Inhalt.

[301] Mit schnellem, ziellosem Ritt gelangt Parzival Abends an einen See, wo er Fischer nach Herberge fragt. Der Eine, reichgekleidet, doch traurig, bescheidet ihn zu einer nahen Burg, wo er selber Wirth sein werde. Er reitet dahin. Ein Knappe läßt, als er hört, daß ihn der Fischer gesandt habe, die Zugbrücke nieder. Im Burghofe wächst Gras, ein Zeichen, daß hier fröhliche Ritterspiele selten begangen werden. Er wird gut empfangen und mit dem Mantel der Königin, Repanse de Schoie, bekleidet. Ein Mann ruft ihn gebieterisch zum Könige: ergrimmt ballt Parzival die Faust, wird aber beruhigt, weil es dieses Mannes Amt sei, ihre Traurigkeit durch Scherze zu erheitern. Im Saale findet er hundert Kronleuchter und eben so viel Ruhebetten, auf jedem vier Ritter. Auf drei marmornen Feuerheerden brennt Aloeholz. Der Wirth, der in Pelzwerk gehüllt bei der mittlern Feuerstatt auf einem Spannbette (Feldbette) ruht, läßt Parzival neben sich Platz nehmen. Ein Knappe trägt eine bluttriefende Lanze durch den Saal, bei deren Anblick Alles in Jammer ausbricht. Nun beginnt der Dienst, d.i. die Bewirthung. Durch eine Stahlthüre treten zwei Jungfrauen ein, auf goldnen Leuchtern brennende Kerzen tragend; die eine ist Klarischanze, Gräfin von Tenabrock, die andere Garschiloie von Grünland. Ihnen folgen zwei Herzoginnen, jedwede setzt einen Helfenbeinstollen vor den König hin. Diese vier tragen braunen Scharlach, die folgenden acht sind in grünen Sammt von Aßagog[301] gekleidet. Viere davon tragen Lichter voraus, die vier andern ein Tischblatt aus durchsichtigem Granatjachant, das sie auf die Tafel legen. Zwei Gräfinnen, Florie von Nonel und Anflise von Reil, bringen scharfe silberne Meßer; bei ihnen vier Jungfrauen mit Lichtern. Sechs andere wie die vorigen in getheilten Röcken, halb Plialt, halb Seide von Ninive, begleiten, in Gläsern brennenden Balsam tragend, die in arabischen Pfellel gekleidete jungfräuliche Königin, Repanse de Schoie, von welcher der Gral, ihrer Reinheit willen, sich tragen zu laßen würdigte. Diesen setzt sie auf einem grünen Achmardizeuge vor den König, tritt dann zurück und steht mit der Krone in der Mitte der vier und zwanzig Jungfrauen. Darauf werden hundert Tische, je Einer für vier Ritter, hereingetragen und gedeckt; an jedem reicht ein Kämmerer in goldenem Becken das Handwaßer, und ein Junker eine weiße Zwickel zum Abtrocknen; dem Wirth und Parzival bietet sie ein Grafensohn knieend. Bei jeder Tafel schneiden zwei Knappen knieend vor, zwei andere tragen Trank und Speise zu. Vier Wagen mit goldenen Trinkgeschirren fahren im Saale umher, vier Ritter setzen sie auf die Tische, ein Schaffner hebt sie hernach wieder ab. Hundert Knappen nehmen vor dem Gral Brot in weiße Tücher und vertheilen es auf die Tische. Von dem Gral kommt auch sonst Trank und Speise, was und so viel nur ein Jeder zu eßen und zu trinken begehrt. Wohl bemerkt Parzival dieß Wunder, des Königs Schmerz und die allgemeine Trauer bei solchem Reichthum, aber der Lehre Gurnemans eingedenk fragt er nicht, auch dann nicht, als ihm der König ein kostbares Schwert schenkt und dabei seiner schweren Verwundung erwähnt. Als das Mal zu Ende geht, wird das Geräth wieder in gleicher Ordnung hinausgeschafft, und die Königin und ihre Jungfrauen entfernen sich, wie sie gekommen waren. Parzival blickt ihnen nach und sieht durch die offene Thüre einen schönen schneeweißen Greis (Titurel) auf einem Spannbette ruhen. Vom[302] Wirth entlaßen, bringen ihn Ritter in ein kerzenhelles Schlafgemach mit prächtigem Bette, wo er von Edelknaben entkleidet und noch im Bette von Jungfrauen mit Obst und Getränke gelabt wird. In der Nacht quälen ihn ängstliche Träume, am Morgen erwacht er, vermisst die Dienerschaft und entschläft wieder. Spät erwacht, sieht er seine Rüstung und zwei Schwerter vor dem Bette liegen. Er wappnet sich und geht hinaus; sein Ross ist vor der Stiege angebunden, Schwert und Schild lehnt dabei. Vergebens ruft er und sucht nach den Leuten: Niemand zeigt sich: nur Spuren in Gras und Thau. Er reitet hinaus: gleich zieht ein Knappe die Brücke auf, schilt ihn eine Gans, daß er den Wirth nicht gefragt habe und schlägt das Thor vor ihm zu. Einer klagenden Frauenstimme folgend, findet er Sigune auf einer Linde den gebalsamten Leichnam des Geliebten in den Armen haltend. Von Ihr erfährt er, daß er zu Monsalväsche gewesen ist, wohin man nur unfreiwillig gelangen kann, und welche Bewandtniss es mit dem geschenkten Schwerte hat. Sie preist ihn über Alles glücklich, wenn er gefragt habe; als sie aber hört, daß die Frage unterblieben ist, schilt sie ihn aufs Heftigste und will nichts mehr von ihm hören. Traurig reitet Parzival weiter und begegnet Jeschuten, welcher er die seinethalb eingebüßte Huld des Gemahls wieder erwirbt, indem er ihn besiegt und zu Kunnewaren schickt, darnach aber ihre Unschuld freiwillig beschwört. Orilus findet Artus am Plimizöl.

Quelle:
Wolfram von Eschenbach: Parzival und Titurel. 2 Bände, Stuttgart 1862, Band 1, S. 301-303.
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