Viertes Kapitel.
Das Erwachen der Nemesis.

[62] Es schlug neun auf der Fabrikuhr. Die Nacht war finster, die Luft still. Das gewöhnliche Brausen der Haide erstarb in einem kaum bemerkbaren Säuseln und Flüstern. Als der letzte Glockenschlag verhallte, stieß die Fähre vom Lande und durchschnitt langsam die trägen schwarzen Gewässer des See's, der große schwere Eisschollen in Menge trieb.

Auf dieser Fähre kehrte Adrian von seinem heimlichen Besuche im Raubhause zurück. Es war derselbe Abend, an dem wir die blinde Marie auf dem Zeiselhofe begrüßt haben, beinah dieselbe Stunde, in welcher Aurel Elwiren seine Liebe gestand.

Adrian holte tief und seufzend Athem, als[63] er den Lichtschein am Ufer der Insel durch die Jalousien schimmern und im Wasser des Sees sich wiederspiegeln sah. Auf diesen kleinen flimmernden Lichtpunkt heftete er sein Auge, als liege in dem schwankenden Flämmchen ein unwiderstehlicher Zauber. Die blendenden Reihen der erleuchteten Fenster der Fabrik zogen ihn heut nicht an.

Wie kam es, daß Adrian sein hohles Auge unter Herzklopfen an jenen irrlicht trüben Lichtschimmer heftete, der spielend auf dem Gewässer gaukelte? Um diesen geheimnißvollen Zauber zu begreifen, müssen wir die prächtige Wohnung des Fabrikherrn betreten und uns in dieser etwas genauer umsehen. –

Hier kommen wir in ein kleines behagliches Zimmer, dessen Wände mit blauen Tapeten ausgeschlagen sind. Ein reiches Möblement gibt diesem wohnlichen Zimmer jenen fesselnden Reiz, den wahrer Comfort immer mit sich führt. Vor einem hohen und breiten, in kostbaren Goldrahmen gefaßten Spiegel brennen auf zwei dreiarmigen Leuchtern starke Wachskerzen und gießen ihr volles stilles Licht über eine weibliche Gestalt aus, die auf gesticktem Sessel in einem blendend[64] weißen Kleide kniet und eben damit beschäftigt ist, in ihr prächtiges schwarzes Haar eine purpurrothe Camelie zu befestigen. Die schönen glänzenden Flechten sind am Hinterhaupt in einen einfachen geschmackvollen griechischen Knoten verschlungen, und nur um die Schläfe und die feinen Ohren ringeln sich einige lange Locken.

Dieses Mädchen ist Bianca, die ihre Abendtoilette macht. Die zarten Hüllen des weißen Kleides mit den kurzen Ärmeln, die ein breiter Spitzenbesatz umflattert, zeigen ihren schlanken und doch edlen Wuchs auf das Vortheilhafteste und erhöhen die natürliche Anmuth des schönen Geschöpfes noch durch ihre ausgesuchte Einfachheit, in welcher ein Kenner die raffinirteste Koketterie erblicken würde.

Bianca betrachtet sich lange im Spiegel, läßt die starken schwarzen Locken so lange durch ihre Finger laufen, bis sie die marmorweißen vollen Schultern berühren, welche das weit ausgeschnittene Kleid nicht verhüllt. Um den schlanken Hals trägt sie ein Collier von ächten Perlen, deren reines Wasser gegen den zarten Glanz der sammetnen Haut nicht aufkommen kann. Es ist ein Geschenk Adrians, Bianca[65] aber findet heut Abend, daß Nacken, Hals und Brust ohne diesen kostbaren Schmuck verführerischer sind, und so legt sie es denn mit kaltem Lächeln wieder in die Sammetkapsel, der sie es entnommen hat. Nun verläßt sie den Sessel, ergreift einen der Leuchter, erhebt ihn bis zur Höhe ihrer Achseln, und den Blick immer fest auf den Spiegel richtend, dreht sie sich langsam im Kreise um sich selbst. Bei diesem koketten Spiel stahl sich der Strahl des Lichtes durch die halbgeöffnete Jalousie und hüpfte verlockend, gleich einer dämonischen Flamme vor der rauschenden Fähre her, welche den Herrn am Stein nach der Insel trug.

Bianca machte ihrem Spiegelbilde mit reizendem Lächeln eine graziöse Verbeugung, setzte den Leuchter wieder fort und schlang ein rosaseidnes Band gürtelartig um ihre schlanke Taille. Erst nachdem dies geschehen war, erklärte sie mit stolzem Kopfnicken ihre Toilette für beendigt, schritt bedächtig durch mehrere Gemächer, bis sie Adrians Wohnzimmer erreichte, wo sie Alles zum Abendtisch ordnete. Dann zog sie sich zurück und ging, die Hände über[66] dem klopfenden Busen gefaltet, sinnend im Zimmer auf und nieder.

Bald darauf hörte sie die befehlshaberische Stimme Adrians. Sie erbebte leis und ein funkelnder Blitz schoß aus ihren großen schwarzen Augen. Ihre schwellenden Lippen zuckten und ein Zug bitteren Hohnes, ja tiefer Verachtung verunstaltete auf einige Secunden ihr tadellos schönes Gesicht. Lauschend blieb sie an der Thür stehen, die Stirn in ihre linke Hand stützend, an deren kleinem Finger ein Brillantring blitzte. Als sie sich überzeugt hatte, daß ihr Gebieter nach seinem Zimmer gegangen sei, zog sie ein zusammengefalteles Blatt aus dem Busen, schlang schnell eine bereit liegende Schnur darum, an welcher ein Schlüssel hing, öffnete eben so rasch Fenster und Jalousie und warf Beides unter dreimaligem Husten hinaus. Bald darauf schlüpfte hinter der Scheuer, auf deren Tenne Adrian die verhungerten Kinder ausgestellt hatte, eine dunkle hohe Gestalt hervor, schlich behutsam nach dem Hause und ergriff das weiße Papier, das Bianca absichtlich ruckweise am Boden flattern ließ. Als sie es in den rechten Händen wußte, ließ sie die Schnur[67] fallen, der nächtliche Gast verschwand wieder hinter der Scheuer und Bianca schloß behutsam ihr Fenster.

Wieder trat sie vor den Spiegel, um sich von ihrem Liebreiz zu überzeugen. Sie sah jetzt weit bleicher aus, als zuvor, allein diese Blässe that ihren Reizen keinen Abbruch, sondern machte sie eher noch verführerischer. Selbst ihr Lächeln, das nichts weiblich Sanftes an sich hatte, und nur wie eine Maske über die ursprünglich reinen Züge geworfen war, konnte durch die Eigenthümlichkeit des spöttischen Ausdruckes bezaubern, in dem sich Schallhaftigkeit und Laune höchst anmuthig umarmten.

Fast erschöpft lehnte sich Bianca jetzt an den Divan und wartete ruhig, bis sie Adrians Schritte vernahm. Vor diesem Tone schauderte sie zusammen, ob vor Wonne oder Entsetzen würde schwer zu entscheiden gewesen sein, denn ihr Blick blieb kalt, ihre Miene ruhig.

Sie ergriff abermals einen der Armleuchter, und indem sie das Zimmer verließ, sprach sie flüsternd zu sich selbst:

»Nun, Gott der Rache, sende mir Deine schrecklichen Engel, daß ich ihn züchtigen mag, wie er es verdient hat!«[68]

Und mit dem süßesten, verführerischsten Lächeln verschämter Liebe trat sie in Adrians Zimmer. –

Der Herr am Stein war sehr zufrieden mit seiner jungen schönen Haushälterin. Bianca war fleißig, sorgsam, accurat und die Aufmerksamkeit selbst. Besser war Adrian nie bedient worden, delicater hatte er nie gespeist. Und was ihm besonders gefiel, war, daß Bianca selbst die Stelle eines Dieners versah und ihm eigenhändig die Speisen reichte. Dabei erschien sie täglich in geschmackvoller Kleidung, immer einfach und immer reizend.

Zwar bat Adrian das schöne Mädchen, es möge die Aufwartung seinen Bedienten überlassen und Theil nehmen an seinem Mahle; wie dringend er aber auch bat, Bianca ließ sich nicht dazu bewegen. Sie wisse gar wohl, was ihr zukomme, behauptete sie mit dem allerschelmischsten Blick ihrer leidenschaftlichen Augen, und wenn der gnädige Herr nur zufrieden sei mit ihren Leistungen, so würde sie mit dem größten Vergnügen als Dienerin ihm während der Mahlzeit Gesellschaft leisten. –

Von diesem Entschlusse war Bianca nicht abzubringen, so große Mühe sich Adrian auch[69] gab. Sie legte ihm vor, wenn er es wünschte, sie setzte sich auch auf Verlangen neben ihn und unterhielt ihn munter plaudernd mit allerliebsten Geschichten. Dabei benahm sie sich so unbefangen, wie ein unschuldiges Kind von funfzehn Jahren. Sie streifte mit ihren warmen bloßen, runden Schultern beim Darreichen einer Schüssel Adrians Wangen, daß der sinnlich erregte Mann von der elektrischen Berührung des schönen Mädchens zitterte, oder sie beugte sich mit zur Seite geneigtem Kopf zu ihm herab, mit Mund und Augen zugleich eine Frage an ihn richtend, wobei der arme Mann nothwendig seine Blicke auf den weißen klopfenden Busen der schlauen Verführerin richten mußte, der die zarten Bande, die ihn gefesselt hielten, zu sprengen drohte.

Schon beim ersten Besuche Bianca's war Adrian in das Netz dieses unendlich verführerischen Geschöpfes gerathen, wie wir wissen. Das heitere, verschämte, naive Mädchen hatte ihn so gefesselt, daß er bei sich beschloß, ihr nach Beendigung des Prozesses seine Hand zu reichen. Daß Bianca einen solchen ihr gemachten Antrag ausschlagen könne, daran dachte er nicht. Er selbst glaubte sich noch rüstig und liebenswürdig[70] genug, um einem schönen Mädchen ohne Namen und Vermögen Liebe einflößen zu können. Auch verlangte er nicht Unmögliches oder nur Seltenes. Eine stille Neigung, ein freundliches Anschmiegen, ein aufmerksames Eingehen auf seine Wünsche zog er in jeder Hinsicht aufreibender Leidenschaftlichkeit und quälender argwöhnischer Eifersucht vor, womit liebende Mädchen so gern den leidenschaftlich geliebten Mann peinigen. Leider aber passirte Adrian bei aller Verstandeskälte im Umgange mit Bianca selbst das Unglück, daß er sich mit aller Leidenschaft, deren die Sinne fähig sind, in seine jugendliche Haushälterin verliebte. Und Bianca, das schuldlose Kind, merkte gar nichts von dem Unglück, das sie angerichtet hatte! Immer lächelnd, immer guter Laune, täglich in reizenderem Costüme umschwebte die schalkhafte Sirene den stolzen Fabrikherrn und gab auf all seine Fragen die scherzhaftesten Antworten; erröthete, wenn er ziemlich verständlich auf die Gefühle anspielte, die sie in ihm erregte, und wehrte schüchtern, aber standhaft jede vertrauliche Liebkosung ab mit der ernsthaften Bemerkung, dergleichen schicke sich nicht! – Gleich darauf war sie aber schon wieder die alte verführerische[71] Fee, die mit geübter Kunst und diabolischer Sicherheit ihre tödtlich treffenden Liebespfeile auf das unbewachte Herz ihres unglücklichen Opfers abschoß.

Durch dieses schlaue Betragen erreichte Bianca in unglaublich kurzer Zeit ihren Zweck. Es war wohlüberdachter Plan bei ihr, den Verführer und Mörder ihrer armen Schwester bis zum Wahnsinn in sich verliebt zu machen, ohne die geringste Hoffnung auf Gegenliebe in ihm aufkommen zu lassen. Sie wußte im Voraus, daß ihr dies vollkommen gelingen würde, und deshalb rüstete sie sich mit dem ganzen Scharfsinn weiblicher List aus, um Schritt vor Schritt langsam und sicher ihr Opfer zu umgarnen.

Adrian widerstand Bianca's meisterhaft geheuchelter Zärtlichkeit, die jedoch immer die Zärtlichkeit eines schuldlosen Kindes von höchster Anmuth blieb, nicht einen Tag, er widerstand ihr um so weniger, als er das reizende Mädchen zu seiner Gattin erheben und durch Freundlichkeit sich ihm geneigt machen wollte. Darum überhäufte er sie schnell mit kostbaren Geschenken und ließ sie ahnen, was er für sie fühlte. Ihr scheues Zurückschrecken bei solchen Andeutungen war ihm freilich nicht angenehm, da es[72] ein längeres Bewerben in Aussicht stellte. Täglich, oft stündlich von Bianca bis zu dem höchsten Gipfel sinnlicher Erregung gereizt, berührt von ihren vollen Armen, gestreichelt von ihren Händen, den süßen Athem ihres Mundes auf seinen Lippen fühlend, überall von ihr umschwebt, gerieth Adrian in einen fieberhaft exaltirten Zustand, der ihn leiblich und geistig verzehrte und schnell aufzureiben drohte. Er verfiel zusehends, seine Augen sanken zurück in ihre braunen Höhlen, in denen sie wie gefesselte Tiger lagen und grollend unheimliche Gluthblicke auf Jeden warfen, der ihm nahte.

Am Tage war dieser Zustand noch zu ertragen, denn dann weidete sich der unglückliche Liebende an seiner grausamen Zauberin, aber des Nachts erreichte die Pein der rasenden Leidenschaft, die sich seiner bemächtigt hatte, die größte Höhe irdischer Folterqualen. Adrian fiel in einen traumdurchrasten Schlaf, der ihm in tausend bunten Gestalten immer und immer Bianca's liebreizende Gestalt vorführte, und zwar in so lockender Schöne, daß ein Verschwinden dieses lächelnd an ihn heranschwebenden Bildes dem furchtbarsten Seelenschmerz gleichkam. Und doch[73] wiederholte sich dieser höllische Zauber unzählige Male immer von Neuem in jeder Nacht, und dem Unglücklichen war es nicht einmal vergönnt, die Locken seiner süßen Peinigerin zu küssen, wie viel weniger, sie an sein stürmisch klopfendes Herz zu reißen und an ihrem Busen, in ihren Küssen die Gluth zu kühlen, die ihn verzehrte! Kühl und ernsthaft wie am Tage entschlüpfte sie ihm auch im Traume, um sogleich wieder ihr gaukelndes Liebesspiel anzufangen und mit immer schrecklicheren Zaubern den Gefangenen auf ewig zu binden.

Diese göttlichen Träume voll süßer Höllenqualen wechselten ab mit jenen düstern Erscheinungen, die Adrian seit seiner Krankheit häufig im Schlafe verfolgten, wie wir wissen. Auf diese Weise glich sein Leben seit Bianca zu ihm gezogen war, einer nie endenden Folter. Er mußte sich dies selbst gestehen, aber schon hatte ihn die grausame Schöne so ganz mit ihren diabolischen Zauberfäden umsponnen, daß er lieber diese Qual fort erdulden und sie immer um sich wissen, als ohne sie in vielleicht ähnlicher Pein fortleben wollte.

Der schlauen, ihren Plan mit wahrhaft[74] entsetzlicher Consequenz verfolgenden Bianca blieb diese Verwandlung ihr Gebieters kein Geheimniß. Nur Adrian gegenüber that sie, als sähe und ahne sie nichts. Als sie bemerkte, daß der Graf nach Tische auf seinem Zimmer kurze Zeit zu schlummern versuchte, schlich sie auf den Zehen bis an die Thür, legte ihr Ohr an das Schlüsselloch und horchte gespannt, ob er vielleicht im Schlafe spreche. Sie hatte sich nicht getäuscht. Sobald der Schlaf Adrians Augenlider schloß, öffneten sich vor den Blicken seiner Seele die Pforten der Pein und nach wenigen Tagen wußte Bianca, daß unter allen Gestalten, die um den Schläfer schwebten, sie selbst und ihre verstorbene Schwester am häufigsten wiederkehrten.

Da flog ein glänzendes Lächeln rachsüchtiger Freude über die schönen Züge des Mädchens, und die kleine Hand ballend, schwor sie, dem Verhaßten noch schrecklichere Qualen zu bereiten.

Die Folter des Unglücklichen sollte in dieser Nacht beginnen!

Um ihren Zweck zu erreichen, hatte sich Bianca mehr wie je mit allem Liebreiz geschmückt und keine der vielen kleinen Toilettenkünste verschmäht,[75] die liebenden Männern so gefährlich werden. Als sie nun die Rückkunft des Grafen hörte und die Klingel desselben vernahm, begab sie sich, wie wir wissen, nach seinem Zimmer.

Adrian hatte, ermüdet von der beschwerlichen nächtlichen Fahrt durch den morastigen Wald, bereits sein Hauskleid angelegt und es sich in dem behaglichen Zimmer bequem gemacht. Auf Bianca's Befehl war der runde Tisch schon gedeckt und mit Allem versehen, was zu einem reichlichen Abendimbiß erforderlich war. Sie selbst hatte nur für Bereitung des Thees Sorge zu tragen, und den Grafen, wie er es seit Kurzem gewohnt war, in ihrer anmuthigen und graziösen Weise zu bedienen.

Heiter lächelnd trat die Sirene Adrian entgegen, grüßte ihn mit zierlicher Verbeugung, wußte aber auch sogleich ihren so eben noch überaus muntern Zügen einen Ausdruck der Bestürzung und Sorge zu verleihen, welcher den Grafen vollkommen täuschte.

»Mein Gott!« rief sie mit geheucheltem Schrecken aus, ihr Arbeitskörbchen neben die singende Theemaschine setzend und lebhaft auf den Gebieter zuschreitend. »Wie blaß, wie angegriffen[76] sehen Sie aus, Herr am Stein! Gewiß, Ihnen ist nicht wohl! Sie müssen sich bei dem unfreundlichen Wetter in der wüsten ungastlichen Haide erkältet haben! Ihre Stirn ist wahrhaftig ganz kalt und doch fühle ich das heftige Klopfen ihrer Pulse! Wie geht es Ihnen, armer Mann?«

Und Bianca legte sanft schmeichelnd ihre weiche warme Hand auf die Stirn des Grafen, der unter dieser magnetischen Berührung in süßen Schauern erbebte.

»Sehe ich denn wirklich so angegriffen aus, gutes Kind?« erwiederte er lächelnd. »Nun, wenn dies der Fall ist, so mag die Ursache davon wohl anderswo zu suchen sein, als in meiner heutigen, allerdings angreifenden Waldreise. Wäre ich aber auch zum Tode krank, von solchen Engelslippen bedauert, von so theilnehmendem Auge angeblickt, würde ich alsbald genesen! Theure Bianca, eine Berührung Ihrer Hand hat tausendmal mehr Wunderkraft, als alle Arzneien der Welt! Wissen Sie, schönes Kind, daß Sie heut entzückend sind?«

»Gefalle ich Ihnen?« fragte die Verführerin zurück, indem sie die vergoldete Tasse des Grafen[77] mit der aromatischen Flüssigkeit füllte und dabei einen halb verschleierten Blick auf ihn warf. »Meine Gespielinnen behaupteten immer, weiß kleide mich nicht vortheilhaft. Es soll mir einen zu farblosen Teint geben.«

»Offenbarer Neid gefallsüchtiger Mädchen! Ich finde, daß keine Farbe besser zu dem glänzenden Schwarz Ihrer Haare paßt, als dieses durchsichtige silberweiße Gewebe! Und welche Einfachheit! Welcher Geschmack! Man sollte glauben, Sie hätten Jahre lang die Kunst der Toilette auf der Bühne studirt, so meisterhaft finde ich Ihren Anzug den Regeln des guten Geschmackes angepaßt!«

»Da machen Sie mir ein sehr zweideutiges Compliment, gnädigster Herr,« versetzte Bianca schelmisch. »Wir armen Mädchen halten uns immer für geborene Genies, was Geschmack anbelangt, und da uns die Natur so stiefmütterlich ausgestattet hat den Männern gegenüber, so sind wir ja schon gezwungen, unsern Geschmack zu bilden, um mittelst einiger Bänder, Spitzen und Haarwickel die Mängel vergessen zu machen, die uns in so abhängiger Stellung erhalten.«

»Ich kann Ihnen die Versicherung geben,[78] schöne Muthwillige, daß wir Männer nicht so scharfsichtig sind, die gerügten Mängel bei Ihrem Geschlecht zu entdecken! Wir finden im Gegentheil nur Vollkommenheiten, von denen wir gefesselt, entzückt, zur Leidenschaft hingerissen werden!«

Bianca nippte mit großer Zierlichkeit ihren Thee, wobei sie nicht unterließ, häufig zu Adrian aufzublicken und ihre schönen Zähne aus dem feuchten Purpur ihrer vollen Lippen hervorglänzen zu lassen. Jetzt schob sie ihren Sessel um einen Schritt näher an den Lehnstuhl Adrians, und indem sie ihren bloßen vollen Arm auf die purpursammetne Lehne desselben legte und ihre zarten Finger mit dem Rosabande spielen ließ, das ihre Taille umschlang, sagte sie naiv:

»Wie muß nur das sein, gnädiger Herr, wenn man von Leidenschaft hingerissen wird?«

Ihre schwarzen Augen ruhten bei dieser verführerischen Frage mit so innigem warmen Ausdruck auf Adrian, daß diesem fast die Sinne vergingen. Er suchte sich indeß zu mäßigen und fragte das verführerische Mädchen seinerseits:

»Hat Ihnen denn noch kein Mann eine Neigung abgewinnen können?«

»Ich bin allen hübschen und artigen Männern[79] immer gut gewesen, wie Brüdern, aber Liebe oder gar Leidenschaft habe ich nie für einen empfinden können. Es muß das bei mir ein Fehler des Herzens sein, da ich lebensgern einmal wissen möchte, wie man empfindet, wenn man liebt!«

»Wahrhaftig, Bianca?«

»Ganz im Ernst, Herr am Stein! Ein Mädchen, das so allein, so ganz einsam in der Welt dasteht, wie ich, hat wahrhaftig kein beneidenswerthes Loos gezogen! Man täuscht, man betrügt uns und macht uns zuletzt unglücklich!«

Ein paar Thränen stürzten in Bianca's Augen. Sie zupfte zerstreut an ihrem Kleide und wußte dadurch geschickt ihren wunderhübschen Fuß zu enthüllen, den ein feiner durchbrochener Strumpf kaum bedeckte. Diesen reizenden Fuß stellte sie jetzt absichtlich auf ein niedriges Tabourett, das Adrian immer neben sich stehen hatte, um ebenfalls bisweilen seine Füße, in denen er oft Anfälle podagrischer Schmerzen fühlte, darauf ruhen zu lassen. Sie bewegte das zierlich gebildete Füßchen so kokett in dem schmalen Atlasschuh, daß Adrians Herz heftiger zu schlagen[80] begann. Die unmittelbare Nähe des schönen, von dem feinsten Spitzengewebe umflatterten Armes wirkte so verführerisch auf ihn, daß er ihn bebend mit brennenden Lippen küßte.

»O bitte, gnädigster Herr!« sagte Bianca, den Arm zurückziehend. »Eine solche Huldigung könnte mich ja eitel machen! Man küßt, so viel ich aus Büchern und Erzählungen weiß, nur vornehmen Damen, Gräfinnen und Prinzessinnen die schönen Hände. Arme Mädchen, wie ich, müssen sich solche Aufmerksamkeiten verbitten.«

»Von der Hand zum Munde ist nicht aus der Welt, Sie lieber Schalk!« erwiederte Herr am Stein. »Und da Sie nach Ihrem eigenen Geständniß noch gar nicht wissen, wie man liebt, so will ich Ihnen für Ihre kleine Bosheit die Ahnung dieser Empfindung beibringen!«

Und mit gewandtem Arm umschlang Adrian Bianca's vollen Körper, zog sie an sich und drückte heiße, flammende Küsse auf ihren Mund.

Zitternd und erröthend entwand sich das reizende Mädchen der heftigen Umarmung des Grafen, indem sie ihn zürnend anblickte.

»Gnädigster Herr,« sagte sie, die klare[81] Stirn kraus zusammenziehend, »wäre ich Ihnen nicht Dank schuldig, so würde ich Ihnen ernsthaft zürnen. Es ist nicht recht von Ihnen, meine Unerfahrenheit so arglistig zu benutzen!«

Sie stand auf und schenkte in einer wo möglich noch koketteren Stellung abermals Thee ein. Dabei kehrte sie dem Grafen halb den Rücken zu, so daß die Flamme der Astrallampe ihren vollen Schein über sie ausgoß und die anmuthigen Rundungen ihrer classischen Formen durch die leichte Gewandung deutlich erkennen ließ.

»Aber Bianca!« rief Adrian aufgeregt.

»Sie befehlen, Herr Graf?« sagte die Schöne und wendete, schon wieder schelmisch lächelnd, ihr volles Gesicht mit den tanzenden schwarzen Locken gegen ihn.

»Schelten Sie mich, lachen Sie mich aus, nennen Sie mich einen Thoren, ja mißhandeln Sie mich, wenn Sie wollen, nur dulden Sie es, daß ich Sie lieben darf, Bianca!« rief Adrian leidenschaftlich, indem er den Sessel, welchen Bianca inne hatte, näher an seinen Sitz zog. Diese sah ihn mit großen Augen verwundert an, nur auf ihren Lippen spielte ein schalkhaftes[82] Lächeln. Sie reichte ihm die gefüllte Tasse, stäubte mit ihren gestickten Taschentuche einige Krumen feinen Weißbrodes aus den Falten des Kleides, und setzte sich zutrauensvoll wieder neben den leidenschaftlich aufgeregten Grafen.

»Wenn ich nun thörigt genug wäre, Ihre in einem Moment der Aufregung gesprochenen Worte für wahr zu halten,« sagte Bianca, indem sie ihren Kopf so gegen den Grafen beugte, daß eine ihrer glänzenden Locken fast dessen Lippen berührte, »wenn ich solch eine Thörin wäre, dann würde ich mich wahrscheinlich in Ihre Arme werfen und, wenn ich im Herzen auch nichts für Sie fühlte, Ihnen eine glühende Leidenschaft heucheln. Ich bin aber weder so albern noch so eingebildet, und deshalb erlaube ich mir denn, Ihnen auf das Freundschaftlichste für die mir zugedachte Ehre zu danken und sich vor der Hand noch mit meiner vollkommensten Achtung und innigsten Freundschaft zu begnügen! Sind der gnädigste Herr damit zufrieden?«

Wieder ruhten Biancas Augen mit unbeschreiblichem Liebeszauber auf Adrian, während jeder Zug ihres lieblichen Gesichtes nur dankbare Ergebenheit ausdrückte. Der wunderbaren[83] Macht dieses Blickes erlag der Graf. Die lange schwarze Locke erfassend rief er mit gepreßter Stimme:

»Bianca! Geliebte Bianca, habe Mitleid mit einem Unglücklichen!«

Bianca lächelte noch reizender und beugte sich, da sie das tändelnde Zupfen Adrians an ihrer Locke schmerzlich empfand, so über ihn, daß der Graf ihren nur halb bedeckten wallenden Busen erblicken mußte.

»Haben Sie lieber Mitleid mit nur, Sie raufen mich ja!«

»Ich sterbe, Bianca!«

»Vor Liebe? Behüte Gott! Man sagt ja immer, die Liebe belebe, das Auge der Geliebten sei die Sonne, in deren Licht der Liebende die Seligkeiten und Wonnen des ewigen Lebens empfinde! Nun, ich dächte, dieses Auge wäre Ihnen doch jetzt nahe genug? Oder muß ich Sie mit meinen Blicken versengen?«

»Könnt' ich sterben in Deinen Armen, Grausame!« stammelte der Graf, die erfaßte Locke des schönen Mädchens immer fester um seine Finger schlingend. »Jahrtausende des verheißenen jenseitigen Lebens wollte ich dafür opfern!«

»Pfui, gnädigster Herr, wer wird einem[84] sterblichen Geschöpfe zu Liebe solche Lästerungen ausstoßen! Aber bitte, entlassen Sie die arme Gefangene, die mich noch zwingen wird, mein Gesicht mit dem Ihrigen in Verbindung zu bringen! Sie thun mir wahrhaftig weh, Herr Graf!«

»Sprich, daß Du mich lieben willst, Bianca! Versprich, meine Geliebte, mein Weib zu werden! Alles was ich besitze, soll Dein sein! ... Nur verstoße, verschmähe mich nicht!«

Und Adrian preßte seinen Mund wie ein Rasender auf den klopfenden Busen Biancas.

Satanischer Freudenglanz strahlte in diesem Moment aus den Augen der schönen Sünderin. Secundenlang ließ sie den vor Liebe und Wollust zitternden Grafen in ihren Reizen schwelgen, dann entriß sie ihm die festgehaltene Locke und sprang, ihn von sich stoßend, zurück. Adrian wollte ihr folgen.

»Keinen Schritt, mein Herr, oder ich muß nach Hilfe rufen!« sagte Bianca mit einer Stimme, die vor Entrüstung zitterte und von Thränen des Zorns gedämpft ward. »Es ist abscheulich, ein schwaches Mädchen auf so hinterlistige Weise festzuhalten und mit Küssen fast zu[85] ersticken. – Ich werde Ihnen nicht mehr Gesellschaft leisten, bis Sie sich gebessert und mir durch einen Schwur gelobt haben, nie wieder meine Freundschaft so unwürdig zu mißbrauchen. Schlafen Sie wohl, gnädigster Herr, und verzeihen Sie Ihrer armen Dienerin, daß Sie Worte an Sie richten muß, die ihrer Stellung nicht zukommen! Allein Nothwehr kennt keine Grenzen! Gute Nacht!«

Dies »gute Nacht!« klang bereits wieder so verlockend, so sanft und süß, daß Adrian bei diesem Sirenentone wüthend aufsprang und die zürnende Schöne um Vergebung flehend abermals in seine Arme schließen wollte. Allein Bianca war schon hinter der Thür verschwunden und das Vorschieben des Riegels verhinderte wenigstens im Augenblick jede Verfolgung.

Adrian war sehr unzufrieden mit sich. Er beehrte sich mit allen möglichen Ehrennamen, die ihm einfielen, und ging dabei aufgeregt im Zimmer auf und nieder. Sein Blut kochte, seine Adern hämmerten, die Aufreizung seiner Nerven hatte den höchsten Grad erreicht.

»Dies Mädchen ist ein Dämon, eine Zauberin, die mir atomweise Herz und Seele zerpflückt![86] Und ich liebe sie! ... Ich liebe sie wie ein Wahnsinniger! – Wenn ich sie gehen, sie sprechen höre, stockt mein Blut in den Adern; wenn ich sie sehe, habe ich keinen andern Gedanken, als nur sie, nur ihren Besitz! ... Wenn sie lächelt, wie unendlich liebreizend ist sie dann! Wenn sie spricht, wie scherzen alle Grazien um die Liebliche, Anbetungswürdige! – O es ist seliger Genuß, um sie zu sein, aber auch Höllenqual, in ihrem Blick sich sonnen und diese Wunderaugen nicht küssen zu dürfen! – – Nicht lieben können. – Welch Mädchen von ihrem Alter, mit solchem Körper begabt, fühlte nicht die Regungen der Liebe in der Nähe eines Mannes, der sie anbetet! – Aber gewiß, Bianca liebt mich, muß mich lieben, nur mag sie es mir nicht gestehen! – Sie ist klug und will sich gesichert sehen, ehe sie meine Leidenschaft erwiedert! Sie wird an Magnus und Herta denken – und den Sohn gleicher Handlungen für fähig halten! ... O Gott, o Gott! ... Aber das ist vorüber, längst vorüber! Hinunter, feuchter Schatten, in Dein Grab! Bianca lebt, ich liebe Bianca und sie muß mein sein, und sollte ich ein Verbrechen begehen.«[87]

Mit fest an die Stirn gedrückten Fäusten blieb Adrian mitten im Zimmer stehen, so daß der Spiegel seine ganze Gestalt zurückwarf. Sein Blick erfaßte das Spiegelbild und er schrak zusammen.

»Ha, bin ich bleich und verfallen!« sagte er niedergeschlagen. »Ich werde von Tage zu Tage elender, ich fühl' es, aber ich kann sie nicht aus den Gedanken bringen! ... Wenn nur die Nächte nicht wären – diese qualvollen, endlosen Nächte! ... Oder wenn nur ihr holdes Bild mich umschwebte und mir nur einmal des Nachts die schmachtende Lippe mit dem Hauche ihres Göttermundes kühlte! ... Aber jenes Schattenbild, jenes elende Geschöpf, das ich verachte, es verdrängt immer dies Kind des Himmels und erstickt mich mit seinen kalten Umarmungen!«

Vom See herüber erklang jetzt ein lautes schrilles Pfeifen, dem ein matteres, dem Echo ähnliches, antwortete. Adrian in seine Gedanken vertieft achtete nicht darauf.

»Ich muß sie zu versöhnen suchen,« fuhr er fort, »denn ich fürchte, daß ich sie wirklich beleidigt habe. – Sie ist gut, ein unschuldiges, liebes Kind – sie wird mir vergeben und mir[88] gewiß wieder Gesellschaft leisten! ... Ich aber will mich mäßigen, alle meine Gefühle verbergen und mich erst ihrer Neigung versichern, bevor ich sie mit neuen Liebesanträgen bestürme! ... Könnte ich nur auch der Leidenschaft gebieten, sich in keinem Blick, in keiner Bewegung zu verrathen!«

Ein zweites Pfeifen, diesmal um Vieles näher, machte die Fensterscheiben schrillen. Adrian schien auch dieses nicht zu hören, denn er zündete mit zitternder Hand ein Licht an und schritt nach der Thür.

»Wenn ich mich schon jetzt als ein Reuiger bei ihr melde,« sprach er, »dann wird sie mir um so lieber vergeben, weil ihr dies ein Beweis von meiner Gutmüthigkeit und Nachgiebigkeit sein muß! Schmollt sie aber dennoch, dann werde ich sie morgen durch ein kostbares Geschenk zur Vergebung zwingen. Reichen Gaben hat noch kein Mädchen widerstanden. Gutes Glück, das Du mir so lange treu geblieben bist, verlasse mich auch ferner nicht!«

So sprechend verließ Adrian sein Wohnzimmer und ging mit unhörbaren Schritten bis zu Bianca's Thür.[89]

Er horchte eine Zeit lang, ob er Geräusch in dem Zimmer vernehme, da sich aber kein Laut hören ließ, klopfte er leise an die Thür. Nichts regte sich, selbst nach mehrmaligem Klopfen blieb Alles still. Nun wagte Adrian, Bianca's Namen zu flüstern und um Einlaß zu bitten. Allein auch darauf erhielt er keine Antwort und seufzend sah er sich genöthigt, den Rückzug anzutreten.

»Sie muß schon zur Ruhe gegangen sein,« sagte er sich selbst beruhigend. »Ich werde ihrem Beispiele folgen und von ihrem entzückenden Engelslächeln träumen.«

Bianca schlief aber nicht. Sie hatte die schlürfenden Schritte des herzlosen Mannes wohl vernommen und mit Entzücken sein Bitten und Seufzen gehört. Die Uhr schlug elf, kurz nachdem Adrian ihre Thür wieder verlassen hatte. Sie bereitete sich nunmehr auf das nächtliche Rachewerk vor, das sie sich ersonnen. Den reizenden Schmuck der Abendtoilette abwerfend, legte sie ein verschossenes leichtes Kattunkleid an, das sie zum Andenken an ihre unglückliche Schwester aus deren Nachlaß behalten hatte. Dann löste sie ihr reiches langes Haar, feuchtete[90] es ein wenig mit Wasser an und wirrte es durch einander, daß es verworren und ungleich ihre ganze Gestalt bis weit über die Hüften herab umfloß. Das todtenbleiche Mädchen sah in diesem verwilderten Anzuge eben so schön als furchtbar aus. Ihr dunkles Auge blitzte vor Lust nach Rache, die stolzen Lippen öffneten sich und ließen beide Reihen ihrer tadellosen Zähne sehen.

Über eine halbe Stunde ging Bianca unruhig, aber so behutsam, daß Niemand ihre Schritte hören konnte, im Zimmer auf und nieder. Manchmal blieb sie auch stehen und warf einen Blick in den Spiegel, worauf sie wild die feuchten Locken schüttelte und ihre Wanderung durch's Zimmer fortsetzte. Nun sah sie nach der Uhr, und da sich kein Laut im ganzen Hause regte, eilte sie ohne Licht durch die ihr bekannte Reihe der Gemächer bis an Adrian's Zimmer. Sie öffnete es behutsam und fand es leer, ohne Licht. Die Thür zum Schlafzimmer war nur angelehnt. Dahin schlich sie, lauschte, lauschte lange und hörte, daß Adrian in unruhigem Schlafe röchelte. Wie ein erzürnter Geist flog sie auf schwebenden Sohlen zurück, zündete eine[91] Blendlaterne an und löschte die Wachslichter. Dann stieß sie nochmals das Fenster auf und hustete. Es ward ihr in gleichem Tone geantwortet und aus dem Schatten der Nacht kam mit langen Schritten eine hohe Gestalt auf das Haus zu. Bianca wartete die Annäherung des unheimlichen Gastes nicht ab, sondern ergriff die Blendlaterne, hüpfte damit die breite Treppe hinunter, die mit weichen Teppichen belegt war, und empfing an der Hausthür den bereits eingetretenen nächtlichen Besuch.

»Haben Sie die Thür wieder verschlossen?« fragte das wild blickende Mädchen.

»Fest und sicher.«

»So kommen Sie, doch ziehen Sie zuvor Ihre harten Schuhe aus!«

Hand in Hand mit dem Fremden erstieg sie die Treppe und geleitete ihn bis vor Adrians Zimmerthür. Hier erst öffnete Bianca die Laterne und ließ ihr volles Licht auf den Fremden fallen. Es war Martell, der Spinner.

Dieser Arme zeigte jetzt hohle, tief eingefallene Wangen, sein finster blickendes Auge brannte wie in Fieber, und ein leichtes Zittern war an seinen Händen zu bemerken.[92]

»Sind die Köhler heut wieder bei Ihnen gewesen?« fragte Bianca.

»Nein,« versetzte Martell düster und verstimmt, »ich habe mich allein behelfen müssen, aber es ist nicht das! Man wird nur mürrisch davon.«

»Ich sage Ihnen, Martell, sein Sie auf Ihrer Hut! Man will nicht Ihr Bestes, man beabsichtigt, Sie zu Grunde zu richten!«

»Das ist nicht mehr nöthig,« erwiederte der Spinner. »Ich bin schon so sehr zu Grunde gerichtet, daß es ganz gleichgiltig ist, ob es einen Tag früher oder später zu Ende geht. Und überdies zerstreuen mich die beiden lustigen Schälke und machen mir zum ersten Male, seit ich denken kann, das Leben leicht. Dafür bin ich ihnen dankbar und deshalb trinke ich mit ihnen, so lange die Haut über diesen Knochen zusammenhängt. – Aber Sie, Bianca, was haben Sie vor? Welch Schauspiel wollen Sie mir bereiten?«

»Leise, Martell, damit wir nicht gestört werden!« – Bianca hob sich auf ihre Zehen und flüsterte dem gebeugt neben ihr stehenden Spinner zu:[93]

»Vor einiger Zeit habe ich Ihnen feierlich das Versprechen gegeben, den Entsetzlichen, den ein grausames Geschick zu Ihrem Bruder und Zwingherrn gemacht hat, nach Kräften zu bestrafen. Sie haben ihm Rache geschworen, müssen aber die Zeit abwarten, wie Sie sagen, um sie auch üben zu können. Ich bin glücklicher, denn meine Rache hat bereits begonnen! Ich lud Sie ein, mich in dieser Nacht zu besuchen, und schleuderte Ihnen zu diesem Behufe den Hausschlüssel nebst Angabe der Stunde zu, wo dieser Besuch am leichtesten zu bewerkstelligen wäre. Ihr wiederholtes gellendes Pfeifen sagte mir, daß Sie meines Winkes gewärtig seien. Die Stunde ist gekommen. Haben Sie Muth, Zeuge der Rache eines Mädchens zu sein, an dessen Familie sich dieser schleichende Satan freventlich vergangen hat?«

»An seinen Qualen werd' ich mich weiden. Ich lechze nach seinem Blut, nach seiner Seele, obwohl er mein Bruder ist! Denn, sehen Sie, schönes Fräulein, mein liebster Junge ist von seinen Maschinen zerrissen worden und hat elendiglich umkommen müssen, weil ihn der Chirurg auf seinen Befehl schlecht curirte. Er starb am[94] Brande. Dafür leide der Elende im ewigen Feuer der Hölle!«

»Verhalten Sie sich ganz ruhig und Sie sollen mit Zittern schauen, daß Adrian leidet!«

Bianca schloß die Laterne und Beide umfloß dichte Finsterniß.

»Halten Sie sich nur fest an meine Hand! Im Zimmer waltet spärliche Dämmerung.«

Geführt von dem rachedurstigen Mädchen trat Martell in das Schlafgemach seines gräflichen Bruders. Die nur halb geschlossenen Jalousien ließen gerade so viel Licht eindringen, daß man nach einiger Zeit alle Gegenstände des mittelgroßen Zimmers wie von leichtem Nebel verschleiert erkennen konnte. Auf breitem, mit seidenen Decken und schwellenden Kissen reich erfüllten Bett lag Adrian in tiefem Schlummer. Er ruhte auf dem Rücken, die linke Hand war überrücks geworfen und schmiegte sich fest geballt an seinen mit dünnem Haar bedecken Scheitel. Das feine weiße Hemd entblößte zur Hälfte den Arm und war auch auf der stark behaarten Brust weit gelüftet. Vor dem Bett breitete sich ein pupurrother Teppich aus. Zu Füßen des Lagers stand ein sehr bequemer Polsterstuhl. Auf[95] diesen deutete Bianca, indem sie Martell zuflüsterte:

»Setzen Sie sich und geben Sie Acht, ohne einen Laut hören zu lassen!«

Nun stellte sich das schöne Mädchen dicht neben Martell, legte ihre Hände gefaltet über den Busen und richtete ihre beiden dunkeln Augen unverwandt auf den schlummernden schwer athmenden Grafen.

Es ist bekannt, daß der Blick des Menschen, fest auf einen Schlummernden geheftet, eine geheimnißvolle magnetische Kraft ausübt. Diese Kraft steigert sich bis zum Wunderbaren, wenn dem Magnetiseur ein starker Wille zu Gebote steht. Noch gewaltiger und überraschender ist die Wirkung, wenn zwischen zwei auf solche Weise mit einander in Rapport tretende Personen Bande der Verwandtschaft oder leidenschaftliche Zuneigung obwalten.

Bianca kannte Adrians leidenschaftliche Liebe zu ihr, sie wußte, daß er Tag und Nacht nur an sie dachte, von ihr träumte, und sie hatte das grausame Experiment, das sie mit kaltblütiger Überlegung jetzt zu Martells Genugthuung wiederholen wollte, schon mehrmals mit gutem Erfolge[96] versucht. Bianca wollte Adrian nicht aus seinem unruhigen Schlummer wecken, sie wollte ihn durch ihre starren Blicke und die starke Kraft ihres Willens nur im Schlafe magnetisiren und ihr Bild in seiner geängstigten Seele aufsteigen lassen, um diesem sodann ein anderes, entsetzlicheres unterzuschieben.

Dieses grausame Experiment gelang ihr bewunderungswürdig. Schon nach wenigen Minuten hob sich die Brust des Schlummernden unter schmerzlichem Stöhnen. Er bewegte das bleiche, schweißtriefende Haupt und die Lippen öffneten sich zu flüsterndem Gespräch.

»Grausame!« stöhnte Adrian. »Warum diese Dolchspitzen in Deinen Blicken? ... Sie verwunden ... mein Herz ... sie schneiden tief ... tief in das Mark ... meiner Gebeine!.. Sieh ... Du kannst lächeln ... o wie süß lächeln! ... Nun kommst Du ... näher ... nun fühle ich ... Deinen warmen ... Athem ... Dein Busen ... klopft an meiner Brust ... o welche Wonne! ... Ha, Gespenst ... Fort, fort! ...«

Adrian wand sich convulsivisch auf seinem Lager, während Bianca lautlos, kalt, mit entsetzlicher Entschlossenheit und verstärktem Willen[97] tiefer und immer tiefer, gleich einer grauen Riesenschlange, sich über das Bett des Unglücklichen beugte, ihre langen aufgelösten feuchten Haare darüber breitend, bis sie die Brust des Träumenden berührten. Ihr Hauch traf seine Lippen, seine Augen, und unbewegt fuhr Bianca fort, ihre schrecklichen Blicke auf den Gefolterten zu heften.

»Therese,« wimmerte der Träumende, »noch immer verfolgst Du mich? ... Willst Du mir ... denn nie ... vergeben? ... O diese brennenden Locken! ... Wie sie glühen! ... Wie sie mich umlohen ... wie Flammen ... der Hölle! ... Nein, ich will nicht ... diese triefende Hand! ... Diese blauen, schaudernden Lippen sollen ... mich nicht berühren ... Bianca! O rettender, heiliger, geliebter, süßer Engel ... verscheuche ... erwürge ... dies Gespenst! ...«

Bianca warf ihre Haare zurück und erhob sich etwas, doch ohne ihre Augen von dem Röchelnden zu verwenden. Mit der Hand winkte sie Martell, daß er sich langsam bis an die Thür zurückziehen solle.

Adrian's Gesichtszüge trugen die Spuren der furchtbarsten Seelenschmerzen, aber gebannt[98] von dem dämonischen Auge des schönen Mädchens konnte er die qualvollen Bande des Schlafes nicht abschütteln, den Geisterarmen des Traumes, unter dessen Umarmungen er litt, nicht sich entwinden.

»Tödte mich!« flehte er wimmernd, »nur diese Blicke ... bohre nicht in meine jammernde Seele! ... Ich war nicht Schuld ... an Deinem Tode ...«

»Elender! Selbst im Traume noch lügt er!« flüsterte Bianca verächtlich und wich, Martell folgend, Schritt vor Schritt nach der Thür zurück.

»Ha ... Gott Lob ... Gott Lob ... das Gespenst ... zerrinnt! ... Ich lebe ... wieder ... Ich fühle meine Pulse wieder schlagen! ... O des Jammers!«

Mit einem stöhnenden Schrei fuhr Adrian wild auf vom Lager. Seine Augen waren noch auf Bianca gerichtet, die in diesem Augenblick an der Thür verschwand. Ihren Schatten erhaschte der erwachende Graf, und beide Hände heulend über sein Gesicht drückend, warf er sich zurück in die Kissen und wimmerte:

»Barmherziger Himmel, es ist wirklich ihr[99] Geist, der mich peinigt! der mich noch wahnsinnig machen wird ...«

Geräuschlos und schweigend, wie Bianca den Spinner die Treppe heraufgeleitet hatte, führte sie ihn wieder hinunter. Auf der Flur öffnete sie abermals ihre Blendlaterne. Alle Fibern ihres schönen Gesichtes zitterten, aber sie lächelte.

»Nun, Martell, gefällt Ihnen diese Art Rache?« fragte sie mit einem Zuge teuflischer Schalkheit um den jetzt bleich gewordenen Mund.

»Sie ist eines Weibes würdig,« erwiederte Martell.

»Dünkt Ihnen diese Art, sich an seinem Todfeinde zu rächen, allzu grausam?«

»Nein, schönes Fräulein! Sie gefällt mir blos nicht.«

»Warum, mein Freund?«

»Weil der Bestrafte bewußtlos leidet.«

»Haben Sie sein Stöhnen gehört, seine Worte vernommen, sein krampfhaftes Beben gesehen? Und nennen Sie das bewußtlos leiden?«

»Sobald er erwacht, glaubt er, ein böser Traum hat ihn gequält, oder hält es für Alpdrücken![100] Es bleibt immer nur ein vorübergehender Spuk.«

»Aber ein Spuk, der sich allnächtlich wiederholt! Der Tag beginnt ihm nur zu scheinen, damit er sich während seiner Dauer vor den höllischen Schrecknissen der Nacht fürchtet! Wäre dies aber auch nicht der Fall, so peinigte ihn doch seine Liebe zu mir.«

»Er – Adrian liebt Sie?«

»Ja, mein Freund,« lächelte Bianca und strich sich die wilden Locken aus der Stirn, »er liebt mich bis zur Tollheit und ich bin so freundlich, ihn immer noch verliebter in mich zu machen. Das gibt mir größere Gewalt über ihn, und daß ich diese auf die denkbarste Weise zu benutzen verstehe, haben Sie gesehen! Sie könnten künftighin Theil nehmen an meiner Rache!«

»Nein, Fräulein! Ich will lieber warten, bis ich ihn wachend quälen kann, das ist männlicher; gegen wache Qual kann er sich, wenn er Kraft und Muth besitzt, vertheidigen.«

»Wie Sie wünschen, mein Freund! Aber nicht wahr, Martell, mein Wort hab' ich gehalten und die Schwester, die seinetwegen freiwillig aus dem Leben ging und mich um Tugend und[101] Ehre brachte, gerächt, wie nur ein Weib es kann?«

»Ich muß Sie bewundern, ohne Sie loben zu können.«

»Gute Nacht denn, mein Freund! Sinnen Sie alsbald nach, wie Sie den Wachenden züchtigen wollen, ich will indeß fortfahren, den Schlafenden auf die Qualen der Hölle vorzubereiten, die er tausendfach verdient hat. Nochmals gute Nacht!«

Bianca sprach dieses zweite »gute Nacht« wieder mit jenem verführerischen Sirenentone, daß es Martell heiß über den ganzen Körper lief. Er floh mit raschen Schritten dem See zu, indem er ausrief:

»Steh' Gott jedem Manne bei, der in die Schlingen dieser furchtbaren Schönheit fällt!«

Langsamer ging die verkörperte Nemesis nach ihrem Zimmer, wo sie sich ruhig entkleidete und mit vergnügtem Lächeln auf den sich wieder röthenden Lippen ihr weiches Lager bestieg und schnell sanft und ruhig entschlummerte.

Quelle:
Ernst Willkomm: Weisse Sclaven oder die Leiden des Volkes. Theile 1–5, Leipzig 1845, S. 62-102.
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