Sechster Auftritt

[72] George, Emmy zu seiner Linken.


GEORGE für sich. Er geht! Nun ist mir wieder wohl!

EMMY verlegen, das Gespräch zu eröffnen. Weißt du wohl, George, daß es gar nicht schön von dir ist, daß du heute so spät kommst.

GEORGE. So ist's recht, mach' du mir noch Vorwürfe! Aber das ist schön, daß du hier im Mondenschein mit fremden jungen gnäd'gen Herrn scharmierst, dir die Hand drücken, dich um den Leib fassen und am Ende gar küssen läßt? Nicht wahr, das ist schön?

EMMY. Ach, das war ja unser neuer gnäd'ger Herr! Und er will uns versorgen! Sie zeigt den Ring an ihrem Finger. Sieh nur den kostbaren Ring, den er mir schenkte. Er ist so gut, so liebreich, so herablassend, so –[72]

GEORGE. Nun? Nur heraus damit: so schön, so liebenswürdig, daß ich nur ein Klotz gegen ihn bin.

EMMY. Wie du nun wieder bist. Ich bin ja bloß deinetwegen freundlich gegen ihn, damit er dich recht vorteilhaft anstellt.

GEORGE ironisch. So? Abweisend. Meinetwegen! Glaubst du, ich habe nicht bemerkt, wie du ihn immer angesehen hast? So freundlich, so zärtlich, so wie du niemand ansehen solltest als mich. Selbst wie ich vortrat, konntest du keinen Blick von ihm verwenden. Er zeigt auf seine Pistolen. Siehst du die Pistolen hier? Ich habe sie mitgenommen, weil man mir sagte, der Weg sei nicht sicher. Mit denen schieß ich mich tot, wenn du ihn noch einmal so ansiehst.

EMMY. Sei doch nicht so wild, lieber George, er geht ja noch heute wieder fort – Mit einem unwillkürlichen Seufzer. und wer weiß, ob ich ihn jemals wiedersehe. Sie geht an ihm vorüber nach rechts.

GEORGE. Ja, er muß noch heute zurück nach Davenaut, er soll unser Fräulein heiraten. Aber die ist nicht so wie du. Sie liebt den jungen Herrn Aubry und war nicht so freundlich gegen den Grafen. Mit Thränen hat sie ihren Vater gebeten, den gnäd'gen Herrn wieder wegreisen zu lassen.

EMMY. Also dein Fräulein wird er heiraten?

GEORGE. Ja. Dir ist's wohl nicht recht? Du könntest vielleicht selber noch eine gnäd'ge Frau werden, nicht wahr? Das ist doch dein höchster Wunsch! O ich Dummkopf! Um dir eine Freude zu machen, weil ich wußte, daß du es gern hast, wenn es recht vornehm bei unsrer Hochzeit hergeht, bitte ich den gnäd'gen Herrn, hierher zu kommen. Deine Freundlichkeit gegen ihn muß er aber schon geahnt haben; kaum sage ich ihm, daß es hier eine Hochzeit giebt, so springt er auf, läßt ein Pferd satteln, nimmt kaum Abschied von unserm alten Herrn und sprengt im Galopp hierher. Ich Esel keuche hinterdrein, um die Freude zu haben, zuzusehen, wie er meine Braut küßt.

Edgar Aubry kommt von links hinten vor der Terrasse.
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Quelle:
Heinrich Marschner: Der Vampyr. Dichtung von Wilhelm August Wohlbrück, Leipzig [o. J.], S. 72-74.
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