Erstes Kapitel.
Herta.

[7] Am Fuße der alten Burg Boberstein breitete sich ein Garten aus, der gegen Süden die ganze Ausdehnung der kleinen Insel einnahm und die Ufer des See's berührte. Nach dem abscheulichen Geschmacke damaliger Zeit durchschnitten steife Taxuswände diesen Garten in verschiedener Richtung. Sie waren so vortrefflich unter der Scheere des Gärtners gehalten, daß kaum ein Blatt oder dünnes Zweiglein über die glatte Linie hervorragte. Jetzt standen diese Baumwände entblättert, nur an den Wurzeln der Büsche auf den Rabatten brannten gelbe Crocus gleich Flämmchen aus der braunen Erde und dunkelblaue Veilchen verkündigten durch ihr duftiges Arom. daß sich bald der hellblaue Frühlingshimmel[7] wieder über die sehnsüchtige Erde ausspannen werde.

In den sich kreuzenden Gängen dieses Gartens wandelte am »stillen« Sonnabend, der dem Ostertage vorhergeht, leichten Schrittes ein junges schlankes Mädchen. Ein schneeweißes Mußelinkleid floß gleich einer Wolke von glänzendem Lichtstoff um die liebliche Gestalt, die am linken Arm ein zierlich aus Fischbein und gespaltenem Rohr geflochtenes Körbchen trug, dessen Rand und Henkel mit aufbrechenden Feldröschen von künstlicher Arbeit eingefaßt war. Eine Menge kleiner Veilchensträußchen lag kranzförmig geordnet in der mit Rosataffet ausgeschlagenen Höhlung des Körbchens, und in deren Mitte ein Häufchen frischer Bucheckern. Am Busen trug das Mädchen ebenfalls ein Veilchensträußchen, dem noch zwei Crocus beigefügt waren.

Wer die einsam Dahinwandelnde von Ferne erblickte, konnte sie leicht für eine überirdische Erscheinung halten, so schwebend und graziös, wir möchten sagen ätherisch, waren alle ihre Bewegungen. Sie ging stets, selbst bei sehr schlechtem und stürmischem Wetter, in bloßem Kopfe, und ihr schönes und reiches aschfarbenes Haar, das[8] sie in zahllosen Locken fessellos trug, umwehte dann häufig ihr von Engelsgüte strahlendes Gesicht gleich weichen Seidenfittichen.

Dieses Mädchen war Herta, deren Name bereits mehrmals in unserer Geschichte genannt worden ist. Auch jetzt, wo sie die Erstlinge des Lenzes gesammelt und mit geschickter Hand und sinnigem Geschmack in zarte Sträußchen gebunden hatte, wühlte der Morgenwind, der scharf und kältend über die Haide fuhr, in ihrem reichen Haarwuchs und verschleierte oft den Glanz ihrer großen rehbraunen Augen. Herta kam von ihrem Morgenspatziergange zurück und ging nach dem Schlosse, dessen graue, mit Moos, Flechten und Epheu überwachsenen alten Mauern mit den vielen zackigen Zinnen und spitzen Schieferthürmen von der Sonne beleuchtet, recht ehrwürdig auf dem schroffen Granitfelsen dalagen.

Die Zimmer in diesem alten Feudalschlosse waren mehrentheils düster und fast immer nur von je zwei Fenstern erhellt, die sich in thurmartigen halbrunden Vorsprüngen befanden. Auch Herta bewohnte eins dieser schmalen, langen, dunkeln und hohen Gemächer, deren uralte Tapeten von gepreßtem Leder, mit breiten Goldleisten verziert,[9] diesen Gemächern ein ächt mittelalterliches Ansehen gaben. Selbst die Möbeln erinnerten an längst vergangene Tage. Sie waren steif und massenhaft, dabei aber von großer Dauerhaftigkeit und mit äußerster Sorgfalt gearbeitet. Alle Stuhllehnen zeigten die werthvollsten Holzschnitzereien, und die Überzüge von ächtem venetianischen Sammet waren prachtvoll und tadellos.

Herta war zeitig darauf bedacht gewesen, sich ihr Zimmer wohnlich einzurichten, und hatte zu diesem Behufe einen jener erwähnten halbrunden Thurmerker, den sie als Arbeitsplatz benutzte, in eine reizende Epheulaube verwandelt, die sie mit nie ermüdender Geduld pflegte und in der sie wie eine Fee in grünem Blätterdämmer saß.

Als das Mädchen von ihrem Spatziergange im Schloßgarten zurück kam, stellte sie das Körbchen auf ihren Arbeitstisch in der Epheulaube, nahm eine Buchecker und rief: »Hänschen!« Sogleich klirrte ein dünnes Messingkettchen und ihrem Stuhle gegenüber aus einer Höhle dunkler Epheublätter, die eine Öffnung im Fenster verdeckten, guckte das kleine zierliche Köpfchen eines braunen Eichhörnchens. Lächelnd nahm Herta die Buchecker zwischen ihre frischen schwellenden[10] Lippen und näherte sich dem reinlichen Thierchen, das sogleich gewandt an dem Geäst herabkletterte und das beliebte Futter mit großer Geschicklichkeit aus dem Munde des jungen Mädchens nahm. Während sich Herta noch an den gewandten Sprüngen, dem behenden Enthülsen der Eckern und dem komischen Geknusper des muntern Thierchens ergetzte, trat eine Dienerin ein, die jung und hübsch wie ihre Herrin war und überaus saubere Kleider trug.

»Gnädiges Fräulein,« sprach das Mädchen, »es hat schon zweimal ein junger Bauer aus dem nächsten Haidedorfe nach Ihnen gefragt. Erlauben Sie, daß ich ihn einlasse?«

»Warum sollte ich das nicht erlauben?« versetzte Herta heiter und zutraulich, ununterbrochen ihrem Lieblinge neue Bucheckern aus dem Körbchen reichend und die Schalen, die er fallen ließ, behend wieder vom Boden auflesend.

»Ich dachte, es möge sich nicht schicken,« entgegnete das Mädchen, »wenn das gnädige Fräulein mit einem Bauerburschen allein sprechen will.«

»Nun das ist wohl, denk' ich, eine sehr unschuldige Sache,« erwiederte Herta lachend. »Wie oft gehe ich allein durch den dichtesten Wald in[11] die Haidedörfer, um die Hütten der Armen und Kranken zu besuchen. Da begegnen mir gar oft recht häßliche Menschen von Ansehen, aber wenn ich ihnen offen in's Auge blicke, da ziehen sie sogleich alle ihre Kappen und Mützen und gehen ihres Weges. Manche bleiben freilich auch stehen und sehen mir nach, aber es hat mir noch niemals irgend Jemand ein unschönes Wort gesagt! Nun siehst Du, Emma, da wird's wohl auch mit dem Bauerburschen nicht gefährlich sein. Bist Du aber durchaus der Meinung, es schicke sich nicht, daß ich allein höre, was er will, so bleibe Du hier, Du kannst ja mit anhören, was ich ihm sage.«

»Er will Sie aber durchaus allein spreehen.«

»Ja, meine gute Emma, da hilft kein Widerstreben. Ich muß ihn entweder anhören oder fortschicken, und da will ich doch lieber das Erstere thun, wenn auch die Schicklichkeit dieses Schlosses einen kleinen Klaps dabei abkriegen sollte. Das kann ihr gar nichts schaden, sie würde nur etwas natürlicher werden. Rufe also in Gottes Namen den Burschen! – Aber wart'! Du bist ja auch eine Blumenfreundin. Da suche Dir eins von diesen Veilchensträußchen aus, die ich[12] heut gebunden habe. Nicht wahr, sie sind ganz hübsch und wirklich so zart und duftig, als hätten sie die Elfen gepflückt?«

»Ach Sie sind gar so geschickt!« sagte Emma und nahm mit dankbarem Knicks das kleinste der Sträußchen.

»Nicht doch, mein Kind! Das waren die schlechtesten Überreste! Hier, das ist hübsch, das duftet wunderlieblich und, wart', das muß sich an Deiner Brust gar lieblich ausnehmen.«

Und während Herta so plauderte, nahm sie das allerschönste Sträußchen aus dem Körbchen und befestigte es mit eigenen Händen an Emma's Busen. »Sieh, wie das prächtig steht!« rief sie vergnügt aus. »Guck' geschwind 'mal in den Spiegel, damit Du Dich nicht zu verwundern brauchst, wenn Du nächstens ein ganzes Dutzend Liebeserklärungen bekommst. Und nun mach' und bringe mir den Burschen. Ich bin doch neugierig, was der für ein Anliegen an mich hat. Es ist der erste junge Bursche, der mich besucht,« setzte sie mit einem Anflug kecker Laune hinzu, »und wenn's recht ist, so muß er mir Glück bringen. Ich will mich aber auch gleich ein bischen hübsch machen. – So! –«[13]

Herta trat vor den Spiegel, warf ein paar ihrer weichen vollen Locken über ihr schelmisches Gesicht und ließ die andern einmal durch beide Hände rollen, daß sie verlängert Nacken und Schultern mit ihrem Glanz verhüllten.

Zögernd verließ Emma das Zimmer, Herta nahm Platz in ihrer Epheulaube und warf dem wieder aus seiner Blätterhöhle klug herausguckenden Eichhörnchen noch ein paar Bucheckern zu.

Mit vielen linkischen Bücklingen und Kratzfüßen trat der Bauerbursche ein, seine niedrige Pelzmütze verlegen in der Hand drehend.

Herta, gegen Jeden, auch den Geringsten, höflich und zuvorkommend, stand auf und erwiederte den befangenen Gruß des Burschen mit einer Verbeugung und der zutraulich an ihn gerichteten Frage: »Wer bist Du, mein Guter und was wünschest Du von mir? Ich höre, daß Du mir allein etwas Wichtiges mittheilen willst.«

»Ach ja, was sehr Wichtiges, gnädiges schönes Fräulein,« versetzte der Bursche, der vor Verlegenheit der vornehmen Dame gegenüber nicht wußte, was er sagen sollte.

»Bist Du etwa arm und hast kranke Ältern oder kleinere Geschwister, die Du nicht ernähren[14] kannst?« fragte Herta weiter, um dem Schüchternen Muth zu machen.

»Ach ja recht sehr arm, gnädiges Fräulein!«

»Dann wünschest Du gewiß, daß ich Dich unterstützen soll? Armer Bursche, ich möchte Dir gern recht viel geben, aber meine kleinen Schätze sind ganz erschöpft. Erst nach dem Feste bin ich wieder im Stande –« und die Freundin der Armen schüttete den Rest kleiner Münzen aus ihrer perlengestrickten Börse in ihre hohle Hand und reichte sie dem Burschen.

»Ach nein, das kann ich nicht annehmen, gnädiges Fräulein,« sagte der Bursche erröthend, da er sah, daß das schöne Mädchen seine Worte in einem Sinne auslegte, den er ihnen nicht hatte geben wollen. »Ich wünschte wohl Ihre Unterstützung, aber das Geld da – o nein – das brauche ich nicht!«

Herta hielt das Häufchen Münze dem Burschen noch immer entgegen. »Ja, mein Guter, Du sagtest doch eben, daß Du sehr arm seist?«

»O das bin ich auch, mein schönstes, allergnädigstes Fräulein, und recht unglücklich dazu! Und wenn sie mich nur anhören wollen und nicht böse werden, wenn ich ungehörige Dinge sage,[15] so werden Sie's gleich sehen, wie gar grausam unglücklich ich bin!«

»Armer Junge!« sagte Herta mitleidig. »Nun fasse Dich nur und erzähle, was ich wissen muß dann will ich gern, steht's in meiner Macht, Dir helfen.«

»Ach sehen Sie, mein gutes, gnädiges Fräulein,« fuhr der Bursche, durch Herta's sanfte und theilnehmende Worte aufgemuntert, fort, »ich heiße Clemens, eigentlich Clemens Ehrhold, und bin von drüben her aus dem Gehege, wo mein Vater ein Bauergut hat und sich redlich plagt, um das liebe Brod zu verdienen. Und da hat mein Vater einen Stiefbruder, der ein paar Jahr älter ist und aus der Haide stammt, und der heißt Jan Sloboda, tröst' ihn Gott! Ja und seh'n Sie, gnädiges Fräulein, im Winter da halten wir doch die Spinte, wie Sie wissen werden, damit die jungen Mädchen ihren Flachs aufspinnen, den sie im vergangenen Jahre geerntet, geröstet, gebrochen und gehechelt haben, und wir Burschen, wir besuchen die Spinnerinnen manchmal, und da machen wir einen Spaß zusammen, so gut arme Leute es können. – Und da war des Sloboda seine Tochter, das[16] Haideröschen auch da, weil sie beim Vater die Wirthschaft lernen sollte, Ew. Gnaden – denn mein Vater, o das ist ein Hauptwirth im Gefilde! – Nun sehen Sie, gnädiges Fräulein, Haideröschen ist sehr hübsch, fast so hübsch wie Sie, bitt' um Verzeihung, und auch jung ist sie und wie aus Rosen und Schnee zusammengebosselt. Und da hat sie dem gnädigen Herrn gefallen, aber er gefiel ihr nicht, und weil sie nicht auf seine schönen Worte hörte, da hat er sie entführt vom Todtensteine. Nachher aber ist sie ihm entsprungen mit Hilfe des Maulwurffängers, den Ew. Gnaden gewiß auch kennen, und lebt wieder bei ihrem Vater. Und da hätt' ich nun die grausam große Bitte an Sie, daß Sie das arme Ding zu sich nähmen, damit sie der böse Herr nicht wieder fortschleppen kann; denn sie gehört zu den hiesigen Unterthanen, Ew. Gnaden!«

Aufmerksam, zuweilen lächelnd über den etwas verworrenen und drolligen Vortrag des Burschen, hatte ihn Herta angehört, jetzt versetzte sie: »Das ist ja eine ganze Geschichte und noch dazu eine recht böse Geschichte, mein Guter.[17] Eine Entführung! Pfui! Wie heißt denn der Bösewicht?«

»Wir heißen ihn ins Gemein nur Blauhut von wegen seiner Filzkappe, aber eigentlich heißt er Graf Magnus.«

»Wie?« sagte Herta und stand auf, »mein Vetter Magnus hätte eine solche Frevelthat begangen an einem armen schuldlosen Mädchen?«

»Der liebe Gott muß den gnädigen Herrn Grafen wohl auch im Zorn zu des gnädigen Fräulein Vetter gemacht haben,« versetzte Clemens, »aber meine Muhme hat er entführt, obwohl's nicht seine Unterthanin ist!«

»Du bist ihr gewiß recht gut?« sagte Herta, den Burschen schlau ansehend.

»Ach ja, gnädiges Fräulein, ich bin ihr gut, das kann ich wohl sagen und Haideröschen hat auch nichts dawider, und wenn nichts drein kommt und es ist alles auf Pfarre und Hofe wegen der Dispensation in Richtigkeit gebracht, so wollen wir uns auf den Herbst heirathen. Aber nun fürcht' ich, wird der Herr Graf seine Einwilligung dazu nicht geben, wenn das gnädige Fräulein nicht etwa ein gutes Wort bei ihm einlegen und ihm die Sache vorstellen wollte.[18] Denn es heißt überall, daß Ew. Gnaden mit dem unbändigen Grafen machen könnten, was Sie wollten.«

»Da schreibt man mir eine Macht zu, die ich leider nicht besitze, guter Clemens,« erwiederte Herta, traurig den Kopf schüttelnd. »Mein Vetter hat einen gar unbeugsamen Willen, den nicht einmal sein eigener Vater immer leiten kann, wie er es wünscht. Indeß glaube ich wohl, daß, stelle ich ihm die Sache in einer glücklichen Stunde recht dringend vor, er Deinem Glück nichts in den Weg legen wird.«

»Ach, Sie sind so gut als schön, gnädiges Fräulein!« fiel Clemens ein, vor Freude einen Blick innigster Dankbarkeit auf das junge Mädchen werfend. »Aber ehe es dahin kommt, wird der Herr Graf Haideröschen wieder abholen und sie zum Dienst zwingen wollen und dann –«

»Nun, Du stockst? Sage grade heraus, was Du meinst!«

»Ja, sehen Ew. Gnaden, wenn er das beabsichtigen sollte, dann fürchte ich, gibt es Mord und Todtschlag. Denn was wendisches Blut in den Adern hat, das wird dann zuschlagen und wahrhaftig, gnädiges Fräulein, Sie[19] dürfen mir das nicht übel nehmen, aber ich werde gewiß nicht der Letzte sein!«

»Will's Gott, soll das verhütet werden, guter Clemens,« erwiederte Herta. »Ich zähle mich auch halb und halb mit unter die Wenden, obwohl ich meine guten Ältern nie gekannt habe, und da verlangt es schon die Stammverwandtschaft, daß ich mich Deiner und Deiner Geliebten annehme. Ich kann es Dir zwar nicht bestimmt versprechen, guter Bursche, daß Haideröschen hier auf dem Schlosse eine Zuflucht finden wird, denn von mir hängt das nicht ab. Ich bin selbst nur Gast, wenn ich auch für das Kind des Hauses gelte. Mein Wort jedoch gilt etwas beim alten Grafen, und diesen werde ich von Deinem Anliegen in Kenntniß setzen. Komm morgen um diese Zeit wieder und hole Dir Antwort. Adieu, auf Wiedersehen!«

Herta reichte dem Burschen ihre kleine weiße Hand, die Clemens schüchtern und voll Ehrfurcht küßte. Als er sich mit vielen Kratzfüßen wieder entfernen wollte, rief ihn Herta nochmals zurück.

»Sage mir doch, Clemens,« sprach sie, »ob Du Haideröschen heut noch siehst?«

»Ei Jeses, freilich!« erwiederte der Bursche.[20] »Ich werde nicht schlecht laufen, wenn ich nur erst über das breite Wasser da unten bin. Die Wege durch die Haide kenne ich, aus Wurzeln, Dornen und Disteln mache ich mir nichts, und wenn ich durch Dick und Dünn immer grad' aus wie ein herrschaftliches Kutschpferd renne, da ermach' ich's in knappen zwei Stunden. Hussah, das liebe kleine Ding wird nicht schlecht springen, wenn sie hört, daß Ew. Gnaden so liebreich mit mir gesprochen haben!«

»Haideröschen klingt so zartsinnig,« versetzte Herta, »daß ich mir einbilde, Deine Geliebte müsse eine Freundin zarter und duftiger Blumen sein. Grüße sie denn von mir als eine Schwester und bringe ihr dies Veilchensträußchen. Ich habe die lieben Blümchen selbst gepflückt und gebunden, denn ich habe sie gar zu gern.«

»Ach, gnädiges Fräulein, so viel Güte!« sagte Clemens, vor Staunen über so ungewohnte Herablassung ganz versteinert.

»Laß das und geh' jetzt! Morgen früh vergiß nicht, Dir Antwort zu holen.«

Clemens ging, Herta aber sprang vergnügt ein paar Mal in die Höhe, schlug jubelnd die kleinen Händchen zusammen und sprach dann,[21] mit glücklichem Lächeln in den schönen Augen, den Kopf ein wenig niederwärts beugend und langsam das Zimmer auf- und abgehend: »Das ist heut der zweite Mensch, den ich durch eine unbedeutende Kleinigkeit glücklich gemacht habe. Erst freute sich Emma, weil ich sie eigenhändig schmückte und ihre Reize pries, und nun jubelt dieser gute, ehrliche Bursche über ein paar werthlose Blümchen, die ich ihm absichtslos reiche. Gewiß theilt Haideröschen seine Freude und hebt die Blümchen auf wie einen theuer erkauften Schatz. – Ach wie süß und angenehm ist es, wohlzuthun, Freuden und Segen überall auszustreuen, ohne damit zu prahlen! Ich möchte wohl die Wunderkräfte besitzen, von denen uns alte Mährchen erzählen. Dann erhöbe ich mich des Nachts von meinem Lager, verwandelte mich in eine Taube, einen Schmetterling oder in was es mir gerade beliebte, und flöge auf den Strahlen des Mondes und der Sterne überall hin, wo Armuth, Kummer, Elend und Schmerz nach Rettung, Trost und Heilung seufzen. Müßte das ein seliges Leben sein!«

Herta blieb stehen und richtete ihr nur mit feinem blassrothen Duft überhauchtes Gesicht[22] empor, die großen braunen Augen ernst auf den blauen Damm der Haide heftend, den man in meilenweiter Ausdehnung aus dem Fenster übersehen konnte. Ein paar kleine Wölkchen wurden zwischen den Augenbrauen über ihrer feinen, ganz wenig gebogenen Nase, sichtbar.

»Magnus!« fuhr sie nachdenklich fort und an dem Zittern des durchsichtigen feinen Stoffes über dem Busen sah man, daß ihr Herz heftiger schlug. »Wie oft, wenn er hier war, hat er mir betheuert, daß er nur mich liebe, daß ich allein ihn glücklich machen könne und daß er elend würde, wenn ich auf meiner Weigerung bestände. Ich traute seinen Versicherungen und Schwüren nie, denn es liegt eine Wolke in seinen schwarzen Augen, die verderbliche Blitze birgt. Er ist ein schöner, ein interessanter, ein gebildeter Mann, und doch kann ich ihn nicht lieben, nicht einmal gern um mich dulden. – Es ging mir von jeher, wie es diesem wendischen Mädchen jetzt geht. Armes Kind! – Sie schützt kein mächtiger zürnender Vater, sie gehört sich nicht einmal selbst! Er kann und wird sie zermalmen, wenn er es vermag, denn Verzeihung, glaub' ich, ist dem Herzen dieses unbändigen,[23] heuchlerischen Menschen unbekannt. – Eben darum muß ich ihr die Hand reichen, muß ich sie retten, und es wird mir gelingen, wenn ich meinem gütigen Beschützer den Vorfall mit einiger Ausführlichkeit mittheile.«

Nachdem Herta in solcher Weise für Haideröschen in die Schranken zu treten fest bei sich beschlossen hatte, ging sie wieder in ihre dämmernde Epheulaube, durch welche jetzt ein paar schräge Sonnenstrahlen fielen. Hier nahm das junge Mädchen eine feine Perlenstickerei in die Hand, schlug ein sauber gebundenes Buch auf und legte es vor sich auf ein Lesepult. Die Hände fleißig rührend, warf sie häufige Blicke in das Buch, dessen Inhalt sie zwar langsam, aber mit desto mehr Nachdenken durchlas. Nicht selten nahm sie auch einen Silberstift zur Hand und unterstrich einzelne Zeilen, die ihr vorzugsweise gefielen.

Dieses Buch war der eben erschienene Don Karlos von Schiller, der sich bereits bis in dies abgelegene Schloß der Haide verirrt hatte. Herta liebte diese eine neue Religion, eine neue Weltordnung predigende Dichtung mit aller Gluth und Begeisterung eines für das ewige Recht, für Menschenwürde[24] und Freiheit schwärmenden Herzens, und je häufiger sie täglich sehen mußte, wie wenig Hoffnung vorhanden war, die Ideale zu verwirklichen, an denen der Dichter in seinen heiligen Träumen hing, desto mehr vertiefte sie sich in die berauschenden Worte, in die hinreichende Gedankenfülle der Dichtung und gelobte sich in der Unschuld ihres Herzens, das Ihrige mit beizutragen, um der Menschheit jenes allgemeine Recht, jene ächte und wahre Freiheit mit erringen zu helfen, die Marquis Posa von Don Philipp fordert. –

Quelle:
Ernst Willkomm: Weisse Sclaven oder die Leiden des Volkes. Theile 1–5, Leipzig 1845, S. 7-25.
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