Erster Auftritt

[37] Malwina allein.

Malwina kommt frohbewegt von rechts, geht an das Fenster links und öffnet es.

Es zeigt sich die Berglandschaft in Morgenröte, die bald in hellen Tag übergeht.

Recitativ.


MALWINA.

Heiter lacht die goldne Frühlingssonne

Auf die buntgeschmückte neubelebte Flur.[37]

Ach, alles, was ich sehe, ist der Abglanz nur

Von meines Herzens nie geahnter Wonne!


Voll freudigen Gefühls, aber ohne Leidenschaft.


Die Flur im bunten Festgeschmeide,

Der Baum im duft'gen Blütenkleide,

Der Vögel Chor, der mich umklingt

Und jubelnd auf zum Himmel dringt,

Ach, alles jauchzt und teilt mein Glück!

Heute wogt es in mir auf und nieder,

Ja, »heute« schallt's von außen wieder!

Ja, heut'! heut'! heut'! ja, heut'! ja, heut'!

Ja, heut' kehrt der Teure dir zurück! –


Hochbeglückt kniet sie nieder und betet mit gefalteten Händen.


O schwing' auch du, mein liebend Herz,

Dich dankerglühend himmelwärts

Und in dem Lust- und Freudendrang

Lall' deines Schöpfers Lobgesang.

Vater, du im Himmel droben,

Du, den alle Welten loben,

Vater, du im Himmel droben,

Hör' auch deines Kindes Stimme! –


Sie steht auf und horcht.


Still! wer naht sich dort der Pforte?


Sie tritt aus Fenster links.


Er sieht herauf, es ist sein Blick!


Sie zieht ein Tuch hervor und winkt.


Er ist's, er ist es! Edgar! Edgar! Er ist's! –

Ach, verzeihe mir die Sünde,

Wenn aus freudetrunkner Brust

Ich zum Dank nicht Worte sinde

In dem Übermaß der Lust.

Nichts kann ich fühlen als dies Glück,

Es kehrt der Teure mir zurück! –


Sie wendet sich mit nach oben gerichteten Blicken nach der Mitte.


O Gott, verzeihe mir die Sünde,

Wenn aus freudetrunkner Brust[38]

Ich zum Dank nicht Worte finde

In dem Übermaß der Lust.


Sie eilt ab durch die Mitte, Aubry entgegen.


Edgar Aubry und Malwina kommen zwei Takte vor dem Einsatz in freudiger Hast durch die Mitte.


Quelle:
Heinrich Marschner: Der Vampyr. Dichtung von Wilhelm August Wohlbrück, Leipzig [o. J.], S. 37-39.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Musset, Alfred de

Gamiani oder zwei tolle Nächte / Rolla

Gamiani oder zwei tolle Nächte / Rolla

»Fanni war noch jung und unschuldigen Herzens. Ich glaubte daher, sie würde an Gamiani nur mit Entsetzen und Abscheu zurückdenken. Ich überhäufte sie mit Liebe und Zärtlichkeit und erwies ihr verschwenderisch die süßesten und berauschendsten Liebkosungen. Zuweilen tötete ich sie fast in wollüstigen Entzückungen, in der Hoffnung, sie würde fortan von keiner anderen Leidenschaft mehr wissen wollen, als von jener natürlichen, die die beiden Geschlechter in den Wonnen der Sinne und der Seele vereint. Aber ach! ich täuschte mich. Fannis Phantasie war geweckt worden – und zur Höhe dieser Phantasie vermochten alle unsere Liebesfreuden sich nicht zu erheben. Nichts kam in Fannis Augen den Verzückungen ihrer Freundin gleich. Unsere glorreichsten Liebestaten schienen ihr kalte Liebkosungen im Vergleich mit den wilden Rasereien, die sie in jener verhängnisvollen Nacht kennen gelernt hatte.«

72 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon