Drittes Kapitel.
Pink-Heinrich.

[192] Alle diese Vorgänge hatte der Mann mit den Drähten, welchen wir zu Anfange des vorigen Kapitels den Todtenstein besteigen sahen, genau beobachtet, ohne seine nachlässige Stellung, in der er auf dem Felsen ruhte, zu verändern. Erst jetzt, als das Volk achtlos auseinanderlief und der Graf in wildestem Rennen mit dem jungen Mädchen davon jagte, stand er auf, warf Quersack und Drähte über die Schulter, umfaßte heftig seinen langen Stock und stieg die enge Schlucht wieder hinab. Ehe er jedoch diese verließ, raffte er aus einem tiefen Felsenspalt, der ihm als Magazin diente, noch ein Bündel etwa zwei Ellen langer und einen Zoll dicker Buchen-, Birken- und Eichenstäbe auf,[193] nahm es unter'm linken Arm und ging darauf mit großen Schritten, die Knie stets etwas gebogen, den Stab regelmäßig weit vorsetzend und bei jedem nächsten Schritt weifenartig damit nach rechts ausbiegend, dem gemißhandelten Wenden entgegen. Dieser ächte Bauerngang, der ohne zu ermüden schnell vorwärts bringt, sah bei dem untersetzten Manne sehr komisch aus und verursachte durch das immerwährende Schaukeln und Aneinanderschlagen der Drähte auf Brust und Rücken ein eigenthümlich klirrendes Rascheln.


Betäubt von dem unerwarteten Schlage und von Ehrhold, dem jungen Clemens und noch einigen andern Wenden und Wendinnen umringt, bemerkte Sloboda nicht die Ankunft eines Fremden. Erst als ihn der Mann mit den Drähten sanft auf die Achsel schlug, kehrte sich Sloboda um und reichte, da ein gutmüthiges Auge ihn grüßte, dem Manne die Hand.

»Man hat Euch da behandelt, wie einen Hund, wackerer Freund,« sagte der Mann mit einer Stimme, die vor gerechter Entrüstung grollend zitterte. »Schade, daß ich nicht bei der Hand war, sonst, bei meiner armen Seele, hätte[194] ich dem hochmüthigen Burschen ein Rad um den Kopf geschlagen. Ihr müßt klagen, Mann!«

Der Wende seufzte und schüttelte in stummer Verzweiflung sein braunlockiges Haupt.

»Ihr wollt nicht?« fuhr der mit den Drähten fort. »Warum nicht? Meint Ihr, der Herr behalte Recht, weil er reich ist? Solche Gedanken dürft Ihr gar nicht in Euch aufkommen lassen, mein Lieber! Es ist wahr, der Arme richtet bei unserer Art, die Prozesse zu führen, und sie auf Kind und Kindeskind zu vererben, hier zu Lande selten etwas aus, aber, Freund, es ist nicht klug, dergleichen Bedenken merken zu lassen! Ich sage Euch, soll das Volk den Vornehmen gegenüber dereinst und, gebe Gott, bald eine bessere Stellung einnehmen, die es verdient, die es fordern darf, so müssen wir jedes erlaubte Mittel ergreifen und vor Allem uns von diesen hochmüthigen Narren gar nichts mehr gefallen lassen! – Glaubt mir, Freund, ich kenne die Herren, denn ich komme viel mit ihnen zusammen, ich kenne auch den wilden Blauhut. Sie geben klein zu, wenn man ihnen recht derb mit hartem Schuh auf die Zehen tritt. Muth und Ausdauer machen sie ängstlich und furchtsam.[195] Und was wollt Ihr denn, guter Freund? Seid Ihr denn nicht im vollkommensten Recht? Mädchenraub ist, Gott sei Dank, in christlichen Landen vor jedweder Obrigkeit ein Verbrechen. Darum nur geklagt, Freund! Der Blauhut muß mir durchaus an den Pranger!«

»Er ist mein Herr!« sagte dumpf der Wende.

»Desto besser! Der Herr muß seine Unterthanen schützen, er darf sie nicht mißhandeln.«

»Ich bin nicht sein Unterthan, guter Mann.«

»Ja zum Teufel, was seid Ihr denn sonst?«

»Sein Leibeigener!« murmelte Sloboda mit einem furchtbaren Blick gen Himmel, indem er seinen Hut wieder abnahm und dem theilnehmenden Deutschen das Zeichen der Knechtschaft, den glänzenden Lederriemen um Stirn und Haupthaar, zeigte. »Ich muß schweigen und dulden,« setzte er hinzu, indem Zorn und Ingrimm seinen Augen bittere Thränen entpreßten, »denn wenn mir der Herr nicht an's Leben geht, habe ich wider ihn kein Recht. Auch ist er sonst immer gut gegen mich gewesen und ich habe keine Noth bei ihm gelitten. Erst seit die Schönheit meiner Tochter ihn berückt hat und[196] ich mich seinem Befehle, den ich für ungesetzlich halte, geweigert habe, behandelt er mich hart. O ich wollte, ich wollte –!« Und beide Hände geballt zum Himmel erhebend, knirschte der Wende mit den Zähnen und stieß einen fürchterlichen Fluch über alles Herrenthum aus.

»Lieber Freund,« versetzte jetzt der Maulwurffänger – denn dieses Geschäft betrieb der Mann mit den Drähten – »mit blinder Wuth ist in Eurer Lage nichts zu gewinnen. Ich glaubte Euch nur hofepflichtig; daß Ihr leibeigener Knecht seid, ändert die Sache freilich, doch verloren habt Ihr deshalb noch immer nicht. Ich rechne mir nämlich, daß es einen Weg gibt, auf welchem diesen Herren beizukommen sein muß. Das, lieber Freund, ist die Ruhe, die Schlauheit, die Verstellung! Und Ihr müßtet doch, mein' ich, kein eingebornes Kind dieses Landes sein, wenn Ihr nicht die zehn Gebote aus dem Katechismus des gemeinen Mannes vollkommen begriffen haben solltet! Was mich betrifft, seht Ihr, so ist Schlauheit die Seele meines Geschäfts. Der Maulwurf ist ein verteufelt kluges Thier, der Euch die schönsten Anschläge zu nichte macht, wenn Ihr[197] ihn nicht zu überlisten versteht. Mich aber täuscht so eine blinde Creatur nicht, denn ich kenne ihre Weise. Wo ich meine Drähte in's Erdreich senke, da zappelt auch der unermüdliche Schaufler mit fest zugeschnürter Kehle, bevor zwölf Stunden in's Land gegangen sind. Darum, Freund, ist es mein Rath: seid klug und besonnen! Haltet Euch alle Leidenschaftlichkeit fern und senkt Fangdrähte in den Grund und Boden Eurer Herren so geschickt, so schlau, so heimlich, daß auch der Klügste sie nicht spürt, und ich versichere Euch, binnen hier und zehn Jahren seid Ihr frei, wie der Vogel in der Luft.«

»Euer Wort in Ehren – wie seid Ihr getauft?«

»Heinrich, Euch zu dienen, in's Gemeine Pink-Heinrich.«

»Euer Wort in Ehren also, Heinrich, die Sache mag ihre Richtigkeit haben, allein ich selber kann nichts dazu thun. Für mich gibt es keine Hilfe, ich muß dulden und sterben.«

»Laßt mir den Kirchhof aus dem Spiele,« versetzte Heinrich, »ich bin gerade kein sonderlicher Liebhaber von dem Gewürm. Doch sagt, wie hängt denn die Geschichte mit dem Blauhut[198] und Eurem Kinde zusammen? Ihr ließt vorhin ein Wörtchen von Rechtlosigkeit und Willkür des Grafen fallen. Könnten wir ihn daran päcken, so sollte er schon zappeln, daß ihm die Augen aus dem Kopfe sprängen!«

»Darüber kann ich Euch die beste Auskunft geben,« fiel Ehrhold ein. »Vor etwa vierzehn oder sechzehn Tagen, müßt Ihr wissen, schrieb der Herr einen Gesindetag aus. Ich gehöre ihm erbunterthänig zu mit den Meinigen, denn der Edelhof, zu dem unser Dorf gehört, ist sein ihm verschriebenes Eigenthum. Nun war dazumal meine Pathe, das Haideröschen, grade zu Besuch bei mir, als die Dienstladung kam. Als eine Fremde meldete ich sie nicht als hofepflichtig, denn ihr Vater, der Jan Sloboda, steht unter der Herrschaft des alten Grafen und frohnt und dient dem Schloß im See, wie wir die alte Burg Boberstein nennen. Meines Wissens ging dem Haideröschen der Dienstruf des jungen Herrn gar nichts an und ich war im Recht, daß ich sie nicht zur Dienstschau abschickte. Es hätte wohl auch kein Hahn darüber gekräht, wäre nicht zum Unglück am nämlichen Tage der junge Herr in unser Dorf gekommen. Obschon es[199] eigentlich nicht seine Art ist, sich um uns arme Leute viel zu bekümmern, stieg er doch am Kretscham ab und trat in die Schenkstube, wo sein Voigt eben mit Aufzeichnung der Namen aller Mädchen beschäftigt war. Ich verwette meinen Kopf, die vielen hübschen Gesichter hatten den Herrn ganz allein hereingelockt! Wie er nun die verschämten Kinder mit Kennerblick mustert und Dem und Jenem ein freundlich aufmunterndes Wort sagt, tritt Röschen ein, um mich heimzuholen, weil das junge Fohlen, weiß der Himmel wo durch, den Koller gekriegt hatte. Kaum sah der Junker Blauhut meine Pathe, so fragte er, wer sie sei? Und als ihm der Name Sloboda genannt wird, befiehlt er, das arme Ding ebenfalls auf die Dienstliste zu setzen. Daß wir im Namen des Vaters Einwendungen machten, war natürlich, und daß Röschen selbst keine Lust zeigte, in die Dienste Blauhuts zu treten, könnt Ihr Euch denken, wenn Ihr erwägt, was die Sage von dem jungen Herrn berichtet! Nach einigem Hin- und Herreden stand er auch scheinbar von seinem Entschlusse ab, allein kaum war ich heimgekommen, als auch der Graf in mein Haus tritt, mit Röschen schön thut und ihr[200] lauter schöne Dinge vorsagt. Darauf nahm er mich bei Seite und bot mir goldene Berge, wenn ich ihm das Mädchen auf den Edelhof schicken wollte. Ich weigerte mich dessen in zweideutigen Worten, um den Drängenden nur aus dem Hause zu schaffen. Der Graf ging, zufriedengestellt. Drauf melde ich Sloboda das Vorgefallene, und weil ich wußte, daß er in den letzten Tagen auf des alten Grafen Befehl in Görlitz sein werde, versprach ich ihm, hier mit ihm zusammenzutreffen, um über die gefährliche Angelegenheit zu sprechen. Wie ich daran verhindert wurde, habt Ihr selbst mit angesehen.«

Der Maulwurffänger, der seine hellen schlauen Augen bald über die Gegend schweifen, bald auf dem Sprechenden ruhen ließ, schüttelte bedenklich den Kopf, zwischen den beiden Männern langsam fortschreitend.

»Wo seid Ihr zu Hause?« fragte er. »Führt Euer Weg nicht bis in's Niederland, so begleite ich Euch eine Strecke.«

»Ich wohne zwei gute Stunden von hier hinter den Teichen,« versetzte Ehrhold. »Das junge Volk da vor uns ist eben daher.«

»Seitwärts Rothenburg?«[201]

»Ganz recht. Der Ort heißt die Zeisel und steht unter dem jungen Grafen, der auf dem eine Stunde südlicher gelegenen Zeiselhofe wohnt. Was Wendisch ist, gehört ihm zu mit Leib und Leben. Die Deutschen haben mehr Glück gehabt, denn sie brauchen ihm blos noch etliche Frohntage zu leisten.«

»Da gehen unsere Wege wacker zusammen,« erwiederte der Maulwurffänger. »Ich habe Kunden in jener Gegend, die ich immer einmal mit umstoßen kann. Unterwegs besprechen wir wohl noch Eins und das Andere.«

Freudig nahmen die niedergeschlagenen Wenden die Begleitung des Deutschen an. Obwohl Jan Sloboda den Maulwurffänger bisher blos von Ansehn und Hörensagen kannte – denn Heinrich war in sehr weitem Umkreise ein in seiner Art berühmter Mann – so war es ihm doch grade in seiner jetzigen düstern Stimmung angenehm, einen verständigen Begleiter gefunden zu haben, dem er nicht zu mißtrauen brauchte. Oft schon hatte er von deutschen Bauern gehört, daß der Maulwurffänger, der aus dem Grenzgebirge stammte, ein geschworner Feind des drückenden Herrenwesens sei, das noch so schwer[202] und entwürdigend auf dem Volke lastete. Die vielen Frohn- und Hofedienste, welche Bauer, Gärtner und Häusler verdammten, die schönsten Tage im Jahre dem Gutsherrn zu opfern, der sich Besitzer des Ortes nannte, und ihn dadurch an Verbesserung und gehöriger Bearbeitung des eigenen Grund und Bodens hinderte, hatten ihn längst geärgert. Wo sich Gelegenheit fand, den Saamen der Unzufriedenheit unter dem hörigen Volke auszustreuen, benutzte er sie klug, und warf wohl auch bisweilen eine Hand voll Unkraut mit aus. Seine ihm angeborene und in einem thätigen Leben äußerst geübte Schlauheit bewahrte ihn bei diesem gefährlichen Geschäft vor jedem Mißgriff, der ihm selbst hätte nachtheilig werden können, und so erwarb er sich zahlreiche Freunde unter den gemeinen Leuten, ohne die Gunst der Herren, die er ebenfalls brauchte, zu verscherzen. Ein gewissenhafter Mann in streng christlichem Sinne würde ihn wahrscheinlich einen Schalk genannt und ihn der Zweiächselei bezüchtigt haben, die wahre Cultur aber, die nie und nirgend solche aus Gut und Böse, aus Erlaubtem und Unerlaubtem, aus Herzensgüte und lächelnder Falschheit[203] zusammengesetzte Charaktere entbehren kann, besaß in ihm ein unschätzbares Instrument, um die heiligen und großen Zwecke des Fortschrittes, der Volksbildung, der Verbreitung gesunder und freier Ideen im Volke fördern zu helfen. Wir wollen nicht behaupten, daß der Maulwurffänger sich dieses segenbringenden Zweckes um diese Zeit schon vollkommen bewußt gewesen sei, ihm genügte vorerst der Reiz, den alles heimliche Miniren für ihn hatte, weil es ihn einfach ergetzte und unterhielt, dem Gedrückten zu nützen und dem Mächtigen stechende Dornen in das bequeme Leben zu streuen.

Bei dieser etwas frivolen Lebensansicht und bei seiner Beschäftigung, die ihn zu fortwährendem Herumziehen im Lande nöthigte, war es kein Wunder, daß Heinrich in seinen Mitteln nicht wählig war, und daß er häufig auch mit Menschen verkehrte, die in der bestehenden bürgerlichen Ordnung nur ein Hemmniß der Erdenglückseligkeit erblickten.

Sloboda und Ehrhold gaben auf alle Fragen, die Heinrich aushorchend an sie richtete, des Breitesten Antwort, und dieser erfuhr dadurch Alles, was er zu wissen begehrte, um den[204] Bedrückten in seiner Weise nützlich werden zu können.

»Habt keine Sorge um Röschen,« sprach er hierauf, mit den Wenden rüstig weiter schreitend. »Ein Mädchen mit gesunden Augen und natürlichem Tact führt Euch den abgefeimtesten Teufel ein paar Tage lang an der Nase herum! Mir ist nicht bange um das liebe Kind. Der Junker wird sich vor ihr, sie sich nicht vor ihm beugen müssen. Nur die ersten Stunden der Angst und Beklemmung werden sie peinigen, später möchte ich wetten, daß sie leichter und besser als wir ihren Vortheil zu wahren verstehen wird. Darin sind die Weiber noch pfiffiger als die Juden! – Doch was ich Euch fragen wollte, lieber Jan, habt Ihr nicht gehört, wem das Fräulein angehört, das schon seit Jahr und Tag auf der Burg des alten Grafen lebt? Es wird viel darüber gefabelt, was Alles ich nicht glauben kann. Nur so viel weiß ich, daß es zwischen Himmel und Erde etwas Lieblicheres, als Fräulein Herta, wie man sie nennt, nicht gibt!«

»Ich sah letzthin das Fräulein mit dem alten Herrn durch den Wald reiten,« versetzte[205] Sloboda, »und wirklich bei ihrem Anblick ward mir zu Muthe, als schwebe ein Engel vorüber!«

»Es muß eine eigene Bewandniß mit dieser Herta haben,« fuhr der Maulwurffänger fort. »Der alte Graf, ein braver Herr, wie mich dünkt, trägt das Fräulein auf den Händen, und auch die Frau Gräfin, die doch eine stolze Frau ist, lächelt immer recht freundlich, wenn sie das feine schlanke Mädchen erblickt, ja sie läßt es sogar geschehen, daß Herta ihr um den Hals fallen und sie nach Herzenslust küssen darf, was ich ihrer eigenen Tochter, wenn sie eine hätte, nicht rathen würde. Aus alle dem geht hervor, Freund Jan, daß sie von gar vornehmer Abkunft sein muß.«

»Sehr möglich,« sagte Sloboda. »Die Verbindungen der gräflichen Familie sind groß und sollen sogar mit dem churfürstlichen Hause verzweigt sein.«

»Wißt, Jan, ich habe einen Gedanken! Ihr müßt das Fräulein zu Eurer Fürsprecherin machen. Junker Blauhut fürchtet den Alten, weshalb er auch selten auf das Schloß im See kommt. Stecken wir uns nun hinter diesen und lassen ihm durch Herta die Gewaltthat des[206] Sohnes vortragen, so könnt Ihr versichert sein, daß der Nichtsnutz Euch das liebe Kind binnen wenig Tagen mit Extrapost in den Hof fahren läßt!«

»Wer soll einen so gefährlichen Auftrag übernehmen! Ich selbst? – Mir würde man nicht glauben, und ein Anderer? Ach, Heinrich, Ihr kennt die Menschen und ihren Eigennutz nicht!«

»Hat das nette Ding denn keinen Liebsten?« fragte etwas ungeduldig der Maulwurffänger.

»Die Burschen sind ihr wohl alle gut und gingen für sie durch's Feuer, aber erklärt hat sich doch noch keiner.«

»Noch keiner?« warf Clemens ein, der einige Schritte vor den rathschlagenden Männern mit den Übrigen ging, und drehte sich um. »Fragt Vater Ehrhold, ob Haideröschen ohne Schutz ist!«

»Ehrhold?« sagte Jan gedehnt, den jungen Burschen mit langen Blicken messend.

»Er weiß, was ich nicht lang und breit erzählen mag. Ich liebe das Haideröschen und habt Ihr nichts dagegen, Vater Jan, und kommt sie heil und rein wieder zurück in unser[207] stilles Dorf, so gibt's eine lustige Hochzeit, noch ehe die Blätter fallen!«

Der Maulwurffänger lachte leise und sah den Wenden mit dem verschmitztesten Blick seiner muntern Augen an. »Da haben wir ja gleich einen Unterhändler, wie wir ihn nur wünschen können,« sagte er. »Gelt', frischer Junge, Du scheust eine Tracht Prügel nicht, wenn Du der schmucken Dirne und ihrem trauernden Vater einen Dienst erweisen kannst? Legen sie Dich in den Stock, je nun, so sitzest Du eben auf demselben Ehrenplatze, auf welchem vor Dir schon sehr viele ehrliche Leute gesessen haben. Wer liebt und das Herz auf dem rechten Flecke hat, fürchtet weder den Teufel noch seine Großmutter!«

»Ich bin zu Allem bereit,« versetzte Clemens. »Laßt mich nur wissen, was ich zu thun habe!«

»Nachher, wackeres Blut!« sagte der Maulwurffänger. »Ich sehe die Teiche durch das Gesträuch schimmern, und da ich einmal so weit mit Euch gelaufen bin, werdet Ihr mich hoffentlich eine halbe Stunde bei Euch ausruhen lassen. Da können wir das Nähere besprechen. Wichtiger ist es, dem Junker sogleich beizukommen,[208] und da ich mich so tief in die Sache eingelassen habe, möchte ich am liebsten selber mit ihm reden, vorausgesetzt, daß es Euch recht ist.«

»Ihr wolltet, Heinrich?« rief Sloboda erfreut und erstaunt zu gleicher Zeit aus. »Habt Ihr auch den Zorn des jungen Herrn überlegt? Er vergibt Euch nie mehr, wenn Ihr seine Wege kreuzt, und wird Euch auf Schritt und Tritt verfolgen, denn in ihm wohnt eine böse, tückische, verwahrloste Seele!«

»Aus Blauhut's Zorne mache ich mir nicht so viel!« sprach der Maulwurffänger lächelnd, indem er mit aufgeworfener Lippe über die Spitzen seiner Finger hinblies. »Ich bin ein freier Mann, dem er nichts zu befehlen hat. Bisher fing ich ihm redlich das blinde Gewürm von seinen Äckern, wofür er mich immer pünktlich bezahlt hat. Will er mir fernerhin die Kundschaft entziehen und sich die Felder von dem Ungeziefer ruiniren lassen, so steht ihm das frei. Mich soll die Ungnade des Grafen Magnus wenig kümmern, wenn ich um so geringen Preis einem Armen helfen und ein schreiendes Unrecht verhüten oder hintertreiben kann.«

Gerührt über ein so uneigennütziges Anerbieten[209] ergriff Sloboda Heinrich's beide Hände, drückte sie mit Inbrunst und umarmte ihn, seine Stirn küssend.

»Vergib,« sagte er, »daß ein Leibeigener einen freien Mann des Volkes zu umarmen und Bruder zu nennen wagt! Ich kann nicht anders, mein Herz treibt mich dazu. – Hast Du doch selbst gesagt, daß die Kette, die noch an meinen Händen klirrt, gebrochen zu werden verdiente. Nimm an, ich sei frei, wie Du, ich brauchte nicht mehr blindlings den Winken eines launenhaften Herrn zu folgen, und die Schmach, die auf der Person eines Leibeigenen haftet, wird Deine freie Seele nicht beflecken!«

»Ich bin Dein Bruder, Jan Sloboda,« erwiederte Heinrich ernst, Händedruck und Kuß erwiedernd.

»Und nun noch eine Bitte,« sagte Ehrhold. »Tretet als Gast in meine Hütte! Sie ist zwar ärmlich, aber rein und unentweiht von jeder Frevelthat!«

»Ich will die Abendmahlzeit mit Euch und Eurem Freunde theilen,« versetzte der Maulwurffänger, denn wenn ich ehrlich sein soll, so muß ich gestehen, daß ich einen recht gesunden Appetit[210] verspüre. Verspätigen wir uns auch beim Gespräch und bricht die Nacht herein, ehe ich meinen Stab weiter setze, so soll mich das wenig verschlagen. Mir sind alle Wege und Stege im Gebirge, in Ebene und Haide genau bekannt.

Die Wanderer hatten auf verschiedenen zwischen den Teichen hinlaufenden Dämmen die fischreichen Weiher durchschritten und erreichten jetzt das Dorf, wo Ehrhold wohnte. Zwischen Wald und sanft ansteigenden Wiesen in breitem Thalgrunde gelegen, den ein heller Bach durchrieselte, machte es einen freundlichen Eindruck. Die mit Moos und Gras bewachsenen Strohdächer leuchteten im goldigen Duft der bereits niedrig stehenden Sonne. Auf den Forsten mehrerer Häuser zeigten sich Storchnester, deren Bewohner noch nicht aus ihren afrikanischen Winterquartieren zurückgekehrt waren. Die alten Mütterchen und Greise des Dorfes saßen vor den Haus- und Hofthüren, während verheirathete rüstige Frauen und Männer auf dem ungepflasterten Fahrwege, der zwischen den beiden Häuserreihen, aus welchen das Dorf bestand, hinlief, mit einander plaudernd auf- und niedergingen. Die Männer rauchten meistentheils[211] Tabak, und als sie die vom Todaustreiben Heimkehrenden gewahr wurden, gingen sie ihnen lebhafter entgegen und begrüßten sie herzlich, eine Menge der verschiedensten Fragen an sie richtend.

Das freudlose Wesen der Heimkehrenden mußte den daheim Gebliebenen alsbald auffallen, denn man war gewohnt, die Jugend, wenn sie von ihren Sonntagsausflügen in's Thal herab zog, schon von fern heitere Feldlieder singen zu hören. Es fragten deshalb bestürzt und unruhevoll Mehrere nach der Ursache dieser allgemeinen Betrübniß.

»Vermißt Ihr denn Niemand?« entgegnete Ehrhold. »Seht Euch um! Sind das all unsere Kinder und Schutzbefohlenen?«

»Wo bleibt unser Haideröschen?« rief eine ihrer Freundinnen mit bangem Herzklopfen.

»Sie ist uns gewaltsam entrissen worden,« sagte Ehrhold. »Habt Ihr den Dienstbotentag vergessen?«

Alle standen wie vom Schlage getroffen, während Ehrhold seine Gäste in das uns schon bekannte Wohnhaus geleitete.

Quelle:
Ernst Willkomm: Weisse Sclaven oder die Leiden des Volkes. Theile 1–5, Leipzig 1845, S. 192-212.
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