßten durch ihr trügerisches Glänzen, daß Aurel beim Vorübergehen einen Blick auf das flimmernde Durcheinander warf. Dabei gewahrte er einen kleinen Siegelring, der unter einer vergoldeten Kette hervorguckte und mehr als die übrigen Kostbarkeiten glänzte. Er bückte sich, um einen schärferen Blick darauf zu werfen, und da er glauben mußte, der Ring bestehe aus feinem Gold, so entließ er Elwire aus seinem Arm und hob den Ring auf. Ein Blick darauf machte ihn staunen, er vergaß, was ihn so eben noch ganz[104] beschäftigt hatte, und während er vergebens den Ring an einen seiner starken Finger zu stecken versuchte, rief er mit überlauter Stimme in den Keller hinunter:

»Klütken-Hannes, komm sogleich herauf! Ich will etwas von Dir kaufen!«

Brummend, noch mit dem Sammeln des erhaltenen Geldes beschäftigt, wankte der Trödler die Treppe herauf.

»Von wem hast Du diesen Ring gekauft?« rief ihm Aurel zu, indem er ihm das Kleinod entgegen hielt.

»Welchen Ring, Herr Kapitän?«

»Hier, diesen Siegelring, trunkener Schelm!«

Klütken-Hannes schielte mit halbem Auge nach dem Schmuck und versetzte murrend: »Weiß ich nicht mehr! Irgend ein verkommenes Weibsbild hat ihn mir doch an den Hals geworfen.«

»Du lügst, Schurke! Heraus mit der Sprache, sag' ich, oder ich behandle Dich wie einen Dieb! Der Ring ist ächt und trägt das Wappen eines alten Adelsgeschlechtes.«

Jetzt ward auch Elwire aufmerksam und bat den Kapitän mit sanftem Blick um die Erlaubniß, den Fund ebenfalls betrachten zu dürfen.[105] Der Trödler murmelte unverständliche Worte in den Bart.

»Vater,« sagte Elwire, erröthend, daß sie dem widerlichen, verworfenen Manne diesen Namen geben mußte, »erinnert Ihr Euch nicht mehr, wie Ihr zu diesem Ringe gekommen seid?«

»Wenn dem Herrn Kapitän an dem Goldreif so viel gelegen ist, was bietet er mir dafür?« fragte Klütken-Hannes ausweichend.

»Es sind vier Wochen her, daß Ihr ihn im Kartenspiel gewannt. So wenigstens sagtet Ihr, als ich das Kleinod am Morgen in Eurer Rocktasche fand.«

»Der Ring gehört mir,« versetzte der Trödler trotzig, »und wer mir ihn gut bezahlt, soll ihn haben.«

»Wer besaß ihn vor Euch?« fragte Aurel. »Ihr seht, der Ring ist auf den Finger einer Frau gemacht.«

Klütken-Hannes schlug ein rohes Gelächter auf. »Glauben Sie, ich sei allwissend?« sagte er. »Wahrhaftig, ich müßte ein Gedächtniß haben, wie der abgerichtete Elephant auf dem Berge, wenn ich all' das Lumpengesindel noch kennen sollte, von dem ich irgend einmal Sachen[106] eingehandelt habe! Ich kaufe, was mir angeboten wird, im Fall ich es brauchen kann; wer es feil bietet, gilt mir gleich. Die Waare, nicht der Verkäufer ist es, mit der ich Handel treibe.«

»Besinnt Euch, Klütken-Hannes! Wenn Ihr mir einen sichern Fingerzeig über den frühern Besitzer dieses Ringes geben könnt, so zahle ich Euch einen hamburger Thaler mehr, als der Ring werth ist! Ihr habt nach Elwirens Behauptung den Schmuck im Spiele gewonnen – und noch dazu erst vor vier Wochen! Das ist eine kurze Zeit. Überdies sieht man einem Spieler scharf in's Auge, prägt sich seine Gesichtszüge fest in's Gedächtniß, damit man bei gelegener Zeit Revanche von ihm fordern kann. Alles das habt Ihr unzweifelhaft aus natürlichem Instinct gethan und mithin werdet Ihr, wenn Ihr nur wollt, mir Wohnort und Namen dessen nennen können, der über diesen Reif vor Euch als über sein rechtmäßiges Eigenthum verfügte.«

»Lassen Sie doch 'mal sehen,« sagte der Trödler, sieh an die Kellerwand lehnend, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, und streckte seine[107] schmutzige Hand nach dem Ringe aus. »Wenn ich das Ding genau begucke, erinnere ich mich vielleicht. Ich habe viel solchen Quark erspielt und verwechsele oft eins mit dem andern.«

Aurel ließ den Ring in die Hand des Trödlers gleiten. Dieser besah ihn von allen Seiten, schüttelte den Kopf, kniff die feuchten, blutunterlaufenen Augen zu, als wolle er mit Gewalt aus dem Sumpfe seines Gedächtnisses etwas herauspressen, und schlug sich endlich mit geballter Faust vor die Stirn.

»Dummkopf!« rief er aus. »Warum konnte mir das nicht gleich einfallen!« – Und zu Aurel gewendet, fuhr er fort:

»Nun ja, Herr Kapitän, wenn Sie 'was dran wenden wollen als Trinkgeld, so denk' ich Ihnen die Wege zeigen zu können, auf welchen Sie den Bengel finden, der mir schon manchen Schilling abgenommen hat. Ist's auch Ihr Ernst?«

»Meine Hand darauf!«

»Am sichersten treffen Sie den Teufelskerl in der Mohrentaverne auf dem Berge,« sagte Klütken-Hannes. »Dort hockt er alle Nächte am Spieltisch oder auf dem Orchester, um durch[108] Betrug und Geigenspiel sich die Mittel zu verschaffen, seinen Leib mit der erforderlichen Ladung Grog versehen zu können. 's ist ein lustiger, wilder Teufel, hundertmal reif für Galgen und Rad, aber die Hölle hält ihn warm und so läßt sie ihn hier seine Wirthschaft treiben, bis die letzte Scherbe zerbrochen ist.«

»Sein Name?« fragte Aurel mit Heftigkeit.

»Im Kirchenbuche mag er wohl anders heißen, als in der Mohrentaverne,« antwortete immer lachend der Trödler, »kann's also nicht beschwören, ob ich Ihnen den rechten Namen des alten Fuchses nenne. So lange ich ihn kenne und dann und wann mit ihm zusammen trank oder ein Geschäft abmachte, rief ihn der ganze Troß Blutrüssel.«

»Das ist Alles, was Ihr von ihm wißt?«

»Wollen Sie mehr erfahren, Herr Kapitän, so gehen Sie in die Mohrentaverne und fragen die Matrosen. Antwort kriegen Sie mit Zunge oder Faust, darauf können Sie fluchen.«

Aurel senkte einige Augenblicke nachdenkend den Kopf.[109]

»Wäre es möglich!« sagte er halblaut zu sich selbst. »Sollten aus längst vergangener Zeit, die mein Auge nie sah, Geheimnisse auftauchen und ein trübes Element in mein bis jetzt so heiteres Dasein bringen? – Oder wäre es Täuschung, Betrug? – Wohlan, wie dem auch sei, es steht ein neues, interessantes, vielversprechendes Abenteuer in Aussicht und ich stürze mich ihm unbedingt in die Arme.«

Der Kapitän fragte nach dem Preise des Ringes, bezahlte ohne Widerrede die Forderung des Trödlers, legte das versprochene Trinkgeld dazu und bot dann abermals Elwire höflich seinen Arm, sie mit schnellen Schritten aus dem feuchten, dumpfigen Gange nach der nächsten Straße geleitend. Hier wartete bereits ein Wagen. Der Kapitän nöthigte das schöne Mädchen, einzusteigen, und nahm neben ihr Platz. Als der Wagen in raschem Trabe über das Pflaster rollte, fragte Elwire bescheiden den nachdenklich neben ihr Sitzenden, ob sie es sei, die ihn so wehmüthig gestimmt habe?

»Sie, gute Elwire, machen mein Herz in frohen Pulsen schlagen,« gab Aurel zur Antwort.[110] »Dieser Ring aber, den ich seltsamerweise bei Ihnen finden mußte, beunruhigt mich und jagt tausend Gedanken im Sturm durch mein Gehirn. Er trägt das Wappen meines Hauses!«

Quelle:
Ernst Willkomm: Weisse Sclaven oder die Leiden des Volkes. Theile 1–5, Leipzig 1845, S. 84-111.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Lohenstein, Daniel Casper von

Sophonisbe. Trauerspiel

Sophonisbe. Trauerspiel

Im zweiten Punischen Krieg gerät Syphax, der König von Numidien, in Gefangenschaft. Sophonisbe, seine Frau, ist bereit sein Leben für das Reich zu opfern und bietet den heidnischen Göttern sogar ihre Söhne als Blutopfer an.

178 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon