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[199] Philipp begann sogleich folgende Erzählung: Melanchthon war auf einem Besuch bei den Seinen in der Pfalz, als er meine dringende Botschaft empfing, nach dem Städtchen zu kommen, wo Ottomar gefangen war.

Obgleich er alle Gemeinschaft mit dem empörten Volkshaufen floh, seitdem er sich mit Grausamkeiten und gottlosen Thaten befleckt hatte, schien ihm doch mein Ruf vom Himmel zu kommen; er folgte ihm. Einen edlen Jüngling könnt ihr vielleicht retten, und mehr als das, eine edle[199] Seele uns gewinnen, deren Kraft und Klarheit eine Stütze des reinen Glaubens werden kann, hatte ich ihm geschrieben. Bald kam er mit einigen Gutgesinnten zusammen, die selbst die Gräulthaten bejammerten, zu denen die aufgelöste Ordnung sie geführt hatte, es bitter fühlten, daß die Macht des Bösen sich auf Erden schneller und gewaltiger vereint, als die des Guten, wenn das Band der Gesetze gebrochen ist. Er verschaffte sich freien Eingang zu Ottomar.

Wie riß sein ganzes Wesen das Herz des Gottesmannes zu sich hin. Tapfer, gelehrt, offnen Sinns für die Wahrheit, lautern Herzens, feiner Sitte – kurz ein Muster aller Trefflichkeit schien er ihm sogleich beim ersten Zusammentreffen. Wirken und Walten einer höhern Liebe und Macht spürt man um ihn her, wie um einen Jeden, den sich Gott ausersah zu hohen Thaten für sein Wort. Ein König schien er ihm in der kleinen Kammer, die er versprochen hatte nicht zu verlassen, herrschend über seine Wächter, nur durch sein gegebnes Wort gebunden.[200]

Einige Uebelgesinnte unter dem Haufen, hatten noch Ausstellungen an meinen mitgebrachten Vorschlägen, und hinderten seine Befreiung. Melanchthon gewann Zeit zu häufigen Gesprächen mit dem Ritter. Wie leuchtete ihm sein klarer Geist entgegen in unsren Streitigkeiten; wie fühlte er sein großes Herz! Da, wo es dem Menschen rein um die Wahrheit zu thun ist, waltet unsichtbar eine höhere Macht. Sie erwogen den Lauf der Geschichte, die Lehre der Väter, sie lasen vor allem in der heiligen Schrift mit lauterm Herzen, und ich fühlte wie der Funke der Ueberzeugung in seiner Seele aufloderte.

Eines Abends, als wir ihn verließen, reichte Ottomar Melanchthon seine Rechte und sagte: ich erkenne es, Eure Sache kommt aus Gott, und werde es beweisen mit That und Wort. Viele der Bessern unter uns sahen ein, wie eine Läuterung und Sichtung nöthig war, wie sich Ewiges und Irdisches durch Schwachheit und Irrthum sündig vermischt haben. Eine höhere Kraft war mit der Treue und Einfalt Eures Herzens.[201]

Aber auch Ihr hütet Euch, nicht von dieser, nicht von der Liebe zu weichen, nicht Krieg um des Krieges wegen zu führen.

Meine Freude war ohne Maß; auch ich dankte dem Herrn für den Gewinn unsrer Lehre in einem so edlen, kräftigen Herzen.

Und Ihr wollt leben und lehren in unsrem Sinn, fragte ich, dem strengen Gelübde entsagen, das Euer Herz preßt?

Laßt mich dies in stillem Geist erwägen, antwortete Ottomar. Nur aufs Ewige muß die Seele gerichtet seyn, wenn sie würdig bleiben soll des hellern Lichts der Wahrheit. Vom Eid kann nur der entbinden, der ihn empfing. Den Papst, Euren Erbfeind, muß ich noch als das sichtbare Oberhaupt der Kirche betrachten, indem ich vor ihm die Entbindung meines Eides begehre. Nicht ohne Beispiel ist dies; ich hoffe auf meiner Gründe Gewalt. Die Hoheit der Idee ist durch irdisches Treiben, durch menschliche Gebrechlichkeit, durch Ringen nach sinnlichen Vortheilen entweiht, nicht zerstört. Mein Gewissen,[202] meine Ehre fordern von mir so zu handeln, um mich würdig zu fühlen eines Glücks, das sich mir von fern wie aus goldnen Wolken zeigt, und das nur mit reinem Sinn zu erlangen ist.

Voll Liebe und Freude verließen wir die schöne Seele und vertieften uns in Gesprächen bis zum dämmernden Morgen.

Kriegslärm drang an unser Ohr; bald erkannten wir, daß eine feindliche Schaar in die Stadt gedrungen war. Wir eilten zu Ottomar und fanden seinen Thurm von fremden geordneten Schaaren umringt.

Die Wachten der Bauern waren im Kampf vor dem Thor, und von allen Seiten drang Unterstützung zu ihnen. Schüsse fielen, Schwerter blitzten uns entgegen; wir drangen durchs Gefecht; vergebens versuchten wir die Kraft der Rede. Ein schöner Jüngling führte die geordnete Schaar. Glücklich drangen wir vor bis zum Thor des Thurms. Ottomar, rief der Führer, brich Deine Fesseln, komm heraus an meine Seite, ich bin hier Dich zu befreien![203]

Jetzt erschien Ottomar auf der Brüstung des Thurms. Adelbert, mein treuer Bruder, halt ein! ich gab mein Wort zu ritterlicher Haft! sie haben Wort gehalten, ich kann das meine auch nicht brechen. Thor und Riegel wären meiner Kraft leicht zu besiegen, nur mein Wille bindet mich. – Weichet, ihr Haufen, ich bleibe Euch – halte die Deinen ruhig, Adelbert!

Vergebens waren seine freundlichen Worte; der scharfe Kampf war losgekettet, seine Hitze nicht zu bändigen. Von beiden Seiten fielen Verwundete und Todte. Auch meine und Melanchthons Stimme ermahnten vergebens zum Frieden; vergebens fielen wir den wüthenden Bauern in die Arme; sie schleuderten Feuerbrände nach dem Thurm.

Jetzt brach Ottomar Thür und Riegel; die Pforte öffnete sich, er stand davor, entriß dem nächsten Krieger sein Schwert und rief: Eure blinde Wuth macht mich frei, löst mein Wort, nicht mit Flammen vermag ich zu kämpfen.[204]

Adelbert drang auf ihn zu; schon war er ihm nah; seine Arme breiteten sich aus, den Bruder zu umfangen, als ein unglücklicher Schuß fiel und ihn zur Erde streckte. Wuth ergriff seine Krieger ihren Führer zu rächen. Ottomar focht an ihrer Spitze, und in Kurzem war der Bauernhaufen zernichtet; was übrig blieb, floh aus der Stadt. Adelberts Getreue hatten sich dicht um ihn gestellt und eine Schutzwehr von Piken und Hellebarden schützten den Sterbenden. Ottomar kehrte zurück, warf sich auf ihn, faßte ihn in seine Arme und rief alles zur Rettung auf. Vergebens, der Schuß hatte dicht ans Herz getroffen; Todesblässe umschattete seine Stirn; starr und gefesselt lagen seine Glieder. Noch einen liebestrahlenden Blick warf das brechende Auge auf den Bruder, und mit sterbender Stimme vermochte er zu sagen: ich sterbe glücklich – für Dich! Tröste die Mutter. – Grenzenlos war Ottomars Schmerz.

Alle Bürger die ihn liebten, theilten seinen Kummer, so wie die untröstlichen Krieger. Ernst[205] drückte er mir die Hand über dem entseelten Leichnam.

Hier liegt nun der holde Jüngling, die Freude und der Stolz unsres Geschlechts, die einzige Hoffnung der alten Mutter. Ich selbst muß ihr seine Leiche bringen, um daß sie nicht ganz verzweifle und den einen Sohn sich erhalten sehe; ich selbst muß die Reste des Geliebten in der Gruft der Väter bestatten.

Die Krieger machten eine Bahre, und mit allen Ehrenzeichen seines Standes geschmückt, trugen sie den entseelten Körper in ihrer Waffen Mitte. Freundlich, wie verklärt in Bruderliebe, war sein schönes Antlitz. Ottomar selbst wollte von seiner Seite nicht weichen und ihn begleiten; er entfernte sich für wenige Augenblicke, nahm mich und Melanchthon dann bei Seite und übergab mir das Brieflein an Euch, mit den holden Worten: »Da Ihr unsern Lehrer zu geleiten dachtet, so beschwöre ich Euch, eilends diese Zeilen dahin zu bringen, wo mein ganzes Herz ist – ihr alles Geschehene zu berichten.[206] Eine reine Seele werdet Ihr finden; Euer frommer Sinn tröste sie über meinen Schmerz, der, ich weiß es, auch der ihre seyn wird.«

Herzliche Thränen weinte ich über den Tod des edlen Jünglings. Was vermag Ottomar zu trösten über den Verlust solch einer Bruder-Liebe? Aber welch einen schönern Tod konnte Adelbert sterben, als den für ihn!

Philipps milde Trostworte suchten mein Herz ins Licht der Hoffnung zu erheben, aber über das Glück der vollkommen vereinten Gesinnung mit den Geliebten, warf der Schatten des Bruders einen dunklen nächtlichen Schleier.

Der Vater kam mit Melanchthon zurück. Ich begrüßte ihn mit Ehrfurcht; der Hauch eines höhern reinen Lebens wehte mich an in seiner Nähe, in seinen Gesprächen, vor dem die Schmerzen der Erde hinschwanden. Vor solcher Festigkeit und Milde, die wahrhaft eine Gotteskraft zu nennen ist, erhebt sich unser ganzes Wesen nur im Streben nach einem würdigen Gebrauch des Lebens, indem es sich der Ewigkeit zubildet.[207]

Der Vater ist eines Sinnes mit Melanchthon; auch auf die Einstimmung meiner Gesinnungen warf er einen Blick des Segens.

Mit Liebe und hoher Achtung sprach er von Ottomar, hofft auf ihn in Wort und That. Segnend und im Gefühl einer ewigen Verbindung, verließ uns der fromme Mann. Nie getrennt sind die, die eines Glaubens, einer Liebe und einer Hoffnung leben!

Quelle:
Caroline von Wolzogen: Erzählungen. 2 Bände, Band 2, Stuttgart und Tübingen 1826, S. 199-208.
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