Sechstes Kapitel.
Der Haidebrand.

[346] Auf Boberstein trafen an diesem Tage zahlreiche Verwandte des verstorbenen Grafen ein, um am nächsten Morgen dessen feierlicher Beisetzung in der Familiengruft des Schlosses beizuwohnen. In der uns bekannten Schloßhalle ruhten auf schwarzem Katafalk die sterblichen Überreste des Todten. Die Halle war mit schwarzem Tuch ausgeschlagen, schwarze Gardinen verhüllten die Fenster, den Fußboden bedeckten schwarze Teppiche. Auf prächtigen Kandelabern von gediegenem Silber, ein Familienerbstück des Hauses Boberstein, brannten flimmernde Wachskerzen und verbreiteten Tageshelle in der sonst so düstern Halle. Die Dienerschaft ging in tiefer Trauer mit langen wehenden Flören um Arm und Hut.[347]

Es war festgesetzt worden, daß von Anfang der Ausstellung bis zum Augenblick der Beisetzung eine Ehrenwache von sechs Männern in der Tracht trauernder Knappen den Sarg umgeben sollte. Diese Männer waren der Dienerschaft entnommen und unterzogen sich dem traurigen Loose von Abends sieben Uhr an. Um diese Zeit nahten sich auch die Verwandten des hohen Verstorbenen in ernster Haltung, um durch Auflegung ihrer Hände ihm die letzte Ehre zu erweisen. Diesen langen Zug tief trauernder Gestalten eröffnete Graf Magnus mit seiner Mutter Utta. Gebückt, einsam, in düstere Gedanken versenkt, folgte Herta. Sie begnügte sich nicht mit bloßer Berührung der Hand des Todten. Sie warf sich nieder auf die Stufen des Katafalkes und betete innig und heiß für die Ruhe des Grafen, für Vergebung seiner frühern Vergehen, für das Wohl ihres wiedergefundenen, ihr noch so unbekannten Vaters und für Bekehrung ihres wüsten, boshaften Vetters. Nachdem sie so ganz ihr Herz vor Gott ausgeschüttet hatte, kehrte sie mit den übrigen Leidtragenden wieder zurück in die oberen Gemächer, ohne jedoch in deren Gesellschaft die Abendstunden zuzubringen.[348] Sie zog es vor, auf ihrem Zimmer, nur von Emma umgeben, die Mitternacht heranzuwachen.

Es befremdete die verwittwete Gräfin, daß von den Unterthanen eine verhältnißmäßig nur sehr geringe Anzahl im Schlosse erschien, um ihrem verblichenen Gebieter die letzte Ehre zu erweisen. Die Leibeigenen waren eigentlich dazu verpflichtet, indem es die Sitte im Hause Boberstein erheischte, daß der jedesmalige Erbe der Herrschaft den durch das Ableben ihres bisherigen Gebieters gleichsam Verwaisten mittelst Darreichung seiner Hand zum Kusse von Neuem Schutz verhieß und sie als rechtmäßig ererbte Unterthanen anerkannte. Am Katafalk seines Vaters war die Aufrechthaltung dieser Sitte für Magnus eine Unmöglichkeit; denn außer einigen zitternden Greisen, die längst keine Dienste mehr thun konnten und unter Seufzen und Beten dem Grabe zuwankten, befanden sich unter den Leibeigenen, die zur Leichenschau kamen, blos heulende Weiber und neugierig gaffende, in zerlumpten Kutten und Pelzen steckende Kinder.

Über solche Nichtachtung alter Gebräuche der jetzt ihm zugefallenen Leibeigenen war Magnus höchlichst empört. Er konnte nicht zweifeln,[349] daß ihm allein diese Opposition gelte, daß die ehemaligen Unterthanen des Vaters seinen Schutz gar nicht begehren wollten. Deshalb beschloß er in stillem Grimme, der oft seine stechenden Augen unheimlich machte, unmittelbar nach der Bestattung sämmtliche Unterthanen auf das Schloß zu rufen und daselbst ein allgemeines Strafgericht über sie ergehen zu lassen. Worin dies bestehen sollte, darüber war er mit sich selbst noch nicht einig.

Noch vor neun Uhr waren Halle und Schloßhof von Zuschauern leer. Nur die wachehaltenden Diener standen am Sarge, in welchem Graf Erasmus der Ewigkeit entgegenschlief.

Da stieg Herta nochmals die geschnitzte Wendeltreppe hinab, beugte sich noch einmal über den Todten und küßte die kalten bläulichen Lippen. Am Sarge kniend und wieder heiße Gebete lallend, ließ sie ihren Thränen freien Lauf. Keiner von den Dienern störte die Trauernde in ihrem Schmerz. Sie traten schweigend zurück, selbst gerührt von der Andacht des schönen Mädchens, das mit wahrhafter Kindesliebe an dem Greise gehangen hatte. Wohl eine Viertelstunde mochte Herta geweint und gebetet haben, als[350] sich über der Halle ein lebhaftes Hin- und Widergehen bemerklich machte. Dies weckte sie aus ihrer Versunkenheit. Die Thränen sich von den seidenen Wimpern trocknend, verließ sie den Katafalk und ging nach der Treppe. Hier kam ihr Emma eiligen Laufes entgegen, bleichen Schreck auf ihrem hübschen Gesichtchen.

»Was ist Dir, meine Liebe?« sagte Herta weich, die treue Dienerin umfassend.

»Ach gnädiges Fräulein,« versetzte die Zofe athemlos, »die Herrschaften sind recht bestürzt! Denken Sie, es ist ein großes Feuer in der Haide! Es muß ein ganzes Dorf brennen.«

»Beruhige Dich, mein Kind,« gab Herta zur Antwort, »ist es, wie Du sagst, so werden die Nachbarn gewiß herbeieilen und den Bedrängten beistehen. Auf welcher Seite ist der Brand?«

»Gegen Süden. Graf Magnus besorgt, es möge der Zeiselhof sein. Die gnädige Frau Gräfin kann ihn kaum zurückhalten! Sie will Boten absenden, um sichere Nachricht zu erhalten.«

»Laß uns sehen,« sagte Herta. »Von meinem Zimmer aus muß die Feuerstätte grade zu überschauen sein.«[351]

Als die beiden Mädchen dieses erreichten, erlosch fast der Schein der Kerzen in der lichten Gluth, die durch die hohen schmalen Bogenfenster hereinschlug. Herta öffnete das Fenster und betrachtete Feuerschein und Zug des Rauches, der von ihm aufstieg. Der Anblick war eigenthümlich, voll schauerlichen Reizes. Über der schwarzen Linie der Haide hoben und senkten sich Wogen glänzender Flammen, die oft wie Riesenhände in den dunkeln Nachthimmel hineingriffen oder in zerstäubenden Garben, in brennenden Fontänen aufsprühten. Woge verdrängte Woge; es war, als bräche aus den fernen Bergen ein Meer von Gluth über die Ebene und wolle nun in bäumenden Sturzfluthen Feld und Haide vernichten. Über dem Flammenheerde aber lag eine blutrothe schwere Rauchwolke, die in wunderliche, phantastische Gestalten zerfahrend, langsam höher und immer höher in den Himmel hinaufwuchs und wie ein glühender Helmbusch sich über die Haide gegen das Schloß neigte. Der schwarze See in der Tiefe strahlte dies ergreifende Bild aus seinem stillen, leis rauschenden Spiegel drohend zurück. –

Geraume Zeit betrachtete Herta mit ruhigem[352] Auge den furchtbaren Brand. Niemals hatte sie noch ein solches Schauspiel gesehen. Sie bebte vor der Majestät des entfesselten Elementes zurück und fühlte sich doch auch wieder von der Erhabenheit desselben angezogen und an's Fenster gefesselt.

Der Brand wuchs mit überraschender Schnelligkeit nach allen Seiten hin. Immer gewaltiger, immer wilder und lodernder sich überstürzend rang Woge mit Woge. Thurmhoch spritzten einzelne Feuerstrahlen aus der allgemeinen Fluth und schleuderten Millionen Leuchtkugeln in den blutigen Gischt, der sie auf seinen raschen Schwingen weit in die Ferne trug.

Herta bemerkte jetzt mit Entsetzen, daß solch ungeheurer Brand nicht durch ein in Flammen gerathenes Dorf entstanden sein könne. Auch war es nicht der Zeiselhof mit der umliegenden Ortschaft. Weit näher wütheten die Flammen und griffen mit Riesenarmen um sich. Das Prasseln, Knattern, Sausen und Donnern, das immer deutlicher hörbar ward, ließ sie erbleichend die Wahrheit erkennen. Sie wendete sich zu der zitternden Emma und sich auf deren Arm stützend, sagte sie:[353]

»Gutes Kind, führe mich zu Tante Utta, damit ich mit ihr rede. Wir werden eine traurige, unruhige Nacht verleben, denn – die Haide brennt.«

»Die Haide!« schrie Emma entsetzt und entriß Herta den stützenden Arm. »Die Haide!« wiederholte sie matter, tonloser. »O Gott, und der Wind treibt Rauch und Flamme gerade auf's Schloß! – Wir werden verbrennen müssen, wenn Gott nicht ein Wunder geschehen läßt!«

»Gott wird uns retten,« entgegnete vertrauensvoll das hart geprüfte Mädchen, indem sie ihres unglücklichen Vaters gedachte. Zugleich aber fühlte sie einen Stich in ihrem Herzen, als durchbohre es ein kaltes Eisen. Sie mußte sich gegen die rothflammende Wand lehnen, um neue Kraft zu schöpfen. »Mein Vater!« flüsterte sie vor sich hin. »Sollte dies das Zeichen sein, dessen er gedachte? Es wäre entsetzlich! – Mein Vater ein verbrecherischer Mordbrenner!–«

Indeß gab die herannahende Gefahr ihr schnell die nöthige Besonnenheit wieder. Sie ermannte sich und trat in die Zimmer der verwittweten Gräfin, um welche die trauernden Gäste sich mit den seltsamsten Gefühlen drängten.[354]

Die Versammlung dieser reich geschmückten, in Sammet und Seide von tiefstem Schwarz gehüllten vornehmen Herren und Damen bot jetzt einen eigenthümlichen, fast Entsetzen einflößenden Anblick. Die schwarzen Gewänder, vom Schein der Flammen in blutiges Roth getaucht – Dieser in vollem Feuerstrom gebadet, Jener nur zur Hälfte von leuchtendem Strahl getroffen – dort eine ältliche Dame, deren abenteuerlicher Haarputz und Gesicht glühte, während der übrige Körper, von Vorstehenden gedeckt, schwarz und dunkel erschien – hier eine feurige Hand, die schlotternd von verkohltem Arme herabhing – und überall Gesichter voll Erwartung, Furcht, Entsetzen, mit der Ohnmacht eines schwachen Körpers ringend oder Flüche zwischen trotzigen Lippen zermalmend – die Augen vorspringend aus ihren Höhlen, glänzend von innerm Grauen und wie glühende Kugeln rollend im Dunst der rothen Lohe! – Der Vergleich mit einer Rathsversammlung höllischer Fürsten in den Prunkhallen ihres Meisters und Herrn lag so nahe, daß Herta bei ihrem Eintritt dieses schauerlichen Gedankens sich nicht erwehren konnte.

Am grellsten lag die Flamme auf Magnus[355] der mit gekreuzten Armen neben seiner Mutter am Bogenfenster stand und mit unbeschreiblichem Ausdruck in die wirbelnde Gluth starrte. Das Auf- und Zugehen seiner Nasenflügel zeugte von der stürmischen Aufregung seines Innern.

Alle Leidtragenden machten ehrerbietig dem schönen Mädchen Platz, das so fest und würdig auf Utta zuschritt. Herta legte ihre Hand auf die Schulter der Tante. Diese wendete sich bei der Berührung um und begegnete mit Verwunderung dem braunen Auge ihrer Nichte. Mechanisch die Hand gegen das Fenster ausstreckend sagte sie:

»Das ist entsetzlich!«

»Der Anblick ist furchtbar, meine gütige Tante,« versetzte Herta sanft, »wenn jedoch schnell Anstalten zur Bewältigung des Feuers getroffen werden, dürfen wir nichts fürchten.«

»Thörichtes Mädchen,« warf Magnus ein, »was verstehst Du von Gefahr! Ich sage Dir, die Haide ist in Brand gerathen, ein lebhafter Südwind facht die Gluth an und binnen wenigen Stunden werden Hunderte Morgen Waldes in Asche sinken. Gegen Waldbrände vermögen Menschenhände nichts, da kann nur Gott helfen!«[356]

»Gott!« wiederholte Herta dumpf und mit innerlichem Schauder. »Du wagst von Gott zu sprechen, auf Gott zu hoffen, und hast doch nie an ihn geglaubt, nie seine Gebote erfüllt! – Gott wird Dich in Deiner Noth verlassen!«

Magnus kehrte sein zürnendes und von innerer Wuth zuckendes Antlitz wieder dem Fenster zu. Das Feuer wuchs von Minute zu Minute. Schon sah man es durch die schwarze Wand der Haide wie goldene Früchte, die zur Erde fallen, schimmern. Als Schlangen von blendender Helle, bald roth glühend, bald weißlich wie glühender Stahl, bald blau, wie der zündende Funke des Blitzes; jetzt langsam am Boden fortkriechend, dann in kühnen wilden Sprüngen von Wipfel zu Wipfel hüpfend und nun in goldenen Ballen sich mitten durch das Gezweig fortwälzend: so zeigte sich der verzehrende Brand, der bereits eine Viertelstunde breit, in Form eines an der Spitze sich ausbreitenden Keiles grade gegen das Schloß vorrückte.

»Ha die Elenden!« fuhr Magnus auf und knirschte mit den Zähnen. »Jetzt weiß ich es, weshalb sie unterlassen haben, zur Leichenschau[357] zu kommen. Die vermaledeiten Schurken haben mir die Haide angezündet, um mich zu ruiniren!«

An die Möglichkeit einer solchen That hatte bis jetzt von allen Versammelten noch nicht Einer gedacht. Jeder wähnte, ein unglücklicher Zufall habe den schrecklichen Brand entstehen lassen, die Flamme sei von Ungefähr durch Köhler in die Haide gekommen oder sonst auf andere Art. Deshalb entsetzten sich Alle vor dem Ausrufe des jungen Mannes und starrten einander noch verwunderter in die bestürzten Gesichter.

»Das wäre ja offener Aufstand,« sagte ein alter kontrakter Herr, der an zwei Krückenstöcken durch das Zimmer humpelte. »Wie mögen Sie an so etwas glauben, mein werther Herr Vetter! Leibeigene sind zu dumm und zu feig, um so krasse Mittel anzuwenden, wenn ihnen der neue Gebieter nicht gefällt.«

»Meine theuern Anverwandten,« entgegnete Magnus, »geben wir uns allesammt keiner Täuschung hin. Wir sehen mit offenen Augen, mit Entsetzen im Herzen, daß die Haide in Flammen steht. Bleiben wir unthätig hier sitzen, so wird die Gluth auch uns erreichen. Selbst der See[358] wird uns nicht schützen. Der Wind jagt die Flammen über die Thürme, er wird sie entzünden und über uns zusammenstürzen.«

»Quel horreur!« rief eine vornehme Gräfin, die so viel Ahnen zählte, als Deutschland Staaten, und drei und sechzig Jahre lang ein jungfräuliches Leben geführt hatte, »quel horreur, das wäre ja gegen allen Anstand!«

»Eben deshalb, meine Gnädige,« fiel ihr Magnus in die Rede, »lassen Sie uns keinen Anstand nehmen, auf unsere Sicherheit zu denken. Folgen Sie mir, meine Herren! Vereint mit unserer Dienerschaft werfen wir jenseits des See's einen Damm auf, damit die Flammen sich nicht am Boden weiter verbreiten können, und reichen Zeit und Kräfte aus, so schlagen wir auch Bäume nieder, so viel wir vermögen. Hundert Hände, und wir gebieten über mehr, können in der Stunde der Noth viel leisten. Die Damen werden sich inzwischen bemühen, unter Anleitung meiner würdigen Mutter die werthvollsten Familienpapiere und die Kostbarkeiten des Hauses Boberstein für den Fall einer unausbleiblichen Flucht bereit zu halten.«

Bei allen großen Fehlern und Lastern, die[359] Magnus anklebten und ihm den tödtlichen Haß aller rechtlichen Unterthanen zugezogen hatten, besaß er doch Energie und jenen gebietenden Ernst, der allem Widerspruch mit einem Worte ein Ende macht. Die Noth drängte, die Wahrscheinlichkeit, daß Boberstein ein Raub dieser grauenvollen Feuersbrunst werden könne, lag vor Augen, und so entschloß sich denn der größere Theil der hochgeborenen ahnenreichen Trauergesellschaft, zu Hacke und Spaten zu greifen und gegen das verderbliche Element zu Felde zu ziehen.

Noch war der laut geäußerte Gedanke des jungen Grafen bloße Vermuthung, denn sichere Anzeigen von einer planmäßigen und voraus berechneten Ansteckung der Haide waren nicht vorhanden. Deshalb glaubten auch nur Wenige an einen Aufstand der Leibeigenen, die Meisten hofften am jenseitigen Ufer Köhler und Haidebauern zu treffen, die mit ihnen vereint das um sich greifende Feuer bekämpfen würden.

Zum namenlosen Entsetzen dieser Sorglosen loderte während ihrer Überfahrt auf ganz entgegengesetzter Seite eine neue gräßliche Feuersäule unfern des See's aus der dichtesten Haide auf. Zugleich vernahmen die erbleichenden Herren ein[360] Geschrei, so wild, so anhaltend, so rachlustig, daß sie nicht länger an einem Aufstande zweifeln konnten. Den Dienern entsanken die Ruder und auch Magnus vergaß das Steuer zu lenken. Willenlos trieb die Barke auf dem leicht bewegten, wie schäumendes Blut dahin rollenden See.

Es war ein Augenblick, dessen Grausen sich nicht schildern läßt. – Von allen Seiten drohte Verderben, Tod, denn auch auf einem dritten Orte züngelten neue gräßliche Flammenbüschel empor, ergriffen die hin und her schwankenden harzgetränkten Wipfel der Tannen und setzten sie in helle Gluth. Die boshaften Feinde des Grafen, ihres Anschlages sicher, hatten den See umgangen und schürten das wilde Element mit wahnsinnigem Behagen, um das Grafengeschlecht mit allen Seitenverwandten auf einmal zu vertilgen. Denn wer mochte noch zweifeln, daß die Entmenschten den Tod ihrer Gebieter beabsichtigten, daß sie den qualvollen Flammentod über sie verhangen hatten!

Unter diesen Umständen wäre es Thorheit gewesen, erfolglos gegen ein Unabwendbares ankämpfen zu wollen. Sobald Magnus die neue Gefahr vollkommen bei sich erwogen hatte und[361] nur in klug veranstalteter Flucht Rettung des Lebens erkannte, ließ er Barke und Fähre, die beide mit schwarz gekleideten Männern überfüllt waren, zurück an die Insel rudern. Der Haidebrand, der jetzt in ungeheurem Halbkreise wie eine weit geöffnete, sich mit grausamer Sicherheit langsam verengernde Zange um Haide, See und Burg legte, war schon so nahe gekommen, daß man die Hitze deutlich selbst in dieser Tiefe empfand. Die rothen Flammen bildeten eine blendende mehr als thurmhohe Mauer und ihre zuckenden Spitzen verschlangen sich in tausend und abertausend kühnen Ribben und bauten eine Flammenkuppel über Boberstein, durch deren dunstige Wölbung Millionen feuriger Sterne schossen. Zahllose dieser flackernden Brände fielen zischend nieder in den See oder stürzten prasselnd und wie Pulver knisternd und puffend auf die bemooste Schieferbedachung der alten Burg.

Als die erschrockenen Männer, von denen die Meisten völlig rathlos waren, wieder in die Gemächer der händeringenden und zu keinem Entschluß, zu keinem Geschäft fähigen Frauen traten, hatte sich die Scene völlig geändert. Die Haide brannte so weit, daß man den unermeßlichen[362] Heerd der Flammen aus den Fenstern des Schlosses nicht mehr übersehen konnte. Die vermehrte Gluth und der heftig wehende Wind, der hartnäckig steif aus Süden blies, riß von den höchsten Bäumen ganze Wipfel ab und trug die furchtbar lodernden Kronen als schreckenerregende Christbäume weit durch die Luft. Ein einziger dieser von Rache und gerechter Nemesis angezündeter Leuchter auf die im heißen Athem der Haide bereits glühenden Zinnen der Burg geschleudert, mußte den Stammsitz der Boberstein rettungslos zerstören!

Von der nie gesehenen Großartigkeit dieses entsetzlichen Brandes gefesselt, starrten Alle wie verzaubert in den tosenden Flammenocean. Wind und Feuer heulten, als zöge das wilde Heer mit seiner höllischen Meute durch die erhitzte Luft. Das Krachen der niederstürzenden Bäume, das seltsame diamantenähnliche Glimmern riesenhoher alter Stämme mitten in der dunkelrothen, wirbelnden und zischenden Gluth, das Auffliegen der abgeschlagenen nadelbehangenen Äste, die, vom Winde erfaßt, wie rothglühende Reiherfedern oft in ungeheuren Bogen fortgeführt wurden; dann wieder das Kämpfen und Auf- und Niedersteigen[363] ganzer Schwärme in Brand gerathener Waldkräuter und dürren Reisigs, die Wind und Flamme zugleich aufjagten und die nun einem Heere purpurbeschwingter Vögel glichen, welche in wunderbaren Flugfiguren sich haschen und ergetzen, und endlich das ununterbrochene Zusammenbrechen lodernder Stämme, das zahllose Aufwirbeln breiter leuchtender Funkensäulen, die einige Zeit lang in furchtbarer Pracht höher und immer höher wuchsen, zu Kapitälen von wunderbarer Arbeit sich erweiterten und nun das glühende Himmelsgewölbe mit seiner irrenden, jetzt entstehenden, jetzt wieder verlöschenden Sternensaat zu tragen schienen: dies Alles war wohl geeignet, selbst die größte Todesgefahr auf Secunden vergessen zu machen und die unglücklichen Bewohner des dem Untergange geweihten Schlosses in die dämonischen Kreise seiner Zauber fest zu bannen.

Vergeblich strengte Herta ihre Augen an, um einen nahenden Retter auf dem blutigen Spiegel des See's zu entdecken. Minute verging nach Minute und Niemand erschien, keines Menschen Stimme ließ sich hören. Es war, als sei alles Leben erstorben und nur die blinde Macht des wilden entfesselten Elementes herrsche und drohe[364] rund umher Alles in die wüste Nacht des Chaos zurückzustürzen! –

Aus dieser allgemeinen an Bezauberung grenzenden Lethargie erweckte die entsetzten Gefangenen der Ruf eines hereinstürzenden Dieners, welcher händeringend verkündigte, daß die Burg in Brand gerathen sei! Dies gab Allen Leben und Besonnenheit einigermaßen wieder. Die Meisten stürzten nach dem Vorgemach, aus dessen in den Schloßhof gehenden Fenstern sie von dem linken äußersten Eckthurme das rothe Brandbanner flattern sahen. Das Feuer griff schnell um sich. Das Dach der ganzen einen Flanke stand binnen wenigen Minuten in vollen Flammen. –

Nun dachte Jeder nur auf seine Rettung. Alles rannte schreiend und fluchend durcheinander und stürzte dem Schloßthore zu, um den See zu erreichen. Noch war die Möglichkeit der Rettung vorhanden, denn im Nordost bildete die Haide eine schmale sumpfige Wiese, die ziemlich tief in den Wald hineinlief und von einem wasserreichen Bache durchströmt ward. Auf dieser Seite war die Haide bis jetzt noch unversehrt, nur erstickender Rauch hüllte sie in glühenden Dunst. Es galt über den See zu setzen, ohne[365] von den Flammen lebensgefährlich beschädigt zu werden, und dann in schnellstem Laufe den Schutz der Wiese und durch sie die Freiheit zu gewinnen.

Auch Magnus entschloß sich, obschon mit Widerstreben, zu diesem Äußersten. Ehe er jedoch Anstalt zur Flucht machte, ließ er einen Blick auf Herta fallen, der eine Welt von Fragen enthielt. Er erfaßte die Hand seiner zitternden Cousine und flüsterte ihr zu:

»Herta, der Himmel selbst und sein Zorn will uns vereinigen. Siehst Du nicht ein, daß ich es bin, den er auserwählt hat zu Deinem Retter? Auf meinen Armen werde ich Dich durch die Flammen tragen und mir Dich gewinnen. Dem kannst Du nicht mehr zürnen, der Dich aus der Hölle erlöste, der mit seinem Munde die Feuerfluthen von Deinem erbleichenden Wangen abhielt!«

Doch Herta schüttelte nur traurig ihr schönes Haupt und kehrte sich von dem unermüdlichen Verführer.

»Gott wird mich schirmen,« versetzte sie, »wenn es sein Wille ist, daß ich dieser Gefahr entrinnen soll. Retten Sie Ihre Mutter, ich bedarf Ihrer Hilfe nicht.«[366]

Sie verließ mit Emma das Zimmer, um nochmals ihre stille, so heimliche durch Freud' und Schmerz ihr unvergeßliche Wohnung zu betreten. Da hörte sie das Klirren der Messingkette am Fenster und sah das kluge zierliche Köpfchen des muntern Eichhörnchens unruhig daran hin und wieder fahren.

»Armes, kleines Ding,« sagte sie, »Du sollst gleiches Schicksal mit mir theilen.«

Darauf öffnete sie den Schieber, nestelte die Kette los und ließ es geschehen, daß das niedliche Thier schnuppernd und sein Köpfchen furchtsam in den weiten Bauschen ihres Trauerkleides verbergend, auf ihre Schulter hüpfte.

»Emma,« sagte sie mit einem unaussprechlichen Ausdruck von Trauer und Niedergeschlagenheit, »der Fremde von gestern hat nicht Wort gehalten und doch nannte er sich meinen Vater! Ich unglückliches, verlassenes, von Allen verstoßenes Kind!«

»Kommt!« schrie Magnus mit Donnerstimme durch die sich weit öffnende Thür. »Schon brennt mehr als die Hälfte des Schlosses, die geringste Verzögerung muß uns unfehlbar einen grauenvollen Tod bringen!«[367]

Entschlossen, wie er es im Augenblick der Entscheidung stets war, schritt er auf Herta zu, umschlang sie trotz ihrer Versuche, sich ihm zu entwinden, mit beiden Armen, hob sie empor und trug sie wie ein Kind fast laufend die Wendeltreppe hinab, durch die schwarz ausgeschlagene Halle in den feuererfüllten Schloßhof. Die Leiche des Grafen auf dem stolzen Paradebett, die matt brennenden Kerzen auf den hohen silbernen Kandelabern und der rothe Glanz des Feuers, der auf den schwarzen Wänden lag und auf dem regungslosen Antlitz des Todten glitzernd spielte, machte einen unaussprechlichen Eindruck selbst auf den verhärteten Magnus. Allein es war nicht an der Zeit, jetzt Betrachtungen anzustellen. Die mit jeder Secunde sich verdoppelnde Gefahr drängte zu schnellster Eile.

Schon hatten alle Bewohner das Schloß verlassen, selbst der alte Kastellan war geflohen. Der Letzte schritt Magnus mit der schönen Last auf seinen Armen, vor ihm her die schlanke Emma, über den von lodernden Bränden dicht besäten Schloßhof. Die Luft war erstickend heiß, von Millionen Atomen glimmender Tannennadeln erfüllt, die wie ein dichter Regen niederfielen.[368] Dazu qualmte und wirbelte der Rauch aus der Haide in undurchdringlichen Wolken über Schloß und See und verhüllte alle Gegenstände mit demselben schmutzig rothen Gewande.

Unter der Thorwölbung erwarteten ihn Utta mit einigen Dienern und Frauen. Schweigend stiegen Alle den Felsenpfad hinab zum See, aus dessen brodelndem Feuernebel verworrene Stimmen erklangen, verbunden mit dem Rauschen der Ruder, die mit gewaltigen Schlägen die Wogen theilten. Dann hörte man wieder ein entsetzliches Aufkreischen, ein sprühendes Zischen, sah die Welle in blutigem Strahle aufspritzen und den Qualm der brennenden Haide Alles wieder verhüllen. Ganz fern, weit im Walde stieg manchmal ein brüllendes Geschrei auf, als ob Tausende auf einmal zu gemeinsamem Ruf sich vereinigten. Vor diesem Geschrei erbebte Magnus; er glaubte den Jubelruf der Wenden darin zu erkennen, die sein Geschlecht auszurotten gedachten. –

Ohne bedeutende Beschädigung setzten die letzten Flüchtlinge über den See. Mit Schaudern nur stießen sie zuweilen beim Rudern an schwimmende Leichen, die in ihrer schwarzen Tracht mit den bleichen verzerrten Gesichtern[369] einen entsetzlichen Anblick darboten. Ein glühender Ast, deren viele in den See niederstürzten, mußte einen der Kähne zerschmettert haben, auf welchen die Trauergäste flohen. –

Als Magnus mit seiner Umgebung das feste Haideland betrat, stand Boberstein in vollem Brande. Die stolzen vier Eckthürme schossen ihre gelben Flammen wie Riesenschwerter weit über die dunklere Gluth der übrigen Häusermasse empor und verscheuchten die Rauchwirbel, welche von der Haide in immer sich erneuernden Wogen darüber zogen. – Die Lichtung, welche die Wiese bildete, war noch dunkel, aber schnell rückten von beiden Seiten die Flammen heran. Muthig betrat Magnus den Rettungspfad, die Frauen vorsichtig über die sumpfigen Stellen leitend. Man konnte immer nur wenige Schritte weit sehen, auch mußte man häufig rasten, theils um den Frauen Zeit zu gönnen, theils, weil ein Brand mit wildem Getöse in unmittelbarer Nähe niederstürzte und weithin Funken und Splitter verstreute.

Glücklicherweise war auf dieser Seite das Feuer noch nicht weit vorgeschritten. Auch jagte der Wind die Flammen mehr seitwärts oder ließ[370] solche Stellen, wo die Waldung dünn war, fast ganz unversehrt. Dies gestattete den Flüchtlingen schnelles Vorwärtsdringen. Und war nur erst der todtdrohende Flammengürtel überschritten, so durfte man auf Rettung hoffen. Nur das fortwährende und jetzt immer näher kommende Gebrüll ängstigte den Grafen, da er kein Mittel sah, dem Racheschwarm der Wenden auszuweichen. Er mußte dem Zufall und dem Schutz des dichten Rauches vertrauen, der Erd' und Himmel gleichmäßig bedeckte.

Herta's körperlicher Zustand gestattete ihr keine große Anstrengung. Sie ermattete bald und sank kraftlos zusammen. Magnus hob sie wieder auf seine Arme und das hilflose Mädchen mußte es geschehen lassen. So gewannen denn die Flüchtlinge ohne Hinderniß das von den Flammen noch unberührte, hier nur dürftig bewachsene Haideland. Schon glaubte Magnus das Schwerste überstanden zu haben und bald eine sichere Zuflucht zu finden, als er plötzlich aus dem finster strudelnden Qualme dunkle Gestalten auftauchen, ihn umstellen und mit dem Jubelrufe: »der Graf! Graf Blauhut!« auf sich eindringen sah.[371]

Anfangs glaubte Magnus mit den Seinigen entschlüpfen zu können, da aber die kühnen Wegelagerer mehr als er an jede Unbill des Wetters, an Kälte, Gluth und Dampf gewöhnt waren und ihre Zahl mit jedem Augenblicke sich mehrte, sah er bald die Unmöglichkeit glücklicher Flucht ein. Er wollte eben Vergleichsvorschläge machen, als aus der sich verdichtenden Schaar der gebräunten, trotzig blickenden Männer eine stolze Gestalt auf ihn zuschritt.

»Vater, mein Vater, errette mich!« rief Herta und streckte dem als Förster gekleideten Fremden beide Arme flehend entgegen.

Es war Johanes, der Fürst der Haide, der inmitten seiner Genossen und umgeben von einem Heer Leibeigener diese einzige freie und noch zugängliche Stelle des Waldes besetzt hielt. Das überaus schnelle Umsichgreifen der Flammen hatte ihn verhindert, die Tochter persönlich von Boberstein abzuholen. Seine Gegenwart, seine Umsicht, seine Anordnungen waren nöthig, um nicht die ganze Haide ein Raub der wild verzehrenden Gluthen werden zu lassen. Da er den Muth seines Feindes kannte, durfte er erwarten, daß der Graf im Drange des Augenblickes[372] sein Schloß verlassen und diejenigen um sich versammeln werde, an die ihn Neigung und Verwandtschaft fesselten.

Bei Herta's Ausrufe erbleichte Magnus vor Zorn, da er jetzt einsah, daß seine trotzige Cousine in naher Verbindung und unmittelbarem Verkehr mit diesen Waldbrüdern gestanden haben müsse.

»Vater?« wiederholte er verächtlich. »Seit wann sucht meine schöne Cousine ihre Ältern unter Verbrechern?«

»Seit dem Tage,« erwiederte Johannes stolz, »wo Ihr würdiger Herr Vater den Geliebten seiner edlen Schwester von Knechtshänden aus Boberstein werfen ließ.«

Magnus starrte den Räuber mit wahnsinnigem Auge an. »Johannes,« stammelte er, »Johannes am Leben und ein Sohn des Waldes? Das wäre entsetzlich!«

»Nicht entsetzlicher, als wenn ein Graf schuldlose Jungfrauen überfällt und sich und die Menschheit entehrt! – Blicken Sie hinter sich, Herr Graf! Die Gerechtigkeit des ewigen Gottes ist es, die Ihrem Vater diese Leichenfackel angezündet hat. – Es sind lange lange Jahre[373] vergangen und nie schlug die Stunde würdiger Vergeltung, heut endlich, wo das Maß Ihrer Sünden überschäumte, heut ist sie gekommen, und nicht ich allein, dem Sie wie ein verworfener Bube das Kind innigster Seelenverwandtschaft entehrt haben, nein, die Gesammtheit Ihrer Unterthanen, die Sie zu schützen von der Vorsehung berufen waren, und die Sie mit Füßen traten, sie Alle haben sich gemeinsam wie ein einziger Mann erhoben. Dies arme gemißhandelte und verachtete Volk ist aber mild auch in seinem Richteramt. Es will Sie nicht vernichten, nicht langsam zu Tode quälen, sondern blos an Ihr eingeschläfertes Gewissen klopfen und in die dunkeln Falten Ihrer Seele mit der entflammten Fackel der Vergeltung hineinleuchten! – Mir und der milden Gesinnung Ihrer Unterthanen haben Sie es zu verdanken, daß nichts Härteres über Sie verhängt worden ist. Gehen Sie jetzt, wohin Sie wollen, es wird Sie Niemand hindern. Nur mein Kind fordere ich von Ihnen zurück.«

Während Johannes sprach, hatte Magnus sich vollkommen gesammelt.

»Zurück, Elender!« rief er jetzt dem Räuber[374] zu. »Danke Gott und meiner Gnade, wenn ich Dich nicht kennen will, Du würdest sonst dem wohlverdienten Tode am Galgen nicht entgehen!«

Er wollte vorwärts eilen, denn noch immer griff das Feuer um sich und glühende Funken fielen in großer Menge zu Boden. Da riß Johannes seinen Hirschfänger aus der Scheide und die ihm zunächst Stehenden schlugen die Büchsen auf Magnus an.

»Mein Kind!« sagte der Räuber barsch und doch mit einem Tone, in dem unwillkürlich eine flehende Bitte weich verhallte. »Mein Kind oder Du und die Deinen fallen durch meine Hand und die Gluth der Haide verzehrt Eure Gebeine!«

Magnus' Trotz war noch nicht gebrochen. Von Neuem umschlang er Herta, die sich vergebens sträubte. Wie zum Hohne griff er mit roher Faust in ihr wallendes Lockenhaar, um sie hinter sich her zu schleifen und der Macht die auftobende Brutalität der Leidenschaft entgegenzusetzen. Allein eben so rasch war er umringt und die Hand eines Mannes, dessen Gegenwart er vor Allem fürchtete, lag, wie die Tatze eines Tigers, an seiner Kehle.[375]

»Blauhut,« raunte ihm der Mann zu, »kennst Du den Maulwurffänger und das Erlengebüsch, wo Dich ein junges Weib um Erbarmen flehte? Du hattest kein Mitleid mit der Armen, Du wußtest nur Mittel zu finden, die Bittende zum Schweigen zu bringen. Erinnere Dich dessen und wisse, daß der Maulwurffänger Zeuge Deiner Thaten war!«

Der Graf keuchte unter den eisernen Fingern des wüthenden Landmannes. Herta entwand sich ihm und eilte in die offenen Arme ihres Vaters.

»Nehmt sie hin,« stotterte er, »und seid verflucht!«

»Sei Du verflucht, schamloser Ehrenschänder!« klang eine andere nicht minder furchtbare Stimme in das Ohr des Grafen. Er schlug die vom beizenden Rauch wunden Augen auf und erkannte die riesige Gestalt Sloboda's. »Ja, sei verflucht,« wiederholte der Wende, »sei verflucht, bis Du in Dich gehst und Reue, qualvolle Reue jede Secunde Deines Lebens vergiftet! Sei verflucht, bis die Geister derer, die Du in Elend, Schande, Wahnsinn und Tod gejagt, vor Dir aufsteigen und durch gemeinsames Gebet die[376] zahllosen Verbrechen, die Du begangen hast, von Deinem Haupte nehmen.«

»Sei ewig verflucht!« hallte es tausendstimmig von dem tobenden Schwarm der Leibeigenen wieder, die mit Knütteln, Sensen und andern Werkzeugen im sausend niederprasselnden Feuerregen diesem entsetzlichen Auftritt beiwohnten und ihm zur wahrhaft höllischen Staffage dienten.

Da sank Magnus doch der Muth! Er fühlte schaudernd, wenigstens auf Minuten, daß ein Gottesgericht über ihn hereingebrochen sei, und wie ein Verbrecher, der es nicht wagt, den sündigen Blick zum reinen Himmel aufschlagen zu dürfen, winkte er mit der Hand und schlich, wie bei den Römern die besiegten Feinde durchs Joch, gebückten Hauptes durch die Schaar seiner Leibeigenen, die eine schmale Gasse öffneten und den Gerichteten unangetastet, nur Verwünschungen über ihn ausstoßend, in die freie Haide entließen. Erst einige hundert Schritt hinter dem zürnenden Volk traf er mit den Seinigen wieder zusammen, von denen es Keiner, Utta nicht ausgenommen, für rathsam erachtet hatte, in der drohendsten Gefahr dem allgemein Verhaßten beizustehen oder mit ihm zu unterliegen. In ihrer Mitte verschwand[377] der Geächtete im rollenden Dampf der Flammen. –

Johannes hatte seinen Zweck erreicht. Magnus war bestraft, vertrieben, die Burg seiner Väter sank in Staub und Asche, und Herta, sein geliebtes Kind, das Vermächtniß der unglücklichen Eugenie, war ihm wiedergegeben! – Es blieb jetzt nichts mehr zu thun übrig, als dem noch verderblicheren Umsichgreifen der Flammen zu steuern. Auf sein Geheiß war man schon beim Entzünden der Haide darauf bedacht gewesen. Bei weitem der größte Theil der Wenden hatte ringsum in ziemlicher Entfernung vom See an Stellen, wo die Waldung nicht durch Holzschläge oder unbebaute Stellen begrenzt war, Erdwälle aufwerfen und Bäume niederschlagen müssen, und so bedurfte es jetzt nur noch gehöriger Aufsicht, um die Flammen an weiterem Vordringen zu hindern. Eine Anzahl seiner eigenen Leute nebst einigen Wenden wurden überall hin vertheilt, so weit die Gluth sich erstreckte, die Übrigen nebst Sloboda und dem Maulwurffänger brachen nach der Waldblöße auf, wo sie die wendischen Frauen und Mädchen ihrer harrend wußten.

Zwei Stunden nach Mitternacht erreichten[378] sie die »Streu«, wie diese Blöße genannt wurde, schauerlich von den Flammen der Haide und der Gluth des in den Himmel hinaufwallenden Rauches erleuchtet. Wie Geister auf Grabmälern saßen die erschrockenen Wendinnen in weitem Kreise, bewacht von den Vertrauten des Räubers, die ebenfalls ihre Blicke in stillem Entsetzen auf den gräßlichen Brand hefteten, dessen breite Schwertlohen häufig aus der blutigen Woge, die über dem Saum der Bäume lag aufblitzten und dann eine furchtbare Helle weithin verbreiteten.

Hier sah Herta ihr geliebtes Haideröschen wieder und beide gleich Unglückliche sanken einander schluchzend in die Arme. Sie hatten keine Worte für ihr unendliches Weh, nur ihre Thränen, ihre Blicke, ihre Küsse und Händedrücke sprachen. –

Johannes gönnte den Ermatteten ein paar Ruhestunden. Erst gegen Morgen, nachdem ein die Erde weithin erschütternder Donner durch die Haide gerollt und eine breite Feuersäule zu unermeßlicher Höhe emporgestiegen war, Zeichen, welche den gänzlichen Einsturz des Schlosses Boberstein verkündigten, gab er Befehl zum Aufbruch.[379] Die Leiche des Grafen Erasmus fand ihre Grabstätte unter den glühenden Trümmern der zerstörten Burg und nie, auch nicht bei dem spätern Aufbaue, ward eine Spur von dem Verschütteten wieder gefunden. Grade die Schloßhalle mit den darunter befindlichen Gewölben war von den Flammen bis zur Unkenntlichkeit zerstört worden. –

Noch war es Nacht, als Sloboda von Johannes und dessen Tochter, von Clemens, Ehrhold, dem Maulwurffänger, Röschen und einigen andern Wenden begleitet, seinen Wohnort erreichte. Am Horizont rollten gleich einem blutigen See die Wogen der Flammen und erleuchteten viele Meilen weit die gleichförmigen Haidestrecken und die in denselben zerstreut liegenden Dörfer und Höfe. Durch Zufall betraten die vom Rachewerk Zurückkehrenden den stillen Ort auf der Stelle, wo das Gemeindehaus lag. Sloboda gedachte seines armen Sohnes und blickte auf die baufällige Hütte. Da sah er – und eisiges Frösteln durchrieselte seine Gebeine – in der fehlenden Fensterlücke das bleiche, immer lächelnde Antlitz Nathanaels mit den blödsinnig stieren Glasaugen! Der Wahnsinnige starrte[380] unverwandt in die fürchterliche Gluth und schien sich an dem Wogen und Wallen der Flammen, an dem Auflodern und Zusammenstürzen der unermeßlichen Rauchwolken ungemein zu ergetzen.

Sloboda blieb stehen und deutete auf das niedrige Fenster mit der stieren lächelnden Gesichtslarve.

»Das ist mein Sohn,« sagte er vor Schmerz und Schaudern bebend, indem er die Hand des Räubers faßte. »Auch die Seele dieses Armen liegt vor Gottes heiligem Throne und verklagt den Grafen!«

»Ha, ha, ha!« lachte Nathanael, der jetzt durch seines Vaters Stimme aus seinem Geistesschlummer erweckt, die Vorübergehenden gewahrte. »Ihr kommt wohl vom Leichenbegängniß? Das war ein prächtiger Fackelzug, wie ich ihn mein Lebtage nie gesehen habe! Jetzt sind die Todtengräber dabei. Seht nur, wie lustig sie das Grab über ihn thürmen!«

Und wieder preßte er das Gesicht fest in die Lücke und starrte lautlos in die dunkler werdende Lohe. –

Erschüttert zogen die Wenden vorüber. – – –

Die Schreckenskunde von diesem beispiellosen[381] Haidebrande, der erst nach vierzehn Tagen in sich selbst erlosch, und von dem Schicksale, welches dabei die Familie Boberstein betroffen hatte, verbreitete sich schnell in die Nähe und Ferne. Graf Magnus mit den Seinigen war entflohen. Er kehrte lange Zeit nicht zurück, da er einen neuen Angriff auf sein Leben fürchtete. Man wußte jedoch, daß er durch geschickte Spione die Stimmung der Wenden erforschen ließ und außerdem entschiedene Maßregeln zu Verwaltung seiner unverwüsteten Besitzungen getroffen hatte. Die ihm zugehenden Berichte lauteten besser, als er hoffen durfte. Die Wenden waren still und friedlich zu ihren täglichen Beschäftigungen zurückgekehrt, bis auf Wenige, die es für ihre Sicherheit nöthig erachteten, die Heimath gänzlich zu verlassen. Zu diesen gehörte Sloboda mit Clemens und Haideröschen. Sie verschwanden eines Tages, ohne daß Jemand mit Bestimmtheit sagen konnte, wohin sie sich gewendet hatten. Nur der blödsinnige Nathanael blieb zurück und sah vor wie nach durch die Fensterscheibe viele, viele Jahre lang, ohne Wunsch, ohne Hoffnung, ohne Gedanken! –

Mit diesen drei Wenden verscholl auch Herta.[382] Sie war mit ihrem Vater in die tiefste Haideeinsamkeit gezogen und später, als Johannes sein räuberisches Handwerk aufgab, gleich diesem dem Gedächtniß der Menschen entschwunden. Von Haideröschen wollte man wissen, daß sie unterwegs auf ihrer Flucht von einem Mädchen entbunden worden sei, das jedoch bald nach der Geburt gestorben sein sollte. Wie Alles, was nicht immer durch frische Farben neu belebt wild, vergaß das Volk in Kurzem die Ausgewanderten sammt ihrem Schicksale. Magnus kehrte inzwischen zurück, nachdem er sich im Auslande mit einer reichen Erbin verheirathet hatte, und lebte abwechselnd auf seinen Gütern und auf größeren Reisen. Dadurch kamen seine Vermögensumstände immer tiefer in Verfall, so daß er nur durch Aufnahme großer Kapitalien und durch Veräußerung einzelner Besitzungen standesmäßig leben konnte. Seine Gattin, mit der er in sehr unglücklicher Ehe lebte, gebar ihm drei Söhne, denen nach seinem Tode das, was von der großen Herrschaft Boberstein übrig geblieben war als Erbe zu gleichen Theilen zufiel. – –[383]

Hier endigten Sloboda und Heinrich ihre Mittheilungen an den Grafen Adrian. Dieser hatte anscheinend mit großer Aufmerksamkeit, aber nicht mit dem geringsten Zeichen von Ausregung den Erzählungen beider Männer zugehört. Jetzt stand er mit feinem Lächeln auf, dankte den Greisen für ihre Mühe und wünschte ihnen glückliche Reise.

Beide stutzten und maßen den ironisch- höflichen Grafen mit großen Blicken.

»In der That, meine Lieben, ich danke Ihnen recht sehr,« wiederholte Adrian. Sie haben sich angestrengt, um mir Aufschlüsse über meine Familie zu geben, wie ich dies von Fremden nicht erwarten durfte. »Leben Sie wohl!«

»Aber mein Herr Graf,« unterbrach ihn Sloboda, »Sie scheinen ganz zu vergessen, daß wir die Vergangenheit lebendig vor Ihnen werden ließen, um Sie zu überzeugen –«

»Wovon, mein guter Alter?«

»Von der Rechtmäßigkeit meiner Ansprüche auf den fünften Theil der ehemaligen Besitzungen des Grafen Magnus.«

»Sagten Sie nicht, daß Haideröschens Kind gestorben sei?«[384]

»Die Bäuerin, der es meine Tochter übergab, während ich nach Polen vorauseilte, behauptete es und ließ es, da Haideröschen in Folge der vielen Strapazen und heftigen Gemüthsaufregungen in eine schwere Krankheit verfallen war, in der Stille beerdigen.«

»Es sind also keine Erben da?«

»Doch, mein Herr Graf,« fiel der Maulwurffänger ein. »Ein Sohn Haideröschens lebt.«

»Ein Sohn von Clemens?«

»Von dem Gatten meiner Tochter,« sagte Sloboda.

»Lieber Alter,« versetzte Adrian, »dann gebe ich Euch den guten Rath, vererbt ihm das Besitzthum seiner leichtfertigen Mutter und gebt ihm meinetwegen noch das Stückchen Papier mit in den Kauf, mit dem ihr armen Schwachsinnigen so große Wunder bewirken zu können glaubt. Dieser alte Fetzen ist keinen Heller werth. Jeder Advocat wird Euch das sagen.«

»Sie scherzen, Herr Graf!«

»Ich scherze nie! Nochmals, glückliche Reise!«

»Graf Adrian,« nahm der Maulwurffänger abermals das Wort, »halten Sie unsere Erzählung für ein Mährchen?«[385]

»Bittet, daß ich dies thue,« erwiederte ernst und düster der Graf und sein Gesicht glich auffallend dem seines Vaters, »sonst dürftet Ihr entweder in die Irrenanstalt oder in das Zuchthaus wandern!«

»Herr Graf!« rief Heinrich und stützte sich trotzig auf seinen Stab.

»Es ist, wie ich sage,« fuhr Adrian fort. »Ihr seid Betrüger oder Verbrecher. Vor Beiden schützen mich die Gesetze des Staates. Aber ich will annehmen, daß Ihr mich mit lustigen Geschichten habt unterhalten wollen.«

»Bedenken Sie, was Sie thun!«

»Bedenket Ihr, was Ihr wagt!«

»Wir klagen, Herr Graf,« sagte Sloboda.

»Wie es Euch beliebt.«

»Wir ziehen die Schandthaten Ihrer Ahnherrn an's Licht,« drohte Heinrich.

»Dabei kann die Particulargeschichte nur gewinnen, wenn ich es nicht vorziehe, Euch zuvor als freche Betrüger einsperren zu lassen!«

»Dann zittern Sie vor den Geistern, die diesen Felsen umschweben!« rief der Maulwurffänger. »Zittern Sie, wenn ich sie anrufe und Todte erwecke, damit sie Zeugniß ablegen; zittern[386] Sie, rufe ich Ihnen zu, oder reichen Sie uns die Hand zum friedlichen Vergleiche!«

Adrian öffnete die Thür und rief einige Diener herbei.

»Begleitet diese Herren bis auf die Fähre,« befahl er trocken, »sorgt, daß sie unter Bedeckung durch den Wald gebracht werden und benachrichtigt mich davon, sobald es geschehen ist.«

Diese Befehle des reichen Mannes wurden pünktlich vollzogen. Die beiden Greise mußten mit stillem Ingrimme die Insel verlassen. Adrian aber setzte sich unmittelbar nach der Entfernung so unwillkommener Gäste hin und theilte das Vorgefallene seinen beiden Brüdern mit.

»Man muß sich vorsehen,« sagte er, als er die Briefe siegelte. »Leute, die solche Drohungen wagen, haben in der Regel heimliche Hinterhalte, die sie erst später benutzen. Schützen wir uns, ehe der Kampf beginnt.«


Ende des zweiten Theils.

Quelle:
Ernst Willkomm: Weisse Sclaven oder die Leiden des Volkes. Theile 1–5, Leipzig 1845, S. 346-387.
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