15. Ottomar von Rheinfeld an Walther von Strahlen

[63] Ja, in der tiefsten Noth erscheint uns armen Sterblichen ein guter Geist.

Lieber Walther! Deine Braut eine Freundin meiner Anna – Meiner Anna! Bald werde ich das nicht mehr aussprechen dürfen, und dennoch wird es ewig wahr bleiben. Ein Lichtstrahl[63] der Verbindung mit ihr, der vieles erhellen, mildern kann, was das Schicksal so grausend und düster gestaltet hat, geht mir in der Freundes-Treue auf. Du kennst meine Liebe, wie ihr süßes Bild mir gegenwärtig war, in jedem Moment meines Lebens, seit ihrem ersten Anblick. Männlicher wär' es gewesen gegen Sie zu schweigen. Eine finstre Ahnung, daß diese Liebe dem Unglück geweiht sey, griff düster in die seeligen Augenblicke des ersten Findens. Verloren an Ehre und Zartheit ist der Mann, der Liebe und Hoffnung in dem reinen weichen Mädchenherzen anfacht, ohne daß der Schwur ewiger Treue am Altar folgt. Ich kann nicht ganz befreiten Herzens seyn, Walther, ich strebte sie meinem ungewissen Geschicke zu verbinden. – Nein, ich hätte das nicht gesollt! Unseliger Zwiespalt ist in mir! Mein höchstes Glück, die Hoffnung, und die Furcht ihren Frieden zu stören, kämpfen in meiner Brust, wie Geister des Himmels und der Hölle. Sie hatte mich nicht verstoßen, so viel gesagt, als eine Jungfrau[64] edler Sitte sagen konnte – mit einem leisen halb unterdrückten Seufzer verließ sie mich. Ja, Walther, nur gegen Dich, da Du der Arzt unsrer Schmerzen seyn kannst, spreche ich es aus, sie liebt mich! Bewahre dies heilige Geheimniß in der verschwiegenen Brust.

Als ich Hoffnung gegen sie auszusprechen wagte, war ich fest entschlossen, mich dem Gelübde der frommen Mutter zu entziehen; wild und verwachsen lag mein vergangner Lebensweg hinter mir, von einer neuen Sonne umstrahlt, glänzte mich die Zukunft an. Alle Träume des Ehrgeitzes eines mächtigen Wirkens in die Nach- und Mitwelt, schwiegen. Das süße Bild meiner Anna stand als ein holder Lebensengel vor mir, und gleich als aus einer Todtengruft hauchten mich ehemalige Ansichten und Entwürfe mit erstarrender Kälte an. Als Besitzer unsrer Güter, wie es dem ältesten Sohn gebührt, dacht' ich mir ein würdiges Leben – ein seliges – an ihrer Seite!

Die fromme Mutter, hoffte ich, mit meiner[65] Liebe so zu begeistern, daß sie freiwillig mich meines Versprechens entbände. Die hochaufgethürmten Plane des Oheims dünkten mir kindische Kartenhäuser, gegen die heilige Wahrheit des Lebens der Liebe, das mich ergriffen hatte.

Ich kehrte zurück, und fand den Vater auf schmerzlichem Krankenlager, doch ließen die Aerzte Genesung hoffen.

Allgemach wollte ich die Meinen vorbereiten auf die neue Wendung meines Geschicks; ihr Leiden hemmte den Entschluß, in einer festen offnen Erklärung alles mit einemmal abzubrechen. Immer bleibts eine fürchterliche Lage, das Geheimniß fremder Schmerzen im Busen zu tragen, eignen geht man mit voreilendem Muth entgegen. Wie gern erspart man seinen Geliebten eine ungewünschte Gewißheit! Tage und Monden giengen also hin. Der kluge feinsinnige Oheim hätte mein Innres errathen – er war abwesend. Die Mutter warf oft fragende Blicke auf mich, eine Veränderung in[66] meinem ganzen Wesen war ihr nicht entgangen. Manche Richtung meiner Thätigkeit, das Schweigen über meine Zukunft ängstigte sie, eine ungünstige Wendung ihrer Wünsche ankündigend.

In den letzten Monden wurde der Krankheitszustand des Vaters tödtlich, er selbst erwartete sein nahes Ende, die Aerzte widersprachen seinen Ahnungen nicht mehr.

Wir wachten an seinem Lager. Bei einem heftigen Anfall seines Uebels, der den Tod drohte, sank die Mutter in Verzweiflung auf die Knie.

Gott hört mich nicht mehr, da er mich als eine Meineidige von sich stoßen muß! sagte sie, mit einem herzzerschneidenden Blick auf mich.

Als der Vater vom heftigen Schmerz für Augen blicke befreit, wieder Sprache gewonnen, faßte er meine Hand mit den Worten: Ottomar, ich vergebe Dir! Du willst Deinen eignen Weg gehen. Mein Herz war umstrickt vom bittersten Schmerz, ich sank schweigend an sein Lager. Es ist nicht gut, das muß ich hinzufügen, fuhr[67] er fort, mit matter sterbender Stimme, von dem einmal begonnenen Lebenspfad zu weichen, die guten Geister der Jugend fliehen von uns. Mögst Du es nie bereuen, den Weg des Himmels für Irdisches aufgegeben zu haben! Mein guter sanfter Bruder stand neben mir: Theurer Vater! lassen Sie an Ottomars Stelle mich der Kirche weihen! rief er. Gott läßt nicht mit sich spielen, erwiederte der Vater. Ueber dem sterbenden Kinde that die Mutter das Gelübde, und es wurde gerettet. Nicht für Dich that sie es.

Der seit wenigen Tagen zurückgekehrte Oheim trat herein mit dem Römischen Legaten, sie hatten die letzten Worte vom Krankenlager vernommen. Mit allen Künsten der Ueberredung, mit Vorspiegelung der Verdienste, die ich nicht besitze, die mich zu den glänzendsten Würden ohnfehlbar führen müßten, umstellte er mich. Gerade seine Absicht stählte meinen Entschluß.

Irdische Gründe können da nicht wirken,[68] wo es um ewiges Heil gilt, Herr Legat, sagte ich. Glauben Sie, daß eine Vaterthräne mehr vermag als alle Ueberredungskunst.

Ich verließ das Zimmer, der Oheim folgte mir in den Garten.

Ottomar, es ist eine Veränderung mit Dir vorgegangen, sagte der kluge und milde Greis. Nicht das Hoflager des Kaisers, voll Ehre und Würden, nicht der Glanz der Welt konnten Dein Herz umstricken, es ist etwas Andres, ganz Andres. –

Ja, mein Oheim, sagte ich, und befreite mein Herz von allen Banden, ja es ist etwas Andres – ich weiß was Glück und Leben heißt; ein ewiger Traum davon, ein ewiges Sehnen darnach, wird meine Seele füllen! – Ewig! sagte der Oheim mit sanftem Lächeln – zu leicht sprechen wir das große ernste Wort aus. So nennt jeder Verliebte die flüchtige Wallung seines Herzens. Ottomar, wenn wir endliche schwache Wesen etwas ewig nennen dürfen, so fürchte ich, weit eher wird der Vorwurf, den[69] Willen des sterbenden Vaters nicht erfüllt zu haben, diese Benennung im Lauf Deiner Tage verdienen. Zwischen uns und den Todten ist kein Band der Sühne, alles ist abgeschnitten, und steht in kalter Versteinerung vor uns, um mit kalter Hand die Lust und Freude des Lebens zu zerreißen. Guter Junge, auch ich fühlte die Macht der Jugendliebe, glühend steht sie noch vor mir, eben weil sie nicht in der Flachheit des Gewöhnlichen unterging. Bindet ein Versprechen Deine Ehre? Ich mußte Nein antworten, aber die feindselige Gewalt, die von allen Seiten dem Glück meines Herzens entgegen trat, empörte mein Innres. Erlaubt mir, mit mir selbst mich zu berathen, als ein Mann, der die Folgen eines freien Entschlusses zu tragen hat, sagte ich kalt und wollte mich entfernen.

Ob ich mein Glück opfern will, ist keine Frage, aber es gilt um meine Ueberzeugung.

Er sah mich an mit dem Blicke, dem ich von Kindheit an nicht widerstand, der den wilden unruhigen Knaben zum stillen Fleiß, zur[70] Ordnung bändigte, und in dessen Klarheit ich alles Große und Hohe des Lebens in die Brust aufnahm. Es ist, als zöge er mich in sich hinüber. Das schmerzliche Lächeln, das mit allem in der Welt fertig zu seyn scheint, als mit dem Antheil an dem Spielzeug seines Alters, und die gedankenschwere Stirn, auf der ein ganzes Leben lag, bannten mich in seinen Kreis.

»Ottomar, verstehe Dich selbst. Gib dem Sterbenden die Hoffnung, daß Du Dich mit ruhiger Besonnenheit prüfen willst. Du bist zur Herrschaft der Geister geboren, gebildet. Nur das kann Dein Daseyn füllen, nicht weiche Zärtlichkeit, nicht das Lächeln eines Weibes.«

O lieber Oheim, rief ich, hättet Ihr das Auge der Unschuld und Himmelsklarheit gesehen, das mich fesselte, das alles Hohe und Heilige der Erde und des Himmels verspricht! Traurige Herrschaft ohne das Lichtseil der Liebe! Despoten, Sklaven, Wahrheit und Freiheit nur, sind die ächten Götter des Lebens, sind sie nicht[71] auch die Grundsäulen unsres recht verstandenen Glaubens? Fern sey von mir jenes gewaltsame Eingreifen in das Innre der Menschen. Nur Liebe kann sie führen an den stillen ewigen Quell der Natur, wo das Irrdische sich vergeistigt.

Unfruchtbare Opfer von Menschenwahn gebracht, verschmäht der Himmel, verachtet als Heuchelei und Wahnsinn die bessere Menschheit. Wenigen ist die selige Einfalt des Sinnes gegeben, wie die Kinder einzugehen zum himmlischen Reich. An ihrer Seite wurde ich, war ich wie ein Kind, glücklich hoffend, einträchtig mit mir selbst, mich an jeder Blume erfreuend. Sie kann mich zum Himmel leiten, er wohnt in der klaren Seele.

Ich habe in Welschland viele Weiber gekannt, Gluth und Leben bei ihnen empfunden, aber bei ihr ergriff mich ein nie gekanntes Gefühl. Ihr ganzes Wesen und Leben hat das meine aufgenommen; sie ist gleich einem Laut ewiger Himmelharmonie in der Oede der Erde.

Lieber Junge, sagte der gerührte Greis,[72] meine Hand auf sein Herz legend, so tönte und arbeitete es auch hier vor vierzig Jahren. Immer gedenk' ich dessen gern. Es sind schöne Blüthen, die sich vom Himmel herabsenken, aber keine Wurzel in der Erde fassen. Hätte Petrarch seine Laura so geliebt, so besungen, wäre sie ihm zur alltäglichen Hausfrau geworden? Doch vergebens wälzen wir das Rad unsrer durchlaufenen Zeit vor den Pfad der Jugend – Jeder will seine eigne Bahn durchlaufen!

Ein Diener rief uns ins Krankenzimmer. Der Vater hatte aufs neue einen heftigen Anfall. Er lag im Krampf des Schmerzes in meinem Arm. – Alles hätte ich gegeben, geopfert, das geliebte Leben zu retten.

Sein sanftes Auge suchte das meine.

Mein Widerspruch lag vielleicht noch als schwere Last auf dem brechenden Herzen im Tode. Ich beschloß ernstes Erwägen, ahnete, daß ich das Opfer bringen würde – und sie selbst stand als eine Heilige vor meinem innern Sinn, die mir Beifall zuwinkte.[73]

Dieser Anfall ging noch vorüber, aber alle Lebenshoffnung war verschwunden.

Wie soll ich Dir, schmerzlich wie ich es empfand, auseinander wickeln, wie jede Faser meines Herzens nach und nach verwundet, zerrissen wurde, und mich von meinem Glück trennte?

Besiegen soll die Gewalt der Dinge keinen Mann, aber zerreißen, ermüden, so daß er sich selbst nicht mehr erkennt, kann sie einen Jeden.

In der ernsten Sterbestunde gelobte ich dem Vater, das Gelübde der Mutter zu vollziehen. – – Nun ist Alles aus.

Beschwöre Deine Braut bei Deiner Liebe, meiner ewig geliebten Anna zu sagen, wie Alles gekommen ist, so wie es am besten für sie, für mich seyn wird. Wie sie sich einen unermeßlich Elenden, aber keinen schwachen Verräther in mir zu denken habe. Klein von mir zu denken, würde der edlen Seele kein Trost seyn und mich vernichten. Ein Band stiller Trauer feßle sie an mein Andenken. Sie erfahre es,[74] wie ich dankbar die Himmelsgüte verehre, mit der sie meine Bitte erfüllt – daß ich sie ewig liebe, auch da ich um Gegenliebe nicht bitten darf.

Lebe wohl, Freund, und schreibe mir über sie – ganze Folianten werden mir willkommen seyn.

Sie war das schöne Buch der Natur für mich, das mir das Geheimniß des Lebens erschloß. Ja, es gibt ein Glück, eine Würde des menschlichen Daseyns, von dem ich nie geträumt, ehe sie mir erschien – nach dem die glühende Sehnsucht in mir nicht erlöschen wird.


Bertha's zart schonende Freundschaft hatte aus diesem Brief mitgetheilt, was dem wunden Herz wohlthätig seyn konnte. Ottomars Liebe, sein Kampf, aller Schmerz seines Entsagens, das tiefste Leiden eines liebenden Herzens, den Gegenstand seiner Liebe in der Vorstellung seines Werthes gestört zu sehen, traf unsre Anna nicht.[75]

Ihre Seele hatte kein täuschendes Wolkenbild umfaßt. Als ein Opfer der Tugend und Pflicht stand Ottomar vor ihr. Nur im Entschluß, sich seinem Andenken auf immer zu weihen, fand sie Beruhigung, wie folgendes Schreiben an ihre Freundin es ausspricht.

Quelle:
Caroline von Wolzogen: Erzählungen. 2 Bände, Band 2, Stuttgart und Tübingen 1826, S. 63-76.
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