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[179] O Bertha, was ist des Menschen Geschick und seine Hoffnung! Ein wilder Orkan verheert seine Blüthen, die lichten Bilder seiner Träume zerrinnen in düstrem Gewölk, aus dem der Blitz niederzuckt und die Armen zerschmettert.

Ottomar ist gefangen – der Edelste, Freiste gefangen! Wilde Barbarei ist Herr über das Leben, das alle himmlischen Mächte herabsandten zum Trost und zur Freude der Menschheit.

Mögen die Heerschaaren heiliger Engel goldne Lichtseile der Errettung auf ihn senden, um ihn den Banden zu entziehen – mögen die Felsenherzen Milde kennen lernen! Ich kann nur beten, aber mir wurde ein tröstendes Gefühl der Erhörung von dem Allerbarmenden; wie könnte ich sonst noch athmen?

Der Morgen des Tages graute, der uns von hinnen bringen sollte. Wie ruhig ich den[179] Abend beschloß, sagt Dir mein Tagebuch. Ein dumpfes Getöse umtobte unsre Hütte. Nur zu wohl war ich mit diesen Schreckenstönen bekannt, um nicht augenblicklich unser Geschick einzusehen. Die Mutter und ich eilten zu Ottomar. Gerüstet und in der Hand das gezogene Schwert, begegnet er uns schon. Meine Theuren, an Flucht ist jetzt nicht zu denken, wir sind umringt, sagte er, bleibt in Eurer Kammer und fürchtet nichts. So lang Widerstand keine Tollkühnheit ist, werde ich Euch vertheidigen. Wird er zu dieser, dann unterhandle ich Eurentwegen.

Er drängte uns in den Hintergrund der Kammer, und trat an die Thüre, dem eindringenden Haufen entgegen.

Metzler, hörte ich rufen, hier ist er, der Falsche, der uns um die schöne Beute gebracht – kein Erbarmen mit ihm – stoßt ihn nieder!

Mein Herz erstarrte, als ich den Namen des Schrecklichen aussprechen hörte. In solchen[180] Augenblicken sendet Gott neue Kraft, sonst müßte das schwache Leben verlöschen.

Ja, hier bin ich, sagte Ottomar, und was wollt ihr? Seine Kühnheit wirkte gleich als Geistermacht auf sie, sie standen einen Augenblick wie versteinert vor ihm. Bald ertönten wieder wilde Stimmen, die Verrath und Mord schrieen. Danken solltet ihr mir, daß ich Euch um eine Gräulthat ärmer gemacht, sagte Ottomar, wenn der Tag der Rechenschaft über Euch anbricht, daß ich schuldlose Frauen Eurer Wuth entzog. Um dies zu thun, stellte ich mich als einen der Euren – Gott verhüte, daß ihr mich noch dafür anseht! Zum Krieg fürs Recht bin ich geboren, nicht zur Wildheit und zu Gräulthaten. Hat sich der wackre Götz von Berlichingen nicht von Euch gewendet, als er Eure Raub- und Mordlust mit ansah? Welches redliche Herz möchte Eure Sache zu der seinen machen?

Drohungen antworteten; doch wagte Keiner sich ihm zu nahen. Es war etwas Höheres, Gebietendes[181] in ihm, sein Antlitz leuchtete wie eines höheren Wesens.

Ein Haufen der Einwohner der Stadt, unser Philipp an ihrer Spitze, drang ein, und warf sich vor ihm nieder. Ueber unsre Leichen nur könnt ihr an ihn kommen, riefen viele Stimmen. Der Herr ist gut und mild gesinnt gegen das Volk, ist nicht unter seinen Drängern, laßt ihn frei!

Philipp redete hohe Worte des Gottes-Friedens und der Schrift zu ihnen, mahnte an den Tag der Wiedervergeltung des Gerichts – Viele verstummten, aber ein neuer Haufe drang vor, alles verschmähend und grasse Worte der Lästerung ausstoßend.

Kein Erbarmen, riefen die Grausamen, er ist einer der Stolzen, der Bedrücker, die, über unsern Nacken einherschreitend, uns vernichten wollen, uns in Armuth und Verderben stürzen!

Das bin ich nicht, sagte Ottomar fest und ruhig. Wie die Vernünftigen und Guten denen[182] ihr glaubt, wie Luther, tadle ich nicht Euer ursprüngliches Begehren, würde Euch, vermöcht' ichs, selbst zu Euren zwölf Artikeln verhelfen, gestehe auch, daß man nicht immer recht mit Euch verfahren ist, und nicht immer Wort gehalten hat. Aber Euren Aufruhr, der Gräulthaten gebahr, verachte ich. Wie denkt ihr zu enden? Schrecklich wird Euch die Rache überfallen. Doch genug der Worte! Ich erbiete mich Euer Gefangner zu bleiben bis zum Ausgang der Sache, wenn Ihr diesen edlen Frauen, die Gott und nicht der Welt angehören, einen freien Abzug gestattet. Ihr seht, daß dies mein Wille ist, und ich nicht unbewaffnet bin. Auch unter Euch rechne ich auf manchen Biedern, der es bereut, die Bande des Rechts und der Ordnung gebrochen zu haben. Entschließt Euch! Auch Philipp redete zu ihnen: Dieses Fräulein ist die Tochter eines Heerführers des Bundes, ihr könnt für sie viele Eurer Gefangenen einlösen, einen hohen Preis auf sie setzen, ich selbst, mit denen die ihr unter Euch auswählt, will sie[183] dorthin geleiten. Ottomar, rief ich beinahe bewußtlos, wir Euch verlassen? und jetzt – hoffet das nicht!

Sie besannen sich, redeten heftig gegen einander, ein Anführer trat hervor und sagte, daß sie den Antrag annehmen wollten. Ottomar sprach leise zu Philipp, wendete sich dann zu mir und der Mutter und bat uns, uns zur Reise zu bereiten. Mir war es, als stünde ich eingewurzelt im Boden; ich faßte seinen Arm und rief: Jetzt sollen wir Euch verlassen? – noch nicht ganz genesen, und in den Händen dieser – O habe Erbarmen, Ottomar, und laß uns bleiben! Tief gerührt faßte er meine Hände: Meine Anna, ich bitte Dich, ich beschwöre Dich zu reisen! Du hast mir den Namen eines Bruders erlaubt; in diesem darf ich sagen: ich befehle es dir! Ich konnte nichts erwiedern. Thränen erstickten meine Stimme. Er schloß mich an seine Brust und flüsterte mir leise zu: Sey ruhig, holder Engel, Du kannst mir im Heer dienen; in Dir geht aller Trost und alle Freude des Lebens[184] von mir, doch bald sind wir wieder für immer vereint.

O so mögen Alle Heiligen Dich, Edelster, schützen! rief ich. Ein wunderbarer Muth hatte mich ergriffen, alle Bande waren von meiner Brust gefallen, und frei und unaufhaltsam floß die Rede von meinen Lippen. Noch weiß ich nicht wie ichs vermochte; ein Gott gab mirs ein, ich konnte zu dem Volke reden, das ihn umgab.

Wißt ihr es, wer sich Euch ergiebt? Der Edelste, Beste, der Euer Wohl am Herzen trägt, der Euch vertreten kann am Throne des Kaisers, vor der Versammlung der Fürsten und Edlen. In seiner Brust wohnt Milde und Erbarmen; er war Euer Freund, wird es seyn in Allem, wo ihr nur das heilige und ewige Recht wollt. Seht ihn an als einen schützenden Engel, Euch zur Rettung gesandt. Erkennt ihr nicht das Walten himmlischer Mächte über ihn? Wagt es nicht, ein Haar seines Hauptes zu krümmen; die himmlischen Heerschaaren sind bereit es zu rächen.[185]

Ich weiß nicht wie mir wurde; ein Nebel umzo meine Augen, doch fühlte ich, Ottomar warf einen Blick des Himmels auf mich. Die Mutter und Philipp unterstützten mich und sagten mir, mit Staunen, doch theilnehmend in stiller Ehrfurcht, hätten die rohen Menschen mich angesehen.

Unsre Wächter drängten sich um uns. Philipp und ich mußten Ottomars Roß besteigen. Unbezwinglicher Schmerz umhüllte meine Sinne, aber dennoch entging mir keine seiner Bewegungen, kein sanftes Wort des Trostes, das er an mich richtete. Schon schritten unsre Pferde vor, als ich ihn sagen hörte: »Nun führt mich wohin ihr wollt!« Noch einmal leuchtete mir seine hohe Gestalt aus dem Bauernhaufen, der sich nach einem Thurm drängte, dessen Spitze wir oft aus unsrer Wohnung betrachtet hatten.

Philipp versuchte alle Trostgründe, meinen Schmerz zu besänftigen.

Ottomar sey der Liebe der Bürger gewiß, mit denen es der rohe Haufen nicht verderben[186] dürfe. Alle haben ihm geschworen, für den Gefangenen zu wachen, zu sorgen, alle Gefahr von ihm abzuwenden. Er besitzt das Geheimniß, sich alle Herzen zuzueignen, sagte er; glaubt mir, liebes Fräulein, mir, der ihn wie sein zweites Leben liebt; selbst für Euch würde ich mich nicht von ihm entfernen, wär' ich seiner Rettung nicht gewiß.

Noch umschloß das erstickende Band des Schmerzes meine Brust, keine Hoffnung drang in sie ein, und im dumpfen Gefühl der Nothwendigkeit ließ ich mich hinwegtragen, während mein Herz, mit tausend Banden gefesselt, zurück strebte. Bleich und athemlos saß ich im Schiff während der Ueberfahrt; selbst die rohen Begleiter fühlten Mitleid mit mir und versuchten mich zu beruhigen.

Für ihn müßt ihr Euch erhalten, sagte mir Philipp leise, indem er mich nöthigte etwas Nahrung zu mir zu nehmen; ja, für ihn, denn sein Leben hängt an dem Euren; Ihr wißt es gar nicht, wie er Euch liebt![187]

Es lag eine Himmelskraft in diesen süßen Worten. Wie neubelebt rief ich: Ihr habt Recht, Philipp, ich muß den Vater sehen, muß die Heerführer anfeuern, schnell, schnell ihn zu befreien – Ich bin stark, laßt uns keinen Augenblick verlieren! Gott, wer weiß, was der nächste bringt! In der Eil unsrer Reise fand ich nur Trost, und die gute Mutter hieß mich selbst mit Philipp rasch vorwärts eilen.

Mit welch süßen Hoffnungen umgab mich Philipps Gespräch! Die Ueberzeugung seiner Lehre werde an Ottomars Herz dringen, er kämpfe mit sich.

Die edle Seele waffnet sich gegen ihre innigsten Gefühle, um sich nur durch die Stimme ewiger Wahrheit leiten zu lassen.

Sein höchstes Glück sey, mir anzugehören in dem innigsten Band der Menschheit, deßhalb müsse er ringen, auf der Bahn freier Besonnenheit zu bleiben, sorgsam erwägen, was die Pflicht gebiete. Kein Glück könne der Unthat folgen; um den Segen meines Lebens gelte es,[188] meiner sey er unwerth, wenn er Irdisches dem Ewigen vorziehen könne, nur der reinen Stimme des Glaubens in seinem Innern dürfe er gehorchen. In der Zeit der Trennung von mir, entfernt von der Zaubergewalt der Gegenwart, wolle er sich freier Prüfung überlassen, und hoffe den Ruf ewiger Wahrheit zu vernehmen. Es sey ihm tröstend, daß ich noch keinen Eid zu brechen habe, um die Seine zu werden, und den Segen des Himmels nicht verscherze. Er liebt Euch für die Ewigkeit, sagte Philipp, nie sah ich eine reinere höhere Liebe. O Ihr guten Seelen, sollte Euch ein übermenschliches Gelübde trennen! Die ewig waltende Liebe wollte dies nicht, nur Menschenwahn erschuf diese Fesseln. Ewig wahr und treu wie die Natur, ist das Wort der Liebe und Erbarmung an die Menschen gesandt.

Mein Glaube wird dem seinen folgen, theurer Freund, sagte ich. Es ist mein Geschick, denn meine Seele kann sich von der seinen nicht trennen, muß seiner Bahn folgen. Ist[189] das sündig, so verzeihe mir der Vater aller Geister, denn so bin ich geschaffen!

Quelle:
Caroline von Wolzogen: Erzählungen. 2 Bände, Band 2, Stuttgart und Tübingen 1826, S. 179-190.
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