Drittes Kapitel.
Mutter, Sohn und Nichte.

[276] Unsere Leser erinnern sich, daß in Haideröschens verhängnißvoller Hochzeitsnacht die zu feierlichem Schwure niederknieenden Wenden die weithin schallenden Hufschläge des davon jagenden Grafen hörten. Magnus trieb nicht das innere Entsetzen über die eigene Schandthat von dem Schauplatze des Verbrechens, nur die Furcht, im Augenblick der Entdeckung von den zu ausgelassener Lust wie zu rasender Wuth aufgereizten Leibeigenen zerrissen zu werden, veranlaßte ihn, in größter Eile zu fliehen. Die That selbst hatte er dem strengen Rechte nach nicht zu scheuen; denn als Herr und unumschränkter Gebieter stand ihm nach uraltem Herkommen das jus primae noctis zu, und wenn er es ausübte, durch List[277] oder Gewalt, so konnte er sicher auf den jubelndsten Beifall all seiner Standesgenossen rechnen.

Später stiegen allerdings Zweifel in ihm auf, und als er durch genaue Erkundigungen erfahren hatte, daß Haideröschen Mutterfreuden entgegensehe, beschlich ihn ein großmüthiger Gedanke. Er dachte nicht daran, die Frucht wilder Sinnenlust und capriciöser Herrenlaune vor der Welt anzuerkennen, aber zugleich lehnte sich der Stolz des Aristokraten gegen den Zufall auf, dem es in höhnischer Ironie einfallen konnte, den Sohn des reichen Grafen ein langes langes Leben als Bettler durch die erbarmungslose Welt zu hetzen. Schon diese Möglichkeit, die bei nur einigem Nachdenken, bei nur mittelmäßigem Combinationstalent sich in grauenvolle Wahrscheinlichkeit verwandelte, empörte ihn. Deshalb mußte einer so entwürdigenden Lage seines Sprößlings vorgebeugt werden.

Lange war Magnus unschlüssig, was er thun wollte. Er wartete von Woche zu Woche, von Monat zu Monat. Am liebsten hätte er eine so delicate Angelegenheit mit Röschen persönlich besprochen, allein er sah wohl ein, daß er von dem Versuch, mit ihr ungesehen zu verkehren,[278] abstehen müsse. Es war unmöglich und noch weniger rathsam, sich ohne bedeutende Bedeckung unter die Wenden zu wagen. Die Hochzeitsnacht von Sloboda's Tochter hatte diese so harmlos heitern Menschen vollkommen umgewandelt. Sie waren still und ernst geworden. Ihre Lieder auf Feldern und Wiesen, ihre schreiende Lustigkeit in Schenke und Kretscham waren verstummt. Man hörte weder am Feierabende noch Sonntags den quäkenden Dudelsack und die schrillende Huslje.

Diese auffallenden Zeichen tiefen Grams und nach Innen sich einwühlenden Unmuthes entgingen Magnus nicht. Zugleich rief er sich die Äußerungen des Maulwurffängers in Bezug auf das Vorhandensein einer Verschwörung unter den leibeigenen Wenden wieder ins Gedächtniß. Noch glaubte er zwar nicht daran, denn er kannte die Friedliebe und Muthlosigkeit dieses armen, unterdrückten, ungebildeten Völkchens, allein er konnte doch auch nicht umhin, rückwärts zu blicken auf Welt- und Sittengeschichte. So oft er dies that, überrieselten ihn eiskalte Schauer und eine nicht zu beseitigende Furcht vor der Zukunft bemächtigte sich seiner. Thaten, wie sie rohe Herrenwillkür[279] ihn hatte begehen lassen, waren häusig grauenvoll bestraft worden, waren nicht selten das Zeichen gewesen zu völligem Umsturz alles Bestehenden, zu Zertrümmerung heiliger oder doch geheiligter Rechte, zu Vernichtung mächtiger Throne und Reiche. – Konnte ihm jetzt nicht etwas Ähnliches bevorstehen? – Die unheimliche Stille unter seinen Leibeigenen schien fast darauf hinzudeuten. Es war daher gewissermaßen Sache der Nothwehr, die nicht zu verkennende Gährung zu ersticken, das jetzt noch aus der Ferne drohende Unglück abzuleiten. Eine Großmuthshandlung, glaubte er, würde dazu hinreichend sein.

Aus diesen Gründen setzte er sich hin und entwarf eine Schenkungsurkunde, laut welcher Röschen Sloboda, im Falle sie lebendige Kinder zur Welt bringe, nach seinem Tode den fünften Theil seiner sämmtlichen liegenden Gründe als Entschädigung für das ihr durch ihn zugefügte Unrecht als rechtmäßige Erbin erhalten sollte. Magnus war schlau genug, die Formel dieser Urkunde so allgemein wie immer möglich zu halten, denn im Ernst dachte er gar nicht daran, sein zukünftiges Besitzthum auf solche Weise zu zerstückeln. Eben deshalb war auch des Ablebens[280] seines Vaters gar nicht gedacht, so daß die Urkunde ohne Kraft gewesen wäre, im Fall Magnus vor seinem Vater sterben sollte. Ferner stand in dieser Verschreibung keine Hindeutung auf des Grafen Testament, in welchem doch nothwendig von einer solchen Schenkung die Rede sein mußte. Alles dies hatte Magnus mit Vorbedacht weggelassen, um seinen gesetzlichen Erben möglichst viele Auswege zu geben, wenn die Wendin dereinst ihre Ansprüche auf die Schenkung geltend machen sollte. Daß er die Wenden selbst mit einem derartigen Papiere betrügen und ihre bösen Anschläge würde abhalten können, daran zweifelte er nicht; denn er kannte den leichten Sinn dieses Völkchens und ihre unzureichenden, fast an das Kindische streifenden Rechtskenntnisse.

Wie aber dieses Papier in Haideröschens Hände bringen? Anfangs wollte er selbst sein eigener Bote sein. Dies gab er jedoch bald auf, denn er sah ein, daß die jugendliche Frau des Freibauers Clemens wie eine Fürstin bewacht wurde und durchaus jeder noch so schlau angelegten List unzugänglich bleiben mußte. Gewaltsames Eindringen wäre allerdings noch möglich[281] gewesen, dies konnte aber auch das Signal zu einem wüthenden Aufstande, vielleicht gar zu seiner Ermordung sein. Er hatte ein- für allemal das Vertrauen seiner Unterthanen verloren und dafür mußte er jetzt büßen. Wäre er als strahlender Engel der Liebe unter ihnen erschienen, sie würden ihn dennoch für einen verkappten Teufel gehalten und als solchen behandelt haben.–

Nach langem Hin und Hersinnen entschloß er sich endlich, den Voigt mit dieser Sendung zu belasten. Er war der einzige Mensch aus seiner näheren Umgebung, dem er noch vertrauen konnte, da die persönlichen Juteressen desselben an die seinigen geknüpft waren. Der Voigt wurde von dem Gesinde, das er beaufsichtigte und tyrannisirte, gehaßt als das blind gehorchende Werkzeug des gefürchteten Herren. Schon deshalb konnte dieser Mann nicht von ihm abfallen. Alle Übrigen, sowohl Dienerschaft wie Knechte und Mägde, waren ihm feindlich gesinnt und zu offenem Aufstande geneigt, wenn das Zeichen dazu gegeben ward. Vor diesen also mußte er sich hüten. Erst, wenn Haideröschen das Papier empfangen und gelesen hatte, und der Inhalt desselben von ihren nächsten Verwandten den Bewohnern[282] der Haidedörfer mitgetheilt ward, erst dann konnte er wieder furchtlos unter seine Leute treten und ausrufen: Seht, so verkennt Ihr mich, der ich doch immer nur für Euch denke und nur Euer Bestes will!

Zu diesem Behufe schlug nun Magnus die entworfene Schenkungsurkunde für Haideröschen und deren Nachkommenschaft in Wachsleinwand und übergab sie dem Voigte mit der Weisung, dieselbe in den nächsten Tagen an die verehelichte Clemens abzuliefern. Von dem Inhalt der Rolle ließ er nichts verlauten und der Voigt war nicht der Mann, aus Neugierde danach zu fragen. Er sagte zu und Magnus dachte nicht mehr daran.

Da starb Erasmus in Folge der Entdeckung, welche ihm seine unglückliche Nichte gemacht hatte. Die bestürzte Utta sendete sogleich einen Eilboten an ihren Sohn ab, damit er als Universalerbe persönlich Besitz von der Burg nehme. Ein Testament war nicht vorhanden, mithin über Erbschaft und Erbschaftsantritt gar kein Zweifel.

Magnus gehorchte auf der Stelle seiner Mutter, im Herzen froh, den Vater nicht mehr[283] lebendig zu finden. Äußerlich nahm er freilich die Haltung eines tief Betrübten, eines unaussprechlich Erschrockenen an. Er gab die nöthigen Befehle an den Voigt, schärfte ihm nochmals ein, die sehr wichtige Rolle nunmehr abzugeben und ja nicht länger damit anzustehen.

Der Voigt hatte auch den besten Willen, aber er erkrankte plötzlich, wie wir wissen, und der nach Magnus Dafürhalten so überaus schlau angelegte Plan scheiterte gänzlich. Als der Großknecht an dem erwähnten Abende verdrießlich wieder zurückkam und dem im Bett liegenden Voigte die Rolle einhändigte, warf dieser sie ebenfalls ärgerlich in ein altes Pult, wo verschiedene Papiere und Briefschaften, die Niemand brauchte, aufbewahrt wurden, und sagte: »Nun so bleibt's, bis ich wieder gesund bin. Wir Beide können's nicht ändern. –«

An demselben Abend gegen Mitternacht wußte alles Gesinde auf dem Zeiselhofe, was die Wenden im Sinne hatten, und nicht ein Einziger, selbst nicht die Mägde, weigerten sich, ihre Theilnahme zuzusagen. Der kranke Voigt allein erfuhr nichts von der still fortglimmenden Verschwörung gegen seinen verachteten Herrn.[284]

Magnus war seit dem Osterfeste nicht mehr auf Boberstein gewesen. Er hatte daher auch nichts Zuverlässiges von Herta und deren Zustande erfahren. Oft schmeichelte er sich mit der Hoffnung, durch einen Brief von seiner schönen Cousine überrascht und zu einem Besuche nach Boberstein eingeladen zu werden. Aber das stolze, tödtlich beleidigte Mädchen schwieg so hartnäckig, wie sein Vater. Außer dem, was hin und wieder gehende Boten Unklares mündlich erzählten, war die Kunde von dem Ableben des Greises die erste directe Nachricht von der Burg seiner Väter. Magnus verwünschte sein böses Geschick und sah mit bitterm Verdruß auch diesen seinen kühnsten Plan, seinen heißesten Wunsch an der Unlenksamkeit eines festen Charakters zu Grunde gehen.

Die trauernde Dienerschaft begrüßte den jungen Erben mit der ihm zukommenden Ehrerbietung, doch schweigend und düster gestimmt. Magnus achtete nicht darauf. Er eilte mit schnellen Schritten die Freitreppe hinan – denn in der Schloßhalle ruhte bereits die Leiche des Grafen – um am Busen seiner Mutter den zärtlichsten gerührtesten Sohn zu heucheln.[285]

Utta war so vollendete Aristokratin und so ganz ein verbildetes Geschöpf ihrer Zeit, daß sie die Fehltritte ihres geliebten Sohnes als verzeihliche Amusements eines liebenswürdigen Cavaliers betrachtete. Diese Art kecker Donjuanerie verschaffte den Söhnen reicher Familien die besten Partien, da sie das unwiderleglichste Zeugniß von der Fähigkeit ablegten, ein altes Geschlecht frisch wieder aufblühen zu machen. Was daher immer von dem sittenlosen Wandel des Grafen Magnus ihr zu Ohren kam, sie ließ es unbeachtet verhallen und ging nur im Geiste recht fleißig die großen und reichen Grafen- und Fürstenfamilien des heiligen römischen Reichs durch, um aus ihnen die schönste und reichste Erbin als dereinstige Gattin für ihren geliebten und liebenswürdigen Sohn auszuwählen. An ein ernstliches Verhältniß des leichtfertigen jungen Mannes mit seiner schönen Cousine hatte sie nie gedacht und mochte es auch nicht. Herta war ihr zu neugeistig gesinnt, zu selbstständig, und außerdem arm und nicht makellos genug geboren, um dem einzigen Erben von Boberstein mit Fug und Recht ihre Hand reichen zu können.

Als sie nun das berechnete Bubenstück ihres[286] Sohnes erfuhr, war sie vielleicht zum ersten Male in ihrem Leben wahrhaft erzürnt auf Magnus. Zwar wollte sie nicht zugeben, daß er mittelbar der Mörder seines Vaters geworden sei, so wie sie auch in ihrer kühlen Ruhe den Tod des Gatten mit vornehmer Gefaßtheit ertrug und als ein Schicksal dahin nahm. Was sie aber mit der entehrten Herta beginnen, wie sie diese Schandthat des Sohnes verheimlichen und das gekränkte, herzlos hingeopferte Mädchen einigermaßen entschädigen sollte, darüber konnte sie mit sich selbst nicht einig werden.

Einen wahren Trost gewährte ihr in dieser Noth die Gewißheit, daß ihr Gemahl ohne testamentarische Verfügungen gestorben war. Als einziger Erbe, der keinerlei Legate zu zahlen hatte, war Magnus jetzt einer der reichsten Adligen in Deutschland, der nöthigen Falls auch einige Prozesse ohne merkliche Vermögensverluste durchfechten konnte. Entehrt, von der öffentlichen Meinung gebrandmarkt wollte sie ihren Sohn nicht sehen, und außerdem war sie doch so sehr Weib, daß ihr die verübte That Alles zu übertreffen schien, was ein gewissenloser Mann einem wehrlosen Mädchen zufügen kann, und so dachte sie[287] entschieden daran, Herta ihrem Sohne zu vermählen. Sie setzte voraus, daß Magnus diesen Gedancken selbst hege und daß ihre Nichte, auch im Fall mangelnder Neigung, diesen Ausweg für klug und wohlwollend anerkennen und genehmigen werde.

Mit nicht erkünstelter Kälte empfing Utta den jungen Grafen, der sich anfangs sehr ergriffen zeigte und dem Todten alle möglichen Lobsprüche ertheilte. Seine Mutter hörte diesen Ergüssen eines nach dem Erbe gierenden Sohnes gelassen zu, dann aber erzählte sie ihm eben so ruhig wie ernst die Veranlassung zum Tode ihres Gatten und wie er, ihn verfluchend, seinen Geist aufgegeben habe. –

Das hatte Magnus doch nicht erwartet, und weil es ihn so ganz fremd, als grauenvolle Wahrheit überraschte, darum brach er fast vor den gräßlichen Folgen seiner That zusammen. Er war so ganz zerschmettert, daß er weder aufzusehen noch zu antworten wagte. Schweigend ließ er die gerechten Vorwürfe seiner zürnenden Mutter über sich ergehen, die, einmal in den Fluß gekommen, auch wirklich den Verbrecher nicht eben zart und rücksichtsvoll behandelte.[288]

Nachdem sie sich hinlänglich über die Scheußlichkeit seiner That ausgesprochen und namentlich das gänzlich Unadlige derselben gebührend hervorgehoben hatte, ging sie sogleich grade auf das Ziel los.

»Es ist jetzt Deine Pflicht,« sagte sie, »Deiner Cousine die Ehre wiederzugeben. Noch weiß Niemand unserer hohen Verwandten das Vorgefallene, meine Nichte hat sich sehr klug, sehr edel, völlig unegoistisch benommen. Ihr Augenmerk war blos auf unser altes Geschlecht gerichtet; darum schwieg sie so hartnäckig still. Du wirst demnach noch heut um Herta werben und Dich vierzehn Tage nach dem Begräbnisse Deines Vaters mit ihr verbinden.«

»Theuerste Mutter,« erwiederte Magnus, Utta's Hand mit Küssen bedeckend, »Sie sprechen den tiefsten, den heiligsten Wunsch meines reuigen Herzens aus! Ich liebte Herta immer, ich habe sie geliebt vom ersten Augenblicke an, wo ich sie kennen lernte, bis auf die gegenwärtige Minute. Meine Cousine kannte meine Leidenschaft, aber sie gefiel sich darin, mir kalt, schneidend, abweisend zu begegnen. Sie ließ es mich so oft fühlen, daß ich nicht rein sei und[289] edel, wie sie, daß mein heiß brausendes Blut mich zu mancher tadelnswürdigen Handlung hinreiße. Ja sie gestand mir sogar, daß sie mich deswegen hasse und verachte! Da verließ mich die ruhige Besinnung. Mit Herta's Abneigung wuchs meine Liebe zu ihr und von blinder Leidenschaft getrieben griff ich zu einem Mittel, das ich tausendmal selbst verflucht habe, das ich für schändlich, verbrecherisch anerkenne und willig mit jeder Strafe abbüßen will, die Herta über mich zu verhängen gesonnen sein sollte! Aus Schaam, Reue und Zerknirschung verbannte ich mich freiwillig von dem Angesicht der Geliebten, deren zürnendes Bild doch im wilden Schmerz der Einsamkeit mein alleiniger Trost war und blieb bis auf den heutigen Tag!«

Solche Zerknirschung versöhnte Utta schnell wieder mit ihrem Sohne. Sie hörte es gern, daß Magnus einer großen überwältigenden Liebe fähig und dieser erlegen war, und sie hielt es nach diesem reuigen Geständniß für Mutterpflicht, dem Gesunkenen die Hand zu reichen und ihn mit Milde wieder aufzuheben.

»Ich werde Dir Gelegenheit verschaffen, Herta ohne Zeugen zu sprechen,« sagte Utta schon[290] viel sanfter, als vorher. »Sie wird Dich freilich nicht sehr freundlich begrüßen, denn sie zürnt Dir mit Recht. Aber sie ist ein Mädchen, ein gefühlvolles, mit großen Eigenschaften begabtes Mädchen, das Selbstüberwindung zu den ersten Tugenden rechnet. Überzeugt sie sich also von der Wahrhaftigkeit Deiner Reue, wie ich schon davon überzeugt bin, so wird sie nicht immer taub gegen Deine Bitten bleiben und Dir endlich sogar verzeihen.«

»Willig füge ich mich allen Bedingungen, meine gütige Mutter! Um den Besitz der geliebten Herta mir zu erringen, würde ich das Himmelreich opfern!«

»Es wird so großer Opfer nicht bedürfen,« sagte die Gräfin. »Ich werde Dich bei Herta selbst anmelden und sie auf Dich und Deinen Antrag vorbereiten.«

Magnus klopfte das Herz; denn obwohl er das von seiner Mutter angedeutete Ziel wünschte, schlug ihm doch auch das böse Gewissen und eine ernste Frage an sich selbst sagte ihm, daß er Herta nicht mehr liebe, sie vielleicht nie geliebt habe. Ihre Schönheit, ihre Jugend, ihr hoher Geist und der verführerische Trotz, den[291] sie seinen Bewerbungen entgegengesetzt, hatten sie ihm begehrenswerth gemacht. Nur die Sinne, nicht sein Herz hatte geliebt. Dies war hohl, leer, nicht fähig einer großen reinen Leidenschaft. Tausend unerlaubte und unreine Genüsse hatten seine ursprüngliche Gluth vor der Zeit aufgezehrt. Magnus fürchtete ein Zusammentreffen mit Herta.

Indeß war Utta keine Frau, die einen einmal entworfenen Plan, wenn er größeren Zwecken zu entsprechen schien, sogleich wieder aufgab oder einen Entwurf nur zur Hälfte ausführte. Ihr langer Verkehr mit ihrem jesuitischen Onkel hatte sie die Wichtigkeit consequenten Handelns kennen gelehrt, und wie sie im Denken und Leben von der praktischen, ob auch unlautern Weltweisheit des feinen, vielerfahrnen Mannes den Schein als glänzenden Ersatz eines in der Wirklichkeit nicht vorhandenen Gutes kennen gelernt hatte, so hielt sie auch Alles für erlaubt, was nicht durch ausdrückliche Gesetze verboten war, oder was durch ein betrügliches Spiel des Geistes, gleichsam durch ein Volteschlagen aus Schwarz in Weiß, aus Böse in Gut, aus Verlust in Gewinn verwandelt werden konnte.[292]

Sie ging deshalb unverweilt zu ihrer Nichte, und so vortrefflich hatte sich die kluge Frau mit zarter, theilnehmender Anmuth, mit mütterlicher Würde, mit christlich mildem Zuspruch, mit liberal tönenden ein lautes Echo in Herta's halbgebrochenem Herzen erweckenden Phrasen ausgerüstet, daß ihr das Unbegreifliche in kurzer Frist gelang, nämlich ihrer Nichte die Bewilligung zu entlocken, den reuigen Frevler ruhig anzuhören.

Eine Viertelstunde später meldete Emma ihrer traurigen Gebieterin den jungen Grafen. Herta winkte der Zofe, ihren Cousin einzulassen und sich zurückzuziehen.

In einfacher schwarzseidener Kleidung, ein Florband durch ihr schönes Haar gewunden, saß Herta in der Epheulaube ihres Fensters. Grüßend erhob sie sich beim Eintritt des Grafen, den sie mit anmuthiger Handbewegung aufforderte, niederzusitzen. Zum ersten Male in seinem Leben war Magnus verlegen und in Folge dessen etwas linkisch. Er rückte einen der altmodischen, aber kostbaren Stühle in Herta's Nähe und sich nach seiner Gewohnheit auf die Lehne stützend, überflog er die reizenden Züge seiner[293] Cousine mit scheuem Aufblick, ohne sie anzureden. Statt seiner ergriff nun Herta das Wort.

»Auf Fürbitten meiner geliebten Tante, Ihrer verehrten Frau Mutter,« sprach sie vollkommen ruhig, »habe ich mich entschlossen, Sie zu sprechen, Herr Graf. Ich ersuche Sie daher, mir Ihr Anliegen in möglichster Kürze vorzutragen, da Sie hoffentlich einsehen werden, daß unsere Unterhaltung keine ausführliche sein kann.«

»Es scheint mein Schicksal zu sein, theure Cousine,« versetzte Magnus, »Ihnen stets widersprechen zu müssen, und weil dies denn einmal so ist, so stehe ich nicht an, auch jetzt eine andere Meinung zu verfechten. Mich dünkt, liebe Herta, nie hätten zwei Menschen mehr Ursache gehabt, sich recht viel zu sagen, als wir.«

Herta erröthete und der Zorn grub eine leichte Falte in ihre weißglänzende Stirn. Sie erwiederte:

»Da ich Ihnen nichts zu sagen habe, Herr Graf, so fahren Sie fort.«

»Lassen wir diese erkältenden Förmlichkeiten, theure Herta,« sagte Magnus wärmer und dringender, indem er den Stuhl einen halben Schritt näher an Herta's Sitz schob, »sprechen wir wie[294] nahe, theure Verwandte zusammen und reichen wir uns die Hand zur Versöhnung.«

»Ich verstehe Sie nicht.«

»Sie wollen mich nicht verstehen, Herta! – Ein Unglücklicher, ein von den grausamen Rachefurien eines schuldbeladenen Gewissens furchtbar Gepeinigter steht vor Ihnen. Bittere Reue nagt an seinem Herzen, der Fluch eines Vaters lastet auf seiner Seele und dennoch, dennoch wagt er zu hoffen, wagt er leben und wieder unter gesittete Menschen treten zu dürfen, ohne daß man ihm ausweicht, wie einem Scheusal! Er wagt dies, wenn Sie, Herta, Ihre Engelshand ausstrecken, sein schuldbeladenes Haupt damit berühren und ihm vergeben!«

Magnus schob den Stuhl zur Seite und ließ sich mit Heftigkeit vor der ernsten stillen Mädchengestalt auf ein Knie nieder.

»Stehen Sie auf, Herr Graf! Um Komödie zu spielen, wählen Sie den Ort schlecht.«

»Komödie spielen! Sie nennen Komödie spielen, was mein Herz zerreißt, was mit Höllenqualen meine Seele foltert!«

»Es gab eine Zeit, wo ich weit mehr litt, Graf! Damals ergetzten Sie sich an den Qualen[295] eines armen schwachen Mädchens und lachten ihrer flehenden Bitten. War dies nicht auch Komödie gespielt?«

»Ich bekenne mich ja schuldig, theure, geliebte Herta –«

»Mißbrauchen Sie nicht ein so heiliges Wort, ich verbiete es Ihnen!« unterbrach Herta mit edlem Zorn die Rede des Grafen, »Sie kennen keine Liebe, Sie trachten nur nach Sinnenlust, nach betäubendem Rausch! Gehen Sie und befreien Sie mich von Ihrer verhaßten Gegenwart!«

Magnus hatte die Lehne des Stuhles wieder erfaßt. Seine Cousine, die ihm immer reizender erschien, schon mit zuversichtlicherem Auge betrachtend, versetzte er:

»Herta! Mein Vater ist aus dieser Welt geschieden, ohne mir die Hand gereicht zu haben. Wie die Sachen stehen, muß ich mich für seinen Mörder halten! Begreifst Du, welch entsetzliches Gewicht, welch gräßliche Anklage darin liegt? – Soll ich erdrückt werden von ihr trotz meiner Reue? – Ist es christlich, einen zerknirschten Sünder erbarmungslos zu verstoßen? –«

»Wer verstößt Sie denn?«[296]

»Du, Du, mein heiliger Engel! Du, Herta, an der ich gefrevelt habe aus Übermuth, von Wahnsinn erfaßt, im Augenblick gänzlicher Verwilderung. Du, Herta, um deretwillen ich jetzt gern all mein Gut, ja mein Leben dahin geben möchte, Du verstößt mich, und doch kann ein Wort von Dir mich glücklich machen, kann uns Beiden eine traurige öde Vergangenheit in ein blühendes Paradies verwandeln!«

»Ich bitte, mir diese Zauberformel zu sagen. Ich selbst kenne sie nicht!«

»Du willst sie nicht kennen, Herta!«

»Ich will Alles, was ich für recht und gut erkenne, Alles, was mein Verstand billigt, was mein Herz zuläßt. Der unaussprechliche Kummer, welchen Sie meinem Wesen eingeimpft haben, hat mich alle Täuschung ablegen lassen und meinen Gefühlen den schönen Reiz entwendet, der alle Glücklichen bezaubert.«

»Das ist sehr sehr traurig!« versetzte Magnus. »Wenn Ihre Gefühle erstorben sind, dann habe ich freilich nichts mehr zu hoffen, aber ich glaube, Sie täuschen sich selbst. Wollten Sie nur in die Tiefe Ihres Wesens schauen, so würden[297] Sie daselbst den Kern aller göttlichen Gefühle, die Liebe zu dem Nächsten, wiederfinden.«

»Fände ich ihn wirklich noch, dann sein Sie überzeugt, Graf, daß ich ihn nur mit dem Würdigsten theilen würde!«

»Halten Sie einen bußfertigen Sünder solcher Gnade nicht werth?« fragte Magnus mit allem Zauber, der ihm zu Gebote stand.

»Darauf kann ich mir jede Antwort ersparen, Graf. Sie wissen, daß ich Sie nie geliebt habe, weil ich Sie wahrer Liebe nie fähig hielt. Vernehmen Sie jetzt zum letzten Male, daß Sie bei mir nie auf Erwiederung einer Neigung zu rechnen haben, die Sie nur heucheln. Ihr ganzes verdorbenes Wesen ist Lüge, schändliche, schwarze, geschmackvoll vergoldete Lüge! Ich hasse die Lüge und verachte die Jünger derselben. Und nun ich weiß, was Sie zu mir, der tief Gekränkten, der unversöhnlich Beleidigten, trieb, nun vernehmen Sie von mir mein letztes Wort. Ich will mit vergebender Milde die Sünde von Ihnen nehmen und Ihnen verzeihen, aber fortan meiden Sie, mich durch Ihre Gegenwart zu kränken, mich in meinem Kummer zu stören!«[298]

Noch gab Magnus nicht Alles verloren. Er entschloß sich, das Äußerste zu versuchen.

»Theure Herta,« sagte er mit niedergeschlagener, schwankender Stimme. »Du scheinst zu vergessen, daß die Mutter für ihre Kinder eines Vaters bedarf.«

»Gott ist aller braven Mütter gemeinsamer Vater.«

»Und die Welt? Die scheelen Blicke der verleumdungssüchtigen Welt?«

»Wünschen Sie, daß Ihre Schande weltkundig werden soll?«

»Die Deinige, meine schöne Cousine, wird durch meinen Namen zugedeckt. Einer Gräfin von Boberstein begegnet Jedermann mit höchster Achtung.«

Herta stand auf. Sie legte das Buch, in welchem sie während dieses peinlichen Gespräches geblättert hatte, auf den Tisch und trat dem Grafen entgegen. Ihr zürnendes Auge sprühte Funken, ihr Gesicht war mit zarter Röthe überhaucht, der Busen hob sich in heftigster Aufregung.

»Endigen Sie, Herr Graf,« erwiederte sie mit bebender Stimme, »Sie nöthigen mich sonst,[299] meine Dienerschaft zu rufen! Ein Reuiger wurde mir angemeldet, und einen Niederträchtigen sehe ich vor mir.«

Da Magnus jetzt alle seine Berechnungen zu Schanden werden sah, kehrte ihm schnell die geistige Keckheit wieder, die er bisher nur mühsam niedergehalten hatte. Selbst gekränkt wollte er noch empfindlicher kränken; denn er erkannte in Herta seine unversöhnlichste Feindin. Mit vornehmer Verbeugung zurücktretend sagte er:

»Ich muß wirklich um Entschuldigung bitten, schöne Heilige, daß Dein Anblick so mächtig auf mich wirkt und mein ganzes Wesen zu einem Spiegel macht, aus dem Du in mich verwandelt Dir selbst vor die Augen trittst.«

»Das überschreitet alle Grenzen,« stotterte Herta für sich. »Herr Graf, ich befehle Ihnen, mein Zimmer zu verlassen!«

»Widerspänstige Zauberin, bedenken Sie wohl, daß zum Befehlen Macht und Recht gehört! Sie besitzen weder das Eine noch das Andere.«

»Ich wünsche noch einmal allein zu sein.«

»Und ich werde mir erlauben, Ihnen noch einige Minuten Gesellschaft zu leisten. Ich bin Erbe und Herr dieses Schlosses, mein holdes[300] Mühmchen, und wenn ich befehle, die unanständige Dirne hinauszuwerfen in den Wald, so hoffe ich noch genug willige Hände zu finden, die meinen Befehl ausführen. Mein sehr kluger Herr Vater, der sanft und selig in Gott ruhen möge, war doch nicht klug genug, sein verzogenes Püppchen bei Zeiten mit Geld und Gut zu bedenken. Er starb ohne Testament und das schöne vornehme Burgfräulein wird künftighin in seidenen Kleidern Brod und Leinwandfetzen unter ihren Freunden, den armen Wenden, zusammenbetteln müssen, damit sie leben und ihren muthmaßlichen Erben standesmäßig erziehen kann.«

Höhnisch lag sein satanisch blitzendes Auge auf der üppigen Gestalt der über solche Bosheit entsetzten Herta, die sich kaum aufrecht erhalten konnte. Als er sie zittern und zusammenbrechen sah, umfaßte er sie trotz ihrer abwehrenden Gebehrden.

»Es bedarf jedoch blos eines Wortes,« fuhr er gleißnerisch fort, »und die Bettlerin trägt eine schimmernde Grafenkrone auf ihren stolzen Flechten. Ich bin billig, meine Geliebte. Als Vater werde ich auch zärtlich, freigebig und großmüthig sein. Wenn Du mir aber untreu wirst, dann[301] fürchte meine Rache! Dem Erben von Boberstein Reichthum und Ehre, dem Bastard der leichtgläubigen Cousine Armuth, Schande und Elend! Wähle jetzt, meine stolze Geliebte!«

Herta saß erblassend, tief und schwer athmend in ihrer Epheulaube. Emma trat ein und überreichte ihr auf silbernem Teller einen Brief. Sie kannte die Hand nicht.

»Von wem?« sagte sie kaum hörbar.

»Ein Köhlerbube brachte ihn,« versetzte die Zofe und verließ wieder das Zimmer. Herta drehte den Brief nachdenkend in den Händen.

»Darf ich gefälligst um Antwort bitten?« sagte Magnus äußerst freundlich.

»Ja das dürfen Sie,« erwiederte die Gekränkte. »Ich flüchte mich an den Busen meiner Tante und wähle Armuth, Schande und Elend!«

»Nehmen Sie meinen aufrichtigsten Glückwunsch zu dieser Wahl und zu dem neuen Lebenslaufe, der drei Tage nach der Bestattung meines hochseligen Herrn Vaters seinen Anfang nehmen wird. Ich empfehle mich der verehrten Cousine auf's Angelegentlichste!«

Magnus verbeugte sich und ließ die unglückliche[302] Herta allein mit ihrem Schmerz, ihrem Haß, ihrer Verachtung.

»Hat denn der Himmel keine Blitze mehr,« seufzte sie, »um solche Frevler zu strafen und die von ihnen Verfolgten zu erretten?«

Dabei ballte das arme Mädchen ihre kleine Hand und zerbröckelte das Siegel auf dem erhaltenen Briefe.

Quelle:
Ernst Willkomm: Weisse Sclaven oder die Leiden des Volkes. Theile 1–5, Leipzig 1845, S. 276-303.
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