Drittes Kapitel.
Ein Mord.

[206] Sehen wir jetzt, welchen Eindruck die erwähnten Vorfälle auf die stillen Bewohner des Zeiselhofes machten.

Aurel war nach erfolgter Einkerkerung der Verbrecher mit seinen Freunden wieder abgereist und hatte in den nächsten Tagen Herta auf die schonendste Weise von dem Wiederfinden ihres verlorenen Sohnes unterrichtet. Es war die traurigste Aufgabe für den Kapitän, die so schwer Geprüfte jetzt auf das Entsetzliche vorzubereiten, ihr beizubringen, in welchem Zustande der Erniedrigung Klütken-Hannes betroffen worden war, wie man einen tief gesunkenen Verbrecher in ihm gefunden habe!

Herta bedurfte geraumer Zeit, um dies[207] neue Unglück, das alle früheren harten Prüfungen und Schicksalsschläge noch zu übertreffen schien, mit der ihr eigenen schönen Seelenruhe und wahrhaft christlichen Ergebenheit zu ertragen. Sobald sie sich aber daran gewöhnt und mit dem Gedanken vertraut gemacht hatte, daß ihr unseliger Sohn ein verabscheuungswürdiger Brudermörder geworden sei, war sie auch schnell entschlossen und einig mit sich über das, was ihr zu thun jetzt obliege.

»Also in Boberstein lebt der Unglückliche?« sagte Herta mit gepreßter Stimme, »und wenn mein Herz dabei brechen, wenn ich auf der Stelle vor Gram und Kummer sterben sollte, noch einmal ihn sehen, vielleicht mit einem Blick meines Mutterauges ihn trösten muß ich!«

»O stehen Sie ab davon!« bat Elwire, deren Schmerz sich in einer Fluth von Thränen Luft machte. »Es muß Sie tödten!«

»Halte mich nicht, liebes Kind, es ist meine Pflicht!«

Elwire viel schluchzend der Großmutter um den Hals und bedeckte sie mit Küssen.

»Die Tante hat Recht,« sagte der Kapitän nach einer Pause. »Wenn irgend etwas den[208] unglücklichen Mann zur Erkenntniß seiner Frevelthat bringen und ihn der Neue zuführen kann, so ist es der Anblick seiner beklagenswerthen Mutter. Ich werde Sie begleiten.«

Herta drückte dem Neffen dankend die Hand.

»Nicht wahr, Sie eilen?«

»Sobald Sie wünschen, können wir aufbrechen.«

»Auf morgen denn?«

»Ich bin bereit.«

»Herta! Theure Großmutter!« schluchzte Elwire.

»Fürchte nichts, mein Kind! Ich bin durch ein Leben voll Schrecknisse an das Entsetzliche gewöhnt. Ich werde auch dies ertragen, ich werde die Zusammenkunft mit meinem Sohne, der ... ein Mörder ... geworden ist, .. still überleben.«

Thränen erstickten ihre Stimme. Sie verbarg ihr Gesicht in den Locken der schmerzlich bewegten Enkelin.

»Nehmen Sie mich mit, Großmutter,« sagte Elwire nach einiger Zeit und sah bittend mit ihren großen von Thränen verschleierten Augen zu Herta auf, vor der sie kniete.[209]

»Aber mein Kind!«

»Bitte, nehmen Sie mich mit!« flehte das schöne Mädchen dringender. »Ich sterbe vor innerer Angst, wenn ich allein zurückbleiben soll!«

»Liebe Elwire,« sagte Aurel, indem er die Weinende sanft aufhob und sie nöthigte, an Hertas Seite niederzusitzen, »es würde Dich zu heftig erschüttern! Du bist ja nicht allein, die treue, erprobte Dienerin der Tante, die sorgende Emma bleibt bei Dir.«

»Nein, nein, Aurel, ich verlasse die Großmutter nicht!« rief Elwire mit leidenschaftlicher Heftigkeit.

»Bedenke, welch ein Wiedersehen! Welch Zusammentreffen!«

Elwire trocknete ihre Thränen und schlug die Augen zu dem Geliebten auf.

»Wiedersehen!« sagte sie dann düster und ein Frostschauer überrieselte ihren zarten Körper. »Nein, Aurel, ich will ihn nicht wiedersehen, aber ich will um Euch, ich will in Eurer Nähe sein.«

Der Kapitän küßte sie auf die Stirne und drückte zärtlich ihre Hand.[210]

»Unter dieser Bedingung nehme ich Deine Begleitung an,« erwiederte er, »nur versprich mir auch, nicht wankend zu werden in Deinem Entschlusse.«

»Bin ich nicht Deine Braut?« sagte Elwire durch Thränen lächelnd. »Du darfst meinem Wort vertrauen, wie meinem Blicke! –«

Nach diesem Entschlusse machte sich eine größere Ruhe bei den Bewohnern des Zeiselhofes geltend. Die Frauen trafen die nöthigsten Vorkehrungen zu der bevorstehenden kleinen Reise, Aurel schrieb eine Menge Briefe an ferne und nahe Freunde. Ausführlich berichtete er das Vorgefallene sowie den Ausgang des Prozesses an Madame Öhler in Hamburg und sprach die Hoffnung aus, sie recht bald wiederzusehen.

Der Maulwurffänger war in seinen Wohnort zurückgekehrt, um Gregor und Schlenker die frohe Kunde von dem Ausgange des Prozesses mitzutheilen. Er hatte versprochen, in einigen Tagen wieder nach Boberstein zu gehen, da seine Anwesenheit dort nöthig sein konnte, um Martell theils zu beaufsichtigen, theils zu beruhigen. Man durfte also hoffen, den treuen Bundesgenossen[211] dort anzutreffen, wenn etwa mehrere Tage vergehen sollten, ehe an Rückkehr gedacht werden konnte. Einstweilen war blos Gilbert im Arbeiterdorfe geblieben, um über Alles, was sich daselbst begeben konnte, sogleich Bericht an den Kapitän zu erstatten. –

Es war am Tage nach der merkwürdigen Unterredung zwischen Adrian und Martell, als Kapitän Aurel mit Herta, Elwire und Sloboda, der nunmehr für immer seine Wohnung auf dem Zeiselhofe aufgeschlagen hatte, nach Boberstein fuhr, um die Gefangenen zu sehen und zu sprechen. Wir eilen den trauernden Reisenden voraus, um uns nach den Verbrechern zu erkundigen, die wir am Morgen des wichtigen Tages verließen, welcher den drei gräflichen Brüdern drei Halbgeschwister unter so erschütternden Umständen zuführte.

Vollbrecht hatte die Verbrecher in einen sichern Ort geführt, aus dem kein Entkommen möglich war. Dieser lag unter den Fabrikgebäuden und bestand aus einem kellerartigen Gewölbe, das für gewöhnlich zu Aufbewahrung von Waarenballen benutzt ward. Feste Thüren und Riegel, ein hohes vergittertes Fenster mit[212] altgothischem steinernen Fensterkreuz und mehrere Ellen starke Mauern ließen auf den ersten Blick erkennen, daß dieses Gewölbe noch ein Überbleibsel der alten Burg Boberstein sei.

Unmittelbar neben diesem Kellergewölbe befand sich eine der Maschinenkammern, weßhalb die Gefangenen das dumpfe, monotone Stampfen und Rauschen der arbeitenden Maschine Tag und Nacht vernahmen. Auf dieser Seite war auch die Mauer des Gewölbes neueren Ursprungs und, wie ein leises Klopfen daran deutlich verrieth, bei weitem nicht so stark. Der Keller mochte beim Brande der Burg zum Theil eingestürzt, später aber die schadhaften Stellen mittelst Mauerwerk aus Backsteinen wieder aufgeführt worden sein.

Dies Gewahrsam war für ein Gefängniß ein ganz erträglicher Aufenthaltsort. Vollbrecht ließ einen Tisch nebst ein paar Stühlen hereinschaffen, ein eiserner Ofen half die etwas dunstige und feuchte Luft erwärmen, Matratzen wurden auf den gedielten Fußboden gebreitet und außerdem für Lebensmittel die nöthige Sorge getragen. Nicht einmal Fesseln legte man den Verbrechern an, da Vollbrecht keinen Auftrag[213] dazu erhalten hatte, vielmehr löste er sogleich mitleidig und menschenfreundlich die Stricke, womit den Unglücklichen die Hände auf den Rücken gebunden waren.

So konnten denn die beiden Verbrecher nach Belieben in ihrem gemeinsamen Kerker umhergehen, sich nach Herzenslust unterhalten und treiben, was ihnen gefiel. Täglich drei Mal brachte ein Bedienter des Grafen den Gefangenen Speise und Trank in Fülle und weit besser zubereitet, als sie es erwarten durften. Selbst auf ihre schlechten Gewohnheiten nahm Vollbrecht Rücksicht, indem er den Elenden täglich eine halbe Kanne Branntwein verabreichen ließ.

Anfangs beobachteten Beide ein finsteres Stillschweigen. Jeder schien über die mißliche Lage nachzudenken, in welche sie rohe Gewinnsucht und unüberlegtes Handeln gebracht hatte. Keiner sprach mit dem Andern. Wie grimmige Bestien gingen sie mürrisch, bisweilen wüthende Blicke sich zuwerfend, an einander vorüber.

Dies Schweigen dauerte den ganzen ersten Tag ihrer Gefangenschaft. Am nächsten Morgen aber fühlte sich Blutrüssel doch gar zu sehr gelangweilt und so hielt er es für klüger, seinen[214] Unglücksgenossen anzureden. Sich mit halbem Körper von seiner Matratze erhebend ließ er unter häßlichem Rollen seiner vorspringenden, immer entzündeten Augen die Blicke durch die dämmrige Helle des Gewölbes schweifen, heftete sie dann fest auf Herta's unglücklichen Sohn und sagte mit mürrischem Humor:

»Guten Morgen, Hans. Wie hast Du auf Deiner Stammburg geschlafen?«

Klütken-Hannes antwortete nicht. Er wendete dem Sprecher den Rücken zu und seufzte.

»Hm,« fuhr der Mörder fort, »der hat noch Lust zu träumen von den Herrlichkeiten, die seiner warten.«

»Daß Du ersticktest!« murmelte Elwirens Vater.

»Bruder, sei kein Narr,« erwiederte Blutrüssel, »laß uns lieber vernünftig mit einander reden. Wir sitzen Beide in einer verdammt ärgerlichen Patsche, aber der Teufel müßte über Nacht all' seinen Witz verloren haben, wenn wir nicht mit heiler Haut davon kämen. Laß uns einig sein und wir sind geborgen!«

»Hätte ich Dich nie gesehen, nie auf Dein[215] Wort gehört! Du hast mich verführt, mich unglücklich gemacht hier und ewiglich!«

»Bleib mir vom Leibe mit solchen Redensarter, alter Junge! – Unglücklich gemacht – was will das sagen! – Und hier und ewiglich! Da ist kein Menschenverstand drin!«

»Ich ... ein Brudermörder! ... O Fluch, Fluch, tausendmal Fluch über Dich seelenverderbendes Scheusal!«

»Recht so, Hans, tobe Dich aus! Das klärt die Seele auf und stärkt den Körper. – Sobald Du Dich satt geschimpft hast, wollen wir zusammen reden wie Brüder. – Ich weiß, daß Du mir ruhig zuhören wirst, denn halb und halb bin ich Dein Stiefvater und – kann das von Dir verlangen.«

»Mörder, ich werde mich rächen!« drohte Klütken-Hannes, erhob drohend seine Faust gegen Blutrüssel und schüttelte wild das struppige graue Haar.

»Ja doch,« sagte sein Verführer, immer räche Dich, das ist in der Ordnung. Wenn heut zu Tage ein ehrlicher Kerl eine Ohrfeige kriegt, so hat er keine ruhige Minute, bis er zwei Ohrfeigen zurückgegeben hat. Das nennt[216] man sich rächen oder bezahlt machen, und Alles ist wieder in's alte Gleis gebracht. Ich sehe also gar nicht ein, weshalb Hans Klütken, von Geschlecht der Sohn einer Gräfin, eine andere Methode befolgen sollte.

»Du bist ein Teufel ... mit Deinem Hohn! – O meine Mutter, meine Mutter!«

»Deine Mutter, die alte Frau, ist in guten Händen. Nach einigen Jahren schlechten Lebens geht es ihr vortrefflich, fast so vortrefflich, als es eine Gräfin verlangen kann.«

»Sie wird sterben um mich, um ihren verworfenen Sohn! ... Sie wird sich die weißen Haare ausraufen um den elenden Verbrecher ... den Brudermörder! ... Und mein Kind – meine Tochter!«

»Wärst Du meinen Rathe gefolgt, so brauchtest Du jetzt nicht diese lamentable Höllenlitanei statt des Morgensegens zu beten. Dein blankes, glattes Mädel gehörte dahin, wohin ich sie Dir zu verhandeln rieth, als es mit dem Trödel nicht mehr vorwärts gehen wollte. Dort wäre sie gut aufgehoben gewesen und Dein Lebetage hättest Du nichts von den Dummheiten erfahren, die im vergangenen Jahrhundert Deine[217] hochgeborene Sippschaft beging. – Aber Du wolltest flugs mit Gewalt reich werden, ließest Dich mit dem flinken Gelbschnabel ein, der zum Unglück Dein Bruder sein mußte, und so kamst Du in diesen zähen Morast, in dem wir jetzt Beide bis an den Hals stecken.«

»Gottes Finger! Gottes Finger!« rief Klütken-Hannes, beide Hände über sein Gesicht schlagend. »Ich fühle, wie er meinen Scheitel berührt – wie er im sündhaften Sohne die Verbrechen des sündhaften Vaters strafen und sühnen will!«

»Das muß ein sehr widerliches Gefühl sein, mit Verlaub,« erwiederte Blutrüssel höhnisch, »ungefähr so widerlich, als ein nüchterner Magen, der sich nach einem derben Stück Fleisch und einem kräftigen Glas Porter sehnt. – Teufel noch' mal, ich glaube, die Bestien wollen uns Hungers sterben lassen!«

Er sprang von seinem Lager auf und suchte Klütken-Hannes, der schon früher aufgestanden war und ruhelos im Kerker auf- und niederging, den Weg zu vertreten. Dieser wich ihm aber geflissentlich aus, um alle Reibung zu verhindern und durch die frechen und höhnischen[218] Bemerkungen des gänzlich demoralisirten Mörders gereizt, nicht zu Thätlichkeiten veranlaßt zu werden.

Klütken-Hannes, im tiefsten Innersten erschüttert durch die furchtbaren Aufschlüsse über seine Abstammung und sein Verhältniß zu der Familie der Grafen Boberstein, bereute jetzt wirklich sein unseliges Leben, seinen sträflichen Leichtsinn, seine habgierige Verblendung! Ihm graute vor sich selbst, wenn er seine jüngste Vergangenheit überblickte; denn wohin er sein zitterndes Auge wandte, überall begegnete er einer rohen Gewalttat oder einem heimlichen Frevel! Verkäufer seines eigenen Kindes – wüster Säufer – frecher Gotteslästerer – gewissenloser Heuchler – und endlich gedungener Mörder! – Alle Sünden und Laster der weiten Welt fühlte er bei dieser Rundschau auf sich lasten, ja Satan selbst schien ihm nicht entsetzlicher, nicht fluch- und verabscheuungswürdiger zu sein, als er, der verachtete Trödler, der Sohn einer frommen, rechtschaffenen, liebenswürdigen Mutter aus altem Geschlecht.

»Und sie lebt noch!« rief er wie wahnsinnig. »Sie muß leben, um den grauenvollen Untergang[219] ihres heißbeweinten Sohnes zu sehen! – O daß ein Blitz mich tödtete und meinen Leib in Asche verwandelte, damit die Winde jedes Stäubchen von mir spurlos in alle Lüfte zerstreuten!«

Drei Tage lang wiederholten sich diese Klagen des bedauernswerthen Mannes. In dieser ganzen Zeit vermied er jede Gemeinschaft mit seinem verbrecherischen Genossen, obwohl er gezwungen war, stets um ihn zu sein. Blutrüssel ward dadurch sehr erbittert, doch ließ er sich nichts merken, da er sehr richtig voraussah, daß Klütken-Hannes neuen Verkehr mit ihm anknüpfen werde, sobald er die ersten tobenden Stürme der Verzweiflung überstanden haben würde.

Der abgefeimte Bösewicht hatte sich nicht getäuscht. Schon am Abend des dritten Tages gab Herta's Sohn auf seine Fragen zusammenhängendere Antworten, was der ergraute Sünder für ein günstiges Zeichen hielt. Er hatte neue Pläne entworfen und wollte diese nunmehr seinem Genossen mittheilen, doch verschob er dies bis auf den künftigen Tag, um recht sicher zu gehen.

Klütken-Hannes war am nächsten Morgen,[220] demselben, wo Herta in Begleitung ihrer geliebten Verwandten nach Boberstein abreiste, um den verlorenen Sohn nochmals zu sehen, niedergeschlagen und schweigsam. Dennoch trank er unaufgefordert von dem Branntwein, den sie zum Frühstück erhalten hatten. Blutrüssel merkte, daß sein Vertrauter und ehemaliger Freund lebhafter ward, und glaubte diesen Moment benutzen zu müssen. So freundlich lachend, als es ihm bei seiner abschreckenden Gesichtsbildung möglich war, sagte er:

»Wenn wir klug sind und uns Einer auf den Andern verlassen, so können wir in ein paar Tagen wieder unsere eigenen Herren sein.«

»Daran liegt mir nichts,« erwiederte Klütken-Hannes. »Habe ich gefrevelt, so will ich auch jetzt Strafe dafür leiden.«

»Und Dich aufknüpfen oder, was noch wahrscheinlicher ist, von unten auf rädern lassen? Denn das ist jetzt Sitte in manchen civilisirten Staaten. Ich sage Dir, Du hast einen schlechten Geschmack. Aus daß Du bessere Einfälle bekommst, – stoß' an!«

»Mit Dir? – Nun und nimmermehr, und sollte es mir die Seligkeit losten!«[221]

Blutrüssel setzte sein Glas vor sich hin und warf dem Reuigen wilde Blicke zu.

»Weshalb nicht?« sagte er barsch. »Bin ich Dir nicht gut genug?«

Klütken-Hannes saß mit untergestemmtem Arm am Tische, runzelte die blatternarbige Stirn und trank häufig kurze Züge aus seinem vollen Glase.

»Antwort verlange ich!« rief der Bösewicht heiser kreischend und stieß sein Gegenüber unsanft an. »Ob ich Dir nicht mehr gut genug bin, Herr – Bettelgraf, frag ich?«

»Du bist mein böser Geist,« versetzte dumpf und ernst Herta's Sohn.

»Ha, ha, ha!« lachte Blutrüssel. »Weil der Narr jetzt weiß, daß er aus anderm Teig geknetet ward, als ich und Hunderttausend meines Gleichen, und weil ich so gescheidt war, einen talentvollen Jungen bei Zeiten ins harte Leben hineinzustoßen, damit er auch Einer der Unsrigen, ein armer Teufel werde, der von seinem Erwerb sich das Leben fristen muß, deshalb bin ich jetzt sein böser Geist. – Hans, alter Hans, ich, siehst Du, ich finde das lächerlich.«

»Ich aber fürchterlich, unaussprechlich grauenvoll!«[222] sagte Klütken-Hannes mit demselben ernsten und dumpfen Tone, in dem er das Gespräch begonnen hatte, während er immerfort von dem Glase nippte.

»Vergiß, was vorüber ist, und schau vorwärts! Ein rechter Kerl kümmert sich den Henker um die Vergangenheit!«

»Auch nicht um seinen Vater, seine Mutter?«

»Um diese schon gar nicht, denn sie gehen ihn nichts an, wenn er sich so lange wie Du allein und ohne Hilfe in der Welt hat forthelfen müssen.«

»Ohne Dich wäre ich glücklich, wäre ich ein guter Mensch, ein dankbarer Sohn geworden!«

»Oho!« rief Blutrüssel. »Am Ende soll ich gar daran Schuld sein, daß Du Dein liebes Brüderchen, den Mohrenkopf, mit Gift vergeben wolltest!«

»Bei der ewigen Pein, das bist Du!«

»Kellerhaus!« drohte Blutrüssel und ballte die Hand gegen ihn. »Trödelbube, mach mich nicht mürrisch!«

»Ja,« fuhr Klütken-Hannes fort, mit der Faust auf den Tisch schlagend, »Du bist es, der[223] mich um Zeit und Ewigkeit gebracht hat, Du! ... Von Dir fordere ich mein verlorenes Leben! Dich werde ich dereinst vor dem ewigen Richter verklagen!«

»Der kennt mich nicht, so gut ich ihn nicht kenne,« höhnte der Mörder, »und überdies, da ich nicht zu seiner Gerichtsbarkeit gehöre, lache ich Deiner Klage.«

»Gotteslästerer!« murmelte Klütken-Hannes. »Seine Hand wird Dich ereilen, ehe Du es vermuthest!«

»Ach das ist gut,« erwiederte der Bösewicht, »Du fängst schon an zu predigen – und wirst mich mithin belehren, wenn wir uns noch einige Wochen Gesellschaft leisten sollten.«

»Dann erwürge ich Dich!«

»Im Schlafe, nicht wahr? Denn wachend fürchte meine Kralle!«

»Mörder meines Großvaters!« sagte Klütken-Hannes dumpf vor sich hin und schauderte unwillkürlich zusammen. »Und mit ihm muß ich den Kerker theilen!«

»Ein witziger Einfall, fürwahr! Aber warum war auch Dein Großpapa so albern und lief mir in den Weg, da ich eben beschäftigt[224] war, mir ein paar Honigwaben zu holen? Du wirst zugeben, daß dies höchst unklug war von dem Fürsten der Haide. Übrigens aber meine Hand darauf, ich that damals nichts mehr, nur mit etwas besserem Glück und mit wenigeren Umständen, als Du neulich thun wolltest. Ich handelte im Auftrage des Herrn Grafen Magnus, Du aber – nun Herr Bruder in diabolo, was beliebten denn Ew. gräfl. Gnaden zu beginnen?«

»Mord! Mord! Nichts als Mord und Todtschlag!« rief Herta's Sohn händeringend. »Mord an Ältern, Brüdern, Verwandten! ...«

»Noch nicht, aber es kann dahin kommen,« sagte Blutrüssel trocken. »Wer Nesseln sät, der ärndtet Nesseln, und das Zeug brennt wie Feuer, wenn's recht gedeiht. Ha, und Du bist gediehen, teufelmäßig gediehen!«

Und das Scheusal fiel in ein so fürchterliches Hohngelächter, daß Klütken-Hannes aufsprang und mit zorniger Miene dem Unholde näher trat.

»Vermaledeiter Hund!« schrie er ihm zu. »Du höhnst mich noch? Du wagst zu lachen, wenn sich die Haare einzeln auf meinem Scheitel bäumen über das grauenvolle Verhängniß, das an meinem Geschlechte nagt? An dessen[225] Sturze ich elender Verführter unwissenderweise mitgearbeitet habe?«

»Wenn Ew. Gnaden erlauben, so lache ich,« versetzte Blutrüssel. »Denn es macht mir Vergnügen zu sehen, daß meine Aussaat so vortreffliche Früchte getragen hat. Auf Du und Du mit einem Grafensohne leben, noch dazu mit dem Sprößlinge des übermüthigsten Aristokraten, der je einen Wappenring am Finger und goldene Sporen an den Fersen trug; mit einem Sohne des Mannes, der alle übrigen Menschen nur als Spielpuppen seiner Laune behandelte und kein größeres Unglück kannte, als Armuth, Mangel, niedere Geburt und schlechte Gesellschaft – was die Großen so nennen – ja bei dem Fluch aller Flüche, das macht mir Vergnügen, das ergetzt mich, wie's etwa den Teufel ergetzen mag, wenn er ein schuldloses Seelchen in sein Netz gelockt hat!«

Mit harter Faust packte Klütken-Hannes seinen Verführer am Arm und schüttelte ihn heftig, indem er ihm zurief:

»Du kanntest also meine Abstammung? Du wußtest wirklich, daß eine verzweifelte Mutter um mich weinte?«[226]

»Ob ich es wußte! –«

»Und hattest kein Mitleid mit ihr, mit mir?«

»Ich hatte Geld, viel Geld, gnädiger Herr Graf und Mitgefangener, und wenn ich Geld hatte, so kannte ich das Wort ›Mitleid‹ niemals.«

»Wie kam es, daß Du mich späterhin verließest?« fuhr Klütken-Hannes mit kalter Inquisitorstimme fort, den abscheulichen Mörder zu verhören. »Denn ich erinnere mich erst, Dich in spätern Jahren, als ich schon Comptoirdiener war, gesehen zu haben.«

»Das ging sehr einfach zu, mein Vortrefflichster. Du warst ein hübscher, kräftiger Junge mit prächtigen Haaren und einem allerliebsten frischen Gesichtchen. Eine herumziehende Schauspielerbande fand Dich liebenswürdig, machte mir annehmbare Anträge und so schlug ich Dich für ein gutes Handgeld los. Du wirst billig sein und mir dies nicht verdenken! – Ich hatte es satt, die Kindermuhme zu spielen und Dich bei meinen Wanderungen auf den Armen herumzuschleppen. Im Grunde bist Du mir sogar vielen Dank dafür schuldig, denn ich konnte Dich, straf' mich Gott, abstechen, wie eine Gans, die[227] Vollmacht dazu war mir gegeben! Aber ich hatte mich in Dein Lärvchen vergafft, und so ließ ich Dich denn leben.«

»Um mich langsam und desto sicherer zu tödten! Um mich dem ewigen Verderben zu opfern!« rief Klütken-Hannes aus. »Und dafür, meinst Du, dafür soll ich Dir jetzt dankbar sein?«

»Als guter und treuer Kumpan, beim Element, ja! Das ist Sitte und Brauch bei allen honetten Leuten.«

»Wir sind nicht honette Leute, wird sind Elende – Verbrecher!«

»Oho! Verbrecher sind auch honett. Oder haben wir nicht honett gehandelt mit – mit – den beiden Brüdern?«

Klütken-Hannes fühlte, das sein Blut sich mehr und mehr empörte. Er vermochte sich nicht mehr zu zügeln. Einen Schritt zurücktretend, knirschte er mit den Zähnen und spie dem Abscheulichen den Geifer der Wuth in's Gesicht.

»Nimm das für Deine Judasdienste,« rief er ihm zu, »und verflucht will ich sein, wenn ich von dieser Stund' an noch einen Bissen Brod mit Dir theile! Wenn ich je wieder Deine vermaledeite Hand berühre!«[228]

»Nun so sei verflucht!« erwiederte Blutrüssel, sprang auf, ergriff sein Branntweinglas schlug den Rand desselben an der Tischkante ab und stürzte brüllend wie ein wüthender Tiger auf ihn zu.

Herta's Sohn hatte einen so ungestümen Angriff nicht erwartet. Ohne Waffe, ungeübt im Ring- und Faustkampfe, überdies von dem häufigen Genuß starken Branntweins geschwächt, vermochte er dem Anstürmen des wüthend gemachten Mörders kaum zu begegnen. Er empfing rasch hinter einander mehrere empfindliche Stöße mit dem scharfen Fuß des zerbrochenen Glases und sah Hände, Arme und Gesicht alsbald von heißem Blute überströmt. In der Angst ergriff er zwar einen Schemel und wehrte sich tapfer gegen den Blut- und Rachedurstigen. Auch rief er mehrmals laut schreiend um Hilfe. Wenn aber auch Jemand in der Nähe gewesen wäre, den wimmernden Ruf würde er kaum gehört haben, da das Rauschen der Maschine im Erdgeschoß und das dumpfe Gesurr der Spindeln in den obern Stockwerken jeden andern Laut übertäubten.

Blutrüssel, erhitzt bis zu sinnloser Wuth,[229] gewandter als sein unglücklicher Gegner und von diabolischer Mordlust erhitzt, hetzte unter wildem Lachen, unter Fluchen und Lästern den Geängsteten aus einem Winkel in den andern, entriß ihm den Schemel, da schon sein erster Stoß eine Flechse an der rechten Hand Klütkens zerschnitten hatte, und trieb nun mit raffinirter Grausamkeit sein wehrloses Opfer in den äußersten Winkel des Kerkers. Ohn' Aufhören versetzte er dem Jammernden rasche Stöße mit dem scharfen Glase auf Schenkel, Arme, Brust und Kopf, so daß er aus hundert Wunden blutete und kaum mehr einen Schatten seines wüthenden Gegners sah. In die Ecke gedrängt, stürzte er erschöpft zu Boden. Blutrüssel warf sich auf ihn, kniete dem Halbbewußtlosen auf die Brust und fletschte thierartig lachend die Zähne.

»Recht so, mein Honigpüppchen,« sagte der Schreckliche, indem er ihm mit furchtbarem Stoße die Lippen abschnitt, »das wird Dich satt machen für immer und Dich verhindern, honetten Leuten wieder ins Gesicht zu speien. – So! – Du hattest ja die Spitzgläser lieb, gib ihm noch einen innigen Kuß! – Ha, wie das rieselt! – Das hilft fürs Ausplaudern! ...«[230]

Blutrüssel zerriß dem Vater Elwirens die Zunge. – Der Unglückliche röchelte nur noch, aber seine Hände wischten das Blut von den Augen, die mit vorwurfsvollem, entsetzlichen Ausdruck den Mörder anstierten. Dieser erbebte vor diesem kalten, glänzenden, wie aus einer andern Welt aufleuchtenden Blick.

»Ha!« rief er aus. »Willst Du gleich die Deckel schließen, Satanskind? Willst Du?«

Der Sterbende hörte ihn nicht mehr. Die Augen stierten weit geöffnet und regungslos den Entmentschten an.

»Nun so empfangt von mir die Sargnägel!« tobte Blutrüssel in der Raserei des Mordens und schlug mit zwei furchtbaren Schlägen das spitze Glas dem jahrelangen Genossen in beide Augenhöhlen. Die Stöße waren so gewaltig daß ihm das Blut in's Gesicht spritzte. Klütken-Hannes zuckte noch einige Male und verschied.

Jetzt erst kehrte dem blutbesudelten Mörder die Besinnung zurück. Er entsetzte sich vor seiner gräßlichen That und die Angst der Verzweiflung kam über ihn. Die innere Qual zu betäuben, trank er rasch den noch vorräthigen Rest[231] des Branntweins aus, setzte sich dann, den Rücken gegen den Ermordeten gewendet, auf den Tisch und starrte, in dumpfes Hinbrüten verloren, das vergitterte Fenster an, um dessen steinernes Kreuz sich dann und wann der Schatten einer Rauchwolke schlang, die von den hohen Schornsteinen in den hellblauen Himmel emporwirbelte.

Der verzweifelte Mörder hatte noch kaum zehn Minuten in dieser Stellung verharrt, da nahten sich Tritte und er hörte das Klirren von Schlüsseln. Zusammenschaudernd sprang er von dem Tische, trat zurück und lehnte sich im äußersten Winkel des Gewölbes an die kalte, trockene Steinwand.

In diesem Augenblicke knarrte der Schlüssel im Schloß und die Thür ward geöffnet.

Quelle:
Ernst Willkomm: Weisse Sclaven oder die Leiden des Volkes. Theile 1–5, Leipzig 1845, S. 206-232.
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