Der Egoist wird zum Verführer

[379] Robert wähnte die Wirkung dieses Briefes entscheidend für seine Plane, darum hatte er so lange damit zurückgehalten. Bisher hatte er sich geschmeichelt, Nannys Neigung als eine frische Blume aus der grünen Laube der schönsten Lebenshoffnungen zu brechen, aber sein ungestümes[379] Verlangen trieb ihn jetzt an, alles zu versuchen, um selbst das hoffnungslose Herz schnell an das seine zu ketten. Die Schwierigkeit des Besitzes erhielt ein immerwährend reges Streben der Eitelkeit, das Robert sich selbst täuschend für eine Stimme des Herzens hielt.

Das Zusammenleben mit seinen ehemaligen Gefährten, die Scherze über seine neue empfindsame Liebe, die er in ihren Zirkeln auszuhalten hatte, wirkten auf sein schwankendes Wesen, das bald über, und bald wieder unter der Region fremder Meinung schwebte.

In reiner Lebensfülle, im Geleit der Grazien geht eine schöne Fantasie durch das Leben; ihre Aeußerungen sind wie die der Vernunft Ruhe auf sich selbst; aber eine wilde und regellose, schöner Bildungen unfähige, äußert sich verschwistert mit der Thorheit, und wirkt zerstörend um sich her wie das Laster.

Durch die trübe wechselnde Fluth einer sittenlosen Gesellschaft bewegt, sann Robert nun thöricht nur auf Mittel, seinen Zweck bald zu erreichen,[380] und die Ansicht von Nannys Charakter und momentaner Stimmung, verhüllte sich vor ihm in den Nebel gemeiner Vorstellungsarten, die ihn täglich umgaben.

Die frischen Farben der Hoffnung waren in Nannys Leben verblichen, der Zauberduft der Liebe verschwunden, und die Wirklichkeit stand in scharfem Umriß vor ihrem klaren Verstande. Entkleidet von allem milden Schimmer, welchen das Verhältniß mit Walthern auf ihn geworfen, stand jetzt Robert vor ihren Augen, alle Bande waren für Nanny zwischen ihr und ihm zerfallen. Die Ausbrüche seines kalten Egoismus, den sie als augenblickliche unfreundliche Laune bisher entschuldigte, erschienen ihr jetzt als tiefer Charakterzug, seine wechselnden schwankenden Maximen, die sie als das Leuchten eines allzulebhaften Verstandes betrachtete, sah sie jetzt mit Wahrheit für eine Schwäche des Herzens an, das unfähig war, sich an einen Grundsatz fest zu halten.

Nanny hatte wenige Tage, nachdem sie den[381] Brief gelesen, in denen sie über ihre Verhältnisse gedacht, und sich zu sammeln gestrebt, einen stillen Abend erwartet, um mit Robert zu sprechen. Madame H. hatte Nannys Brief an Walthern nachgespürt und Robert davon unterrichtet; er war von der gefälligsten heitersten Laune, er wähnte sich am Ziel seiner Wünsche.

Nach kurzer Einleitung forderte Nanny mit Ernst von Robert, daß er sie unverzüglich zu ihren Eltern zurückbringen solle. Robert machte Einwendungen. Ihre Talente seyen in der schönsten Ausbildung, warum ihre Fortschritte eben jetzt hemmen? Eine solche Gelegenheit, sich für die Welt zu bilden, komme vielleicht nicht wieder. – Von ihrem Gefühl übermannt rief Nanny: was soll ich in einer Welt, in der ich mich ewig fremd fühlen werde, in der ich niemand zum Trost und zur Freude lebe! Wozu soll mir eine feinere Bildung, da ich niemand mehr kenne, der sich daran erfreuen könnte! – Tiefe Röthe glühte über ihre Wangen, nachdem sie das Geheimniß ihres Unglücks ausgesprochen, die[382] Thränen stürzten aus ihren Augen, so daß sie ihr Antlitz verhüllen mußte. – Robert wähnte sein Glück jetzt zu umfassen, er glaubte, der Moment sey da, um dem gereizten schmerzerfüllten Gemüth der Verlassenen ein neues Bild der Liebe und des Glücks zutraulich darbieten zu können.

Er faßte Nannys Hand mit Heftigkeit. O Nanny! rief er mit heißer Leidenschaft, und Sie sagen dieses einem Manne, der längst Ihren Besitz als sein höchstes Gut ansah, der den Moment, in welchem er Ihnen sein Herz zeigen dürfte, so lang, so sehnlich erwartete! –

Nanny schwieg, und hielt ihre Augen bedeckt. Robert glaubte, der Sieg sey errungen, sein Arm wagte sie zu umfassen. Jetzt richtete sich ihr großes helles Auge mit einem scharfen Blick auf ihn – ihre Lippe bebte krampfhaft. – Sie erwarteten diesen Moment? Eine hohe Röthe flog über ihr Angesicht, mit edlem Zorn stand sie auf, und wies Robert aus ihrer Nähe zurück. – Es ist nicht alles wie es seyn sollte, Ritter[383] Robert, sagte sie; ich ahnete es lang. – Ein unerfahrner Sinn ist leicht zu verwirren, aber ein offnes Herz nicht zu gewinnen, als durch Wahrheit. Ich bin unglücklich durch Walthers Verlust, und daß Sie den schmerzlichsten Augenblick meines Lebens so benutzen konnten, zerreißt unsre Freundschaft.

Sie ließ den Ritter allein, verstört und verwundert stehen.

Robert war jetzt beleidigt, gereizt, um für den Besitz des Gutes, welches ihm versagt wurde, alles zu wagen. Seine Eitelkeit, die sich mit seinem Scharfsinn verbunden, immer mit allen Begebenheiten so abzufinden wußte, daß sie unbeleidigt und in der Selbsttäuschung seines vollen Werthes erhalten wurde, half ihm auch hier geschäftig zu tausend Illusionen über Nannys Betragen.

Die schöneren Seiten der weiblichen Natur waren Robert immer fremd geblieben, er hatte sie flüchtig beobachtet, aber nie empfunden. So sehr er Nanny allen übrigen ihres Geschlechts[384] vorzog, so war sie ihm doch nur ein Wesen, das einer Leidenschaft bedarf, einer Flamme, die sich, gleichviel von welchem Stoff, ernährt. Die höhere Liebe, die Tiefe des Empfindens, die einer einzig gewähnten beglückenden Erscheinung ewige Thränen zu weihen vermag, waren ihm unbekannt.

Zum erstenmal erklärte sich Robert deutlich gegen Madame H. über Nanny, über seinen Antheil an ihr, schwankender über seine Plane; denn eine lebhafte Neigung zu bekennen, lag ganz außer seiner Weise. Madame H. kam ihm entgegen, verstand seine leisesten Aeußerungen mit solcher Feinheit, erhielt die ganze Verhandlung, vor der Roberts scharfer Verstand oft die Augen niederschlagen mußte, so ganz im Gebiet des Scherzes und der Laune, und tröstete immer mit der reiferen Lebensansicht der guten Kinder, in der die ersten Aufwallungen des Herzens um nichts bedeutender schienen, als die bunten Seifenblasen der Kindheit.

Die Schlingen für die Liebenden wurden auf[385] diese Art unvermerkt gelegt. Unter mancher Hinweisung von Madame H. auf die vortheilhafte Existenz, die Nanny in der Verbindung mit Robert finden würde, da hingegen die unsichere Lage des Neffen ihr nur ein sorgenvolles Leben darböte, versetzte sich Robert beinah selbst auf Momente in die Illusion, sein Benehmen sey lobenswerth und großmüthig.

Der schiefe Lebensweg war eingeschlagen, und Robert eilte nun von Irrthum zu Irrthum, da er sich einmal erlaubt zur Beförderung seiner Zwecke, mit den Waffen der Unwahrheit und List, ein friedliches Daseyn anzugreifen.

Nanny hatte sich dringend an Madame H. gewendet, um ihren Beistand zur Abreise zu erhalten. Sie versprach alles, aber mit der Bedingung, daß Nanny ihr die Freude einer kleinen Lustpartie auf wenige Tage nach einem der lieblichsten Plätze in der ganzen Gegend, nicht verderben möchte. Nannys kleine Baarschaft reichte nicht hin zu den Ausgaben der Reise, sie mußte nachgeben, so viel es ihr auch kostete.[386]

Die kleine Reise wird uns allen wohlthun, sagte Madame H., nachdem die Gesellschaft im Wagen Platz genommen – ihr Blick war auf Nanny gerichtet, aber seitwärts lächelte sie auf Robert, indem sie hinzusetzte: ja sie wird manche Wolke zerstreuen.

Der schiefe Charakter-Ausdruck ihrer Miene war Nanny nicht entgangen, ob sie gleich in der schmerzlichsten Spannung war. Der Haß wirkte in ihrem weichen liebenden Wesen zerstörend, wie das Gift in einem gefunden Körper. Sie vermochte es fast nicht, Roberts Nähe zu ertragen, und kehrte nur, um gleichsam sich selbst zu erhalten, ihr innres Auge auf die Bilder ihres entflohenen Glücks. Der Wunsch, in der Einsamkeit ihren Schmerz auszuweinen, war der einzige, der dem, holder Wünsche sonst so vollen, Busen jetzt übrig blieb.

Selbst die wechselnden Natur-Scenen konnten sie nicht beleben, in jedem Wald suchte sie unglücklich Liebende, an jeder Quelle ein verlassenes Herz.[387]

Sie hielten an in einem anmuthigen Dorfe. Alles war heiter und festlich geschmückt. »Es ist heut eine Hochzeit hier, sagte der Wirth.« Die laue Luft lockte die Reisenden in einen kleinen Garten, der an einem Bergrücken endigte.

Nanny erklimmte den steilen Pfad mit einer jungen Bäuerin, die sie sich zur Führerin erwählt. Sie blickte über die lachende Gegend hin, ihr Herz schlug milder, da es sich unbemerkt fühlte, ein leiser Antheil an dem reichen harmonischen Leben, das sie umgab, begann sich zu regen. Die Bäuerin nannte ihr einige Namen der vor ihr liegenden Dörfer. Ein einsames Haus neben einem Busch von Obstbäumen zog Nannys Aufmerksamkeit vorzüglich an. Wie bebte ihr Busen, als sie auf die Frage, wem dieses zugehöre, zur Antwort empfieng: der Fr. von L., unserer gnädigen Frau, sieeb en stattet heut ein junges Paar im Dorfe aus, und wird selbst hieher kommen.

Vor Nannys Augen sank wie ein grauer Schleier über die sonnigte Landschaft, der Boden[388] schien unter ihr zu wanken, sie eilte davon. Das Mädchen folgte, ohne sich in ihrem Geschwätz zu unterbrechen. »Einige wollen sogar wissen, sagte sie geheimnißvoll, die gnädige Frau werde heute ihre eigene Vermählung feiern, mit einem jungen schönen Herrn, der vor wenigen Tagen angekommen ist. Wahr ist's, alles ist zu einem größern Fest veranstaltet, als zu einer Bauernhochzeit.«

Nanny kam beinahe sinnlos in den kleinen Garten zurück. Eilt, daß wir hier wegkommen, sagte sie der Muhme heimlich: die Luft, die ich athme, ist mir tödtlich.

Sie giengen beide, Madame H. und Robert aufzusuchen. Nanny eilte schwindelnd durch die kleinen Gassen des Dörfchens.

Der Platz vor der Kirche war mit jungen Maien und Laubgewinden geschmückt, der Weg war mit Rosen bestreut, die enge Kirchenthür umwallten grüne Zweige.

Nanny hatte die Kraft des Herzens wieder gefunden, die sich an der Unermeßlichkeit ihres[389] Schmerzes gleichsam stärkt und erhebt. Sie trat in die Kirche, und sagte sich es vor; dieser Raum wird in kurzem den Geliebten umschließen!

Schauervoll umfaßte sie das enge dämmernde Gewölbe, wie das Grab ihres Glücks. Ein Lichtstrahl fiel auf die weißen, mit Blumen geschmückten Decken des Altars. – Hier verliere ich Walthers Herz! seufzte sie still. Möchte er hier alles Glück finden, das ich auf ewig verliere! In dem reinen Wunsch fand sie sich von neuer Kraft belebt, in der sie alles zu ertragen vermochte; nur um Walthern zu schonen, wünschte sie noch eilend diesen Ort zu verlassen, wo sie ihm nicht als ein strafender Genius in der heitern Stunde seines Glücks erscheinen wollte.

Madame H. und Robert waren vor der Kirche. Madame H. faßte Nannys bebende Hand, und rief mit einem theilnehmenden Blick auf Robert: sie weiß alles! Ja ich weiß alles! sagte Nanny, und meine letzte Bitte ist: eilen Sie, daß wir von hier wegkommen.

Robert betrieb die Anstalten zur Abreise, und[390] zeigte nur stille Theilnahme an Nannys Schmerz. Kaum hatten sie die letzten Häuser des Dorfes hinter sich, als ein Trupp junger Bauernbursche mit flatternden Tüchern und Bändern geschmückt, an Roberts Wagen vorbeiritt. Ein offner Wagen folgte, Nannys Blick traf auf Walthern, er saß neben der lächelnden Leonore. Nannys Auge schloß sich gleich als geblendet vom Glanz der Erscheinung, sie drückte Madame H...s Arm und sagte leise aus gepreßter Brust: nur hinweg! nur eilend hinweg! bis die Wolke der Ohnmacht ihre Sinne ganz umhüllte.

Sie waren weit weg, als Nanny wieder zu sich selbst kam. Es wird bald vorüber seyn, sagte sie sanft zu den Frauen, die sie um sich beschäftigt sah, aber mit ernstem Blick entriß sie Roberten ihre Hand, die er in der seinen hielt.

Quelle:
Caroline von Wolzogen: Erzählungen. 2 Bände, Band 1, Stuttgart und Tübingen 1826, S. 379-391.
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