Schöne Wiedervereinigung

[431] Der ganze Zug gieng nach dem Kloster, als dem zunächst liegenden Hause. In einem Seitengebäude wurden sogleich Anstalten zu Walthers Unterkommen gemacht. Walther hatte verschiedenemale die Augen während des Fahrens aufgeschlagen, Leonore starr angesehen, und einmal sich mit Schaudern von ihr abgewendet.[431]

Als er durch Hülfe des Arztes sein Bewußtseyn wieder gefunden, und Leonoren neben seinem Bette erblickte, drückte er sie heftig von sich, und sagte so stark er's vermochte: ich beschwöre Sie, verlassen Sie mich.

Leonore verließ ihn in heftiger Bewegung. Er fragte den Arzt, wo er wäre? und als dieser ihm das Kloster nannte, fragte er: lebt Ihre Kranke noch? – Ja, erwiederte dieser mit freundlicher Miene, und seit ein Paar Stunden, sehe ich Möglichkeit sie zu retten. Walther faltete die Hände über seine Brust, und sein glänzendes Auge dankte dem Geber des Lebens. Er frug, ob ihn die gute Nonne besuchen dürfe? Der Arzt gieng sie zu rufen.

Mit Freudestrahlendem Antlitz trat sie an sein Bett. Sie sagte, daß Nanny diesen Morgen in einem Augenblick des hellen Bewußtseyns sie zu sich gerufen, und ihr noch einige kleine Geschenke für Walthern gegeben, die sie ihm nach ihrem Tod zustellen sollte, mit zärtlichen Grüßen. Sein Weib wird mir ja ein flüchtiges Andenken göngen![432] hätte sie mit schmerzlichem Lächeln hinzugefügt. Ich sagte ihr darauf, fuhr die Nonne fort, daß sie sich geirrt, daß ich Euch selbst gesprochen, und von Eurer treuen Liebe für sie überzeugt sey. Es war, als ob ein neuer Lebensgeist ihr durch Nerven und Adern flöge, sie erholt sich aus der tödtlichen Ermattung, und der Arzt giebt Hoffnung.

Walthers Herz floß über von Liebe und Freude. Er hat die Nonne, Roberten gütig zu begegnen, und seine lebhafte Sorge um Walthern rührte sie selbst.

Leonore hatte indeß Robert mit Fragen bestürmt: Walthers Widerwillen gegen sie beunruhigte sie unaussprechlich. Robert hatte ihr in seiner eignen undeutlichen Ansicht die Lage der Dinge vorgelegt, sie war äußerst betroffen. Auch Nannys Verwandtin hatte sie befragt, und klar, im strengsten Sinne, wie diese die Begebenheiten aufgefaßt, hatte sie sie ihr wieder vorgestellt.[433]

Leonore weinte heftig; ihre ganze Gutmüthigkeit erwachte. Sie quälte sich mit bittern Vorwürfen, das Glück von zwei liebenden Herzen zerrissen zu haben, und bebte vor den Folgen ihres Leichtsinns zurück. In einem ruhigen Moment gieng sie in Walthers Zimmer, als Robert gegenwärtig war.

O Ritter Robert, sagte sie, wir haben Böses gestiftet, lassen Sie uns gut machen, was wir können! Sanft bat sie Walthern, ihr alle Verwirrung, alles Leiden zu verzeihen, was sie ihm verursacht, und sie nich zu hassen. Walther drückte einen Kuß auf ihre Hand. Aus Liebe hatte sie gefehlt, und sein lieberfülltes Herz mußte ihr verzeihen.

Der Arzt, der nicht Kunst genug besaß, um die leisen Züge der Natur ahnungsvoll zu ergreifen, folgte wenigstens ihren klaren Aussprüchen, und freute sich gutmüthig, sie verstanden zu haben. Hoffnung und Freude waren der wahre Balsam für die Liebenden. Da sich Walther den[434] nächsten Tag leidlich befand, durfte er zu Nanny ins Sprachzimmer gebracht werden.

Süßes Wiedersehen! Wie zwei seelige Geister, die über der Kluft des Vergänglichen schweben, umfaßten sie sich nach allen Leiden im Gefühl reiner bewährter Treue. Ewige Liebe glänzte ihnen entgegen.

Leonore war innig gerührt. Das Unglück, das sie über das Leben ihres Freundes gebracht, der Schmerz über seinen Verlust, den sie sich selbst nicht gestehen mochte, alles bewirkte eine gewaltige Umwandlung ihres Gemüths. Alles wieder gut zu machen, Walthers Achtung zu verdienen, war ihr höchstes Bestreben. Sie drang in Robert, einen Theil ihres Vermögens für Walther, aber in seinem Namen, zu verwenden, um des jungen Paares Feinheit zu schonen, zu dem sie kein Verhältniß hatte, das solch einen Schritt autorisiren konnte.

Robert selbst war tief gerührt, und übertrug Walthern die Verwaltung seiner Güter mit einem[435] beträchtlichen Jahrgehalt. Die Verbindung der Liebenden sollte bald geschlossen werden. Schon hatte man den Eltern geschrieben, und die gute Botschaft verkündigt. Leonore sah mit nassen Augen, aber mit theilnehmendem Herzen auf die Glücklichen; Robert stand mit niedergesenktem Blick. Nanny blickte hold und verzeihend auf ihn, und sagte freundlich, indem sie seine Hand faßte: Ein guter Genius hat uns Beide gerettet. Nie hätten Sie es ertragen, mich elend zu sehen. Werden Sie, machen Sie glücklich! flüsterte sie ihm sanft zu, auf Leonoren deutend.

Walther näherte sich Leonoren, und sagte leise: O meine Freundin, Sie theilen unser Glück! vergönnen Sie uns denselben Genuß, daß auch Sie eine schöne Erinnerung an die ersten Wallungen Ihres Herzens aufs Neue beglücken möchte!

Robert und Leonore schwiegen. Ihr unruhiges, zweckloses, von Lieb' und Vertrauen getrenntes Daseyn stand im grellsten Contrast vor ihren[436] Gemüthern, da die reine Himmelsfarbe einer treuen Liebe vor ihren Augen flammte. So glücklich hätten auch wir werden können, fühlten sie, und ihr Blick senkte sich beschämt vor den reinen Gestalten, die das Heiligthum der Treue und des Vertrauens aus allen Schlingen der List gerettet hatte.

Die Energie der Glücklichen belebte in ihrem Busen einen Funken des Glaubens des fröhlichen Selbstvertrauens.

Roberts Blick fiel auf Leonoren. Das Schicksal hat mir viel geraubt, sagte er, indem es meine heitersten Jahre dem Irrthum einer ungezähmten, ewig getäuschten Einbildung hingab, indem es meinem Herzen die Kraft nahm, auf einer holden Erscheinung zu verweilen. Ein Schwindelnder, der am Abgrund hintaumelt, darf er seine Hand als Führer reichen?

Wir wissen nur das, was wir mit Schaden lernen, sagte Leonore unter Thränen lächelnd. Lassen Sie uns an der Zeit prüfen, welches Glücks[437] und welcher Gefühle wir noch fähig sind. Vielleicht ist uns das so seltne Glück gegeben, den reinen Pfad der Natur wieder zu finden, von dem die Welt und eigne Schwachheit uns abführten.

Glücklich sind die, die ihn nie verließen![438]

Quelle:
Caroline von Wolzogen: Erzählungen. 2 Bände, Band 1, Stuttgart und Tübingen 1826, S. 431-439.
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