Erstes Kapitel.
Weibliche Rache.

[169] Graf Adrian hatte drei entsetzliche Tage verlebt. Er schloß sich in sein Zimmer ein und ließ Niemand zu sich, als Bianca. Ihr Kommen und Gehen, ihr immer gleich anmuthiges, zartes und theilnehmendes Betragen war in dieser schweren Zeit seine einzige Zerstreuung. Unschlüssig, ob er sich dem Ausspruche des Gerichtes fügen oder dagegen appelliren sollte, ging er mit großer Genauigkeit alle Schriften und Documente durch, die ihm inzwischen von seinem Anwalt zugeschickt worden waren. Aus diesen konnte er leider keine Hoffnung schöpfen! Martell, Maja Simson und Klütken-Hannes waren unläugbar Kinder seines Vaters, blieben trotz seines Sträubens und seines innern Entsetzens,[169] das sich bei dieser Gewißheit seiner bemächtigte, seine eigenen beklagenswerthen Halbgeschwister! Maja Simson's Ansprüche auf den fünften Theil der Güter des Boberstein'schen Hauses, die ihr die freiwillige Schenkung des Grafen Magnus gesichert hatte, war als giltig anerkannt worden und sollte der rechtmäßigen Erbin in einigen Wochen rechtskräftig zugeschrieben werden.

Ein Brief Adalberts, dem es zu gemein erschien, persönlich sich in diese Angelegenheit zu mischen, und der sich deshalb nur durch Mittelspersonen darum bekümmert hatte, richtete den niedergeschlagenen Herrn am Stein einigermaßen auf. Adalbert schrieb:


»Mein theurer Bruder,

Es ist mir von Seiten des Gerichtes die Mittheilung gemacht worden, daß wir unsern Prozeß gegen Jan Sloboda und Consorten verloren haben. Obwohl ich auf diesen Ausgang gefaßt war, hat er mich doch überrascht. Die Justiz ist überaus eilig gewesen und hat sich der Sache mit einem Eifer angenommen, den wir für gewöhnlich nicht an ihr rühmen können. Unstreitig sind Dir wie mir die nöthigen Mittheilungen zugekommen. Bei Durchsicht derselben[170] leuchtet mir ein, daß für uns nichts als Kosten in Aussicht stehen, wenn wir den Instanzenzug verfolgen wollen. Wir müssen unter obwaltenden Umständen von jedem Gericht verurtheilt werden. Es scheint mir daher politischer zu sein, uns schweigend in die bittere Nothwendigkeit zu fügen, einen Theil unserer Güter abzutreten, die Kosten gemeinschaftlich zu tragen und uns übrigens von der neuen Verwandtschaft stolz zurückzuziehen. Mir ist nicht bange vor diesen Sprößlingen unseres alten Geschlechtes! Halb illegitim sind und bleiben sie doch, und da es dem gütigen Himmel gefallen hat, sie unter der niedrigsten Hefe des Volkes aufwachsen, die Gewohnheiten und Allüren derselben annehmen zu lassen; so hoffe ich, sie werden allesammt Plebejer bleiben bis an ihren Tod!«

»Meine Frau, deren Ansichten fast immer mit den meinigen zusammen treffen, billigt vollkommen, daß wir uns stolz zurückziehen und mit vornehmer Gelassenheit den Bettlern das begehrte Almosen auszahlen. Man kann ja nicht wissen, ob sie es lange genießen werden! – Ereilt sie der Tod bald, was ich[171] erwarte, da unsere gemeinschaftliche Handlungsweise Verlängerung ihres Lebens weder beabsichtigen noch hervorrufen konnte, so ist es ja immer noch möglich, daß wir sie später wieder beerben. Es käme nur darauf an, ihre Nachkommenschaft, die nicht unbedeutend sein soll, unschädlich zu machen. Beschlüsse darüber fassen wir bei unserer nächsten Zusammenkunft, die ich hier in meinem romantischen Asyl zu halten vorschlage. Der Stammsitz unserer Väter ist mir verhaßt, ich werde ihn sobald nicht wieder betreten. Die Gemeinheit hat ihn mehrfach entweiht. Wir thun deshalb besser und handeln im Geiste unserer großen Ahnen, wenn wir uns einen andern unbefleckten Sitz für uns und unsere Kinder aussuchen.

Theile mir Deine Ansichten recht bald darüber mit, füge Dich, wie ich es thue, mit stoischer Ruhe in das Unvermeidliche und eile in die Arme Deines Bruders

Adalbert.«


Die Nothwendigkeit solchen Entschlusses sah Adrian ein, an schleuniger Ausführung desselben hinderte ihn aber Verschiedenes. Adalbert wußte nicht, daß Klütken-Hannes des beabsichtigten[172] Mordes überführt, auf Boberstein gefangen saß. Er ahnte nicht, daß sein unglücklicher Bruder als Anstifter dieses Mordes bereits bekannt war, daß Aurel um die ganze empörende Schandthat wußte und mit einem einzigen Worte den eigenen Bruder verderben konnte!

Ungeachtet seiner schrecklichen Lage verzweifelte Adrian nicht. Er hielt es sogar für möglich noch zu siegen und selbst den Schein der Mitwissenschaft von sich abzuwenden, wenn er Zeit gewinnen konnte. War dies geschehen, dann stand einer Zusammenkunft mit seinem Bruder nichts mehr im Wege.

Es gab zwei Mittel, dies Ziel zu erreichen, Flucht oder Tod der beiden Gefangenen. Die Pflicht der Selbsterhaltung, die Nothwehr gebot ihm, zu dem zu greifen, das ihm das sicherste dünkte. Dies konnte nur ein Mord sein, ein heimlicher Mord, der unentdeckt blieb.

Adrian schauderte vor solcher That nicht mehr zurück. Er überlegte nur, wie man sie ausführen müsse, um sicher zu gehen, und als er mit sich darüber einig war, fühlte er eine Anwandlung von Freude.

Ein Umstand trug bei, die Ausführung ihm[173] leicht zu machen. Niemand kannte die Fremden. Sie lebten als Herumstreicher in der endlosen Haide und wurden schwerlich vermißt, wenn sie gänzlich verschwanden und man das Gerücht von ihrer Flucht verbreitete. An ihrer Habhaftwerdung konnte ohnehin Niemand ein Interesse haben, als Aurel und Martell. Diesen fürchtete Adrian nicht, da er seine Auflösung nahe glaubte, und von Jenem nahm er an, er werde Edelmuth und Großsinnigkeit genug besitzen, um seinen eigenen Bruder nicht des Mordes anzuklagen.

Unglücklicherweise bedurfte er noch einer Mittelsperson, da er einen nicht zu überwindenden Abscheu vor persönlicher Ausübung des Verbrechens empfand. Die Anordnungen dazu zu treffen, den Plan zu entwerfen, selbst die Mittel herbeizuschaffen, schien ihm weniger entsetzlich und strafbar, als die Vollbringung der That. Sophistik half ihm über alle Skrupel hinweg und beruhigte ihn vollkommen.

»Ich bin ja kein Mörder,« rief er sich ermuthigend zu, »wenn ich nicht selbst Hand anlege! Ich gebe blos Rathschläge und überlasse die Ausführung, die Anwendung derselben andern Händen.«[174]

Auch diese Hände glaubte er schnell zu finden. Die zarte Aufmerksamkeit Bianca's, ihr weniger freundlich-kaltes Benehmen seit jenem entscheidenden Morgen, ihre aufmunternden Blicke und Worte ließen Adrian glauben, sie erwiedere seine Neigung. Die Leidenschaft machte ihn blind, er sah die Liebliche sich schon verbunden und in dieser unbegreiflichen Verblendung zauderte er nicht, sein Wohl und Wehe diesem verführerischen Mädchen anzuvertrauen. –

Es war gegen Abend. Blitzende Goldfäden spannen sich durch die dunkelgrünen Nadelbehänge der Haide und warfen ein zitterndes Strahlennetz über den leis wallenden See. Adrian saß auf kostbarem Rollstuhle am Fenster und warf von Zeit zu Zeit einen zerstreuten Blick auf den prachtvoll glühenden Abendhimmel. Seine Gedanken schienen aber mit ganz anderen Dingen beschäftigt zu sein, denn das erhebende Schauspiel des Sonnenunterganges erheiterte nicht seine düstern, unheimlichen Mienen. Er war so tief in sich versunken, daß er nicht einmal das Kommen und den schwebenden Schritt Biancas hörte, die, wie immer reizend angekleidet, für den[175] Grafen einige Erfrischungen auftragen wollte. Erst als sie hustete, sah er auf und reichte ihr die Hand.

»Immer aufmerksam, immer liebenswürdig und gut,« sagte er mit einem Anflug von Schwermuth.

»Meine Schuldigkeit, gnädigster Herr.«

»Werden Sie mir nicht auch den Rücken kehren nach diesem Unglück?«

»Warum sollte ich? Sie sind ja gütig gegen mich, wie früher.«

»Ich werde aber sehr mürrisch, zänkisch, herrisch, vielleicht gar tyrannisch werden, denn ich hasse die Menschen, weil sie mich hassen und betrogen haben.«

»Nicht doch, Herr am Stein! Nun und wenn auch bisweilen wirklich die böse Stunde Sie überfällt, so werde ich armes Kind durch meine Possen den garstigen Feind aus dem Felde zu schlagen bemüht sein, und geben Sie Acht, er weicht! Meine Blicke kann er nicht ertragen. Was meinen Sie?«

Bianca kniete vor Adrian nieder, der noch ihre Hand gefaßt hielt, und ließ einen jener schmelzenden, seelenbezaubernden Blicke auf ihn[176] fallen, über welche die Sirene nach Belieben verfügen konnte.

»Was könnte Ihnen unmöglich sein, entzückendes Kind!« erwiederte der Graf. »Ich glaube, Sie können Todte erwecken und Verdammte selig machen!«

»O nein, so umfassend ist meine Macht nicht,« versetzte die Schöne lächelnd und die Liebkosungen ihres Gebieters ohne Sträuben duldend, was sie bisher noch nie gethan hatte. »Höchstens vermag ich Kranke zu heilen und mürrischen Trotzköpfen ein freundliches Lächeln abzugewinnen. Begeben Sie sich unter meine Herrschaft, und Sie werden der heiterste Mensch werden!«

»O Bianca, habe ich das nicht immer gewünscht? Aber Du wiesest mich ja von Dir!«

»Die Kriegskunst haben Sie nicht studirt, das sieht man!« sagte mit schalkhaftem Lächeln die verführerische Kokette, und legte ihr duftendes Lockenhaupt auf seinen Schooß. Adrian küßte wiederholt die weichen glänzenden Haare und die Gluth der Leidenschaft, die ihm Bianca eingeflößt hatte, gab sich in dem Zittern seiner[177] Hände kund, die an den Wangen der Schönen ruhten.

»Wollen Sie mich glücklich, mich ruhig machen?«

»Sie wissen es ja!«

»Dann reichen Sie mir Ihre schöne Hand und werden meine treue, verschwiegene Bundesgenossin!«

»Recht gern, Herr Graf, doch blos unter der Bedingung, daß Sie keinen offenen Krieg gegen Ihre Feinde beginnen wollen. Wir Mädchen, wissen Sie, haben vor allen Arten von Waffen eine unwiderstehliche Furcht.«

»Ich suche eine Bundesgenossin, die sich auszeichnet durch Treue, Verschwiegenheit und List. Sollte ich mich irren, wenn ich diese drei Vorzüge Ihnen zutraute?«

»Es käme auf die Probe an.«

»Und wenn Sie diese Probe nicht beständen?«

»Nun was dann?«

»Dann würden Sie mich vielleicht unglücklich machen und sich selbst schwerer Verfolgung aussetzen.«

»Auf diese Gefahr hin hätte ich beinahe Lust, den Versuch zu wagen.«[178]

»Im Ernst, Bianca?«

»Im vollen Ernst! Hier meine Hand!«

»Engel! Retterin! Göttin meines Lebens!« rief Adrian, das noch immer vor ihm knieende Mädchen zu sich emporziehend, mit leidenschaftlicher Gluth umarmend und es wiederholt an sein Herz drückend.

»Nicht so ungestüm, Lieber!« flehte Bianca, ihrerseits eine schmachtende, verschämte Hingebung heuchelnd, die den Grafen vollends in seinem Vorsatze bestärkte und jede Vorsicht bei Seite setzen ließ. Sie blieb aus seinem Schooße sitzen, das Gesicht an seine Brust gedrückt, den rechten, halb entblösten Arm lose um seinen Nacken geschlungen.

»Habe wohl Acht aus das, was ich Dir jetzt sage,« flüsterte Adrian, bald die linke weiche Hand der Schönen an seine Lippen drückend, bald einen Kuß auf ihre klare Stirn hauchend. »Sahst Du die beiden wüsten, verwilderten Männer, die mein Bruder Aurel vor einigen Tagen in Banden hierher brachte?«

Bei dem Namen »Aurel« erbebte Bianca unmerklich. Ohne auszublicken, gab sie dem[179] Grafen durch einen Händedruck ihre Mitwissenschaft zu erkennen.

»In wenigen Tagen wird man die Elenden verhören,« fuhr Adrian fort. »Ich weiß, daß sie mich verläumdet, daß sie mich bei Aurel und dem Maulwurffänger angeschwärzt haben, um ihre verbrecherischen Handlungen zu bemänteln. Eine Klage steht bevor, wenn sie ihre Aussagen frech zu Protocoll erklären und eine endlose, meinen Namen befleckende Untersuchung wird die besten Jahre meines Lebens vergiften. Dem muß man zuvorkommen, dem müssen und können wir vereint steuern!«

»Wie?« fragte Bianca und erhob ihren Kopf, das dunkelflammende Auge fragend und neugierig auf den Grafen heftend. »Wie stünde das in unserer, namentlich in meiner Macht? Ich weiß ja von nichts, ich kann nicht einmal Zeuge sein!«

»Kleine Thörin, wie du Dich einfältig stellst! Hörst Du nicht, daß es gar nicht bis zum Verhör kommen darf, wenn ich nicht compromittirt werden soll?«

»Also?«[180]

»Sie müssen beseitigt, heimlich entlassen werden!«

»Man soll ihnen demnach zur Flucht behilflich sein?«

»Daß ist mein Plan, indeß –«

»Indeß?« erwiederte Bianca, strich sich die ausgegangenen Locken zurück und legte beide Hände auf ihren Busen.

»Der Vorsicht wegen müßte noch etwas Anderes geschehen –«

»Etwas Anderes! Und worin soll dies bestehen?«

»Wozu mir die kluge, schlaue, treue und verschwiegene Bundesgenossin, deren Wort ich besitze, behilflich sein wird!«

Bianca neigte ernst und schweigend den Kopf und entschlüpfte dem Schooße des Grafen. Adrian ergriff ihre Hand.

»Schelmen, wie es jene beiden sind, ist nie zu trauen. Läßt man sie also entfliehen, so können sie mir immer noch einen Streich spielen, denn es sind von Grund aus verworfene und dem Henker anheim gefallene Menschen. Jedes Gericht muß sie zum Tode verurtheilen, den sie mehr als ein Mal verdient haben. Es wäre[181] deshalb ein Verdienst, sie unschädlich zu machen – sie unmerklich, ohne vorhergegangene langweilige Untersuchung – sterben zu lassen! Wer dazu die Hand reichte, würde sich verdient machen um Staat und Gesellschaft!«

»Bitte, sprechen Sie weiter!« lispelte Bianca.

»Ich bin entschlossen, mir dieses Verdienst zu erwerben, allein ich bedarf eines Gehilfen, der mich versteht, der mich dabei unterstützt und – verschwiegen ist!«

»Das begreife ich. Nur weiter, Herr Graf!«

»Du hast Dich mir verbündet, Bianca – Du kennst, Du verstehst, Du liebst mich – Deine Hand –«

»Soll die verfluchte Hand einer Mörderin werden?«

»Bianca! Welche Schlußfolgerung! Welche Verwandlung Deines Wesens! – Was geht in Dir vor?«

In der That hatte die verführerische Schöne während der letzten einschmeichelnden Worte des Grafen eine ganz andere, eine furchteinflößende Miene angenommen. Ihre schlanke Gestalt hoch aufgerichtet, ihre großen zornsprühenden Augen auf Adrian geheftet, die vollen Arme fest[182] über dem heftig wallenden Busen geschlungen, warf sie den schönen Kopf mit den schwarzen flatternden Locken zurück, und ein furchtbares Lächeln spaltete die blaßrothen Lippen. Ihr Antlitz war weiß, wie das einer Leiche.

»Brudermörder! Zweifacher Brudermörder!« rief Bianca und schleuderte Blitze des Zorns und der Verachtung auf den Grafen. »Endlich hab' ich Dich gefangen, Elender!«

»Wozu diese Verstellung,« entgegnete Adrian, indem er ebenfalls aufstand und das dämonisch schöne Mädchen umschlingen wollte. »Wir verstehen uns ja doch, und ein so schöner und süßer Mund, wie der Deinige, wird nicht aus der Schule plaudern! Deine Hand aber bleibt zart und weich, wie immer. Von ihr wird nichts weiter begehrt, als daß sie einen silbernen Löffel erfasse und mit der ihr eigenen graziösen Bewegung den armen Gefangenen einen warmen Trank mit Zucker versüße. Sollte das meinem lieben, freundlichen und klugen Mädchen nicht möglich sein?«

Adrian wollte schmeichelnd die Hand Bianca's wieder erfassen, diese aber trat stolz einen Schritt zurück und donnerte ihn an:[183]

»Hinweg, verabscheuungswürdiges Scheusal! Hinweg! – Dein bloßer Hauch verpestet die Luft, die Dich umgibt ... Qualen der Hölle lohen um Dein verbrecherisches Haupt ... Wer Dir naht, geräth in Gefahr, durch bloße Berührung von Dir mit fortgerissen zu werden auf die Lasterbahn, die Du wandelst seit Jahren! – Ja, ich nenne Dich nochmals einen zwiefachen Brudermörder, denn ich weiß, daß Martell, von Dir mit brennendem Gifte getränkt, dem Grabe entgegenwankt, und Dein eigener schamloser Mund hat mir gestanden, daß ein zweiter Brudermord Dein Tag- und Nachtgedanke ist! ... O ich kenne die Gefangenen, Herr am Stein! Ich weiß, daß jener unglückliche Klütken-Hannes der beklagenswerthe Sohn Herta's ist, die Dein Vater der Ehre beraubte! ... Entsetzlich, grauenvoll, seelenerschütternd geht jetzt nach fast einem halben Jahrhundert die Saat der Frevel und Verbrechen auf, die ein gewissenloser Mann ausstreute, und die eigenen unseligen Kinder sind es, die sie mit sich in's Verderben reißen! ... Adrian, Graf von Boberstein, zittere, denn die Rachegöttin zückt ihr Schwert über Deinem Haupte! – Kennst Du mich?«[184]

Bianca trat, immer die Arme über der Brust verschränkt, dem Grafen näher, der entsetzt über die unerwartete Verwandelung seiner schönen Bundesgenossin in den Polsterstuhl zurückgesunken war.

»Bianca,« rief er, die Hände flehend gegen sie ausstreckend, »Bianca, vergib mir! ... Sei barmherzig! Sei ein mildes, sanftes Weib!«

»Ha, ha, ha!« lachte die Rachedurstige. »Erbarmen, Sanftmuth, Vergebung, weibliche Milde suchst Du bei der, deren Schwester Du herzlos in den Tod gejagt hast?«

Todtenblässe lag auf Adrians eingefallenen Zügen. Die vor Seelenangst zitternden Hände gegen das zürnende Mädchen ausstreckend, lallte er:

»Wer ... wer ... bist Du?«

»Ich bin die Schwester Theresens, des armen Dienstmädchens, das ob Deiner grausamen, kalten Treulosigkeit ihrem Leben in den Fluthen der Saale ein Ende machte! Kennst Du dies?«

Und die Rächerin ihrer Schwester hielt dem Grafen jene höhnischen Zeilen vor, die der[185] stolze Edelmann der armen Verführten kurz vor ihrem Tode geschrieben hatte.

»Gerechter Gott, ich bin gerichtet!« schrie Adrian und stürzte Bianca zu Füßen.

»Gerichtet und verdammt!« sagte die Unerbittliche streng und kalt. »Winsele, bis der letzte Kieselstein dieser Welt Empfindung bekommt; krümme Dich Millionen Jahre hier und dort vor meinen Füßen, um Vergebung von mir zu erlangen; ich werde nur höhnende Worte, tödtende Blicke, verachtendes Lächeln für Dich haben, denn ich will Rache, Rache für meine schuldlos hingeopferte Schwester! Als Weib habe ich keine andere Waffe, als die Lust der Rache, die aus Hohn und Spott und Verachtung ihren Honig saugt; wär' ich ein Mann, so würde ich Dich vor die Mündung einer Pistole oder die Spitze eines Degens fordern, um Deine schwarze Seele möglichst früh zur Hölle zu senden! Da ich dies nicht kann, will ich mich wenigstens weiden an der feigen Angst Deiner frechen Seele, an der Qual, die jede Minute Deines unseligen Lebens vergiftet! O könnte ich noch tausend Jahre leben und Dich in meiner Nähe tausend Jahre leiden sehen, –[186] dann wollte ich meine arme Schwester für hinreichend gerächt halten!«

»Ist es möglich, Bianca!« wimmerte der zu Boden geschmetterte Graf. »So schön, so voll süßer Reize und so erbarmungslos?«

»Es ist mein Amt. Gott will es, daß ich es treu und redlich übe!«

»O und ich, ich liebte Dich, ich liebe Dich noch!«

»Die Strafe des Himmels! Das Verhängniß, das richtend über uns waltet!«

»Finsterer Wahnsinn packt mich, wenn Du von mir gehst, wenn ich Dich nicht mehr um mich sehen kann!«

»Zur Steigerung Deiner Seelenqualen will ich nicht von Deiner Seite weichen.«

»O diese Nächte! Diese endlosen, einsamen, gräßlichen Nächte!« jammerte Adrian. Bianca sah dämonisch lächelnd auf ihn herab.

»Sie nennen ihre Nächte einsam?« sagte sie, aus dem zürnenden Tone plötzlich in einen scherzenden übergehend. »Sie sind sehr ungerecht, Herr Graf. Ich war immer bei Ihnen, oft Stundenlang. – An Ihrem Lager knieend bannte ich Ihre Seele in den Zirkel meiner[187] Macht. Der scharfe Blick meines liebeheuchelnden Auges zauberte sie in die wilde Jagd schreckhafter Träume, und die seelenfolternde Gewalt, die Ihre blinde Leidenschaft mir über Sie gegeben hatte, hob Gestalten und Bilder vor Ihr Auge, die alle Qualen der Hölle über Sie verhingen! Gewiß, Herr Graf, ich war Ihnen eine treue Haushälterin!« schloß sie lächelnd, indem sie abermals einen ihrer zärtlichen, zur Liebe reizenden Blicke auf den Unglücklichen warf. Adrian klammerte sich mit beiden Händen an ihre Kleider.

»Furie!« rief er, »göttliche Furie! Peinige mich im Leben und im Tode, nur ein Mal schließe mich in Deine Arme!«

Lange blickte Bianca auf den zu ihren Füßen sich krümmenden Grafen. Dann schlug sie die Augen zum Himmel auf und sagte:

»Schwester Therese, wenn es Dir vergönnt ist, aus dem Jenseits herabzublicken auf diese verbrecherische Welt, dann öffne Dein Auge und sieh, wie ich Deinen Verführer gezüchtigt habe! Ich bin mit mir zufrieden.«

In diesem Augenblicke pochte es.

»Man kommt!« sagte Bianca. »Bitte, Herr[188] Graf, reichen Sie mir die Hand, damit ich Ihnen aus dieser unwürdigen Stellung aufhelfe.«

Seufzend erhob sich Adrian. Das Pochen an der Thür wiederholte sich.

»Sie erlauben, Herr Graf?« sagte die schöne Furie und hüpfte graziös zur Thür, die sie öffnete und einige Worte mit dem Bedienten wechselte.

Inzwischen war die Sonne untergegangen. Nur blutiges Abendroth überflammte noch Himmel, Haide und See, und warf einen duftigen Widerschein in's Zimmer. Adrian stand wie in einer dunkeln Feuerwolke. Bianca trat wieder zu ihm.

»Ein Mann wünscht mit Ihnen zu sprechen, gnädigster Herr,« sagte sie mit dem sanftesten und bescheidensten Tone von der Welt, indem sie die Falten ihrer kleinen Atlasschürze, welche Adrians Festhalten in diese gedrückt hatte, mit der Hand sorgfältig ausglättete. »Befehlen Sie, daß ich ihn vorlassen soll?«

»Ich bin nicht in der Stimmung –«

»Um Fremde zu empfangen, wollen Sie sagen? Zu Ihrer Beruhigung, gnädiger Herr,[189] kann ich Ihnen melden, daß es ein sehr naher Bekannter und noch dazu ein ganz schlichter Mann ist.«

Adrian sah die boshaft Lächelnde mistrauisch an.

»Sein Name?«

»Ihr Bedienter meinte, eigentlich solle er den Mann als Graf Martell melden, indeß –«

»Martell!« wiederholte Adrian und seine verstörten Züge nahmen den Ausdruck des wildesten Hasses an. Bianca aber winkte, hüpfte nach der Thür und warf dem auf der Schwelle ihr begegnenden Spinner mit verliebtem Blick eine Kußhand zu.

Als sich Adrian umwandte, stand ihm Martell allein gegenüber.

Quelle:
Ernst Willkomm: Weisse Sclaven oder die Leiden des Volkes. Theile 1–5, Leipzig 1845, S. 169-190.
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