Zehnter Auftritt

[35] Ruthwen auf dem Felsenlager rechts vorn, Aubry zu seiner Linken.


AUBRY noch nicht sichtbar, spricht. Ist denn nirgends ein Ausweg zu finden? Er kommt von links. Ein freier Platz ist hier, aber nach welcher Seite wende ich mich nun?

Ruthwen macht eine Bewegung.


AUBRY. Still, dort regt sich etwas. Er tritt näher.

Die Musik endet.


RUTHWEN mit der Stimme eines tödlich Verwundeten. Wohl mir! Ich höre eines Menschen Stimme! Wer du auch sein magst –

AUBRY. Ha, ein Verwundeter liegt hier am Boden.

RUTHWEN. Wer du auch sein magst, habe Mitleid –

AUBRY. Welche Stimme? Er steht nun Ruthwen ganz nahe. Was seh' ich! Täuscht des Mondes matter Schimmer mein Auge nicht, so bist du Ruthwen!

RUTHWEN. Aubry, du bist's? Mein Engel sendet dich; ich ward hier von Räubern überfallen.

AUBRY. Gott! Teurer Freund, was kann ich für dich thun? Ist deine Wunde tödlich? Ist dir zu helfen?

RUTHWEN der mit Aubrys Hilfe sich ein wenig erhoben hat. Nein, menschliche Hilfe kommt zu spät – und doch – Aubry – wenn ich je dein Freund war – leiste mir einen wichtigen Dienst.

AUBRY. O rede, was kann ich für dich thun? Du warst einst der Retter meines Lebens, o daß ich dir vergelten, daß ich mein Leben für das deine opfern könnte.[35]

RUTHWEN. Nein, für mein Leben ist nichts mehr zu thun, aber – Aubry – ich bitte dich –

AUBRY. Zögere nicht, es auszusprechen! Was ist's? Soll ich deinen Tod rächen? Hast du jene Räuber erkannt?

RUTHWEN. Nein, das ist es nicht, was ich von dir begehre! Schmerzhaft zusammenzuckend und niedersinkend. O!

AUBRY. So rede denn, was ist's! Was kann ich für dich thun? Welch seltsame Unruhe in deinem ganzen Wesen – lebt irgend jemand, um den du besorgt bist? Drückt irgend eine schwere Schuld dein Gewissen? – Rede, was ist's?

RUTHWEN erhebt sich ein wenig. Nichts von allem – ich bitte dich nur – Aubry – leite mich hinauf auf jene Felsen Er zeigt nach dem Steinlager über der Höhle. und lege mein Gesicht so – daß die Strahlen des Mondes – mir in die Augen dringen.

AUBRY. Seltsam – und was soll? Von einem Gedanken erfaßt. Ha, welche Ahnung! Man sagt, daß jene fürchterlichen Geschöpfe –

RUTHWEN. Still! Vollziehe meine Bitte!

AUBRY. So wär es wahr, was man in London mir gesagt? Entsetzlicher! Du wärst ein V –

RUTHWEN rafft sich gewaltsam halb in die Höhe. Halt ein, Unglückseliger, vollende nicht! In jener Stunde, da ich dein Leben rettete, gelobtest du, für mich zu thun, was ich von dir verlangte. Wohl, so erfülle jetzt, um was ich dich bat, und schwöre mir zuvor, alles, was du von mir weißt, oder noch erfahren, oder auch nur ahnen magst, zu verschweigen.

Aubry zögert.


RUTHWEN. Nur vierundzwanzig Stunden!

AUBRY. Ruthwen!

RUTHWEN heftig. Schwöre! Schwöre bei allem, was dir heilig ist, bei deiner Seele Seligkeit!

AUBRY. Du warst der Retter meines Lebens – wohlan, ich schwöre! Er erhebt die Hand zum Schwur.

RUTHWEN. Und verflucht seist du in den Abrund der Hölle, alle Strafe des Meineids laste zehnfach auf deiner Seele, wenn du den Schwur brichst! verflucht seist du, und wer dir angehört! verflucht sei, was du liebst, und was dich liebt! Schwöre mir!

AUBRY wie oben. Ich schwöre! Durchschauert. Entsetzlich!

[36] Nr. 5. Melodram. Begleitendes Musikstück.


RUTHWEN. Ah! – So – nun will ich ruhig mein Schicksal erwarten. – Leite mich hinauf. Er erhebt sich mühsam unter Aubrys Beihilfe.

Der von links hereinfallende Mondschein wird heller.

Aubry leitet Ruthwen langsam, indem er die linke Hand auf seinen Nacken legt, über den Aufgang links zu dem Steinlager über der Höhle, ist ihm beim Niederlegen auf die Maschine behilflich, und zwar so, daß von links her die Strahlen des Mondes auf Ruthwens Gesicht fallen; dann entflieht er entsetzt nach links.

Grellheller Mondschein, großer und voller Beleuchtungseffekt.

Der Vordergrund bleibt dunkel.


RUTHWENS züge beginnen sich zu regen, er richtet sich durch die Maschine neubelebt unter dem Einfluß der Mondstrahlen auf, erhebt malerisch den Mantel gegen den Mond, so daß die Maschine ungesehen sich wieder senkt und atmet tief auf. Ah!

Quelle:
Heinrich Marschner: Der Vampyr. Dichtung von Wilhelm August Wohlbrück, Leipzig [o. J.], S. 35-37.
Lizenz:
Kategorien: