Erster Abschnitt:

Natur.

Motto. In der Mitte zwischen der Gottheit und der Menschheit ist das Dämonische als die Ergänzung, damit das Ganze in sich selbst verbunden sei. Und dieses Dämonische ist der Kern aller Weissagung und Offenbarung und jeglichen Zaubers.

– Platon »im Gastmahl.«
[1]


Sommernacht. Ein Kirchhof.


FAUST allein.

Hier unter diesen Gräbern will ich wandeln,

Hier, wo Natur in ihres Daseins Tiefen,

In ihres Wesens Urgrund ganz versunken,

Aus Erdennacht, aus Fäulniß und Verwesung

Im Mondscheinzauber heimlichststiller Zeugung

Heraufschickt mondscheinhafte Zauberblumen

Und Gräser, die der Nachtluft leiser Seufzer

Mit Klag'ruf wie ein irrer Geist durchwandelt –

Hier, wo jahrhundertalte Leichensteine,

Verwittert, halb zernagt von Winterstürmen,

Die Häupter schütteln und in Heimchenlauten,

In bängstem Flüstern Todesworte tauschen –

Hier unter diesen nächt'gen Riesenschatten,

Die durch der Mitternacht Verwandlungswunder

Zu Geistern werden frühentschlaf'ner Menschen –

Hier, wo Gedanken selbst Gespenster werden,

Trübsinn'ger Fauste, sollst Du sinnend schweifen. –

Ein Kirchhof ist die Welt. Des Himmels Bäuel,

Sie selbst, die selig leuchtende und lichte,[3]

O Menschlein, ist der Deckel nur des Sarges,

Des ungeheuren Riesensarges: Erde.

Ist aber nun die weite Welt ein Kirchhof,

So ist die Stätte, die wir »Kirchhof« nennen,

Die wir ausdrücklich fälschlich so benamsen,

Der Schlüssel wohl zum großen Weltenkirchhof,

Das Allerheiligste des Weltenrätsels,

Das non plus ultra dieses nächt'gen Daseins;

Und wie aus Nächten Alles doch emporsteigt

Und Nacht zum Licht, Licht wiederum zu Nacht wird;

So ist der Kirchhof alles Daseins Meergrund,

Ein stets versunk'nes Reich des tiefsten Dunkels,

Worüber wir in ungemess'nen Weiten

Des Lebens Wogen sehen zieh'n und rauschen.

Wer, Menschlein, gründet dieses Meerstroms Tiefe?

Wer steigt hinab in diesen Schlund des Nachtgrauns?

Wer theilt, in's ungeheure Wogenchaos,

In's himmeltiefe kühn hinab sich stürzend,

Den Ocean, der Grab und Wiege scheidet?

Wer landet endlich, landet tief dort unten,

Und findet den Karfunkel und die Muschel

Und den Korallenbaum des ew'gen Lebens?

Wer? frag' ich. Keiner. 'S ist ein Traum das Dasein.

Mehr noch: das Werden selber ist ein Träumen,

Und suchst im Sterben Du des Daseins Wahrheit,

Wer bürgt Dir, daß das Sterben selbst nicht Traum sei?[4]

So ist, was war, was ist, und was noch sein wird

(Und dieser Zeitmomente Einheit selber)

Nichts weiter als das Sein von einem Traume,

Der wieder nichts ist als vom Sein das Nichtsein.

So ist's, nicht anders; hiermit ruht mein Zweifel.

Und dennoch, dennoch, rasender Gedanke

Des Menschengeistes, stehst in Mitternächten

Du auf des Lebens grauser Schädelstätte,

Und klopfest an die grauen Leichensteine,

Und träumst, Du hörst den Unkruf der Medusen,

Die Glockentöne aus des Wassers Grunde,

Das leise Flüstern der Korallenblätter,

Das sich zur Weissagung will offenbaren;

Und wie des Mondes Kahn, im Silberglanze

Rudernd in unerreichbar ferner Höhe,

Leuchtende Fäden über Gräber spinnend,

Die nächt'gen scheint mit Silberpfeil zu spalten,

So greifst Du, wahnvoll trotziger Gedanke,

Hinaufwärts, wo die Sonnenbälle lodern.

Und rufst: »Ich bin's, der Menschengottgedanke

Ich bin der Taucher, der den Meergrund findet;

Ich bin es selbst, der niederstürzt und auffährt.« –

Da aber zittern leis' die bleichen Gräser,

Und Mondesbild birgt sich in tiefes Dunkel,

Und höhnisch kichern nachtumhüllte Blätter,

Und unter'm Hügel scheint Gebein zu grollen,

Und jüngst Entschlaf'ne hörst Du bang sich regen. –


[5] Er setzt sich auf einen Leichenstein. Der Mond verbirgt sich.


Nacht überall! O grauses Loos des Menschseins!

Wär' nicht der Windzug, der auf Gräbern schleichet

Gleich einer lebensmüden Menschenseele,

So säh'st Du stolzer Denker hier ein Schauspiel

Des Nichtseins, wie kein Griffel je es formte.

Schlaf, Schlummer, nichts ist Alles; selbst Dein Denken,

Hinstarrend über diese Leichenmäler,

Erstarrt, zerstiebt, zerfließt in öden Nebel.

Hier, Fauste, schüttelt dich der Zweifel letzter,

Und trifft Dich mit dem letzten Schlag aufs Herze;

Eis wird Dein Blut, im Haupte wird es dunkel,

Es wird Dir wie den Weibern, die geboren,

Die mit Gewalt der Arzt am Schlummer hindert,

Die aber doch der tückisch lau'rnde Erdgeist

(Des blöden Arztes Blick mit Trug verdunkelnd)

Hinrafft in eines Augenblickes Hälfte,

Im Zehntheil einer ärmlichen Secunde –

Jetztwach noch, nun entschlummernd, nun entschlafen!


Er springt auf.


Unseliger, wer raunte Dir dies Gleichniß?

Was für ein plötzliches Erinn'rungswehe

Wühlt jetzt wie Schwerter mir im Eingeweide?

Ich kannt' ein Weib in Lebensmaienblüthe,

Ich liebt' ein Weib, und dieses Weib ward Mutter,[6]

Und diese jungfräulichste, reinste Mutter,

Beschlich des müden Traums gefährlich Wunder;

In namenloser Muttererstlingsfreude

Befiel ihr müdes Augenlied der Schlummer,

Und ward zum Schlaf und ward zum grimmen Tode,

Im Zehntheil einer dürftigen Minute.

O Lieblichste, so wardst Du mir erschlagen! –


Der Mond tritt aus dem Gewölk.


Holdselig tröstend Licht, da steh'st Du wieder.

Geuß in mein Herz hinab den kühlen Schein,

Und lind're so den Brand der ew'gen Wunde!

Steck' Deine Fackel doppelt leuchtend auf,

Daß ich der Liebsten kleinen Hügel finde,

Der dort versteckt im Lilienblumenwalde!

Lilien und Rosen! Und so war Dein Leben:

Verwebt mit Grabeshauch die Jugendblüthe;

Aufblitz der Lust, vom Todesernst durchgeistet;

Ein Blüthendasein, das in nächt'ger Schwüle

Der Genius der Schwindsucht krank geküßt;

Ein süßer Leib, vor Lebenswonne schaudernd,

Und tief hinab in's glüh'nde Herz erkältet

Vom Fieberpuls des Todes – – – –


Es zeigt sich ein Grab.


Hier ist der Ort, hier liegst Du, Reiz des Lebens,

Reiz meines armen Lebens! Süßes Mädchen,

Vermodert nun, schickst Du so süße Blumen,

So süßer Blumen Düfte mir empor,[7]

Gleich Liebesgrüßen aus des Grabes Enge,

Und bist doch Staub, bist Moder und Verwesung!

Unsagbar Wunder, wer erklärt mir das?

Hier Blüthenglanz und drunten ekle Fäulniß. –

Ist das der Zeugung Ewigkeit und Weisheit?

Oder ist's Gaukelspiel und Blendwerk nur

Der unvernünft'gen erdigen Atome?

Ein thierischer Proceß nur der Begattung

Von Todtem und Lebend'gem? Was ist Leben,

Wenn mit dem Tod es muß die Hochzeit feiern?

Hier lauscht mein Denken, lauscht und horcht hinab –

O süße Todte, gib ein Zeichen mir,

Ob jetzt auf rechtem Weg mein Denken schleicht:

So faßt ich dich mit tausend Liebesarmen,

So ranktest Du um mich Dein reiches Leben,

Ein Augenblick verwandelt Dich in Moder,

Und in der Lilien Kelch auf Deinem Grabe

Erkenn' ich die Atome Deines Wesens.

O grausamgütiges Naturgeheimniß! – –

Wie stark die Blumen duften! – Liliengeister –

So sagen schon die alten Kindermuhmen –

Das sind die neckischsten von allen. Um Johannis

Ist unter Blumen stets der Teufel los. –

Und diese weißen Glocken sind die schlimmsten.

Es steht in einem alten Buch verzeichnet

(Von Campanella oder Paracelsus):

»Wenn sich das Lilienweiß mit Mondschein gattet,[8]

Und dieser mondscheinhaften Blumenehe

Ein Tröpfchen Lindenthau sich beigesellt,

So wird alsbald« – – – Doch still! im Beinhaus regt sich's!

Die alte rost'ge Thür' scheint sich zu dreh'n;

Graumännchen weben hinter schwarzen Luken. –

Sieh' dort den Schatten! Wie ein Pfeil vom Bogen

Schnellt er sich aus der schwarzen Fensterhöhle

Mit Sprüngen und Courbetten wie ein Gaukler!

Er huscht hieher! Nun ruf' ich: »Halt, Gespenst!

Gib die Parol', Homunkelchen! Sprich, Pumphut,

Hat Anaximenes aus Aether Dich,

Hat aus dem Wasser Thales Dich gezeugt?

Bist Stickstoff? Sauer-, Wasser-, Kohlenstoff?

Gehörst vielleicht Du zu den trüben Mitteln

In unsers Vaters Goethe Farbenlehre?

So rede, Kerl! Zeig' die Hanswurstnatur!

Ich fürcht' nicht solches Geisterlumpenpack,

Mühsam zum Lebensschein heraufgestoppelt –

Erkenne mich! Mein Nam' ist Faust, der Zweifler!

DAS GESPENST.

Fauste, Du lügst! Dein Wesen ist nicht Zweifeln.

Glaub' ist dein Wesen. Fürchte nicht den Zweifel

Den Glauben fürchte. Glaubensstarker Faust,

Den Glauben wurzle ganz aus Deiner Seele!

Du wirst's nicht können, stolzer Erdenwurm![9]

Bleichsüchtig seit Ihr Alle durch den Glauben

Und an des Glaubens Schwindsucht müßt Ihr sterben.

Das heißt: Weil Ihr's nicht lassen könnt zu glauben,

So holt im vollen Glauben Euch der Teufel.


Gespenst verschwindet.


FAUST.

Verfluchter Geist! Das war ein rechter Bube!

Der Vagabund kennt meine schwächste Seite

Und hänselt mich dabei. Ich glaubensstark?

O Hohn der Hölle! Ich, dem Glaube stets

Nichts war als eine Bonzenhieroglyphe,

Ich, dieser glaubensöde Jammerkerl,

Ich soll am allzuvielen Glauben sterben?

Mich soll der Teufel, weil ich glaube, holen?

Ich, den Erinn'rung so unselig macht,

Erinnerung an frühe Kinderzeiten,

An's ferne Paradies verlor'ner Unschuld,

Wo kleine Knäblein in den ersten Höschen

Nicht ahnen, daß auf blumenheller Wiese

Mit ihnen Elfen spielen – ich, der Aermste,

Der tausendfache Tantalus, den, ewig lechzend,

Stets fliehen die Erinn'rungsliebeswogen,

Ich sollte glauben? ... Glauben? halt, halt! ruft's.

Mich überschleicht ein gräßlicher Gedanke,[10]

Und überzieht, als wie ein Meerpolyp,

Mit hundert Armen gleich mein ganzes Denken:

Ist denn Erinnerung nicht Eins mit Glauben?

Ist nicht das Denken selber und das Dichten

Nichts Andres als ein innerstes Erinnern?

Und somit Glauben? ... Faust, unsel'ger Mann,

Dich schlug ein Popanz. Glaub' ist all' Dein Thun,

Und durch den Glauben wird der Fall Dir kommen.

Ha, schändlich Irren!


Ein andrer Schatten kommt.


ZWEITER SCHATTEN.

Faust, was sinnst Du hier?

Hier ist der Ort nicht, um zu meditiren;

Hier kann man höchstens sich den Schnupfen holen,

Wer hektisch ist und Morgens seinen Speichel

In Form von roll'nden Kugeln von sich gibt,

Dem ist der Nachtthau gift'ger als Arsenik.

Faust, weist Du was: Schenk' Deinen Mantel mir!

Die Knochenhosen sind so kalt und knapp.

Ich möcht' mir gern die Waden conserviren.

FAUST.

O Lump Du über alle Geisterlumpe!

Warst wohl ein Kleiderkünstler, da du lebtest,

Und um den spindeldürren Schneiderleib

(Zum Ueberfluß mit Colomel gemästet

Im Hospital zu den barmherz'gen Schwestern)[11]

Stritt sich im Tod die heilige Dreieinheit

Von Rückendarre, Krätze und Franzosen?

Ein solcher Lump bist wahrlich Du gewesen,

Weil Dir im Jenseits noch die Knochen frieren.

DER SCHATTEN.

Mein grober Herr, Ihr irrt Euch stark in mir:

Ich war kein Schneider, sondern war ein Dichter,

An Geist begabt, im Versbau grimmig mächtig,

Von Minckwitz und von Platen-Hallermünde

Die schön vermittelte gediegne Einheit.

So war ich, und ein solcher schritt ich hin

Ein leuchtend Meteor durch meine Zeiten;

Mein Bogen klang wie jenes grausen Gottes,

Der in der Ilias die Rinder hinwürgt,

Ein Ajax war ich, war ein Marquis Posa

An Freisinn, Weltdurchdrungenheit und Pathos,

Und doch bei Frauen zart und wohlgelitten,

Ein O' Connell der Damen, nur galanter.

Man nannte mich den »bleichen Reformator,«

Das gute Herz der jetz'gen Deutschheit.« Rasend

Verliebt war ich, doch wußt ich mich zu bänd'gen.

So ward ich Sieger stets durch höchste Zahmheit.

Und als ich starb, da weinten ungeboren

Die Mägdlein in der holden Mütter Schooße,

Und meine Hülle ward zu Grab getragen

Von zwölf der schönsten dicksten Kaufmannsfrauen.

Auf meinem Grabstein brennt...[12]

FAUST.

Hol' Dich der Teufel

Verwünschtes Mondkalb! Soll ein Zwitter mich,

Ein Stichelheros von Poetenjungen,

Ein Fatznarr zwischen Gänsekiel und Scheere,

Ein Synagogenauswürfling von gestern,

Den Cerberus in seinen Rachen nahm

Und wieder ausspie auf die Oberwelt,

Weil drunten er die Teufel ennuyirte –

Soll der mich hänseln, wenn in Todesangst

Mein Geist hier zwischen Glaub' und Zweifel schwanket?

Fort, Hundsfott! Sonst nehm' ich den Höllenzwang

Und prügle Deine mürbe Schattenseele,

Bis ganz und gar sie nichts wird....


Schatten verschwindet.


Wer kommt hier?

Ein andrer Geist von finster stolzem Anseh'n.

Wer bist Du, Geist?

DRITTER SCHATTEN.

Hamlet bin ich, der Däne.

FAUST.

Hamlet, Dich sucht' ich, und Dich liebt' ich längst.

Verwandt ist mir Dein Wesen, Dir das meine;

Du sollst mir deuten, was am Jenseits ist,[13]

Wie Sein und Nichts und Werden Du gefunden

Auf Deiner großen unterird'schen Reise.

Einst spieltest Du auf jenem öden Kirchhof

Von Helsingör im Scherz mit Yorick's Schädel:

So laß mich nun im Scherzen bloß und Spielen

Ein wenig hinter jenen Vorhang schauen,

Den keiner hebt, in dem noch Herzblut rinnt.

Hamlet, Du sprachst einst sehr verblümte Worte

Von Sein und Nichtsein, und ob's besser sei,

Des Lebens Siechthum dulden, oder rüstig

Durch Widerstand des Lebens Qualen enden.

Nunmehr, mein Dänenprinz, ward Dir Gewißheit;

Du schmecktest nun das Jenseits, weißt, ob etwas

Es ist, ob nichts. So sprich zu mir ein Wort

Der Offenbarung: denn mein trüber Geist

Irrt unter diesen Moderhügeln hin,

Kaum wissend, ob nicht selbst er schon verwese.

HAMLET setzt sich auf einen Leichenstein. »Da ich ein Kind war, redete ich wie ein Kind und war klug wie ein Kind; da ich aber ein Mann war, thät ich ab, was kindisch war.«

FAUST. So schiltst Du meine Fragen kindisch, Hamlet.

HAMLET. Nichts Unwürdigeres kenn' ich, und was mehr[14] von höchster Schwäche des Geistes zeugte, als jene altweiberhafte Neugier, welche eben nichts ist als ganz und gar Neugier vom Wirbel bis zur Zehe, welche alles tiefen Grundes und Forscherdranges entbehrt und nur einen schalen flauen Blick thun möchte hinter den großen Vorhang. Pfui über solche Schande, über dies Verläugnen edler Menschennatur! Bist Du Faust, der so fragt, wie man die Narren ausfragt? Bist Du der berühmte Zweifler, von dessen wüstem Treiben und wirren Denken hin und wieder ein Gränchen Kunde in meine Gruft gedrungen um die Hahnrufzeit, wenn ich mich im Schlafe von der Rechten zur Linken drehe? Bist Du das? Nein, ein kleiner barfüßiger Bube bist Du, der heulend vor der Thierbude steht, durch die Klinse guckt und sein eigen Lichtfabricat verschluckt, weil ihm der Groschen fehlt, die Entrée zu erlegen. Nun, Du armer Betteljunge, so steh' Du geduldig bis zum jüngsten Tag! Wenn das ganze Menschengesindel sein Benefiz erhält, wird man ja auch Dein Freibillet nicht vergessen.

FAUST.

Das also Deine ganze Auskunft, Hamlet?

Doch fühl' ich innerst, daß Du Wahrheit redest.

HAMLET. Merkst Du davon etwas? Nun, so bessere Dich so fort; vielleicht schenkt Dir dann der große himmlische Theaterdirector eine Einlaßkarte in die Generalprobe.[15]

FAUST.

Hamlet, da Du im Fleisch noch wandeltest,

Stand Dir das Witzeln und das Sticheln gut;

Da Du, ein unmuthvoller Königssohn,

Die Schranzen und die Gecken geißeltest

Mit finst'rer Rede scharfem Stachelwort;

Da, in des Ingrimms brütender Verzweiflung,

Du von dem Bild des aufgeduns'nen Königs

Und von des »geilen Mäuschens« mag'rer Schulter

Den bettelhaften Lastermantel rissest:

Da zierte Dich, Du zaudernder Vollführer,

Du Fabius der rächenden Entschließung,

Du ew'ger Schürer Deines eignen Grimms,

Ohnmächt'ger Wühler in dem eignen Fleisch,

Krebs des Vollbringens, Adler des Gedankens –

Da zierte Dich des Spottes glattes Wort,

Der ungefügen Rede Narrentheiding,

Und rettete Dich selbst vor Deinem Selbst.

Nun, aber, dünkt mich, steh'n die Sachen anders,

Da Du ein Geist, ein stiller Mann geworden.

Ein stiller Mann ist auch ein ernster Mann;

Ernst ist das Grab, heiliger, dunkler Ernst!

Hier gilt kein Spotten mehr, kein Renommiren;

Hier kommt man nicht zu Mitternächten her,

Zu schauen, wie auf eines öden Schufts

Und schalen Hoffmanns halbverfaultem Schädel

Mylady Eidechs und Herr Regenwurm[16]

Bei Glühwurms Licht ein pas de deux riskiren:

Hier steht man wüst und wirr, die Brust voll Gram,

Voll Ekel, Langweil, Trübsinn und Verzweiflung,

Vom Scheitel bis zur Zehe ganz und gar

Ein Hypochonder, Melancholikus,

Wie Du ja selber einst, mein Dänenprinz,

Weh thürmend bis zu des Olympos Höhen

Auf eines süßen Weibes Grabe standest

Und fluchtest, tobtest, ras'test, betetest.

Nun aber bist Du, Hamlet, ein Gestorb'ner

Seit tausend und seit abertausend Jahren;

Vermodert ist Dein Lieb, ist all' dein Hoffen.

Am steifen Leichnam hinter der Tapete

Hat Maus und Ratte längst schon ausgefrühstückt;

Todt, hin ist Alles, und der Rest ist Schweigen!

Ich aber, Geist, bin Faustus, ein Lebend'ger

Todt ist auch mein Lieb, doch die weiße Rose

In ihrem Todtenkranz noch kaum gewelkt.

Todt ist die Welt; der liebe alte Gott,

Er selber droben, droben, ist gestorben.

Mein Glaub' ist todt, in meines Wissens Kern

Nagt ekle Fäulniß; ja mein eigen Selbst,

Mein Denken, das so kräftig war und frisch,

Wird leis' beschlichen schon von der Verwesung.

So steh' ich, durch und durch verwesend Wesen,

An fernen Jenseits schaudervollem Thor;

Du aber kommst aus diesem fernen Jenseits.[17]

So rede! Bei der alten Ewigkeit beschwör' ich Dich,

Bei Glaub' und Zweifel, bei des Himmels Göttern

(Vielleicht entschlaf'nen), bei der Hölle auch,

Bei jedem Oben und bei jedem Drunten,

Nicht minder dem, was in der Mitte liegt,

Bei Deines Vaters Geist, des Würdigen,

Bei kaltem Mord, bei dem höchst schnöden Gift,

Ja selber bei des ...

HAMLET.

Liebes Kind, laß gut sein!

Willst schwören, fluchen, zaubern, lügen, trügen,

Willst Dich wie solch ein rechter Lump geberden,

Der möcht erzwingen, was die Hölle selbst nicht zwingt –

Willst trotzen? Ei, so trotz' auf eigne Rechnung!

Ich tausche nicht mit Dir, Mosje, das Kerbholz.

Laß meine Schatten ungestört, Herr Wurm;

Wühl' nicht die alten Königsknochen auf,

Damit nicht »alten Dän'marks« Kinnebacken

Mit Deinen langen Ohren Kreisel spiele.

Laß ab vom eitlen Fragen; nur dies Eine hör':

Bald wirst Du selbst in Grabesenge modern –

Willst Du hinabwärts steigen als ein Esel?

Als Hanswurst des unwürdigen Jahrhunderts,

Als einer, den die Buben noch verhöhnen,

Wenn sie auf seinem Grabstein Grübchen spielen?

Von dem sie sagen: »Hier liegt solch ein Narr,[18]

Wie keiner je auf Schusters Rappen ritt,

Dem Satans dümmster Lehrjung' plump genug

Sein Leben stahl, dieweil er Kräuter suchte.«

Willst Du den Nachruhm? Armer Zweiflertropf,

Das Leben, ja das Leben fass' beim Schopf;

So wird's vielleicht aus christlichem Bedenken

Dir einen Zuschuß von zwölf Monden schenken.

Dies ist mein Rath. Nun, Bursche, lauf geschwind nach Haus;

Sonst löscht vielleicht Herr Schalk, der Tod, Dir unterwegs Dein Wachslicht aus.

FAUST.

Poltron, Dir folg' ich nimmer. Wagen will ich's;

Auf Tod und Leben sollst Du mit mir kämpfen;

Zur Rede zwing ich dich, zur Offenbarung!

Meint Ihr, Herr Prinz, die Welt sei noch die alte,

Wie Ihr sie saht zu Euren grauen Zeiten,

Da noch die Schneider keine Hosen machten?

Meint Ihr, nicht neu geworden sei die Welt?

Meint Ihr, es hab' das Ringelthier Europa

Seit tausend Jahren nicht die Haut gewechselt?

Nein Mylord – (Königliche Hoheit wollt' ich sagen) –

Wir sind nicht mehr von gestern – auf Parole!

Die Welt hat sich einmal herumgedreht:

Im Osten hatte sie sich aufgelegen;

Dahero legte sie sich nun auf Westen.

Ihr seht, wir tragen jetzt den Knebelbart[19]

Auf beiden Seiten und der Oberlippe!

Desgleichen seht Ihr und bemerkt es wohl:

Wenn mir 'was Menschliches begegnen sollte

In einer morgenfrischen Nacht wie diese,

So steht mir's frei, das Beinkleid mir zu lüften.

Ich sag' Euch, Herr, die Welt ist nicht von gestern.

Denn führt etwa mein Weg nach Helgoland

Durch Osnabrück im Königreich Hannover,

So darf es mir die Polizei nicht wehren,

Wenn ich vom Kutscherbock vernehmlich rufe:

»Ei guten Abend, lieber Justus Möser!

Wie geht Dir's, alter Patriot von Stein?

Wie stehst Du drüben mit dem alten Hansen?« –

Seht, werther Prinz, so ändern sich die Zeiten.

Mir aber scheint, wir kommen ab vom Thema.

Derhalben frag ich euch hiermit ganz frank:

Wollt ungezwungen ihr aus freien Gnaden

Ein Titelchen vom Jenseit offenbaren?

Soll ich im Gegenteil mit Heeresmacht

Auf Euren Starrkopf loszieh'n und Euch zwingen?

HAMLET.

Narr, der Du bist, Dein Wille soll gescheh'n.

Ich wußte freilich nicht den rechten Stand

Des Thermometers und des Barometers,

Wie er sich jetzt in Anhalt-Dessau stellt.

Wir drunten in der engen kühlen Klause,

Wir brauchen noch den alten Fahrenheit,[20]

Da gehen 70 Grad auf 30 Réaumur.

Wozu jedoch das Sagen und das Reden?

Wozu die Maulsperr' an den Hals mir sprechen?

Schau' selbst und sieh', wie Dir behagt das Drunten!

Tritt her zu diesem schwarzen Eisenthor,

Ergreif mit beiden Fäusten das Geländer!

Nun spaltet sich's, nun springt die Fallthür auf!

Nun sieh'st Du schwarzer Särge viel in Lage –

Nun sprich ein Stoßgebet und schau' und schau'!

FAUST.

O Himmel, Hamlet, was erblick ich da!

HAMLET.

Was wird's groß sein? Ein wenig Mottenfraß,

Ein Restchen fauler Mann, ein Scrupel Jauche.

FAUST.

Nein, einen Leichnam schau' ich blutiggroß,

In einen Purpurmantel eingehüllt,

Gestickt mit Gold, umstrahlt von Diamanten.

Ein Riesenleichnam, eines Recken Hülle,

Urahn von einem vorsündfluthlichen Geschlecht,

Ein Kaiser, ein geborner Nibelunge!

Sprich, Hamlet! Ist's vielleicht Dein hoher Vater

Ist's Kaiser Karl, ist's Tristan oder Roland?

Es ist ein ungeheures Leichenbild!

Schau' ich ihn an, so will es mich bedünken:

Es sei die ganze Welt mit ihm erschlagen.[21]

HAMLET.

Genau, mein Freund, kann ich Dich nicht berichten;

Doch geht die Sag' es sei der alte Blücher,

In Spiritus gelegt von Friedrich Förster,

Vermumisirt vom Legationsrath Ense.

FAUST.

Ihr Götter, welch ein dunkelglüh'nder Glanz

Geht aus von seinem wasserhellen Zauberring!

Das kann nicht Blücher sein, der alte Blücher!

Ich hörte wohl, daß dieser alte Marschall

Viel Orden trug auf seiner treuen Brust,

Allein die Ringe (hört' ich im Vertraun),

Die wußt' er anderweitig anzubringen.

HAMLET.

Nun denn, wenn Du am alten Blücher zweifelst,

Will ich Dir treu und ernst die Wahrheit künden:

Der Nibelungenkönig, der hier schläft,

Deß Zauberring Dein blödes Auge blendet,

Deß Krone die uralte Nacht durchleuchtet,

Deß Wimper nicht mehr zuckt, des Braue nicht mehr grollt

Deß Mund nicht mehr im Donnerhall gebietet,

Deß Faust nicht mehr im stolzen Grimm sich ballt:

Es ist – wer ist's? – der menschliche Gedanke!

So sieht er aus, wenn er gestorben ist.

FAUST.

Entsetzlich! Nimmermehr, das kann nicht sein!

Unmöglich ist's daß der Gedanke sterbe.[22]

HAMLET.

Er stirbt. Was soll er auf der schnöden Erde?

Hier in dem kühlen Bett behagt es ihm.

Hier ruht der Kaiser von den Qualen aus,

Der kleine Corporal streckt sein Gewehr,

Den Waffenschmuck legt man ihm stolz zur Seite:

Das sind die mächtig schlagenden Ideen,

Die in so hunderttausend Schlachten siegten,

Die alten Grenadiere, blutgetränkt. –

Die Waffen sind erkaltet wie der Held;

Kein Pulverblitz mehr von der Pfanne sprüht;

Kein frisches Blut verdrängt den alten Rost;

Kein Donnerwort gebietet mehr: »Schlagt an!«

Erloschen ist der Funke des Prometheus,

Hier liegt er, schlummert, schläft den ehr'nen Schlaf,

Und über ihm im bleichen Rahmen glimmt

Kaum leserlich, verwittert halb die Inschrift:

»Er ward erschlagen, da man: zwölfe! rief.

Elende Schächer waren seine Mörder;

Zuletzt von allem folget das Gericht

FAUST.

Ha, fürchterliches unaussprechlich's Elend!

HAMLET.

Und neben ihm da schläft sein lieber Sohn,

Der kleine König von dem großen Rom.

In seinen kleinen Händchen welkt ein Zweiglein;

Das hieltest nimmermehr Du für ein Scepter,[23]

Doch ist's ein Scepter. Wie er heiße, fragst Du,

Der kleine welke, mumienhafte König?

Frag' Deine Weisheit, laß Philosophei

Dir flüstern seinen Namen! Frag' Dein Denken,

Wie wohl der kleine König heißen möge,

Den man den Sohn des großen Kaisers nannte,

Des heillos hingeschlachteten Gedanken?

Du sinnst? Du fehlst? Geh' heim, Herr Faustulus!

Unsäglich schlecht verstehst Du Dich auf Räthsel.

Geh' heim und schlage nach das dumme Buch,

Man nennt's bei Euch: Realencyklopädie,

Und auf dem Titelblatte, blödgedruckt,

Erblickst Du eines großen Mannes Chiffre,

Des Mannes, der 'nen Traum das Leben nannte,

Der hier, wie weiland Alexander's Staub,

Ein schnödes Spundloch muß vor'm Wind verstopfen,

Vor Näss' und Ungeziefer und vor Nachdruck. –

Nun dieses vielbeliebte Buch schlag' auf;

Dort steht es aufnotirt das bleiche Kind,

Mich dünket unter'm Namen Epimetheus;

Denn ein Prometheus war's, der ihn erzeugt. –

Du aber denk davon, was Dir beliebt.

FAUST.

Weh, Hamlet, weh! Von Sinnen komm' ich hier

Es rieselt mir wie Lustgift durch den Leib,

Läuft mir wie Spinnen über Mark und Bein.

[24] Erloschen der Gedanke und sein Sohn?

Ist dies die Aussicht in das ferne Jenseits?

HAMLET.

Ein wenig näher tritt, wenn Du 's vermagst!

Sperr' auf der Nasen weitgeschlitzte Flügel!

Es riecht – wie nun? – mich dünkt, wie faule Kröten.

Das ist der Unrath, der heruntersickert

Von Eurer madenvollen Oberwelt;

Das ist der Same, den die seige Brut,

Die ihn erschlug, der Mutter Erde spendet.

Wer sind die Buben? fragst Du wiederum –

Und wiederum verweis' ich Dich nach oben,

Dorthin, wo früher. Immer blätt're, blätt're!

Such' unter »Wissenschaft« und unter »Kunst

Such' unter »Genius,« »Talent« und »Clique

Such' unter eingefleischter »Eitelkeit

Such' unter »Poesie,« »Kritik« und Dummheit

Da findest Du die Namen aufgezeichnet

Derer, die mit dem Kreuz der Ehrenlegion

(Nicht auf der Brust, nein, in der Hosentasche),

Das sie aus Seinem Necessaire gestohlen,

Den Helikon und den Parnassus stürmen.

Fehlt Dir nach allen diesem noch ein Name,

Dien' als Succurs Artikel »Lumpenpack

In diesem Fähnlein findest Du sie alle.[25]

FAUST.

Ha, dreißigmal vermaledeite Brut,

»Häng' Dir ein Kalbfell um die schnöden Glieder!«

HAMLET.

Wie nun, Herr Faust? Habt Ihr genug geschaut

Vom Drunten und vom vielgeliebten Jenseits?

FAUST.

Heiland der Welt, wann endlich wirst Du kommen

Mit Flammenschwert und Deine Tenne fegen?

HAMLET.

Geduld, Geduld! Vielleicht ist's noch nicht aus!

Noch funkelt der Rubin an Seinem Finger;

Vielleicht auch schlummert nur der alte Gott.

Vielleicht erscheint um Hahnenruf der Bräut'gam.

Zu rufen, zu erküren die Beruf'nen.

Was aber jene Bastardbrut betrifft,

So darfst Du dieserhalb nicht irre werden;

Der Sonnenball verliert nicht gleich den Schein,

Wenn Dir ein altes Hemd' vor'm Fenster hängt.

Nur leider ist's die ewige Geschichte,

Daß, was ein Lumpen, nach und nach verfaule.

FAUST.

Ein Wort noch, und dann nichts mehr, werther Prinz!

Wer ist die hehre Frau, so mondhaft blickend,

Die zu des großen Kaisers Füßen ruht?[26]

HAMLET.

Wer diese Lieblichste und schönste sei,

Dies, ungeschickter Rather, künd' ich gleich:

Es ist dieselbe, der ein lieber Freund

Von mir und Dir und allen Würdigen

Vor Jahren schon ein schönes Kreuz errichtet;

Ein lieber wack'rer, weihevoller Mann!

Nur Schade, daß er jetzt so stumm geworden!

Ein Mann, der bessern Samen ausgesä't,

Als den die Zwitter an die Erde stampfen;

Ein Mann, von echtem treuen Schwabensinn,

Und der des Liedes Banner weidlich schwang,

Als unsre Bübchen noch mit Murmeln spielten.

Fragst Du schon wieder nach dem Namen, Bursch'?

Ei, diesen nenn' ich frei und frisch und freudig;

Mit einem Wort: Herr Ludovicus Uhland,

Der Mann der (wunderbar, höchst wunderbar!)

Im Liede zwölfmal herrlich auferstanden!

Hast Du daheim ein Jubelexemplar

– Velinhaft, mit dem klugen treuen Bildniß –

Da schlag' im Index Dir das »Mährchen« auf

Auf Pagina vier hundert ein und achtzig.

Dort findest Du die hehre Frau genannt.

FAUST.

Und wird nicht diese bald, ach bald erwachen?

HAMLET.

Wann einst – vielleicht ist dieses Wann nicht sern –[27]

Der Edelstein an ihres Vaters Hand

In eigner Feuerloderkraft zerspringt,

In Millionen ew'ge Strahlen berstet;

Wann sich die Nibelungenfaust erhebt

Und dreimal an die ehr'ne Pfoste pocht:

Dann, guter Träumer, ist die Stunde nah'!

Und willst Du dann auf diesen meinem Kirchhof

Hinwiederum auf eine Tasse Nachtthau

In Züchten und in Ehren mich besuchen –

Vorausgesetzt, das Du nicht Selbst bis dahin

Mit Monsieur Grabwurm Brüderschaft gemacht –

So magst Du seh'n, wie die Dreieinigkeit

Des Vaters, Sohnes und des heil'gen Geistes

Ihr Grabmal sprengt und in Verklärungswonne

Aufschwebt zu jenen lichten Himmelshöhen,

Von wannen alle gute Gabe kommt.

Bis dahin, Würdigster, sei Gott befohlen!

Das Hühnerauge fängt mich an zu grimmen;

Ich witt're Morgenluft. Adieu, mein Herr!


Verschwindet.


FAUST.

Nacht überall! Wo ist der Kaiser nun?

Wo ist die hohe lilienschöne Frau?

Wo Hamlet, mein Gefährte? Alte Nacht,

Du hüllst mich wieder ein in banges Dunkel

Und stellst die Wahl mir – unter Leichensteinen –

Ob's Wirklichkeit gewesen, was ich schaute,[28]

Ob nur ein banger todesschwüler Traum.

Furchtbare Stille rings! Wie Fieber steigt

Der kalte Nachtthau mir herauf zum Herzen.

Kein Wesen regt sich; Glühwurm ist erloschen;

Mir ist, als hör' ich leis' die Kröte kriechen

Auf Leichensteinen; leiser, leiser noch

Erbebt das unruhvolle Laub der Espe.

Tiefnächtige Natur, mir graust vor Dir!

So schlingst Du Alles, Alles tief hinab

In deinen dunkeln Rachen! – Traum, nur Traum! –

Mein Selbst verschlingst Du, gräßliche Natur!

Mein Wesen ist auf ewig Dir verfallen!


Faust verläßt gedankenvoll den Kirchhof.


Unbewohntes Eiland im stillen Ocean.


Rauschende Meeresküste. Faust im Schlummer Chorgesang der Unsichtbaren.


GEISTER DER LUFT.

Im Meergrund tief

Beim Korallenbaum

Zermalmt, zerborsten liegt nun

Auf dunkelgrünem Muschelbett

Des schönen Schiffes riesenhafter, ganz zerbrochne Leib.

Furchtbares nimmersattes Seegethier[29]

Frißt in stiller dunkler Tiefe nun die weißen Segel auf.

Meerwurms gift'ger pfeilgespitzter Stachelzahn

Naget ab der schönen todten Mannschaft süßes Fleisch,

Läßt verbleichen ihr Gebein auf schwarzer Austernbank.

All' versunken ist die stolze Menschenpracht!

All' verloschen tausend starker Menschen Lebenslicht!

Meerpolyp umarmt jetzt, funfzig Faden tief,

Der versunk'nen Frauen wundervollen Gliederbau!

Schöne Damen, die mit edlen Fürsten einst gebuhlt,

Ruht ihr nun so stumm und bleich, so todtenstill

In dem Arm des grausenhaften Pflanzenthiers?

GEISTER DES MEERES.

Zaghaftkränklich Heer der Lüfte, still mit Deiner Melodie!

Wogen klingen, Wellen brausen, das ist Schöpfungsharmonie!

Rachegeister sind nur wir der brausenden Naturgewalt,

Wir, die Meeresgötter, hausend, wo des Weltmeers Donner hallt.


Furchtbar ist die Macht des Meeres; Meer allein ist die Natur.

Kraft und Gluth und höchstes Dasein steigt aus Weltmeers Tiefe nur.[30]

Drunten, wo aus Millionen Kratern quillt der Ocean,

Wo zu Flammen Wasser werden, hebt der Welten Schöpfung an.


Meer, das ewig ungeheure, sei's in Stille, sei's in Wuth,

Meer allein kennt keine Grenzen, keinen Markstein kennt die Fluth.

Mächtig Schiff mit hundert Segeln, tausendköpfig stolz bemannt,

Einer kleinen Welle Spielzeug, berstet's an der Felsenwand.


Klagst Du, schale Brut der Lüfte, um der Menschen feuchten Tod?

Kennst Du nicht der Tiefe Wunder, nicht des Meergrunds Morgenroth,

Wo der sündflutalte Felsen zum krystallnen Schloß sich baut,

Jeder Stein ein Regenbogen, bergend eine Wasserbraut?


Lehren will ich Dich, wie drunten Alles quillet, blumt und steint;

Wie der Tropfen wird zum Spiegel, den ein Sonnenbild durchscheint;[31]

Wie, rubinenhaft erröthend, aus dem immergrünen Dunkel

Sproßt des Meeres einz'ge Blume, Nereus' Liebling, der Karfunkel.


Bleichet nun in Abgrunds Schooße Schiffers weißliches Gebein,

Hüllen es zuerst die Wogen in ein grünes Meernetz ein;

Weben leise fluthend, flötend, seufzend, liebend drüber hin,

Weben so der Todtenklage andachtvollgeheimen Sinn.


Und es läuten alle Glocken der versunk'nen Meeresstädte,

Meermond gießt krystallne Strahlen auf das feuchte Todtenbette:

Sieh'! da wandelt sich in nächt'ger Silberkühle das Gebein,

Wird zur amethyst'nen Blume, wird zum blauen Pflanzenstein.


Aus der amethyst'nen Blume blicken kluge Menschenaugen,

Welche ewigfrisches Leben aus der Wellenkühle saugen;

Und es sprießen Blumenarme, welche grüne Blätter zweigen,[32]

Riesenblätter, fett und duftig, die im Wellenschlag sich neigen.


Und so wächst der Menschenblume regenbogiges Gestein,

Schlägt mit ihren Purpurwurzeln in die tiefsten Tiefen ein,

Bäumt sich wachsend, knospend auf zur strahlenreichen Wipfelkrone,

Wo Goldfischlein Nester bauen, goldgeflammte Kaiserthrone.


Nächtens, wenn die Meeressonnen sind auf kurze Zeit versunken,

Sprühen aus des Meerbaums Zweigen tausendfarb'ge Feuerfunken,

Oeffnen sich der Zweige Spitzen wunderbar mit mächt'gen Klängen;

Blüthen sind's, die auferstehend ihr Korallengrabmal sprengen,


Gloria wird nun gesungen; Blüth' in ihrer Götterpracht

Ist entsprossen strahlenglühend, Meerbaums Seele ist erwacht;

Unvergänglich, unverwelklich schwimmen, duften, leuchten sie.[33]

Lieblich fluthende Gedanken, Meerbaums heit're Poesie.


Meereswunder, Dichtungswunder, meerentsprossene Gedanken,

Können Wesen Euch begreifen, die am ird'schen Lichte kranken?

Wunderselig, wer an Meerweibs Wellenbrust Vernichtung trinkt.

Fluthensaugend, leben saugend in des Weltmeers Tiefe sinkt!


Fluthengetöse. Die Meergötter verstummen. Nereus steigt auf, ein alter Mann, der nur in Prosa spricht.


NEREUS. Nereus bin ich, ein alter Gott, der zu seinem Auftreten keines Prologs bedarf; ja ich kann sagen, der älteste der Götter; denn Chronos selber ist nicht älter, als ich. Was ist Chronos? Die Zeit. Was ist Zeit? Ein ewig Nichtsein, welches nur ist, indem es nicht ist. Das und nichts Andres ist die Zeit; und wahrlich, es ist hohe Zeit, daß man dieses Wesen der Zeit begreife. Ist nun die Zeit ein solches Ding, welches ist, indem es nicht ist, so ist die Welle ein eben solches Ding; denn auch die Welle ist nur dadurch ein Seiendes, daß sie ihr Sein vernichtet und zum Nichtsein macht. Die Fischer und die Schiffer[34] und das ganze Menschengeschmeiß drücken dies so aus, daß sie sagen: »Eine Welle verdrängt die andere.« Eine recht bequeme Redensart! Aber der Philosophus muß erst dazukommen und sie zustutzen. Solch' einen alten Kerl von Philosophen hab' ich drunten in meinem Wasserpallast zur Gesellschaft für die langweiligen Winterabende. Herakleitos ist sein Name, und sein Grundsatz ist: »daß Alles fließe.« Dieser Grundsatz hat mir ihn so werth gemacht, daß ich ihn zu meinen Seneschall ernannt habe mit lebenslänglicher freier Station. Wasser hat an ihm seine Schuldigkeit gethan. Da er zu mir kam vor dreitausend Jahren, war sein Haar schneeweiß; nun ist es meergrün, und er ist stolz darauf und kämmt es täglich mit einem Kamm von Fadenpolypen. Die Meermädchen geben ihm Schuld, er coquettire damit; er aber behauptet, es nur zu thun aus Dankbarkeit gegen den verjüngenden Wassergeist, und nennt das Auskämmen seines Haars einen Gottesdienst. Wie ist's? Soll ich dem Alten ein Fest bereiten? Soll ich ihn heraufbeschwören auf die Oberwelt? Ich will's thun; der alte Mann verdientes. He, holla! Mein Philosophus, mein Seneschall, mein thränenreicher wasserfeuchter Herakleitos, komm herauf und trockne Dein Haar am Strande; mein Bruder Zeus läßt heute einen guten Abend werden.

HERAKLEITOS taucht aus den Wellen.

Vater Nereus, Güt'ger, Deinem Rufe folg' ich gern[35]

Der mich lockt hinauf an's holde Licht der Oberwelt.

Zwar ertönt hinunterwärts dem Forschenden der Weiheruf;

Aber daß er wieder aufwärts dringe, ist sein höchstes Ziel.

Heil'ge Sonnenkugel, purpurne, Dich schaut' ich lange nicht;

Sinke nun in Andachtswonne nieder hier und bete laut.

NEREUS. Mir gefällt nicht Deine Andacht, Herakleitos! Zweitausend Jahre hörte ich Dich im Wasserreich Prosa sprechen; warum nun plötzlich redest Du in Versen?

HERAKLEITOS.

Der Dichtung Wunder zündet sich am Licht allein;

Darum ist Feu'r der Dinge Urgrund, Wasser nicht.

NEREUS. Du widersprichst Dir auf eine impertinente Manier, Philosoph! Wie kann Feu'r aller Dinge Urgrund sein, wenn Alles fließet?

HERAKLEITOS.

Das Fließen, Nereus, ist die Form der Dinge nur,

Ihr Wesen aber ist die reine Loderkraft,

Unwiderstehlich flammend, die durch alle Adern dringt

In höchster Flüssigkeit, ein fließend Weltenfeu'r,

Das in dem Fließen selber von der Gattung zeugt,

Aus der's entsprossen, nemlich von dem Wassergeist.[36]

Denn wie es heißt in Deiner Wassermänner dummem Weihgesang,

So ist's die Wahrheit: »Welle, die zur Flamme wird

Der Philosoph ergründet leicht der Strophe Sinn:

Es heißt, daß Feu'r Verklärung ist der Wasserheit;

Es heißt, daß da, wo Wasser nicht mehr Wasser ist,

Wo's, eignem Wesen abhold, Feu'rs Gestalt annimmt,

Daß hi der Welten Zeugung ihren Ursprung hat.

Wasser ist Fließen, reiner Strom, der sich entäußert stets;

Feu'r ist Erinn'rung, Sammlung höchster Zeugekraft.

Darum ist Feu'r der Elemente höchster Sinn

Und wahres geist'ges Regen der Naturgewalt.

Im Feuer, Nereus, wandelt stets der Demiurg,

In Flammenstrahlen, während Du, ein Wassergott,

In meergrünfeuchtem Schlafrock Dir ganz wohlgefällst.

NEREUS. Einfältiger Philosoph, ich habe Dich reden lassen, so lange Du in ganz unarticulirter Sprache von einer Weltenzeugung schwatztest, wie sie die Narren sich denken. Wenn Du aber mit Ironie auf mein meergrünes Nachtcamisol anspielst, so werde ich grob und beschuldige Dich des Undanks. Und kurz und gut, ich will keine Apologie des Feuers mehr von Dir hören;[37] und weil Du mich so eben durch eine solche gelangweilt, sollst Du zur Strafe diese heiße Mondnacht auf der Oberwelt zubringen. Nereus, der alte ewiggrüne Gott, steigt hinab in sein unterirdisch wellenfrisches Reich und läßt die Millionen kühlen Wassersonnen, die auf den Meerbäumen glitzern, sich leuchten in sein kühles Schlafgemach. Meerfräulein schaukelnd auf dem Wellenkahn, singen ihn zur Ruh'; Muschelglocken, von Polypenarmen mächtig angezogen, läuten Feierabend; fern auf der Düne lilienweißem Bett streckt müde sich die Brandung, zuckt noch einmal mit den feuchten Gliedern, schlummert und entschläft. Selige Meeresruh'! Hinab, alter Nereus! Nur im Wellenreich ist Friede. –


Er taucht in die Fluth.


HERAKLEITOS.

Was Anders kann ich fordern als des Wassers Preis

Von ihm, der selber ist des Wassers Geist?

Wär' unter meinen Schülern ich zu Stagira,

So lehrt' ich sie an dieses Gottes Beispiel selbst

Des Wassers Trug, des Elementes böse List

Und kühle Lockung und die Ohnmacht der Naturgewalt,

Der wasserhaften. Fragt Ihr – also lehrt' ich sie –

Warum des Feuers Wesen ein weit höh'res ist?

Hier ist die Lösung: Weil im Feu'r das Licht entspringt,[38]

Ein göttlichgeistig Wunder. So vergleich' ich das:

Das Feu'r, es ist Gott Vater in der Einsamkeit;

Licht aber ist des Vaters eingeborner Sohn,

Der welterlösend aus des Vaters Wesen springt,

Denn diese Wahrheit duldet keinen Widerspruch:

Licht ist der Elemente höchste Geistigkeit.

Licht ist Befreiung, Sond'rung und Verselbstigung;

Einkehr in sich, Besinnung, klares Auseinandergeh'n

Der einzeln Wesen, Urquell der Gestaltung ist das Licht.

Licht, heilig Wunder, sieh', Dein Strahl erlöst auch mich!

O tauch' noch nicht, Du sel'ger Glanz, in's Fluthengrab!

Von diesem grünen Felsblock, hehrer Sonnenball,

Seh' ich voll Ernst und Traurigkeit Dich untergeh'n.

Was ist dies? Welch' ein einsam Wesen schlummert hier

Auf glattem wellumspülten Stein? Ein menschlich Wesen ist's.

Genosse meines Wesens, wie erweck' ich Dich?

Wär' Nereus hier, der wunderliche alte Gott,

Meermädchen ruft' er, zu erwecken diesen Jüngling hier,

Der Schiffbruch litt, den kalte Wog' an's Ufer warf,

Den Wassers böse Tücke wohl getödtet gar.[39]

Wie das? Er regt sich. Abendsonnengluth bestrahlt ihn ganz.

O wunderthätig Licht, Du weckst ihn auf

Aus Traumes Nächten, aus des Schlummers Todesnetz!


Faust im Erwachen.

Während dessen spielt die Zwischenscene ein Guckkastenbild.


Freie Gegend in der Uckermark.


FAUST mit Ranzen und Wanderstab. Bin müde wie ein Hund! Zwölf lange Stunden gewandert ohne Trank und Speise, immer zwischen Himmel und Kartoffeln! Das ist ein gesegnetes Land, bequem für den Botaniker, äußerst lehrreich für den Mathematiker. Mir ist in meinem Leben kein Terrain vorgekommen, das sich besser zu einer Prügelei eignete, als dieses. Fünf Zuckerhüte, dort am äußersten Saum des Westens aufgestellt, müßten sich ausnehmen wie die Pyramiden von Ghize. Eine heitere Gegend, und in Wahrheit großgebildet! Sieh' dort die grüne Breite, um ein Merkliches höher, als das Kartoffelkraut! Mag dies wohl ein Fichtenwald sein? Nein es ist ein Tabaksfeld. Gebenedeites Tabaksfeld, ich sehe einen gastlichen Rauch hinter Dir aufsteigen. Vivat das Reisen! Meine durstige Seele wittert ein Wirtshaus.


Ein Wanderer kommt.
[40]

FAUST. Guten Tag, Wandersmann!

WANDERER. Guten Tag, Faust!

FAUST. Du kennst mich? Was ist Dein Beruf und Zeichen?

WANDERER. Meines Zeichens bin ich ein Guckkastenmann. Sieh' her! In diesem Kasten auf meinem Rücken trag' ich die Herrlichkeit der Welt mit mir herum, zu Nutz und Ergötzen der armen Leute, die an der Scholle kleben, und die Dinge nicht schauen können, wie sie in Wahrheit sind; als da ist das Bauernpack in der gottgeliebten Uckermark, dem königlich preußischen privilegierten Kanaan. O Land der Verheißung! Unten Tabak und Kartoffeln, oben ein verdrießlicher Himmel, der das ganze Jahr den Schnupfen nicht los wird! Das nenn' ich eine prästabilirte Harmonie der Landesnatur! Das nenn' ich eines lieben Gottes Staatsgrundgesetz!

FAUST. Du bist als Guckkastenmann leidlich witzig, Freund! Woher der Heimath?

GUCKKASTENMANN. Aus Steiermark, wo die Berge klüger sind, als die Menschen.[41]

FAUST. Hast Du Salzburg gesehen, Freund?

GUCKKASTENMANN. Ich habe fünf Jahre lang die Natur genothzüchtigt in Abrissen für des hochwürdigen Erzbischofs von Salzburg Privatguckkasten. Da muß Alles verkehrt aufgenommen werden; es ist eine camera obscura. Doch ich meine, Ihr versteht als Schwarzkünstler diese Behandlungsart besser.

FAUST. Weshalb trägst Du rothe Schleifen an Deinem schwarzen Beinkleid?

GUCKKASTENMANN. Es ist unser Feuerzeichen daheim. Auf die Berge dürfen wir's nicht pflanzen; so heften wir's an die Hosen. Vivat, es lebe der kleine Winzer vom Johannisberg!

FAUST. Pereat, es sterbe der rothe Hund von der Krämerinsel! Hast Du den Kaiser Napoleon gekannt, guter Freund?

GUCKKASTENMANN.

Knäblein, das ist 'ne traur'ge Mähr;

J hab' se g'sungen, i sing' se nit mehr.

Sieben Weiden um einen Stein!

J wollt' das Wetter schlüg' darein![42]

FAUST. Freund, Du zeigst Verstand. Meiner erbebt in seinen Grundfesten, wenn ich an den Kaiser denke. Sag' mir auf Dein Gewissen, Steiermärker, wird er nicht wiederkommen?

GUCKKASTENMANN. Was soll er halt machen bei uns? 'S Wetter is em zu staubig. De Sonn is em zu klein; der Himmel is em zu niedrig. 'S Barometer gilt nich mehr. Männer essen Milchbrei, wenn's hoch kommt, Eierkuchen. Kleine Jungen wischen sich die Rotznase vom Maul und reden vom Heirathen. Dampf macht Alles. Aus Meilen macht er Ellen; aus Pfefferdüten macht er ein Directorium; aus Judenjungen macht er Literaturstürmer. Zeigt den Directoren seinen Stiefel auf drei Stunden weit, so braucht Ihr weder einen Brumaire, noch einen Thermidor. Entzieht den Judenjungen zwei Monate Spargel und Sellerie, so wird ihnen die Verstandeslampe auslöschen, und sie werden ohne Schaden in ein Nonnenkloster gehen dürfen. Faust, weißt Du, was die Poesie ist?

FAUST. Ich will mich darauf besinnen.

GUCKKASTENMANN. Besinne Dich nicht, Du möchtest den Verstand verlieren. Die Poesie ist der Teufel. Wer die Macht hat und das Wort und die Zauberformel, dem[43] muß sie dienen und gehorsam sein und schaffend ihm erbauen aller Himmel Herrlichkeit. Wer aber nicht die Macht hat und nur mit dem eklen Schein sich brüstet und der Poesie ein X für ein U zu machen denkt, sich ausgebend für einen Geweihten, da er doch nur ein rechter Affe ist, den faßt die Poesie beim Schopf und bei den Plvderhosen und fährt mit ihm zur Hölle und zerschellt sein ekelhaftes Gebein an einem Nachttopf. Solch' einen Kerl von Poeten traf ich in Helgoland um die vorjährige Curzeit. Der wollte die Holsteiner Milchmädels mit einer Putzschachtel voll Glacéhandschuhe zur Civilisation bekehren, und wollte ihnen verbieten zu singen: »Willkommen, o seliger Abend!« Denn dies Lied sei gegen die jungen Literaturtendenzen gerichtet, und es fehle ihm der recht moderne, weltdurchschmerzte, kühne-willkomm-völker-frühlingshafte Frauenwelterlösungston. Vor dieser mystisch-dröhnenden kankerbeinigen Floskel erschraken anfangs die derben Helgoländerinnen und waren bereits im Begriff, sich der waschledernen Handschuhe als eines Uebergangsmoments zu bedienen. Als jedoch die Pfiffigste von ihnen die leise dichterische Ironie merkte, die darin liegt, wenn man weißes Leder auf braunes Leder streift: so faßten sich die braunen Schönen kurz und warfen den proselytensüchtigen Culturpoeten im Fluge aus Helgoland hinaus; eine faustrechtliche Maaßregel, welche die deutsche Literatur nun gänzlich um die Aussicht gebracht hat, das[44] unentdeckte Land Helgoland endlich einmal beschrieben zu sehen. Doch wir stehen ja vor dem Wirtshaus. Bemerken Sie, Verehrter, die überraschend reizende Lage dieser Uckermärkischen Bier-Branntweinsoase. Dieser grünliche See, dieser lichte Flachswald im Vordergrunde, im Hintergrunde dann das dunklere Grün der Hanfbäume; welch' ein Anblick! welche Environs! Welch ein nächtliches inniges Dichten und Träumen muß zwischen diesen Hanfstengeln weben! Im Grunde jedoch, wozu solche Meditationen? Lasset uns das Schöne genießen, ohne uns darüber breit zu quetschen.


Sie treten in die Schenke.


Das Innere des Wirtshauses.


Bauern, welche trinken und spielen; Hunde, welche hin und her laufen; ein Katze, die sich im Fenster sonnt; der Wirth, welcher Getränke fabricirt u.s.w.


GUCKKASTENMANN als Prolog.

Meine Herren Bauern in dieser Schenke,

I frag' halt: Wie schmeckt Ihnen das Getränke?

Des Bieres Kern tintpfützenhaft,

Kartoffelgeistes edle Kraft –

Behüt' Di Gott, lieb' Uckermark! –

Daher ist auch Dein Volk so stark.

Aus Dickbiers Hefe Begeisterung steigt,

Auf Fuselschwingen gen Himmel fleucht.

Schwarztabaksqualm hüllt Rothnas' ein;[45]

Wer wollt' nit da ein Preuße sein?

Hallelujah, es bleibt dabei:

Der Fusel macht uns alle frei!

Punctum. Friede mit diesem Haus!

Geist des Verdrusses, flieh' hinaus!

Plaisir und Lustigkeit hebt an:

J bin der Guckekastenmann.


Bauern stutzen.


Ei, so kommen S' getrost herbei!

Wird nix bezahlt, Plaisir ist frei.


Bauern treten um den Guckkasten.


Gratis zeig' ich durch dieses Glas

Die ganze Welt und noch etwas.


Bauern belagern den Guckkasten.


GUCKKASTENMANN. Darf i bitten? Haben S' a klei Weil' Geduld! schonen S' enander die Hühneraugen. Nehmen S' nur Stühle, setzen S' Sich ruhig neben enander. So! Formiren S' k'fälligst a großen Halbkreis; i werd' sorgen, daß jeder schaut sei Stückle von der Welt. Itzt passen S' auf! Wann mei Kasterl an ordinär's Kasterl wär', so will i mer häng'n lass'n, wenn Se was schau'n sollten uf diese Manier. Merken S' wohl: weil 's halt nit sein kann, daß a K'sellschaft von a Dutzend Leut' durch an ahnzig Löchel schaut. Itzt aber drucken S' d' Augen zu; machen 'S wieder auf in a Viertelminut. So! Abracadabra! Factum est![46] Itzt haben S' d' Sache ganz bequem; itzt können S' a jeder schauen durch sei ahgen Guckrohr.


Vor jedem Bauer ist ein Guckrohr aufgestellt, das nach dem Kasten führt. Ungeheuerste Verwunderung.


Herr Fausterl, hier haben S' aach a Fernrohr. Drehen S' in Gottes Namen, wohin S' wollen; Se werden immer schau'n a ganzes Stückerl von der ganzen Welt. Itzt aufgepaßt wohlandächtig! Kei Redens! Bloß g'schaut! Weltherrlichkeit hebt itzund an. Herr Wirth, schenken S' erst a Krügel Branntwein, daß mer Courag' krieg'n. Ruck! Klingling! Das erste Bild. Verzeihen S' die werthe Gesellschaft, i muß itzun hochdeutsch sprechen.

GUCKKASTENMANN in andrem Tone. Höchstverehrte, das ist das erste Bild. Seinem eigentlichen Wesen nach kein Bild sondern Alles dessen, was Bild, was Form, Farbe und Gestalt ist, erste, ursprünglichste Voraussetzung, nemlich das reine Dunkel. Erinnern Sie Sich gefälligst, daß auch bei der Weltschöpfung zuerst nur das Dunkel war, aus welchem sich Alles lichtete und formte. So ist es auch im Guckkasten: erst Finsterniß, als absoluter Urgrund, alsdann Licht und Bild, Farbe und Leben. Wollen Sie die Gewogenheit haben, nur unverwandt in das Dunkel zu schauen; es wird sich schon von selbst formiren. Wie ist es, Verehrteste? Gewahren Sie noch[47] immer nichts? keine Figur, keine Wesenheit, kein Individuum, welches aus diesem Dunkel hervorbricht?

ERSTER BAUER. Düvel, ick klof, hä hät Recht. Ick seh' dütlich an Figur ufdunken ut 's Finst're. Min Seel, et is en Kalf.

ZWEITER BAUER. Nischt is et, Gevatter, lug' better. Et is min Jung' mit sin' Lederboxen. Ick seh' dütlich sin Butterschnitt un sin Rotznas'.

DRITTER BAUER. Wat Rotznas'! Wat Butterschnitt! Ick seh' mir selfsten uf dat Finst're. O Jemine! Dat is min Gesicht un min schwarz Ackerpärd, wi 't lift und lebt.

DER DORFBARBIER ein Berliner. Jotte doch, Leute! Wat det für Hieroglyphen und für Redensarten sind! Et kann jeder Narr kommen und sagen: »Dieses bin ick, und dieses is mein kleener Junge.« Wat mir anlangen thut, ick sage: Lasen Se man dat Duster Duster sind; stören Se nich det Kunstwerk in seine verhältnißmäßige Dusterkeet. Zum Exempel, Leute, ick, wie ick hier sitzen thu', een gelernter Gregorius un vierjähriger Zögling von de Pepiniere, ick nehme mir jetzt vor, duster zu sind; werden Sie mir helle machen? Werden Sie mir dustern Menschen ufzuklären im Stande sind? Jott bewahre! Jar keen Gedanke nich an dieses. Sondern ick leid' es nich, und[48] ick brauch' es nicht zu leiden, daß Sie mir gewaltsam ufklären. Wenn ick mir druf portiren thu', een vor allemal duster zu bleiben, entweder aus Plaisir, oder aus Gründe, oder aus Raffinement, so kann et mich die janze Uckermark mitsammt de Neumark nich wehren, un ick ruf' die Polizei, und die Polizei muß mir schützen in meinem Naturzustand, und muß Ihnen bestrafen wegen jewaltsamen Diebstahl. Dieses is Jesetz bei uns in Berlin, und dieses jilt ebenfalls für die Kunstwerke. Dadrum wollt' ick Ihnen ersucht haben, respectiren Se dieses künstlerische Duster, welches, so zu sagen, man een Uebergangsduster is, un respectiren Se mich meine Kunstandacht, und lassen Se diesen Fremdling hier und mir ungeschoren mit Jungens un mit Lederhosen un mit Rotznasen. Denn wenn ick mir nich jänzlich täuschen thu', so blitzt et jetzt durch dieses Duster, un et is mich, als säh' ick eenen Gegenstand blinken wie een Barbiermesser. Hieraußer is zu schließen, daß det Duster sich einseefen un rasiren wird, un alsdenn hat's weiter keene Noth nich; et wird alsdann von selber helle.

GUCKKASTENMANN. Hochverehrtester, scharfsinnigster und beredtsamster aller Berlinisch durch gebildeten Dorfbarbiere, Sie haben da ein wundervolles Wort zu seiner Zeit gesprochen. Dieses propädeutische Dunkel ist in der That nur ein Erstlingsübergangszustand, eine sogenannte Welten-[49] oder Götterdämmerung, aus welcher ich Ihnen als schönen Lohn für Ihre herrliche Begriffsfähigkeit sogleich das vollendetste und vielgestaltigste Farbenbild hervorzaubern werde. Geben Sie wohl Acht, was Sie nun schauen.

BAUERN durch einander. Oh, ah! Jemine, wat dat schön is! Düvel, da möcht ick sin! Dat scheint mir dat Paradüs zu sin; Adam un Eva loofen drin rum janz nackig.

DORFBARBIER verdrießlich. Herr Wirth, ick bitte, geben Sie mich een Stückschen Leder oder Leinwand. Mein Ilas scheint mich angeloofen zu sind. Ick kann uf Ehre un uf Jewissen keene Sylbe erkennen von all det Zeugs, welches hier jesagt wird Statt finden zu sollen. Ah so! Nu weeß ick wohl, wat Se mit det zweete Duster sagen wollen, mein Herr Künstler; indessen aber ick sage Sie, menagiren Se Sich mit Ihre Kunstwerke! Ick bin der Mann nich, der et leiden thut, det Sie ihm seinen Frauenhofer mit Fett beschmieren oder aberscht mit Inselt. Ick zähle mir zu de Studirten, un ick zähle mir honoris caussa zu de neue Literaturschule, un mir wird keener dämlich machen in de janze preusche Staaten, so wahr ick Justav Theodor heeße. Ick sage Sie, in Justav Theodor steckt ville, un beleidigen Sie Justav Theodor nich; denn Justav Theodor duldet keene jrobkörnigte Sticheleien, un keene feinkörnigte doch nich, am wenigsten aber in [50] présence dieses unzulänglichen Nährstandes. Und ick sag' Ihnen, Herr Künstler, wischen Sie mich meinen Frauenhofer ab, und trauen Sie mich zu, daß ick wohl zu unterscheiden weeß zwischen een ordentlich Duster und zwischen een malitiöses Duster. Verstehen Sie mir nu, Herr? Ick dulde keene Malicen nich, und det Inselt stört mir in meine Kunstgefühle. –

GUCKKASTENMANN mit Pathos.

So senke sich auf Dich des Urnichts Grauen,

Modernisch angehauchter Dorfbarbier!

Du wirst vom süßen Leben nichts mehr schauen:

Wie Du gefaselt, so geschehe Dir!

Verdufte schnell von diesen Erdengauen,

Noch schneller als ein Baldrianklystier;

Aufdrück' ich Dir für schnöden Zweifels Laster

Grauenhaften Nichtseins Spanischfliegenpflaster.


Dorfbarbier verduftet.


STIMME AUS DER HÖHE.

Er ist hinweg, monadengleich verflüchtigt,

Weil er zu vorlaut-üppig sich gerirt;

Der Steiermärker hat ihn derb gezüchtigt,

Für immer ihn vom schlechten Witz curirt.

Jedennoch bleibt die Frage unberichtigt:

Wer nun das arme Bauernvolk barbiert?? –

So ist das Schicksal: Roh und kalt verneint es;

Den Sack zerprügelt's, und den Esel meint es.


Andächtige Stille.
[51]

FAUST im Schauen versunken.

O Himmel, welche Wunderwelt erschließt sich meinem Blick!

O Zauberland, traumhafter Jugendphantasien höchstes Ziel!

Natur, Du fremde, ferne, wunderbaren Glanzes voll, wie nenn' ich Dich?

Landschaft so prächtig leuchtend, duftig kühlig schaut' ich nie.

Funkelnd Gewässer, sonnangeglüht, in Gold getaucht,

Rausche mir zu in Wasserwunderklängen, ob ein Strom Du bist,

Ein Stromesriesenwunder, ob Du selbst ein Ocean!

Jetzt, stolz Gewässer, rauscht ein Gott mir Deinen Namen zu:

Gegrüßt seist Du, Maranhon, strömend Meer der neuen Welt!

Himmels Wölbung liegt auf Dir so gnädig, selig dunkelblau;

Goldig Luftnetz steigt aus Deiner grünen Fluth zum Himmel auf,

Neigt sich, hebt sich, glimmt und fluthet, denn die Sonne naht.

Sonne naht; noch unter dem Gewässer glüht ihr Schein,

Und ein heilig majestätisch Schaudern zieht am Ufer hin,[52]

Wo der Urwald links und rechts die Wellen säumt,

Dunkelgrün, von Pflanzenschlingen übersponnen ganz.

Riesenblatt des Schlinggewächses webt von Baum zu Baum,

Und der Blumenknospen millionenfält'ge Zahl

Harrt in Aengsten bis der Sonnenball ersteht,

Zu erschließen mächtigklingend ihren Purpurlilienkelch.

Auf den andachttrunk'nen Wogen aber treibt der Kahn

Mit dem hohen Blätterdach, vom Thau der Nacht getränkt;

Auf dem Kahne, dem bewegten, schnellen, schwimm' ich selbst dahin,

Angeglüht vom Morgenwind, erwache, Strahl!

Meine ganze Seele schwimmt auf diesem Kahn,

All' mein Denken, Sinnen und Phantasei,

Ja mein ganzes Dasein, dichtungglühend, ganz naturberauscht.

Schöne, unvergleichlich schöne wellentrunk'ne Riesenwelt,

Wie Du kühlig glimmst im Nachtthau, also träuft der Segen über mich.

Frei und selig! Alles Daseins Schwere sinkt hinab;

Wasser werden Flammen. –

Lebensgluth im Herzen, aus dem Auge blitzt sie kühn.

O Natur, mein frühes Ahnen Du besiegst es weit!

Lebenskraft und Lebensinbrunst, ganz versunkenwähnt' ich Euch[53]

In die kalte Tiefe einer schauerlichen Todtengruft,

Wo der Grabwurm eines süßen Mädchens Leib zernagt.

So in Grabesnächte eingesponnen war mein Geist,

Schlief, ein blasser Leichnam, selbst eiskalten Todtenschlaf.

Aber Du, hochheil'ger schöpferischer und allmächt'ger Geist,

Der, im Kern der Schöpfung hausend, alles Sein durchdringt,

Gottheit der Natur, Du nahtest meinem kalten Grabmal Dich,

Seine Marmorkiefern sprengtest Du mit Zauberschlag,

Auferstehungathmend riefst Du: »Lazarus erwach'!

Wieder sei geboren, bleicher kalter Schläfer Du!

Ew'ger Dichtung Wonne saug' aus meiner Schöpfung Pracht!« –

Aus den Wellen steigt des Nebels Schleier sanft zerfließend auf,

Auf des Urwalds Gipfeln lodert nun die dunkelglüh'nde Feuerstatt,

Tiefer, dichter flammend, und die Sonnenkugel steigt herauf.

Strom, der Meer ist, wandelt sich zum Feuer meer,

Und die Thierwelt schließt sich auf von des Naturgotts Zauberschlag –

Welch' ein Ton, wie Wächterfeuerruf in stiller Nacht,

Schrecket nun des Uferrandes kleine Vögel auf?

[54] Brüllaff ist's, der in des schlanken Baumes Krone steckt,

Schatten suchend, denn des Tropenlandes Licht macht heiß.

Schneeweiß, wie gebleichtes Riesenthiergebein zu schau'n,

Liegt auf sand'ger Düne halbvermorschtes Baumgestämm;

Riesengeier (zu vergleichen stummer Mönche Schaar)

Recken traumhaftsinnend auf dem weißen Holz ihr schwarz Gefieder aus,

Nicken mit den Köpfen abenteuerlich, gespenstigbonzenhaft.

Wen hüpfen sanfter; Touyouyou, der spinnenhafte, langgebeinte Storch,

Steht, in philosophisch Denken ganz vertieft, an Ufers Rand,

Horchet reglos, ob aus Uferhöhlen Offenbarung dringt,

Hebt symbolischmystisch langsam auf das lange Bein,

Schüttelt in des Denkens Qual den Schnabelbart,

Bohrt den starren Blick tiefsinnend in die volle Federbrust,

Suchend, wo der Nabel sei zu finden, ein verzauberter Bramin.

Aber höhnend Schnabelklappern dringt aus jenes Busches Nacht:

Reiher sinds, schneeweiß gefiedert, matte Vögelseelen, eifernde Vernünftlerschaar,[55]

Trockenste Gesellen dieser wunderbaren Vögelwelt,

Halle- Weimarisch gebildet, Heidelbergisch angeflogen,

Paulushaft-Wegscheiderisch- enucleirend, Röhrhaft deutelnd,

Wackelnd mit dem theolog'schen prustelndhitz'gen Federkamm,

Tiefen Storchenwesens Feinde, haltend nur an dem, was greifbar;

Und was fischbar, und was freßbar, und mit langem Bein erlaufbar.

In versumpfter Reihersprache sprechen sie sich kritisch aus,

Und den schmutz'gen Fisch im Schnabel rennen sie im Trab nach Haus.

Klapperstorch, dem einsamgroßen, schwelgenden im Sonnenfeuer,

Diesem Würd'gen wird gemuthet von dem schmutzbefleckten Reiher,

Daß er soll beweisen sonder Zorn und Leidenschaften,

Wie es kommt, daß an den Regenwürmern keine Läuse haften.

Aber Storch, der Denker, schreitet ruhig durch die garst'gen Recken,

Und der Reih'r auf einem Beine läßt sich seinen Thranfisch schmecken. –

Wärmer wird der Strahl der jungen Sonne;

Harzgedüfte, Balsamhauche weben durch die feuchte Wildniß;[56]

Pflanzen wachen träumend auf und reden wunderlieblich in Gedüften;

Sagoins, die winzigkleinen, klugen, schauen durch die schlanken Wipfel;

Papageien, goldiggrüne, glänzendhimmelblaugeschweifte,

Klettern an dem weißen Stamm der wunderschlanken Cocospalme;

Bunte Spechte klopfen hämmernd große Samenkapseln aus;

Aber aus des Waldes Tiefe braust heran ein mächtig Trampeln:

Sind Pecaris, grause Thiere, rauhe wilde Eberhorden,

Trotz in Beinen, Gier im Magen, in dem Hauer die Beweiskraft.

Und die Sonne brennt nun heißer –

Glüh'nder Mittag, jetzo fühl ich selber Deinen Tropenbrand,

In den Schatten dieses dichten Strauchwerks berg' ich mich,

Zwischen diesen Blattgiganten, urweltmassenhaft geformten,

Zwischen diesen dünnen Zweigen, die von den Gebüschen hangen,

Zwischen diesen weiterschloss'nen lasurblauen Sonnenblumen,

Zwischen diesen dunkelgrünen hochgestreckten Cactussäulen,[57]

Diesen einsamstarren, fetten, stacheligen Pflanzenwurdern,

Zwischen diesen Lapagērien, Tropäōlen, Sisyrrhīnchen,

Tropenlandesschlingpflanzhafterstralenblütiger Dreieinheit,

Die sich blumenhaft gewaltig, urgroß um den Vorrang streiten –

Unter diesen heiliggroßen, geisterfüllten Blumenwundern

Sinket mir das heiße Auge, überkömmt mich traumhaft Schlummern.

Dichte Blüthenlaube, dunkler Blätter Götterdämm'rung,

Müde von des Gluthballs Sengen sammeln sich in Dir die Wesen:

Säug'thier, Schmetterling und Vogel, Käfer, Colibri und Raupe,

Und ich selber, Menschenwesen, in der müden Urwelt einsam,

Müder matter Säugling an den Brüsten einer fremden Schöpfung. –

Sind verschwunden weiße Reiher von dem Uferrand;

Sind gewichen schwarze Geier heißem Sonnenbrand;

Schleichen stillunhörbar weiter des Maranhons heiße Wogen;

Kommt vom fernen Strand herüber langsam ein Delphin gezogen –

Schwimmst so schläfrig, Stromeswächter, treuer, kluger Wasserhund?[58]

Sinkst so sehnend, wellendurstig in den kühlen tiefen Grund? –

Luft entschlafen; Sonne sprühend Millionen Gluthenpfeile;

Lautlos Alles; aber dorthin sende Deinen Blick in Eile,

Wo der Nebenfluß auf breiter Schlammbank in den Urstrom schäumt,

Liegen dort nicht starre schwarze Riesenmassen aufgebäumt,

Dichtgeschaarte? Stämme sind es; nein, es blitzen tück'sche Augen,

Rucken, regen sich die Leiber, träg sich wälzend, weiter krauchend.

Rachen gähnen, zuckt elektrisch nun das ganze Ungeheuer –

Krokodil, gepanzert Scheusal, trotz'st Du so dem Sonnenfeuer?

Schwer Geschütze des Maranhon, fürchterlich Amphibienthier,

Auf dem heißen Rost der Düne ist es Dir so wohlig hier?

Graun erfaßt mich vor den ungeheuren Schuppenpanzereidechsringen;

Eine ganze Menschenschöpfung könnten sie allein verschlingen! –

Aus geschlummert hat die Wildniß heißen Mittagstraum;[59]

Aber in den Lüften jetzo hebt ein Summen, Klingen, Brausen an –

Tiefer sinkt die Sonne, düstert sich ihr Feuerball;

Steigt ein Wetterwolkenzug im Westen auf,

Schwarz und feuerad'rig; gluthbesäumt,

Todtenstille auf der ungeheuren Wildniß ruht,

Graunvoll Schweigen; Alligator ist hinabgetaucht;

Möven flüchten kreischend, Nachtaff' und Myceta schreit;

Ganz versunken ist die heitre Gegenwart;

Heil'ger Frieden der Natur, wohin bist Du, wohin?

Zukunftschwangre Welt, Dein dunkles Antlitz schreckt,

Und die Thierwelt, ahnend nur das Grausen, wird erfaßt von Todesangst –

Steh' ich einsam unter'm schwarzen Laubdach, ein verlornes armes Kind,

Preis gegeben, Gott der Wüste, Deinem heißen Zorn.

Schüttelt Angst mir das Gebein! O ärmster Wurm,

Nach der gottgeliebten Heimath jetzo sehnst Du Dich,

Nach den Deinen, die auf grüner Wiese geh'n,

Zwischen Buch' und Erle an dem kleinen friedesel'gen Murmelbach.

Aber Aluēlap, Gott der Wildniß, Herr des Donners, rauscht im Sturm heran. –

Aus der Wipfelkronen Geisterflüstern wird ein Schreckgetös';

Mass' auf Mass' aufsteigend legt in Nacht den Strom,[60]

Und er schüttelt seine Wasserriesenglieder fürchterlich,

Stürzt in eigne Tiefen, wühlt sich auf zum Wogenberg,

Urwald kracht im Wettersturm; am Himmel rollt

Böse Geisterschaar den nächt'gen Vorhang auf;

Aller Formen, Farben Schöne wird in Wetternacht getaucht;

Doch in ihren schwarzen Schlünden steckt ein Feuerzeichen auf der Blitz –

Wog' in Feuer, Nacht in Flammen schau' ich nun,

Und in zuckenden Secunden Waldes Schwefelbrand.

In der Höhle Dunkel leuchtet mir die gelbe Gluth,

Die wie Irrwischfeuer auf den Riesenblättern tanzt;

In der Höhle tiefstes Dunkel berg' ich schaudernd mich.

Herr der Welten, schütze hier das bange Kind!

Einen Engel sende, der in diesem Felsenbett

Mich behüte, breitend seine Lilienschwingen aus!

Schutzgeist meines Lebens, hüte mich vor Tigers Flammenaug',

Vor der ries'gen Schlange toderfülltem Stachelzahn!

Engel sagst Du? Engel sind nur dem ein Hort, der glauben kann;

Aber Du, der Zweifler, bist naturgeweiht,

Und in Zweifels Armen findet Dich die Todesnoth.


Wetterschlag. Lodernder Wald. Tiefes Schweigen.


FERNE STIMMEN IN LÜFTEN.

Zagst Du so im Ungewitter,

Feiger Zögling der Natur?[61]

Wendest Dich wie bange Buben

Auf des feigen Glaubens Spur?

Sprüht in Dir Prometheus' Funken,

Und erbleichest, Menschenwicht,

Vor des zorngewalt'gen Gottes

Wetterdunklem Angesicht?


In die Tiefen willst Du steigen,

Kranker blasser Menschenwurm?

Ach! und fürchtest todesängstlich

Winzigkleinen Tropfensturm?

Strebst nach jener Offenbarung,

Die aus Erdennächten dringt,

Und erbebst, wenn auf Minuten

Aeolus sein Banner schwingt?


Ohne Weisheit, ohne Tiefe,

Ohn' Ermannung höchster Kraft,

Ohne ew'gen Durst nach Wahrheit,

Ohne Gluth der Leidenschaft,

Machtlos, muthlos, zweifelnd, zagend –

Sohn der jämmerlichen Zeit –

Sag', was suchst Du in der Wildniß

Wundervoller Einsamkeit?


Weich' aus diesen stolzen Gauen,

Zwitterhafte Menschgestalt![62]

Kehr' zu Deinen heim'schen Auen,

Wo der Frühling welk und alt;

Wo beim Schwindsuchtston der Flöte

Sonnenball verdrießlich sinkt,

Wo der Narr: Culturpoete

Dichtkraft aus der Pfütze trinkt!


Wag', in knechtischem Verzagen,

Unter Palmen nicht zu geh'n,

Nicht in abgrundtiefen Klüften

Vor dem Katarakt zu steh'n!

Zitt're vor der Abendblume,

Die sich nächtigduftend regt!

Tod birgt sie in jenem Kelche

Dem, der noch die Ketten trägt.


Bist Du 's würdig, anzuschauen

Sonnengleichen Abendstern?

Würdig, tief hineinzublicken

In der Nacht geheimsten Kern?

Tritt hinaus! Gen Himmel schaue,

Wo des Lichtmeers Wellen glüh'n,

Wo auf purpurblauem Grunde

Firmaments Rubinen sprüh'n;


Wo sich Stern zum Sterne findet:

Amethyst und Diamant;[63]

Wo sich Blüth' an Blüthe windet:

Tausendblumig Feuerband;

Wo ein unergründlich Flüstern

Kühl vom ew'gen Himmel wallt;

Wo des Stromes heil'ge Welle

Leise Harmonien schallt.


Feigling, zauberhaft beschwichtigt,

Oeffnet jetzt die Wundernacht

Ihres Daseins keusche Tiefen,

Ihres Schooßes dunkle Pracht.

Lieblich rauscht es, ruft und klinget

In geheimer Uferbucht;

Leiser Klage Seufzen dringet

Aus des Waldes ferner Schlucht.


Auf der Lüfte leisem Flügel,

Mondlichthaftig, perlenrein,

Schwimmt hervor aus Nachtgebüschen

Glühwurms mährchenhafter Schein;

Deckt in dichten Feuerschaaren

Laub mit Perlenschleier zu,

Feiert hoch auf Palmenwipfeln

Leuchtend seine Sabbathruh.


Und ein Düften ist ergossen,

Quellend aus geweihtem Grund,[64]

Schließend mit des Himmels Flammen

Zauberischen Liebesbund.

Funk' an Funken sprüht hernieder,

Well' auf Welle rosig glimmt,

Und im Schilf die Aeolsharfe,

Die der Gott zur Andacht stimmt.


Aber Du aus Deiner Höhle

Wage nicht hervorzuschau'n!

Wolle nicht, da Friede worden,

Zwischen Wundern Hütten bau'n!

Wende Dich und steh' vernichtet;

Schauen ist für Männer nur;

Dich hat längst der Gott gerichtet,

Kasperl Du der Faustnatur!


Stimmen verhallen.


FAUST.

Heerschaaren Gottes, welch' ein ungeheures Strafgericht!

Geister der Luft, des Wassers und der Erdenkluft,

Mich hat erschlagen Eures Zornes Allgewalt,

Erschlagen Eurer Stimmen furchtbargrimm'ger Hohn!

Ich steh' vernichtet, Scham zerwühlet mein Gebein;

Ich lieg' zerschmettert, wie vom Himmelsfeu'r zermalmt;

Es zieht ein grimmig Grollen durch den Busen mir.

Schmach, höchste Schmach, aus der Natur geweihtem Haus[65]

Verstoßen sein, ein ausgehöhntes Bettelkind,

Verdammt zum Lechzen, aller Manneskraft beraubt,

Eunuch der Menschheit, so von Geistern sich begrüßt zu seh'n!

Wurm, der nach Tiefe dürstet, wohin war Dein Geist gefloh'n?

Ebenbild Gottes – pfui! eines Ungeziefers Ebenbild –

Wo war Dein Muth und Geistesunbesiegbarkeit,

Und Strebefeuer und der Forscherseele todverachtend Glüh'n?

Feigling, Dich höhnt nun Alles, was vom Geist sich nennt!

Feigling aus jedem Blatte rauscht Verspottung Dir!

Feigling, aus jedem Kelche spricht Beschämung Dir

Und Schande! Die Natur, in der Du lebst und webst

Und ewig wurzelst, fühlend, glaubend, ahnungsvoll,

Natur, Dein höchstes unvergänglich's Weiheziel,

Sie selber, Deines ganzen Daseins Grund, verläugnet Dich! –

Verschmäht! Und wagst Du noch emporzuschau'n?

Verachtet! Wagst Du noch hinabzusehn?

Verspottet! Stockt Dein Aug' in seiner Höhle nicht?

Verbannt für immer! Ruckt sich finstrer Wahnsinn nicht

Im Haupte Dir? Bricht Geist und Körper nicht[66]

Im Sturz zusammen, Gottesläugner, über Dir?

Schreit nicht aus Deiner Brust Verzweiflungsruf,

Maranhons Wog' aufwühlend, weil vom Himmel Du gestürzt?

Weint nicht die Woge selber, Abadonna, über Dich?

Die Millionen Blüthen, werden's Teufelsfratzen nicht,

Zu Tod Dich hetzend, Dich, der ewigen Natur Ischarioth?

O wehe, wehe! Mich erdrückt des Unglücks ungeheure Last,

Ergießt sich über mich des Wahnsinns heißer Lavastrom!

Natur hab' ich verläugnet! Gibt es größ're Schuld?

Von Weihetempels dunklem nachtumhüllten Riesenthor,

Ein Schüler noch, bin grausam ich hinweggepeitscht!

Grausen umfängt mich, Firmament verliert den Schein!

Erloschen, ausgelöscht für immerdar die Hoffnung mir!

Sonne des Lebens, Wissens, Schauens, die im Erdgrund glüht,

Nie, nie soll ich Dich schauen! Lebenslicht verdunkelt ganz!

Nacht, ew'gen Wissens Nacht umfluthet mich!

Erbarmen, Geisterschaaren! Heil'ger Gott Dionysos, erbarme Dich!

Dich bet' ich an im Staub; irrsinnig lieg' ich hier;[67]

Ehre sei Dir! Preis, ew'ger Preis! bezeuge Dich!

Laß diesen Faust, in dem der Funke glüht, nicht untergehn!

Seele der Schöpfung, aller Tief' und Höhe Gott,

Zeuch an Dein dunkles Nachtherz Deinen Reuigen, Verzweifelnden!

Dich allein erkenn' ich, neben Dir kein andrer Gott!

Dem Glauben fluch' ich, fluch' auch der Erinnerung;

Vergangnem Leben fluch' ich, meinem eignen vor'gen Selbst. –

Stöhnend und seufzend lieg' ich hier auf spitzem Felsgestein,

Blut weinend; großer Demiurg, umleuchte mich!

Heiland der Wildniß, in dem Flammenbusch verkläre Dich!

Ein zagend thöricht Kind war ich – nun bin ich Mann;

Ein Sünder war ich – jetzo hüllt mich härnes Bußgewand;

Elend Gewürm, kroch ich in Aengsten hin –

Nun steh' ich aufrecht, ruf' Dich an im Strahl des Muths.

Ein nichtig Scheusal war ich, Larve nur des Menschenthums;

Jetzt über Fluth und Donner fliegt mein Geist,

Ruft Hosianna, stöhnt Anbetung. Zeige Dich, geweihter Gott![68]

Spann' aus Dein Banner, aus des Blitzes Gluth gewebt!

In Ungewitters nie erhörter Kraft bezeuge Dich!

Erschein' in ungeheu'rster Geisterfurchtbarkeit,

In millionenfält'ger Schreckensblöße der Naturgewalt

Ich bebe nicht; hier bin ich, Dir ergeb' ich mich,

Dem Himmel fluchend, mit dem eignen theuren Flammenblut

Verschrieben Dir auf ewig ...


Er sinkt nieder. Es erscheint am Himmel ein Südlicht.


ARIEL'S GESANG.

Ueber Wald und Strom gesunken

Friedeselig blühet Nacht,

Fern am Himmel Urlichts Funken

Sprühn in göttlichstiller Pracht;

Andacht-liebevoll erbleichen

Der Gestirne stolze Schaar,

Aus der Feuerwolke reichen

Götter sich die Hände dar.


Und ihr Odem ist Erbarmen,

Und Vergebung ist ihr Blick,

Und ihr Mitleid ruft den Armen,

Den Verstoßenen zurück;

In der Kühle kurzen Schlummers

Fühlt er Gottes Heimsuchung –

Sprengt das Grabmal seines Kummers

Welterlösers Flügelschwung.
[69]

Wie sich leis' die Blätter klagen

Pflanzenlebens süße Qual,

Leis' die Wasser sich befragen

Nach dem ungewohnten Strahl –

Wie im Brautgemach des Schilfes

Fabelhaftes Nachtinsekt

Unter Flüstern, unter Kosen

Nächtlichsüße Wonne schmeckt –


Wie aus Fluthenfeierstille

Nun ein plötzlich Rauschen klingt,

Und ein seltsam Nachtbewegen

Aus des Stromes Mitte dringt,

Plätschernd, rollend, wellenbäumend,

Schwellend (Schiff und Thier zugleich),

Aber ewig unerkennbar

In dem dunklen Wasserreich –


Nun in ferner, ferner Strömung

Bei des Südlichts falbem Schein

Wie ein Felsriff sich gestaltend,

Werdend zum Korallenstein,

Nun den Feuerschweif entfaltend,

(Riesenhaft Gespensterthier!)

Dumpf nun in den Abgrund sinkend,

Todtenstille über Dir –
[70]

Wie dies Alles innerstnächtig,

Stillgewaltig sich bewegt,

Schaffend, zeugend, geistesmächtig

Nah' und ferne Wurzeln schlägt;

Wie – nur sel'gen Geistern sichtbar –

Glänzend tritt der Gott herfür –

Sohn, Du magst es nicht erschauen:

Schlummers Segnung ruht auf Dir.


Aber in des Schlummers Schöne,

Mit des Traumes Allgewalt

Naht sich wonnevoll umflossen

Dir des Gottes Lichtgestalt,

Faßt Dich, rafft auf nächt'gen Bahnen

Dich zum heil'gen Tempelflur,

Legt den schaudernden Novizen

An das Nachtherz der Natur.


Gesang schweigt.


DIE KATZE setzt sich auf den Guckkasten.

Guckkastenmann, mit Deiner Teufelsbude geh sogleich nach Haus,

Sonst kratz ich, Peter, Murner, Hinz Dir beide Augen aus.

Katz' ist mein Name, bin ein knurrend schnurrend Krallenthier,

Als falsch verschrieen, aber ein Gewissen lebt in mir.[71]

Spuk mag ich leiden, spuk' auch selbst mit Faulholzschein zu nächt'ger Frist;

Doch hass' ich grimmig Satans Blendwerk, Trug und List.

Als Hausthier bin ich nicht umsonst dem Menschen zugesellt:

Natur hat auf's Ergründen meinen Geist gestellt.

Wenn Sonnenstrahl durch's Fenster mich behaglich wärmt,

So überdenk' ich schnurrend was auf Erden freut und härmt;

Wenn ich mein reinlich speichelfeuchtes Pfötchen schwing',

Alsdann erschließt sich freudig mir das Wesen aller Ding';

Ich schau' hinab, wo spukhaft sich des Weltalls Räder drehn,

Brauch' nicht ein Grublicht, kann bei meines Felles Funken sehn.

Nacht ist mir Licht stets, und dann wieder ist das Licht mir Nacht,

Nachdem 's beliebt; ja nimmer hätt'st Du das von einer Katz' gedacht.

Alsogestaltig hat mein Sein verklärt die Poesie;

Die Geister, die dies für das Katzthum thaten, nie vergess' ich sie!

Von Dichtungsmorgenroth umleuchtet steht nun Katzthier da,[72]

Hold Allem was zur Dichtung wird gezählt in fern und nah.

Nun aber, Satan, regt in meiner Brust Erbarmen sich

Mit Fausto, der bekannt mir, den des Erdgeists List beschlich;

Nun aber, Scheusal, wird mein Katzenherz zum Zorn gewandt

Ob jenes Nachtspuks, den die Hölle selbst heraufgesandt.

Wider Dich zeug' ich, Frevler, und die Wahrheit spricht aus mir:

So Geister zu berücken, nimmer ist's Naturmanier.

Natur, ich weiß es, kann den Forschenden verlocken wohl;

Nicht aber, daß der Forscher d'rum des Teufels werden soll.

Natur, ich weiß es, hüllt in Nachtschooß Offenbarung ein;

Soll aber Offenbarung nicht der Fluch des Glaubens sein.

Erdulden muß, ich weiß es, der Adept der Weihe Qual,

Doch nicht verstoßen werden aus des Himmels Freudensaal.

Einfahren muß er in der Unterwelt urnächt'ges Reich,

Nicht aber ewiglich verspielen Glück und Ruh' zugleich.

D'rum, Satan, denn Du bist es, lasse diesen Faustum los![73]

Von selber, ohn' Dein Quälen, findet er der Tiefe Schooß.

Laß diesen Faustum, denn sein Engel wird nicht weichen ganz,

Von Himmels Höhen wird ihm leuchten sel'ger Sterne Glanz;

Wird, wenn die dunkle Bahn hinab ihn ruft,

Ein lichter Morgenstern ihm hellen diese Todtengruft;

Wird, wenn Natur sein ganzes Denken zu verschlingen droht,

Geist Gottes ihn erlösen aus der Todesnoth.

Guckkastenmann, mit Deiner Teufelsbude zieh' so gleich nach Haus,

Sonst kratz' ich im gerechten Zorne Dir die Augen aus.


Katze bleibt in drohender Stellung auf dem Guckkasten sitzen.


GUCKKASTENMANN. Ei Kätzlein, wohlbekanntes Thierlein, Stiefcousin chen der Frau Muhme Schlange, kramst Du in Knittelversen so salbungsvolle Weisheit aus? Will Dir in derber deutscher Prosa Bescheid geben. Hast Du gelernt von einem Stümperhexenmeister, dergleichen als Naturforscher in deutschen Landen herumziehen und Hühneraugenschneiden – hast Du von solchem Gesindel gelernt in die Tiefen schauen? Hast im Schnurren, Miauen, Knurren, zwischen Schlaf und Wachen das Gevattersprüchlein gehört, daß Geist Natur besiege,[74] daß Mutter Natur, Vater Erdgeist, Großvater Satanas, der in Allen Alles wirket, mit ihrer Macht nicht reichen an den Geist, der vom Himmel stammt? Hast etwa in solcher tücht'gen Lehrlingsschaft gelernt, Meister zu sein über die Macht des Triebes, über den Zug und Reiz, der in der Gattung hauset, ein ew'ger Fluch von Adam her? Ist dem so, ei nun:


Du sprödes Kätzlein, so beweise jetzt die Weihekraft,

Und bleib auf meinem Kasten, wenn Natur ein Dutzend Mäuse schafft!


Guckkastenmann öffnet ein Ventil. Daraus schlüpfen Schaaren von Mäusen. Katze setzt den Mäusen nach Und jagt sie im Haus herum.


GUCKKASTENMANN mit Lachen.

Es gilt bei allen Teufelskünsten

Ein Pfiff als Privilegium:

Man scheide nur, will man berücken,

Die Art vom Individuum.

Läß'st diesem Du den Zügel schießen,

So hast Du Deine liebe Noth,

Doch schlägst Du mit geringster Mühe

Die Monas mit der Gattung todt.


Pack' jeden nur bei seinem Wesen,

Brauch' nur als Bockshorn die Substanz,

So greift er ohne Blutverschreibung

Von selbst nach Pferdefuß und Schwanz;[75]

Naturgeschöpf ist unantastbar,

So lang' sein Ich Du nicht beschränkst,

Dein ist's für ewig, wenn Du's listig

Auf's Folterbett der Gattung zwängst.


Auf's Schlachtfeld führst Du den Soldaten,

Den Dichter hüll' in Wunder ein,

Willst Du den Philosophen fangen,

So stecke den Gedanken ein;

Für Katzentrotz laß Mäuse springen,

Und find'st Du wen, den nichts verführt,

So spar' als Teufel Deinen Köder:

Den hat die Dummheit eximirt.


Donner und Blitz. Die Bauern verschwinden.


DER WIRTH. Soll Gott's Wetter mir in den Branntwein schlagen! Wo sind auf einmal alle meine Gäste hin?

GUCKKASTENMANN. Laßt Euch dienen, einfältiger Gastgeber. Kennt Ihr das Kräutlein, so man Genie nennt?

DER WIRTH. Nein, Herr, dies Kraut kenn' ich nicht.

GUCKKASTENMANN. Kennt's nicht, habt's aber doch in Eurer Behausung. Ruft Eure Viehmagd, laßt das Kraut hinausfegen. Die Ochsen können's nicht leiden. Genie fort,[76] Heu auf die Krippe, so werden die Ochsen schon wiederkommen. Dies zur Notiz, Herr Wirth. Gebt aber Acht auf Eure Katze; Ihr wißt, Katzen wälzen sich gern auf dem Baldrian. Gott befohlen, Wirth! Gott segne Euren Graswuchs und Eure Branntweinnase! –


Zu Faust gewendet, der noch betäubt liegt.


Verführter Geist, Dir sag' ich Abschied bis zum Wiederseh'n.

In der Naturwelt Wunder bist Du nun versunken ganz,

Naturgeheimniß, tausendwonniges, verschlang Dich erst,

Naturgotts Wüthen aus dem Dichtertaumel schreckte Dich;

Der Geister Höhnen aber riß Dich ganz dahin.

Abschwurst Du Freiheit, Glauben; aber Eines fehlet noch:

Schwören ist Wort, Abfalls Vollendung aber ist die That.

In's Culmen des Begeistrungstaumels führ' ich Dich;

Zauber der Liebe muß wirken, innigstes Mysterium

Des Herzensneigens muß magnetisch Dich umgarnen jetzt.

Schönstes des Schönen, göttlichen Weibes Liebreiz muß

Dich in der Wonne wundervollsten Wirbel zieh'n.

Wahre Dich Faustus! Seliger Träumer, Du vermagst es nicht,[77]

Gehst unter schaudernd, taumelnd in dem Riesenpurpurkelch

Der allverzaubernden Abgrundblume Poesie.

Dich schlug Dein eigen heilig Dichtergluthherz. Nenn' Verhängniß es,

Nenn's Erdgeist, nenn's den Schierlingsbecher des Dionysos;

Nenn's Sturz vom Himmel – Teufel wird's von mir genannt:

Denn an die Hölle hast Dein göttlich Wesen Du verspielt.

Seelischgeword'ner, nicht Erlösung gibt es mehr für Dich,

Nie aus dem Schaudernetz der Unterwelt befreist Du Dich;

Und so mit Prosper's Stab berührt, erwache nun zum letzten Kampf.


Guckkastenmann verschwindet.


Quelle:
Marlow, F. [d.i. Ludwig Hermann Wolfram]: Faust. Ein dramatisches Gedicht in drei Abschnitten, Neu herausgegeben und mit einer biographischen Einleitung versehen von Otto Neurath, II. Teil: Text des Faust, Berlin [1906], S. 1-78.
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