Fünftes Kapitel.
Zwei Kinder des Lasters.

[117] Wir überspringen einige Tage, in denen nichts Merkwürdiges vorfiel, und bitten den Leser, uns auf kurze Zeit nach Hamburg zu begleiten.

Es ist Silvesterabend. Auf allen Straßen erschallt gedämpfte Musik. Die langen Reihen der reichen Kaufmannshäuser mit ihren glänzenden polirten Spiegelscheiben schimmern von tausend Lichtern und werfen ihren strahlenden Widerschein auf die weißgetünchten Wände oder die mit Schnee bedeckten Dächer der gegenüberstehenden Häuser. Die hüpfenden Schatten, die schnell vorüberschweben an den leisbewegten Gardinen, verrathen den jubelnden Frohsinn, das lachende Glück, den sichern Übermuth der Versammelten,[118] die kaum die Stunde erwarten können, deren dumpfe Glockentöne über das Grab eines versinkenden Jahres den Segen läuten und ein neues mit unverstandenem Gruß über die Schwelle der Zeit geleiten. Noch wimmeln die breiten Straßen von geschäftigen, schauenden oder auf verbotenen Erwerb ausgehenden Menschen; denn der Winter hat streng begonnen, das Leben ist theuer und der Verdienst karg! Und die Jugend will genießen, will fröhlich sein mit den Fröhlichen, ausschweifend mit den Ausschweifenden! – Seit langer Zeit hüpften nicht so viele geschmückte, lächelnde Kinder der Sünde durch Hamburgs Straßen, wie an diesem sternenhellen, eiskalten Sylvesterabende.

Die Glocken von den Hauptthürmen verkündeten die eilfte Stunde der Nacht. Die beiden Glockenspiele auf St. Nicolai und St. Petri sangen weitschallend über Stadt und Strom und Land ihre ernsten, mahnenden Choräle. Aber Niemand von den Bewohnern Hamburgs achtete auf die ehernen Stimmen, die wie ein Chor vorüberschwebender Geister aus dem Himmel herabklangen. Die Reichen tanzten, jubelten und schwelgten in den Prunkgemächern ihrer Paläste,[119] die Armen hungerten, weinten, beteten oder fluchten in feuchten Spelunken tief unter der Erde oder in versteckten, von keinem reinigenden Lufthauch wohlthätig berührten Kammern. Sie konnten das Abschiedslied der dumpfen Glocken nicht hören. Sie vernahmen nur den Groll ihres gefolterten Herzens und den Verzweiflungsschrei, der wie Schakalsgeheul in der trostleeren Wüste ihrer ausgebrannten Seele verhallte.

Mit den letzten Accorden der schrillend auszitternden Töne des Glockenspiels trat Klütken Hannes aus seinem Keller, hob die trüb brennende Lampe von dem halbverfaulten Eichpfahle, auf dem sie befestigt war, um spät Vorübergehenden den Eingang in die dunstige Höhle zu zeigen, und schloß mit doppeltem Riegel die mit dem schlechten Pflaster in gleicher Höhe angebrachte, aus zwei gleichen Bretern von starkem Fichtenholz bestehende Thür. Dann löschte er die Lampe aus, stellte sie in eine Vertiefung der zerbröckelnden Ziegelwand und schlurrte mit schweren Schritten durch den engen Gang, der jetzt mit beinahe fußhohem Schnee und Eise bedeckt und hie und da von großen Löchern, die man durch Ausschütten von Spühlicht in den Schnee[120] gegossen hatte, in eine halsbrecherische Straße verwandelt worden war.

Gewöhnt an solche Fährlichkeiten, hinderten sie Klütken-Hannes nicht im geringsten. Zwar stolperte der schon längst nicht mehr ganz nüchterne Trödler häufig, immer aber wußte er mit bewundernswürdiger Geschicklichkeit im Gleichgewicht zu bleiben. Um den fatalen kalten Wind, der mit schneidender Schärfe sein bläulich-rothes Gesicht traf, zu verscheuchen, stimmte er ein lustiges Lied an, das er überlaut vor sich hinkrähte. Das erwärmte ihn etwas und ernüchterte zugleich auch seine von häufigem Genuß des schlechtesten Branntweins befangenen Sinne.

Auf den gangbaren Straßen schritt Klütken-Hannes rascher aus. Er hatte noch einen weiten Weg zurückzulegen bis auf den Hamburger Berg. Dorthin hatte ihn ein Freund beschieden, um unter gemeinschaftlichem Gespräch bei voller Flasche das alte Jahr in glückseliger Vergessenheit zu beschließen, das neue in wüstem Taumel anzutreten. Solche Einladungen schlug der herabgekommene Trödler niemals aus, er wünschte vielmehr, daß sie sich alle Tage wiederholen möchten, denn ohne berauschenden Trunk, ohne[121] Spiel und rohen Scherz beschlich ihn eine so unbehagliche Stimmung, daß er Furcht vor sich selbst empfand.

Heut jedoch war er überaus lustig und zu den tollsten Unternehmungen aufgeregt. Er hatte Geld, viel Geld, er konnte mithin spielen, im Spiele wagen und noch mehr gewinnen, und überdies schwindelten ihm die exaltirtesten Gedanken durch sein erhitztes Gehirn und ein Bild der glänzendsten Zukunft hob sich gleich einem Feenpalast aus dem brodelnden Sumpf seiner verpesteten Einbildungskraft.

Bald eine Strophe seines wüsten Liedes singend, bald hellauf lachend, hob er von Zeit zu Zeit den trüben Blick zu den glänzenden Häusern empor, aus deren geschmückten Sälen die sanften oder rauschenden Weisen heiterer Tänze erklangen.

»Ha, ha, ha!« rief Klütken-Hannes verächtlich lachend und drohte mit geballter Faust hinauf nach den verhüllten Spiegelfenstern. »Immer tanzt und schwelgt, ihr reiches Lumpengesindel – mich ficht das nicht an! In vier Wochen thu' ichs Euch Allen zuvor, bade mich in Burgunder, spüle mir den Mund mit Champagner[122] aus und esse nie unter sechs Gerichten! Heidi, das soll ein Leben geben, wie ehedem zu Babel, als die Narren anfingen den großen Thurm zu bauen! – Sardanapal soll ein Hundejunge sein mit seinen Schwelgereien und verpraßten Nächten gegen das Leben, das ich führen werde! – Ho, ho! hab ich doch Geld, Geld die Hülle und Fülle!«

Und johlend schlug der Trödler an seine Tasche, daß die blanken Gold- und Silberstücken zusammenklirrten und sein gemeines Ohr mit dieser lieblichen Musik ergetzten – Dann sang er wieder:


»Ich hab' mein Sach' auf nichts gestellt,

Juchhe!«


unterbrach sich aber sogleich und stimmte dafür den ihm geläufigeren Gassenhauer an:


»Ich bin liederlich, Du bist liederlich etc.«


den er auch glücklich zu Ende brachte.

Ohne Murren bezahlte Klütken-Hannes den theuern Thorschilling, was er für gewöhnlich nicht zu thun pflegte, und taumelte dann, des eisigen Nordostwindes nicht achtend, dem bekannten Tavernenlabyrinth zu. Schon aus ziemlicher Ferne vernahm man das lärmende Toben und[123] dumpfe Brüllen der Tausende, die bei wüsten Gelagen und im Schlamm moralischer Verwilderung sich wälzend, das neue Jahr mit dem alten vermählten. Dem Trödler waren diese vertrauten Töne Genuß. Er mußte sich Gewalt anthun, um nicht von ihnen verführt, in eine jener besuchten Tanz- und Trunkhallen gelockt zu werden, mit denen wir früher unsere Leser bekannt zu machen suchten. Mit einiger Überwindung gelang es ihm, sie ungefährdet zu passiren. Er ging nun abwärts dem Strande der Elbe entgegen und erreichte unweit des Altonaer Hafens ein schlecht gebautes Häuschen. An die wackelige Thür desselben donnerte er mit seinen gewaltigen warzenbedeckten Händen, daß nicht blos die Fenster, sondern selbst das Balkenwerk zitterte. Sogleich ließ sich im Innern des Häuschens ein heiseres Grunzen hören mit einzelnen Flüchen und pfeifendem Lachen gemischt. Schlürfende Schritte näherten sich der Thür und eine tappende Hand schob den Riegel zurück. Im Scheine einer flackernd brennenden Lampe grinste dem Trödler das unbeschreiblich abschreckende, in teuflischem Lachen die spitzen langen Zähne fletschende Gaunergesicht Blutrüssels entgegen.[124]

»Da bin ich,« sagte Klütken-Hannes. »Teufel noch 'mal, beißt heut die Luft! Ich glaube, Du hast gegen eine Bowle guten Punsch dem verfluchten Windmacher Deine Zähne versetzt, alte Seele!«

Blutrüssel belachte den rohen Scherz seines Freundes und führte ihn in ein geheiztes Zimmer. Vor dem rothglühenden eisernen Ofen stand ein Kohlenbecken und über diesem schwebte in gehöriger Entfernung ein kupfernes kesselartiges bauchiges Gefäß an einer eisernen Stange. Das Gefäß war bedeckt, aber der brodelnde Dampf, der zischend und singend aus dem schadhaften Deckel hervordrang, verrieth dem Trödler durch sein einladendes Duften, daß er hier finden sollte, was er suchte.

Blutrüssel schob sofort geschäftig zwei hohe Gläser auf den Tisch, der am Ofen gegenüber an der Ziegelwand stand, hob den Kessel herab und stellte ihn neben die Gläser. Dann langte er einen verzinnt gewesenen bleiernen Vorlegelöffel aus dem Tischkasten, hob den Deckel der heißen Terrine damit ab und schenkte die Gläser voll.

»Stoß' an, borstige Kellerratte!« rief er[125] dem Trödler zu und hob das dampfende Glas. »Dem weißes Püppchen soll leben! Es ist, glaub' ich, heut ihr Geburtstag; mög' es auch der Entstehungstag oder vielmehr die Nacht eines Dinges sein, das ihr 'mal gleich wird, der blanken Hexe!«

Und der rüde Mensch belachte seinen unzarten Witz so anhaltend, daß er gar nicht mehr zu sich kommen konnte und das heiße scharfe Getränk ihn fast erstickt hätte. –

Klütken-Hannes stieß auf diesen Toast zwar an, mit großem Beifall nahm er ihn aber nicht auf. Er runzelte drohend die Stirn, drückte seine gerötheten stechenden Augen halb zu, daß nur die funkelnden Pupillen sichtbar blieben, und erwiederte:

»Eigentlich ist das eine beleidigende Gesundheit, mordverbrannte Seele; denn sie heißt mein schmuckes Mädel im Gedanken zur –«

»Still!« fiel Blutrüssel ein. »Was es heißt, wenn ich einen Witz mache, das brauchst Du mir nicht auf der Tafel zu erklären! Dem Scharfsinn wie Dein Gedächtniß haben gelitten im Zugwinde, sonst würdest Du Dich erinnern, daß es immer Dein Wunsch war, das schlanke[126] Kind einem oder einigen Männern an den Hals zu werfen, wenn sich jeder Kuß, den sie ihm gäben, mit einen Goldfuchs bezahlt machte. Und ich fand, guter Junge, daß Du damals als ein vernünftiger Mann und ein weiser Vater dachtest. – Und hast Du etwa nicht genau nach meinen Anleitungen gehandelt, Griesgram? Oder meinst Du, solch ein großmäuliger Laffe, wie Jener es war, der Dir den schönen Nichtsnutz für ein hübsches Stück Geld abkaufte, hätte das gethan aus purer dummer Menschenliebe und werde sich das warme lebendige Püppchen blos so zum Augenverdrehen in einen Glasschrank setzen? Wär' er so dumm, bei meinen Sünden, dann wollt' ich, seine Mutter wär' als alte Jungfer gestorben!«

»Keinen Groll deswegen! Weiß ich doch, wie Du's meinst. Deine Kralle her, verwitterter Graukopf, und Freundschaft für heut' und immer!«

Blutrüssel schlug ein. Die Gläser wurden aufs neue gefüllt und fast eben so schnell wieder gelehrt.

»Weißt Du, daß ich noch nie ein Jahr so sorgenlos beschlossen habe?« sagte Klütken-Hannes mit einem Anflug von Sentimentalität in[127] seiner Stimme. »Ich bin zu Weihnachten beschenkt worden wie ein Fürst! Man liebt mich, denke Dir, liebt mich, den armen heruntergekommenen Trödler, der ohne Genever und Grog nicht mehr leben kann! Und wir beklagen uns, daß Gott die Seinen verläßt!«

»Schon betrunken und hat erst den zweiten Zug gethan!« wieherte Blutrüssel, der in der That die ungewöhnliche Rührung und Weichheit seines Gastes dem Trunke und unzeitiger Betäubung zuschrieb. »Du bist wohl ein reicher Mann geworden im – Hinterstübchen?«

Blutrüssel zeigte dabei auf seinen Hinterkopf und verzog seine abscheuliche Fratze zu dem abschreckendsten Lächeln.

»Lache, lache immer hin, so viel Du willst,« entgegnete Klütken-Hannes, »ich sage doch: so ist es und es grenzt an's Wunderbare, daß es so ist! In der That ich bin reich, kann es wenigstens werden, wenn ich will und – mein Wort darauf – mir ist ganz so zu Muthe, als hätte ich den Willen dazu!«

Von Neuem fiel Blutrüssel in ein heiseres wieherndes Lachen. »Ich bitte Dich, blaugetüpfelter Glückspilz, theile mit mir, wenn Du[128] reich sein wirst! Nimm mich altes Menschenwrack in's Schleptau und ziehe mich durch Wind und Fluth in den stillen Hafen Deines Weihnachtsglückes. Denn ich kann Dich auf Ehre versichern, daß ich des Spielens und Saufens unter dem Reger- und Mulattenpack längst überdrüssig bin! Ich wäre auf und davon gelaufen, wäre ich noch jung und rüstig, aber in meinen Jahren und bei meinen Gewohnheiten lebt sich's immer am besten da, wo man warm sitzt und wo sich das leere Glas immer wie von selbst wieder füllt.«

Blutrüssel hatte dies in einem spöttischen Tone gesprochen, der seinen Gast verhöhnen sollte. Allein Klütken-Hannes ließ sich nicht davon anfechten. Er schüttelte seinen borstigen Kopf, schlug mit flacher Hand auf den Tisch und rief aus:

»Es gilt, Blutseele! Nehm' ich's an, so sollst Du mein Gefährte, mein Bruder sein!«

»Befiehlst Du Wasser, Hänschen?« grinste der Gauner. »Dein Kellerloch ist feucht, Du bist daran gewöhnt, ich will Dir einen Kübel voll holen und Dir den Kopf damit waschen, bis Du wieder klar hörst und denkst!«[129]

»Laß die Possen!« versetzte darauf der Trödler mit ärgerlichem Tone. »Ich war in meinem Leben niemals nüchterner, als eben jetzt. Was ich sage, ist wahrer als alle Evangelien zusammengenommen; wenn Du mir aber nicht glauben willst, so sieh!«

Klütken-Hannes fuhr in die Tasche seiner Jacke und warf eine Hand voll Ducaten auf den Tisch, stand dann auf und schüttete auch aus beiden Hosentaschen noch eine ansehnliche Summe in Gold- und Silbermünzen.

»Hast Du gestohlen?« fragte der Gauner, »oder einen Schatz gehoben?«

Klütken-Hannes fuhr auf. »Tausend Donner, wie oft soll ich's Dir Vieh denn in die Ohren schreien, daß es mir als Gottesgabe gradezu vom Himmel in den Schooß gefallen ist!«

»Das begreife ich nicht,« entgegnete Blutrüssel zum ersten Male ein ungeheucheltes Erstaunen zeigend.

»Ist auch nicht vonnöthen,« versetzte der Trödler. »Ich habe das Geld, ich kann alle Tage noch einmal so viel wo nicht das Drei- und[130] Vierfache erhalten, wenn ich thue, was man verlangt.«

»Du bist wirklich ein Glückskind! Da sieht man, daß es doch etwas auf sich hat mit der Abstammung!«

»Was Abstammung!« lachte Klütken-Hannes. »Kommst Du wieder einmal auf dies abgeschmackte Kapitel, das Du mir so oft vorsangst in besseren Zeiten? Glück! Was will das sagen! Man wird meiner bedürfen, darum überschüttet man mich mit Gold.«

»Aber wer, goldenes Paradiesvögelchen?« schmeichelte Blutrüssel mit seiner süßesten Flüsterstimme, während er einige Goldstücke erwischt hatte und sie spielend durch seine Finger gleiten ließ. »Wer ist so unnatürlich dumm, einem Unbekannten solche Summen zuzuwerfen, ohne daß ein großer Zweck im Hintergrunde ruht!«

»So ist es unstreitig. Und man kennt mich, Glotzauge! Man hat Gutes von mir gehört und traut nur 'was zu! Mein Talent als Mäkler muß viel in der Welt von sich haben sprechen machen, denn ich merke schon, daß man ähnliche Dienste wieder von mir verlangt.«

»Du wirst immer räthselhafter, Hans! Bald[131] werde ich Dich von einer Glorie umgeben erblicken, was Dir wundervoll zu Gesicht stehen muß!«

»Nun vielleicht bringt Dein Spitzbubenwitz mehr Zusammenhang in dies beantragte geheime Mäklergeschäft, als mir es zur Stunde hat gelingen wollen. Da lies den Brief! Vor drei Tagen erhielt ich ihn nebst einer Anweisung auf tausend Mark, die mir in rundem Gold und Silber heut baar ausgezahlt worden sind.«

Klütken-Hannes reichte dem grinzenden Gauner einen sehr zerknitterten und mit allerhand Schmutzflecken besudelten Brief.

»Du weißt ja, ich kann blos buchstabiren und noch dazu blos Gedrucktes. Lies mir den Unsinn vor!«

Der Trödler entfaltete nun das Schreiben und brachte mit vielen Unterbrechungen dessen mysteriösen Inhalt zusammen. Der Brief lautete:


»Werther Herr!

Es ist mir von einem schätzenswerthen Manne, der Sie genau zu kennen die Ehre hat – ›Ehre!‹ warf der Gauner ein. ›Teufel noch 'mal, den Lump möcht' ich kennen!‹[132] – ›Ergrimme Dich nicht, Bruder,‹ sagte der Trödler etwas hochmüthig, ›wollten wir unsere beiderseitigen Verdienste auf die Wage legen, so würdest Du im Betreff der Ehrenhaftigkeit mir gegenüber ein ausgeblasenes stinkigtes Ei bilden. Nur keine Complimente, ich bitte!‹ – Er las weiter: – ›der Sie genau zu kennen die Ehre hat, versichert worden, daß Sie ein eben so ausgezeichnetes Talent als die größte Willfährigkeit besitzen, ein Geschäft zu übernehmen, das neben großer Kühnheit und Entschlossenheit auch einen hohen Grad von Klugheit erheischt. Nach allen Erkundigungen, die ich unter der Hand durch beglaubigte und zuverlässige Personen über Sie eingezogen habe, fehlt es Ihnen an keiner dieser Eigenschaften. Leider sind seit einiger Zeit äußere Umstände der Ausübung und Ausbildung Ihrer höchst kostbaren Talente hindernd in den Weg getreten.‹ Hier lachte Blutrüssel, daß ihm die Thränen aus den Augen liefen. Er goß die Gläser von neuem voll und nöthigte seinen Gast, mit ihm anzustoßen. ›Auf Deine kostbaren Talente, die Du selbst nicht kennst!‹ Klütken-Hannes that Bescheid[133] und fuhr fort: – ›Sie sind arm und stehen an einem Abgrunde, der schon manchen wackern Mann verschlungen hat.‹ Wollen Sie nur unbedingt und ohne zu fragen vertrauen, auch späterhin ohne das geringste Widerstreben meine Befehle pünktlich und treu vollziehen, so werde ich Ihnen helfen. Zum Beweise, daß ich es redlich meine, lege ich diesen Zeilen eine Anweisung auf tausend Mark Banco bei, die Ihnen von der beigefügten Firma honorirt werden wird. Es soll dies nur ein geringer Zuschuß sein, damit Sie Ihre vielleicht in Unordnung gekommenen Angelegenheiten schleunigst ordnen und die Reise, die ich von Ihnen begehre, mit dem übrig bleibenden Rest bestreiten können. Jede Summe, die Sie später bedürfen, steht Ihnen zu Gebote, wenn Sie rasch und verschwiegen handeln! Einer Antwort bedarf es durchaus nicht. Sie haben weiter nichts zu thun, als genau die unten angeführte Marschroute zu verfolgen. Man weiß, was Sie thun, wenn Sie nach raschem Entschlusse am Ort Ihrer künftigen Bestimmung eintreffen werden. Ihr Empfang[134] wird Ihren Verdiensten, die Sie sich alsbald erwerben können, entsprechend sein. Leben Sie wohl und folgen Sie dem Wink, den ein mild gesinntes Schicksal Ihnen hierdurch gibt!

Gehorsamst

a. – n.«


Die angegebene Reiseroute endigte eine Stunde von Boberstein bei einer tief in der Haide gelegenen Torfgräberhütte, die allgemein unter dem Namen der »Wurzelhütte« bekannt war. Klütken-Hannes hatte den Brief Adrians erhalten, welchen dieser am Weihnachtsabende nach der Unterredung mit Vollbrecht schrieb. Seine früheren langen Gespräche mit Aurel hatten ihn hinlänglich eingeweiht in die Verhältnisse des heruntergekommenen Trödlers, und den Äußerungen des Bruders zufolge glaubte Adrian in diesem verwilderten, geldgierigen Menschen ein willenloses Werkzeug für seine geheimen verbrecherischen Zwecke gefunden zu haben.

»Ist das Alles?« fragte Blutrüssel, als Klütken-Hannes das Schreiben zusammenfaltete und gelassen einsteckte.[135]

»Es fehlt kein Wort außer denen, die ich nicht entziffern kann.«

»Aber daraus wird ja kein Teufel klug!«

»Warum denn nicht? Es gibt nichts Kläreres unter der Sonne, das ist plan. Man reist, man läßt sich bestimmen, man streicht Geld ein und lebt fidel und sorgenlos, bis es ein Ende hat!«

»Es kann eine Falle sein,« bemerkte Blutrüssel und rollte seine vorstehenden gelblich-trüben Augen unter furchtbarem Zähnefletschen. »Ich habe Erfahrung darin, Hans! Ehedem reiste ich auf kurze Zeit in ähnlichen Geschäften.«

»Pah! Was Falle! Tausend Mark wirft kein Mensch zum Fenster hinaus, um einem Andern damit bequem den Hals umdrehen zu können!«

»Darüber, siehst Du, blöde Kellerassel, darüber ließ sich ein Langes und Breites reden. Weil Du aber für gewisse Feinheiten interessanter Lebensarten keinen Sinn hast, will ich es unterlassen. Du bist blos für die plumpen, großen Geschäfte – fürs bequeme Gelderpressen, wenn der Erwerb mit Schwierigkeiten verbunden[136] ist. Nun, ich tadle dies auch nicht, denn es führt manchmal weiter, als studirte Handgriffe und raffinirte Pläne. Aber Eins wenigstens nimm nicht auf die leichte Achsel – ich meine die Reise! Wohin lockt Dich der splendide Zahler?«

Gleichgiltig zog Klütken-Hannes seinen Brief nochmals vor und nannte die einzelnen Orte, welche berührt werden sollten. Es waren dies mit Ausnahme von zwei bis drei unbedeutenden Landstädtchen immer nur Vorwerke oder einsam gelegene Schenkhäuser, die über wenig befahrene Communicationswege in bedeutender Entfernung von der großen Landstraße tief in die Haide führten. Über diese Reiseroute stutzte Blutrüssel mehr wie über Alles. Sein Gesicht würde, wäre dies möglich gewesen, bleifarbig geworden sein, so heftig erschrak er; denn er sah sich auf einmal wieder auf den Schauplatz seiner Jugendvergehungen versetzt. Waren diese auch längst in seinem Gewissen begraben, so traten sie doch als bleiche Geistererscheinungen jetzt unerwartet vor sein inneres Auge und ein Frösteln der Angst, ein Schauer der Verzweiflung rieselte ihm durch Mark und Bein.[137]

»Hans,« sagte er nach einiger Zeit zu seinem Gaste, der inzwischen behaglich seinen Punsch trank, »Du wirst einen Begleiter brauchen in jenen Einöden. Die Wege sind dort nicht immer leicht zu finden, kaum im Sommer, wie viel weniger im Winter! Man muß lange vertraut sein mit jenen endlosen Haiden, um nicht umzukommen in Sumpf und Moorbruch. Nimmst Du mich an zum Führer?«

»Du kannst mir nichts nützen. Hast ja gehört, daß meine Reise ein Geheimniß bleiben soll! Dein Gesicht ist gar zu interessant. Wer's einmal gesehen hat, kann's nie mehr vergessen!«

»Ich bin bekannt in jenen Gegenden und mich sehnt's, sie wieder einmal zu betreten. Hier geht's ohnehin mit mir zu Ende. Also, Hans, sei klug –«

»Unter einer Bedingung.«

»Sprich!«

»Du wirst mein Knecht und trittst in meine Dienste.«

»Bin dabei, topp

»Die Kasse führ' ich ganz allein.«

»Wenn Du für mich zahlst, was ich brauche, mir gleich.«[138]

»Alles was zum Leben gehört.«

»Grog so viel ich will – Abends Beefsteak – überhaupt gutes Essen. – und ein Taschengeld zu Geschenken für hübsche Dirnen – gelt?«

»Für den ersten Kuß, den ein Mädel Dir gibt, zahle ich hundert Mark, bei meinen Sünden!«

Klütken-Hannes reichte dem Gauner lachend die Hand über den Tisch und der Pact war geschlossen.

»Wenn brechen wir auf?« fragte Blutrüssel. »Ich gestehe Dir, daß ich aus verschiedenen Gründen Eile habe. Ich halte mich nicht mehr für ganz sicher, seit mir die Mohrentaverne den Schimpf angethan hat, mich eines unfreiwillig gemachten Darlehns wegen vor die Thür zu setzen.«

»In drei, vier Tagen. Bis dahin wird mein Trödel verkauft sein und dann bin ich ein freier Mann.«

»Das wäre demnach in Ordnung. Nun geht mir aber noch ein Gedanke im Kopfe herum, der uns Vorsicht empfiehlt.«

»Was Gedanke! Sind wir nicht unabhängige reiche Leute? Wer Geld hat, braucht nicht[139] zu denken. Laß uns trinken und lustig sein! Auf das Wohl des unbekannten großmüthigen Wohlthäters und auf das Gelingen des Geschäftes, zu dessen Vollführung man mich hundert Meilen weit verschreibt!«

Blutrüssel trank sein Glas aus bis auf die Nagelprobe. Mit lallender Zunge knüpfte er das Gespräch wieder an.

»Alles vortrefflich,« sagte er, »aber meinen Gedanken lass' ich nur deßhalb nicht nehmen! Du hast den Herrn nicht gekannt, der Dir Dein Kind abkaufte. Wenn's nun ein Schuft war, ein Spion? He!«

»Hol' ihn der Teufel oder die Cholera!«

»An den Galgen kann er Dich bringen, ich kenne das!«

»Geld hilft von Galgen und Rad; und – ich glaube nicht dran.«

»Für Dolch und Pistolen, alter Molch, laß Dich's nicht gereuen, viel Geld auszugeben!«

»Du hast mehr Kenntniß davon, sorge Du also dafür. Hier ist Geld!«

Klütken-Hannes warf sechs Louisdor auf den Tisch, die Blutrüssel mit zufriedener Miene einsteckte.[140]

»Und ist das Geschäft abgethan,« sagte der Trödler, »und es gefällt uns nicht mehr in der Haide, so kehren wir wieder hierher zurück oder gehen in die weite Welt oder –«

»Gründen eine famose Wirthschaft,« schloß Blutrüssel.

»Mit einem Schilde, drauf in ellenlangen Buchstaben geschrieben steht – na was denn?«

»Zum goldenen Wallfisch!« schrie der Gauner.

»Pfui! Verbrauchte Phrasen! – Nein, 'was ganz Neues, 'was Unerhörtes muß drauf gemalt sein, das zugleich verlockt und entsetzt und den Gästen die Haare zu Berge treibt.«

»Zum Höllenpfuhl!« grinste Blutrüssel schwankend.

»Zur Rache! klingt besser,« lachte Klütken-Hannes.

»Meinethalb auch. Aufs Gedeihen der neuen Sündenwirthschaft: Zur Rache!«

Die beiden verlorenen Söhne der Welt wiederholten, immerfort trinkend, wohl hundertmal diese Worte, bis sie in völlige Bewußtlosigkeit versanken. Als sie mit gläsernen stieren[141] Blicken in dumpfen Schlaf fielen, rauschten wieder die Accorde des Glockenspieles über Stadt und Strom und verkündeten den noch wachen Bewohnern Hamburgs den Beginn des neuen Jahres.

Quelle:
Ernst Willkomm: Weisse Sclaven oder die Leiden des Volkes. Theile 1–5, Leipzig 1845, S. 117-142.
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