Fünftes Kapitel.
Herr und Leibeigene.

[234] Ehe wir unsere Erzählung weiter fortführen, müssen wir uns zurückwenden zum Grafen Magnus. Dieser hatte nach halbstündigem scharfen Jagen mit seiner schönen Beute, die inzwischen vor Angst und Schreck ohnmächtig geworden war, jenes einsam gelegene Vorwerk erreicht, dessen Schornstein man vom Fuße des Todtensteines aus sah. Dieses Vorwerk gehörte zum Edelhofe und wurde von einem Pachter mit Frau und Gesinde bewohnt. Magnus hielt hier sein schaumbedecktes Roß an, sprang aus den Bügeln und trug die noch immer bewußtlose junge Wendin in das Wohnzimmer des Vorwerks.

Des Staunens nicht achtend, das Blicke und Mienen der einfachen Landleute aussprachen, forderte[235] er herrisch ihr bestes Fuhrwerk. Leider bestand dies blos aus einem sehr schadhaften und unbequemen Karren, der für gewöhnlich zur Transportirung grüner Feldfrüchte in die Stadt gebraucht ward. Nöthigenfalls bediente man sich desselben allerdings auch zu Spazierfuhren, und dann überspannte ihn der Pachter mit einer viel gebrauchten, fleckigen, sehr oft geflickten und doch immer noch zerrissenen groben Leinewand oder Plane. Da innwendig keine Sitze angebracht waren, so half man sich durch untergebreitetes frisches Stroh, über welches eine Matratze, aus grober Wolle und Roßhaar gewirkt, zur Verschönerung gebreitet wurde.

Dieses unvollkommene Transportmittel richtete jetzt der erschrockene Pachter auf Befehl seines Herrn so schnell wie möglich her, während Magnus mit schlecht verhehlter Ungeduld die feinen Züge Röschens beobachtete, die noch immer besinnungslos in den Armen der besorgten Pachtersfrau lag. Röschen sah wunderbar schön aus in dieser dürftigen Umgebung. Ein feiner Zug schelmischen Lächelns, der ihren kleinen Mund immer umspielte, war auch dem jähen Schreck nicht gewichen, der sie betäubt hatte.[236] Auf den lieblich gerundeten Wangen glomm noch, wie verduftendes Abendroth, ein rosiger Schimmer. Die Augen waren fest geschlossen und zeigten erst jetzt vollkommen die zarte Durchsichtigkeit der bläulich-weißen Lider und die langen, gleich feinen Goldfäden erglänzenden Wimpern. Das weiße Häubchen hatte sich während des raschen Rittes verschoben und enthüllte jetzt zugleich mit der weißen, regelmäßig geformten Stirn ein Gewirr kurzer, krauser und dicht gewundener Löckchen, die wie goldene Glockenblumen die schuldlose Stirn küßten. Ihre schmalen Hände, jetzt kalt und weiß, hingen noch matt verschlungen in einander.

Die Pachterin, eine in gewissem Sinne gemeine Frau, bot dem Grafen mit beredter Zunge eine ganze Menge in solchen Fällen sehr erprobter Hausmittel an, die jedoch Magnus alle von der Hand wies. Denn wünschte er auch sehnlichst das Erwachen Haideröschens alls ihrer Ohnmacht, so lag ihm doch wieder Alles daran, daß dies nicht vor Zeugen geschehe, die seinem Willen nicht unbedingt unterworfen waren. Deshalb trieb er auch so sehr wie möglich zur Eile, und ließ alle Fragen der Pachterin, die unter[237] vielen Thränen die Schönheit des bewußtlosen Mädchens bewunderte und pries, unbeantwortet. Sie glaubte nämlich, was allerdings nahe lag, annehmen zu dürfen, der Graf habe die armselig Gekleidete in diesem hilflosen Zustande irgendwo auf dem Felde liegend gefunden und wolle ihr aus Menschenfreundlichkeit Unterstützung gewähren.

»Ach was ein feines Händchen hat die Arme!« rief sie aus. »Das ist nicht gemacht, um unsere harten Arbeiten zu verrichten, o behüte! Das sollte nur die Nadel führen, um seidene Zeuge zum Putz der lieben schlanken Glieder zusammenzunähen. Nun warte nur, meine arme Kleine,« fuhr sie fort, indem sie die Stirn der Ohnmächtigen sanft küßte, »der gnädige Herr Graf wird Dich schon erziehen lassen, wie's Dein junges Herz nur wünschen kann. Ach und wie prächtig mußt Du aussehen, wenn Du feine vornehme Kleider anziehen wirst! Ja, dann möchte ich Dich schon wieder ein Mal bei mir sehen und begucken. – Ach und gewiß hast Du auch nicht immer in so groben Hüllen gesteckt, Du liebes Engelsbild. Die böse Brut der Welt wird Dir nachgestellt haben, und um ihr zu entgehen,[238] bist Du sicherlich in Deiner Herzensangst auf und davon gelaufen und vor Ermattung liegen geblieben. – O ich hab' ein gar feines Auge, das Vornehm und Gering auf den ersten Blick unterscheiden kann, wenn sie sich auch noch so wunderlich verpacken! Das kommt daher, weil ich in meiner Jugend bei einer gar reichen Herrschaft in Dresden Amme gewesen bin, ehe ich meinen jetzigen Mann kennen lernte. Es ist eine recht gute Seele, gnädigster Herr, mein Mann; er hat mir's nicht ein einziges Mal vorgeworfen, daß ich vor ihm schon zwei Andere recht von Herzen lieb gehabt hatte. Die armen Teufel! – Ich wäre ihnen wohl treu geblieben, aber sie waren ja alle beide geborne Bettelleute! – Und nun sitzt einer schon seit vier Jahren auf dem Baue! – Ja, sehen Sie, gnädigster Herr Graf, der Mensch könnte mir jetzt wieder vor die Augen kommen, nicht ansehen thäte ich ihn, den schlechten Kerl! Spitzbuben und Schufte sollte man verhungern lassen, das sag' ich immer. Es ist nicht anders aufzuräumen unter diesem abscheulichen Unkraut! –«

Die redselige Frau, deren gemeine Denkungsart deutlich genug aus ihrem Geschwätz zu ersehen[239] war, hätte den Grafen wahrscheinlich noch lange mit Entwickelung ihrer Lebensansichten und Erfahrungen unterhalten, wäre sie durch die Zurückkunft ihres Mannes nicht daran verhindert worden.

»Seid Ihr fertig?« fragte Magnus ungeduldig.

»Wenn Ew. Gnaden befehlen, können wir aufbrechen.«

»Das arme Kind!« klagte die Pachterin. Der gnädige Herr Graf würden Ihre Menschenfreundlichkeit verdoppeln, wollten Sie mir erlauben, daß ich unterthänigst meinen »Lebensgeist« oder auch den »schmerzstillenden Spiritus –«

»Schweigt!« unterbrach sie Magnus, einen blanken Thaler in ihre Hand schiebend. »Dies für Eure Mühe und jetzt packt Euch!«

»Tausend Dank, gnädigster Herr! Aber Sie werden mir doch erlauben, daß ich das liebe Ding auf meinen Armen in den Wagen trage?«

»Ich werde Euch die unnützen Arme mit meiner Peitsche zerklopfen,« fuhr Magnus die dienstfertige Frau an, »wenn Ihr Euch nicht auf der Stelle fortpackt! Zu lange schon hat mein Schützling in Eurer Nähe verweilt. Ich[240] werde Sorge tragen, daß sie Euch nie wieder sieht.«

Obwohl die Pachterin über die letztere Bemerkung sehr bestürzt wurde, da sie durchaus nicht begreifen konnte, was den Grafen dazu veranlassen mochte, mußte sie doch lächeln, denn sie besaß hinlänglichen Mutterwitz, um das Sinnlose in des Grafen Drohung sogleich einzusehen.

»Ach Du lieber Gott!« rief sie wehmüthig die Hände faltend. »Das wird gar nicht in des gnädigen Herrn Gewalt stehen! Das arme Ding hat ja keine einzige Sekunde ihre gewiß sternenhellen Augen aufgeschlagen, noch ein kurzes Sterbenswörtchen gesprochen! Wie soll mich die niedliche kleine Wendin da wiedersehen! Möge sie der liebe Gott nur so treulich behüten, wie Ew. Gnaden sich ihrer liebevoll annehmen!«

Magnus hatte inzwischen Haideröschen behutsam von ihrem Lager aufgehoben und nach dem vor der Hausthür haltenden Planwagen getragen. Die schwatzende Frau folgte ihm, immerfort sprechend, auf dem Fuße, obwohl ihr Mann finster genug drein sah und ihr mehrmals winkte, daß sie endlich einmal ihren Herzensergießungen[241] ein Ziel setzen solle. Nachdem der Graf seine schöne Beute auf dem für sie im Wagen bereiteten Heulager niedergelegt und mit Decken und Matratzen so verhüllt hatte, daß ihr die Stöße des Fuhrwerkes auf dem schlechten steinigten Feldwege keine Contusionen oder andere Verletzungen zufügen konnten, bestieg er wieder sein rüstiges Thier und trabte an der Seite der zugezogenen Plane, welche der Pachter selbst leitete, dem entfernten Edelhofe zu, ohne sich weiter um die Lamentationen und Bitten der Pachtfrau zu bekümmern, die sie mit unermüdlicher Zunge bald ihrem Eheherrn, bald dem Grafen nachrief.

Trotz der Ungeduld, die ihn zu größter Eile anspornte, mußte sich Magnus doch entschließen, einen sehr langsamen Trab zu reiten, da der Pachter kurz und bündig erklärte, daß es durchaus unmöglich sei, schneller zu fahren, wenn sein Fuhrwerk nicht binnen Kurzem in Stücken zerbrechen solle.

Verdrossen fügte sich der Graf in das Unabänderliche, immer dicht an dem Wagen herreitend und ihn mit Auge und Ohr eifrigst bewachend. Sie waren noch kaum eine Viertelstunde[242] über das Vorwerk hinaus, als Magnus eine Bewegung im Wagen bemerkte und durch eine schadhafte Stelle der Plane sah, daß Röschen wieder zu sich gekommen war. Um sie nicht zu erschrecken und vielleicht eine Scene herbeizuführen, zog er sich jetzt hinter den Wagen zurück. Wider Erwarten blieb es aber ruhig in der Plane, so daß er glaubte, die furchtsame Wendin sei auf's Neue in Ohnmacht gefallen. Er wartete eine mit Rasen bewachsene Stelle ab, um dem Wagen wieder zur Seite zu reiten und dann und wann forschende Blicke hinein zu werfen. Da sah er denn Haideröschen, an die Heupolster gelehnt, aufrecht sitzen. Die hellen Tropfen auf ihren rosigen Wangen und der traurige Zug um den reizend schönen Mund sagten ihm, daß sie weinte, doch deutete ihre stille Gefaßtheit auch darauf hin, daß sie jeden Widerstand für unmöglich halte und sich in die böse Nothwendigkeit ergebe. Haideröschen hatte das Häubchen abgenommen und saß jetzt in der vollen Schönheit ihres goldnen Haares vor den begehrlichen Blicken des Grafen. Sie zupfte die einzelnen Grashälmchen aus dem zarten Gelock, kräuselte die aufgegangenen Ringel über der[243] Stirn mit dem Finger und steckte die starken Flechten am Hinterkopf wieder auf. Dann bemühte sie sich vergeblich, ohne ihr stilles Weinen zu unterbrechen, das zerknitterte Häubchen auf ihrem runden Knie mittelst Streichen und sanftem Klopfen wieder zu glätten. Da ihr dies schlecht gelingen wollte, setzte sie es in der etwas unscheinbar gewordenen Form auf und band es unter dem Kinn mit zierlicher Schleife fest, die sie nicht vergaß in die gehörige Richtung und Breite auszuzupfen. Hierauf faltete sie fromm die Hände und fing an in der Noth ihres Herzens Sprüche und Liederverse in wendischer Sprache leise herzusagen, eine Beschäftigung, in der sie nur bisweilen ein unwillkürlich lautes Aufschluchzen unterbrach.

Zufrieden mit dieser Fügsamkeit überließ Magnus das Mädchen sich selbst und langte ohne fernere Störung mit ihr auf dem Zeiselhofe an. Erst hier, im Innern der dunkeln Hausflur, wohin er mit Vorbedacht den Wagen fahren ließ, zeigte er sich Röschen, diesmal sein interessantes, keckes männliches Gesicht in die lichtesten Farben gewinnender Freundlichkeit kleidend.[244]

»Welch arges Herzeleid hast Du Dir selbst unnöthig zugefügt, kleiner Trotzkopf!« sagte er lächelnd zu der kleinen Wendin, nachdem er den Pachter fortgeschickt hatte. »Bitte, reiche mir jetzt Deine Hand, daß ich Dir von diesem elenden Fuhrwerk herunterhelfe! Ich konnte leider kein besseres auftreiben, um Dich, wie Du es verdient hättest, in mein Schloß zu geleiten! – Sei nicht ängstlich, nicht blöde, sondern sprich keck aus, was Du begehrst. Es wird mir ein unaussprechliches Vergnügen gewähren, Dir in allen billigen Dingen gefällig sein zu können.«

Haideröschen war über dieses veränderte Betragen so verwundert, daß sie sich anfangs wirklich besinnen mußte, ob sie nicht etwa träume. Inzwischen hob sie Magnus aus dem Wagen, geleitete sie äußerst zuvorkommend und mit einer ihr an Männern bisher noch nicht vorgekommenen Galanterie, wobei er kaum die Spitzen ihrer Finger berührte, eine breite Treppe hinan, auf deren gewundenen Absätzen seltene Blumen mit phantastischen Blättern und Blüthen, wie sie in ihrem Leben noch keine gesehen hatte, in großen Töpfen und Kübeln standen, und führte sie, ehe sie noch recht zur Besinnung kommen konnte, in[245] ein mittelgroßes Zimmer, das außer einem reich verzierten Divan und mehrern hochlehnigen, mit kostbarem Seidenstoff überzogenen Stühlen große vom Fußboden bis an die Decke hinauf reichende Spiegel von kristallklarer Reinheit enthielt, die Röschens Aufmerksamkeit vorzugsweise fesselten. Eine Stutzuhr von einem jener geschnörkelten Gehäuse umgeben, die jetzt wieder unter dem Namen Rococco Mode geworden sind, zierte einen Schrank aus Nußbaumflaser. Schwere gewirkte Teppiche von bunter Farbe überdeckten den Fußboden, die Wände waren mit alterthümlichen Tapeten bekleidet, auf denen allerhand Jagdscenen abgebildet waren. Ein hoher Kamin mit marmorner Einfassung trug Spuren eines unlängst erloschenen Feuers. Auf einem runden Tisch mitten im Zimmer standen zwei silberne Armleuchter mit Kerzen und zwischen diesen eine silberne Schelle, deren Griff eine zierlich gearbeitete Figur Diana's darstellte.

»Hier bist Du alleinige Gebieterin, mein schönes Kind,« sagte der Graf, die Erstaunte ritterlich galant zum Divan führend. »Sobald Du etwas begehrst, darfst Du nur diese Schelle läuten. Auf einmaliges Geläut wird eine Dienerin[246] erscheinen, um Deine Befehle zu empfangen, schellst Du zweimal, so soll dies ein Zeichen sein, daß Du mich selbst zu sprechen begehrst.«

Höflich grüßend entfernte sich Magnus und überließ Röschen sich selbst und der Einsamkeit. Geraume Zeit konnte sich das in den einfachsten Verhältnissen aufgewachsene Mädchen in die sich häufenden Seltsamkeiten nicht finden, und es kostete ihr wirklich Mühe, nicht fest zu glauben, daß sie während ihrer Betäubung von unsichtbaren Mächten verwandelt, ihr Verfolger aber gebessert worden sei. Das Land, noch mehr ihr Volksstamm war reich an Erzählungen dieser Art und mäkelte nicht an ihrer Wahrhaftigkeit, wenn auch gegenwärtig Niemand lebte, dem so Wunderbares zugestoßen war. Nur ihre groben Kleider, die sie noch unverändert trug, machten sie wieder irr und ließen neue Bedenken in ihrem geängsteten Gemüth aufsteigen.

Aus weiblicher Neugier, zum Theil auch, um sich einigermaßen zu zerstreuen, begann Haideröschen die auffallendsten Einzelnheiten des geräumigen, von eigenthümlichem Duft erfüllten Zimmers, wie er Wohnungen eigen ist, die[247] zwar zur Aufnahme von Gästen stets bereit stehen, doch nur höchst selten wirklich dazu benutzt werden, genauer zu betrachten. Sie trat zuerst an's Fenster, um sich in der Gegend zu orientiren. Die Aussicht war nicht großartig, aber ansprechend und recht passend für ein Gemüth, das mehr mit den geheimen Reizen der Natur, als mit den geräuschvollen und gefährlichen Genüssen durch zu hoch gesteigerte Civilisation schon wieder verdorbener Menschen vertraut ist. Eine Landschaft, rechts von niedrigen Höhen begrenzt, von freundlichen Häusern, zwischen denen breite Ackergelände sich ausdehnten, belebt, lag in goldigem Sonnenschein vor ihr und verlor sich fern in höheren, gegen den Horizont scharf abschneidenden Bergkuppen. Nur zur Linken blieb ein schmaler Streif von jeder eigentlichen Begrenzung frei. Ein bläulich grauer Schimmer, über dem jetzt blaßrothe Wölkchen wie vom Himmel herabflatternde Rosen schwebten, deutete hier nur den Punct an, bis wie weit die Sehkraft reichte.

Diese Aussicht in ihrer todten Unveränderlichkeit hatte etwas Schwermuth Erweckendes. Dennoch machte sie auf das junge Mädchen[248] grade den entgegengesetzten Eindruck. Sie, die bis dahin all das Seltsame und Prächtige mit kaltem Auge angestaunt hatte, fühlte plötzlich elektrisches Feuer durch ihre Nerven strömen. Die großen, klaren, unendlich liebreichen Augen glänzten im Feuer kindlichen Entzückens, und indem sie wie grüßend ihre beiden Hände nach dem grauen Dunststreif ausstreckte, rief sie unwillkürlich: »Meine liebe, liebe Haide!«

Röschen täuschte sich nicht. Es war der graue Saum der unermeßlichen Haide, deren äußerstes Ende sie über den grünen Saatfeldern gewahrte, jener Haide, die einen großen Theil der Oberlausitz und fast die ganze Niederlausitz bedeckt. Dieser Anblick gab ihr Kraft und Lebendigkeit wieder. Sie trat vor einen der hohen Spiegel und betrachtete selbstgefällig ihre schlanke Gestalt. Lächelnd schüttelte sie den Kopf, weil es ihr ungemein komisch vorkam, daß die kleinen muntern Löckchen über ihrer Stirn, die unter dem Häubchen hervorguckten, so zum Angreifen natürlich vor ihren Augen nickten und hin und her schwankten; denn Röschen hatte wohl zuweilen einen Spiegel zu Rathe gezogen, doch immer nur einen kaum handbreiten, fleckigen und nie[249] ganz reinen. Hier nun sah sie sich von Kopf zu Fuß, und wenn sie sich gestehen mußte, daß sie recht hübsch sei und allenfalls wohl auch einem reichen Edelherrn gefallen könne, so erröthete sie zugleich auch, was ihr früher nie begegnet war, über ihre gar so ärmliche und unscheinbare Kleidung.

Recht betrübt ließ sie das Köpfchen sinken und sah traurig auf ihren roth und schwarz gestreiften Wollenrock herab, der nur durch das Leibchen von allerdings sehr verschossenem Sammet einen Schimmer von Werth erhielt. Es kam ihr vor, als sei sie noch nie so ganz abscheulich gekleidet gewesen und der Gedanke, doch einmal zu sehen, wie ihr wohl bessere Kleider stehen möchten, stieg so plötzlich in ihr auf und bemächtigte sich so ganz ihrer Phantasie, daß sie mit dem festen Willen, dergleichen zu verlangen, rasch nach der silbernen Schelle griff und sie heftig schwang. Ihr unbedachter Eifer ließ das Glöckchen zweimal ertönen, worauf sie jedoch nicht achtete, sondern erwartungsvoll mitten im Zimmer stehen blieb und angestrengt lauschte, ob man ihren Befehlen zu gehorchen wohl bereit sein werde. Sie richtete dabei ihre[250] Blicke auf die Thür, um gleich beim Erscheinen der begehrten Dienerin einigermaßen über deren Willfährigkeit sich ein Urtheil bilden zu können.

Haideröschen mochte etwa eine Minute in dieser horchenden Stellung verharrt haben, als sie es rauschen hörte, nicht aber vor der Thür, sondern hinter oder an der Wand. Sie hielt den Athem an und horchte noch angestrengter. Da bemerkte sie deutlich, daß die gemalten Jäger auf der Tapete zu zittern begannen, die Wand aus ihren Fugen wich und sich gegen sie bewegte. Ein dumpfes Ach! entrang sich ihren Lippen, sie wollte fliehen und eilte nach der Thür. Allein, wie heftig sie auch am Schlosse drückte, es wich und wankte nicht! Auch wäre Flucht bereits zu spät und höchst unklug gewesen, denn Graf Magnus stand schon im Zimmer und drückte die unsichtbar in die Wand eingefugte Thür leise wieder zu. Eben so freundlich, wie er sie vor einer Stunde verlassen hatte, trat er wieder zu ihr und fragte bescheiden, was sie ihm mitzutheilen habe?

Überrascht schwieg Haideröschen mit zu Boden gesenkten Blicken.

»Muth, mein Kind, Muth!« sprach der[251] Graf, seine Hand sanft unter ihr Kinn schiebend und das Köpfchen aufrichtend. »Du hast mir geschellt, jetzt mußt Du auch sprechen.«

»Ach, gnädigster Herr, Erbarmen!« erwiederte die Wendin zaghaft. »Die Schelle sollte nur einmal läuten und sie hat –«

»Zweimal geläutet,« fiel ihr Magnus lächelnd in's Wort. »Ja, mein Kind, das hab' ich gehört, darum bin ich hier. Und da meine Schelle so klug ist, die verborgenen Gedanken meiner reizenden Gästin zu errathen und mir zuzuflüstern, so werde ich jetzt hier bleiben. Es ist so traulich, so einladend hier zu freundlicher Unterhaltung! – Aber sage mir doch, Du lieblicher kleiner Schelm, was gedachtest Du denn mit meiner Dienerin zu plaudern?«

»O gar nichts, gnädigster Herr!« versetzte Röschen, aus Verlegenheit mit dem Bandendchen spielend, das ihr zum Zuschnüren des Leibchens diente.

»Wenn Du lügst, werde ich Dich bestrafen müssen, Röschen!«

»Thun Sie's nicht, gnädigster Herr!«

»Ich würde es ungern thun, allein ich sehe mich dazu genöthigt, sobald Du mir Deine[252] Wünsche und Gedanken verheimlichst. – Was hat Dir den das Bändchen gethan?«

Eine geschickte Wendung ließ Magnus die spielende Hand der Wendin erhaschen, die das Bändchen noch festhielt. Er zog sie mit der seinigen zurück und die Schleife ging auf und ließ das Leibchen so weit zurückweichen, daß das grobe Linnenzeug darunter, welches den Busen des Mädchens züchtig verhüllte, sichtbar ward.

»Ach die schlechten Kleider!« stotterte Haideröschen. »Berühren Sie sie ja nicht, gnädigster Herr, Sie sind nicht gewöhnt, so grobe Sachen in Ihre Hand zu nehmen!« Und behend entschlüpfte sie dem Grafen, und schlang flink wieder, das Band zusammenziehend, eine feste Schleife.

»Ich billige Dein Gefühl, liebes Kind,« entgegnete Magnus, noch immer sanft und zurückhaltend. »So schlechte Kleider mögen für plumpe Bauermägde passen, ein so zartes Wesen, wie Du, mein Röschen, ist bestimmt, feinere Stoffe zu tragen, und wenn Du den Versuch machen willst, so werde ich dafür sorgen, daß Du morgen das Nöthige vorfindest.«

Haideröschen erröthete und konnte eine[253] schelmisch lächelnde Miene nicht ganz verbergen. Magnus bemerkte dies und fragte rasch: »Du lächelst? Freust Du Dich darauf?«

Jetzt erst wagte die Wendin ihre prächtigen Augen ein paar Secunden lang frei und offen zu dem Grafen aufzuschlagen, während sie noch immer sehr schüchtern erwiederte: »Darum wollte ich ihre Dienerin bitten, gnädigster Herr.«

Der Graf jubelte innerlich über dies freimüthige Geständniß des schönen Mädchens, da es ihm deutlich den Kern weiblicher Eitelkeit und Putzsucht enthüllte, der auch in dem noch unverdorbenen Herzen dieses Kindes der Haide tief verborgen lag und sorgfältig gepflegt eine ergiebige Ärndte versprach. Er setzte sich auf den Divan und schmeichelte der vor ihm stehenden Wendin so lange mit freundlichen Redensarten, bis sie Muth faßte und neben dem jungen Manne, der jetzt keine Spur von Heftigkeit oder Hochmuth zeigte, schüchtern Platz nahm.

»Sieh, mein süßes Haideröschen,« redete er sie zutraulich an und ganz so, als wolle er ihr blos eine Geschichte erzählen, »ich muß Dich jetzt über Dich selbst und Dein Glück etwas aufklären. Dein sonst recht braver Vater ist ein[254] befangener Mann, der vom heutigen Weltleben nichts versteht. Ihm muß ich es daher auch zu Gute halten, wenn er in seiner schwachsinnigen Thorheit meinen guten Absichten entgegentritt. Du aber, ein junges, blühendes, schönes Mädchen von aufgewecktem Geist und heiterm Gemüth, Du mußt Dich gewöhnen, die Zeit mit dem lustigen Auge verständiger Weltleute anzusehen. Dazu, mein Kind, will ich Dich eben erziehen, und nur dies allein ist der Grund, weshalb ich Dich mit Gewalt zu mir genommen habe, da es auf andere Weise nicht gehen wollte. Es fällt mir nicht ein, Dich, wie andere meiner Unterthanen, in die Viehställe zu stecken, Dich will ich für mich allein, zu meiner Gesellschafterin haben. Du sollst mich begleiten, wenn ich ausreite oder fahre, Du sollst das ritterliche Vergnügen der Jagd mit mir theilen, Du sollst mit mir essen und trinken, kurz, Du sollst leben, wie ich, gebieten, wie ich! Hättest Du wohl Lust dazu, Haideröschen?«

Die schöne Wendin sog diese verführerischen Worte des Grafen wie Zaubertöne eines Mährchens ein. Sie blickte mit den brennenden dunkelblauen Augen zu ihm auf und lächelte ihn[255] freundlich an. Magnus wagte jetzt seinen Arm lose und wie zufällig von der Lehne des Divans auf ihren verhüllten Nacken gleiten zu lassen. Er fuhr fort:

»Du wirst von dem thörichten Volk gehört haben, ich sei hart, ein Tyrann. Glaube nicht daran, mein Röschen! Ich mache nur einen Unterschied zwischen den Menschen. Wo ich Rohheit, Gemüthsverhärtung, unbändigen Starrsinn und Widerwillen gegen jeglichen Befehl bei vollkommenem Mangel an Bildung entdecke, da wende ich scharfe, empfindliche Mittel an, wie sie allein durchdringen können. Die Mehrzahl dieser Menschen, die zerstreut auf meinen Besitzungen in der Haide und dem niedrigen Hügellande wohnen, verdienen nicht besser wie das unvernünftige Vieh behandelt zu werden. Es ist ein Glück für sie, daß sie keinen freien Willen haben, sie würden an ihrer Freiheit nur zu Grunde gehen! Daß sie zuweilen murren und in ihrer Störrigkeit gegen mich zu rennen suchen, ist Folge ihrer gänzlichen Verstandeslosigkeit. – Wo ich dagegen Anlage, Herz, Gemüth, Geist entdecke, wie bei Dir, meine Perle, da bin ich immer geneigt, zu vergessen, daß ich das[256] Recht habe, blindlings zu befehlen. Ich wünsche dann als Lehrer aufzutreten und solchen bevorzugten Wesen die Wohlthaten, welche die Freiheit gewährt, sich selbst verdienen zu lassen.«

Haideröschen hätte gebildeter sein müssen, als sie es war, um diese Rede des Grafen vollkommen verstehen zu können. Sie hörte ihm zwar aufmerksam zu, aber sie wußte doch eigentlich nicht, was er mit all den schönen Worten hatte sagen wollen. Nur die milde Freundlichkeit, die unveränderlich seine interessanten Züge geistig belebte und verschönerte, machten sie begierig, noch mehr zu vernehmen, Sie stützte daher das feine Köpfchen in ihre Hand und wandte mit schalkhaft klugem Lächeln, dem eine entzückende kindliche Unwissenheit inne wohnte, das Gesicht dem Grafen zu.

»Wenn ich von dem Verdienen der Freiheit spreche,« fuhr Magnus fort, »so will ich damit nichts Anderes sagen, als daß ich wünsche, es möge jeder Einzelne meiner Unterthanen die guten Absichten anerkennen, die meinen Handlungen stets zum Grunde liegen. Von Dir, Röschen, verlange ich das vor Andern. Du bist klug und alt genug, um mich zu verstehen. Der[257] Instinct, welchen die Natur Deinem Geschlecht in so reichem Maße verliehen hat, sagt Dir schon von selbst, was am meisten dazu dienen kann, Dich mir gefällig zu machen. Ohne Dir einen Wink zu geben, bist Du von selbst darauf gefallen, diese unschönen Kleider mit zarteren, geschmackvolleren Hüllen vertauschen zu wollen. Sieh, mein Kind, das nenne ich natürliches Talent, Anlage, meine Gedanken zu errathen. Mit dem Kleide wirst Du unmerklich auch Deine Wünsche, Deine Erwartungen, Deine Gefühle wechseln. Glaube mir, es ist gar nicht gleichgiltig, wie man sich kleidet! Der rohe Stoff, die grobe, unschöne Tracht drückt mit lähmender Gewalt unsere geistigen Anlagen nieder und stumpft alles feinere Gefühl ab, während die leichte, schimmernde, weiche Hülle, die sich sanft den Formen anschmiegt, unsern Gedanken Schwung und Kraft, unsern Empfindungen dauernden Reiz, unserm Willen erhöhte Festigkeit und einen schönen vornehmen Stolz verleiht. – Vermöchte es der Bettler über sich, die Lumpen, die seine Blöße decken, von sich zu werfen und der Unreinlichkeit zu entsagen, an die ihn sein faules Leben gewöhnt hat, wahrlich, er würde sich alsbald[258] seiner selbst schämen und in Kurzem ein anderer, ein besserer Mensch werden! Und so hoffe ich, soll der Geist der Anmuth, der feineren Sitten, der größeren Lebensgewandtheit auch in Deinem schuldlosen Busen mit dem Kleidertausche, den Du wünschest, einziehen. Dafür mußt Du mir jedoch einen Gefallen thun.«

Röschens Bezauberung, die mit ihrer Ankunft auf dem Edelhofe begonnen hatte und in welcher sie wie in einer Welt wunderbarer Träume seitdem lebte, ward immer gewaltiger. Sie fühlte sich von den lockenden Tönen, die von des Grafen Lippe fielen und um ihre Schläfen schmeichelten, wie von einer reizenden Musik berauscht, und ohne zu ahnen, was man eigentlich mit ihr vorhabe oder von ihr wolle, gab sie jetzt durch billigendes Kopfnicken zu erkennen, daß sie die Meinung ihres klugen Gebieters zu theilen bereit sei.

»Recht gut!« fuhr der Graf fort, »wir müssen uns nur auch über das Was und Wie verständigen. Zuvörderst wirst Du also hier bleiben und Dich nach Art der Vornehmen kleiden.«

»O ich werde ganz närrisch werden vor[259] Freude, wenn ich in schönen langen Kleidern, blitzende Steine im Haar und an den Füßen Sammetschuhe mit hohen rothen Stelzchen vor den hohen großen Spiegeln auf- und niedergehe,« sagte Haideröschen und lachte dabei munter und seelenvergnügt, wie ein Kind.

»Dann wirst Du mich auch lieb haben, nicht wahr?«

»Ich werde Ew. Gnaden immerdar als meinen Herrn und Gebieter verehren.«

»Nicht doch, Haideröschen! Liebe ist mehr als Verehrung, und es ist mein Wille und mein Befehl, daß Du mich lieben sollst!«

In Röschens Augen erlosch jetzt der Freudenglanz, der sie während der einschmeichelnden Rede des Grafen belebt hatte. »Lieben?« wiederholte sie mit einem leichten Seufzer. »Gnädigster Herr, die Liebe können sie nicht befehlen. Sie ist nicht auf Erden, sie fliegt durch die Himmel und spielt über den Herzen der Menschen, wie Schmetterlinge über den duftenden Blumen der Haide! Sie ist ein Gnadengeschenk des Himmels, dem Geringen so oft, so reich, so beglückend zugetheilt, wie dem Vornehmen! – Nein, gnädigster Herr Graf. Sie können Alles[260] mit Ihrem Willen erreichen, nur nicht, daß eines armen leibeigenen Mädchens schüchternes Herz Sie liebe!«

Magnus ward von dieser unerwarteten Antwort des aufgeweckten Naturkindes sehr wenig erbaut. Doch hielt er noch an sich und fragte anscheinend verwundert:

»Du willst mich also nicht lieben?«

»Ich will, gnädigster Herr, aber ich kann nicht!« versetzte Haideröschen. »Ich liebe den Gesang der Lerche über dem blühenden Buchwaizen, ich liebe den Hänfling, der im Laube unseres Gärtchens sein Nest baut, ich liebe das Schwärmen und Flattern der Schmetterlinge um die nickenden Blumenhäupter, ach ich liebe die feierliche Stille und den brausenden Sturm meiner heimathlichen Haide, ohne es zu wollen, ohne mich zu zwingen! Gott will es so und legte die Kraft dazu in mein Herz, aber er hat mir nicht gesagt, daß ich auch Sie lieben soll. Vor dem gnädigen Herrn beuge ich nur in Demuth und Ehrfurcht mein niedriges Haupt.«

»Wenn Du bei diesen Gesinnungen verharrst, wirst Du mich erzürnen, Röschen, und[261] mich zwingen, Dich härter zu behandeln, als ich will.«

»Der gnädigste Herr Graf haben über mich zu gebieten,« sagte die Wendin still ergeben.

»So thue, was ich will!« rief Magnus heftig und stand auf, das zarte, reizende Kind der Haide mit hartem Druck von sich stoßend.

»Ich thue, was ich kann,« versetzte Haideröschen bescheiden und unterwürfig.

»Du bist mir unterthan, Du mußt meinen Befehlen gehorchen!«

»Befehlen, Ew. Gnaden, was Sie dürfen, und ich werde ohne Murren Gehorsam leisten.«

»Dürfen! – Hast Du mir Vorschriften zu machen? Ich darf, was ich will. Du bist meine Leibeigene.«

»Nun ja,« sagte Haideröschen, »ich bin Ihre oder Ihres gnädigen Herrn Vaters Leibeigene. Bedienen sich der Herr Graf meines Körpers; aber über mein Herz zu verfügen, wollen Sie unterlassen.«

Diese rührende Antwort hätte Magnus beinahe erweicht, als er aber die anmuthige Gestalt der schlanken Wendin mit seinen lüsternen Blicken überflog, verhärtete sich sein Gemüth[262] auf's Neue und die Lust, dies schöne Mädchen um jeden Preis zu besitzen, steigerte sich zur grimmigsten Leidenschaft.

»Wer hat Euch denn so feine Unterschiede machen gelehrt?« fragte er spöttisch lächelnd. »Eure wendischen Schulmeister sind meines Wissens abgedankte Soldaten, verdorbene Schuhmacher und Schneider, die aus Noth, weil ihr Handwerk sie nicht ernährt, in die Gelehrsamkeit pfuschen und mit Noth und Mühe erst selbst das ABC lernen, um es dann ihren Staarmatzen mittelst Ruthe und Stock in Jahr und Tag ebenfalls beizubringen. Menschenverstand und Geist habe ich auf diesen Eselsweiden noch niemals angetroffen.«

»Bedürfen wir eines Lehrers, um zu begreifen, was Hunger und Durst ist, gnädigster Herr?« warf Röschen ein.

»Ich glaube gar, die Dirne ist trotz ihrer sechzehn Jahre schon in irgend einen Tölpel aus ihrem Sumpf- und Haidelande verliebt bis über die Ohren!«

Haideröschen schwieg erröthend auf diese rohen Worte, Magnus ging einige Male im Zimmer auf und nieder und schellte dann heftig.[263] »Licht!« rief er dem Bedienten zu, setzte seinen Gang fort und wendete sich erst, nachdem die Kerzen auf den Armleuchtern angezündet worden waren, abermals zu dem hartnäckigen Mädchen.

»Liebst Du?« fragte er grollend.

»Ich habe es Ew. Gnaden schon gesagt.«

»Wem hast Du Deine Neigung zugewendet?«

Haideröschen sah den Grollenden mit muthigem Auge an. »Wenn der gnädige Herr diese Frage an mich richten,« erwiederte sie, »in der Absicht, mir den Geliebten rauben zu wollen, so würde ich Sie meinem Gefühle nach der Grausamkeit zeihen müssen.«

»Mädchen, Mädchen,« rief Magnus mit zornbebender Lippe, »Du wagst viel! Aber ich will Deine Worte nicht gehört haben Deiner körperlichen und geistigen Schönheit wegen. Versprich mir, Deinen Geliebten zu vergessen und ich will seinen Namen nicht wissen.«

»Ich zweifle, daß ich ein solches Versprechen würde halten können, gnädigster Herr. Geböte mir Jemand, ich sollte aufhören Gott zu lieben, den ich doch nie von Angesicht zu Angesicht gesehen habe, so würde ich mich traurig[264] von ihm wenden, weil ich ja doch wüßte, daß ich seinen Befehl nicht vollziehen könnte. Wie soll es mir nun erst möglich sein, den Mann zu vergessen, dessen Bild in mein Herz eingegraben ist, dessen Stimme mich entzückt, in dessen Auge mir ein Himmel aufgeht? O nein, gnädigster Herr Graf, das wollen und können Sie nicht verlangen, denn es hieße sündigen gegen die Gesetze Gottes und unserer Religion!«

»Nun ich sehe und höre, daß die Kunst, Deine Gedanken geheim zu halten, Dir nicht eigen ist,« versetzte Magnus. »Da ich Dich nicht überreden kann, stände es mir jetzt frei, Dich durch allerhand kleine Foltern von Deiner kindischen Schwärmerei zu heilen, doch ich mag auch zu diesem Mittel nicht meine Zuflucht nehmen. – Du hast Dir selbst Dein Urtheil gesprochen, mein schönes Haideröschen,« fuhr er nach kurzem Besinnen fort und sein jetzt stechendes Auge funkelte tückisch, wie das des Tigers, der seine Beute lauernd umschleicht. »Du hast freiwillig, was ich nur loben muß, zugestanden, daß Dein Leib mir gehöre, Dein Herz dagegen ein Eigenthum sei, über das ich nicht verfügen könne. – Ich halte Dich beim Worte, Röschen.[265] Du wirst mir von jetzt an mit Deinem Leibe dienen und ihn ganz meiner Willkür anheim geben, Dein Herz magst Du, wenn es Dir Vergnügen macht, meinetwegen den Schmetterlingen oder einem schmutzigen Fischer schenken. Bist Du mit dieser Theilung zufrieden?«

»Gnädigster Herr, ich verstehe den Sinn Ihrer Worte nicht,« stammelte Haideröschen, an allen Gliedern bebend und mit scheuem Blick die furchtbar verwandelten Gesichtszüge des stolzen, durch sie beleidigten und zur Rache aufgereizten Grafen betrachtend, der mit verschränkten Armen vor ihr am Tische lehnte.

»Ich werde Dir das Verständniß beibringen, ungehorsame Leibeigene,« versetzte Magnus hämisch lachend und trat dem Mädchen einen Schritt näher. »Du wirst die Gefälligkeit haben, Dein Häubchen abzulegen und mir den Anblick Deiner schönen Haare zu gönnen. Auch möchte ich Dich ersuchen, ohne Zögern Deinen weißen Nacken zu enthüllen und mir zu erlauben, daß ich Dir an den feinen Handgelenken die Hemdeknöpfchen löse, damit ich den vollen schönen Arm, der mich an das haßerfüllte Herz[266] drücken wird, bewundern kann. Ich bitte, laß mich nicht länger auf Gehorsam warten!«

Wie ein Raubvogel die schüchterne, schwache Taube in engen und immer engern Zirkeln umkreist, so gewährte es jetzt dem jungen, wüsten Grafen unaussprechliches Vergnügen, die vor ihm fliehende Wendin aus einem Schlupfwinkel in den andern zu treiben. Wohl zehnmal hätte er sich des schwachen Mädchens bemächtigen können, aber er wollte nicht. Die von Secunde zu Secunde wachsende Seelenangst seines Opfers ergetzte ihn mehr, als schnelles Überwältigen und rohes Genießen. Er spielte mit ihr, wie der zum Sprunge ausholende Tiger, ja er hoffte, daß Haideröschen es eben so wie der Vogel machen solle, auf welchen die Klapperschlange ihr brennendes Auge gerichtet hat. Um nur die fürchterliche Qual zu enden, glaubte er bestimmt, sie würde sich ihm im Angenblick einer an Wahnsinn grenzenden Verzweiflung in seine Arme werfen. – Da geschahen draußen drei gewichtige Schläge an's Schloßthor, und während Magnus ein paar Secunden an's Fenster trat, um zu sehen, was es wohl geben möge, gewann das arme Haideröschen Zeit,[267] sich wieder zu fassen und auf einen neuen, furchtbareren Angriff sich zu rüsten. Ihr Häubchen war bereits in der Hand des frechen Räubers. Die goldblonden Flechten hatten sich aufgelöst und rollten in glänzender Fülle über das schwarzsammetne Leibchen und den grobwollenen Rock herab. Sie lehnte sich ermattet an den hohen Marmorsims des Kamins und strich sich die aufgegangenen, in Angstschweiß gebadeten zierlichen Löckchen aus der Stirn, die gleich vom Thau befeuchteten Goldblümchen ihren Scheitel umsäumten.

Ergrimmt durch die Störung, deren Ursache er nicht entdecken konnte, schritt jetzt der Graf wieder auf sie zu. Haideröschen konnte nicht fliehen, sie hätte sich denn in den Kamin retten müssen. Verzweifelt griff sie um sich und erfaßte ein Scheit Holz, das hinter ihr lag. Wie ein Schwert schwang sie jetzt diese Waffe mit der Kraft der Verzweiflung gegen ihren Verfolger. Magnus lachte zwar der Ohnmächtigen, erhielt aber dennoch einen so heftigen Schlag auf den gegen sie ausgestreckten Arm, daß er ihn kraftlos sinken ließ. In diesem letzten entscheidenden Moment nahten eilige Schritte, es ward heftig[268] an die Thür geklopft und die Stimme des Voigtes begehrte dringend den Grafen sogleich zu sprechen.

Haideröschen athmete froh auf und erhob dankend ihre schönen Augen zum Himmel.

»Triumphire nicht zu früh!« drohte Magnus mit furchtbarem Hohne. »Jetzt habe ich blos zärtlich um Dich geworben, das nächste Mal feiern wir unsere Hochzeit!«

Mit nicht zu schilderndem Frohlocken sah die Wendin ihren tückischen Peiniger das Zimmer verlassen, das er fest hinter sich verriegelte.

Quelle:
Ernst Willkomm: Weisse Sclaven oder die Leiden des Volkes. Theile 1–5, Leipzig 1845, S. 234-269.
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