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[217] O meine Bertha, was habe ich Dir alles zu sagen! Tropfenweis, wie ich selbst, sollst Du den Becher namenloser Freude mit Deiner Anna leeren.

Durch die reichste freundlichste Gegend fuhr ich mit der Mutter den Gebirgen zu, die uns in den Schoos mannichfach schöner Gründe aufnahmen. Klare Quellen strömten aus Felsen, deren Häupter Laub und Rebengewinde umkränzten. Das innigste, reichste Leben der Natur[217] umwogte uns mit seinem Zauber. Ueber einen Wald uralter Eichen ragten die Zinnen einer Burg hervor. Der Vater, der uns zu Pferde begleitete, sagte uns, daß dies das Familienschloß sey.

Das Gebäude blickte ernst und ehrwürdig aus den heitersten Umgebungen hervor. Ein Springbrunnen und umgebende Blumenbeete zierten den weiten Hofraum. Festlich gekleidete Bauern und Diener füllten die Wäldchen und Gärtchen. Aus der Halle des Eingangs kam uns der Bischof entgegen und führte an seiner Hand – o Bertha! Du fühlst mein ganzes Herz – meinen Ottomar!

Mit dem offnen Himmelsblick der Liebe kam er mir entgegen, beugte sich auf meine Hand, lag zu meinen Füßen; – mit dem süßen Ton leiser, sehnender Liebe, sagte er: kann ich hoffen, daß meine Anna den gern als den ganz Ihrigen annehmen wird, dem ihr schönes Herz so viel Beweise der treuesten Freundschaft gab!

Noch wagte ich nicht ganz an mein Glück zu[218] glauben; meine Augen fragten den Bischof, den Vater, ob es nicht ein süßer Traum sey?

Der Bischof näherte sich – Er kann, darf Euch angehören, holdes Fräulein, wenn ihr ihn Eurer würdig findet; der heilige Vater in Rom hat ihn seines Eides entbunden, auf daß man nicht Wappen und Schild unsres tapfern Geschlechts auf seinem Grabe versenken müsse.

Der Vater nahm meine Hand, legte sie in die Hand Ottomars, und sagte: Gott segne Euch, meine Kinder! Aufgelöst in süßen, heiligen Thränen, lag ich an Ottomars Brust. Die Mütter umfingen ihre glücklichen Kinder.

Ich selbst, der Euch trennte, will Euch nun heilig verbinden, sprach der Bischof. Wir folgten ihm zur Kapelle, wo Alles geschmückt und bereit war.

Mit tiefer Rührung sprach der Bischof die hohen Worte der ewigen Verbindung.

Thränen der Liebe, des Segens flossen um uns her.[219]

Stille Gebete und Gelübde, mich dieses Segens würdig zu machen, füllten meine Seele.

Ottomar war voll unaussprechlicher Liebe und Milde.

Wir lebten einige selig vereinte Tage mit den Unsern, dann schied der Bischof von uns, und ernst waren seine Abschiedsworte.

Meine Kinder! glücklich seyd Ihr in der Vereinigung Eurer Herzen; laßt diese Vereinigung ein Symbol seyn der allgemeinen Vereinigung, in der Alles, was gut ist, leben soll. Der Saame mannichfacher Trennungen geht um uns her auf. Eure Gedanken sind mir nicht fremd. In Allem, was ihr thut, weichet nie von der Liebe. Der Männer Vernunft stehe fest und sicher waltend über den Zeichen der Verirrungen unsrer Zeit, sey bereit zu schlichten, zu ordnen über dem täuschenden Gewölk des Wahns und der Eigensucht.

Verhütet alle gewaltsame Trennung. Zieht der Mensch das Heilige herab in den Kreis seiner Leidenschaften, so werden Ströme umschuldigen[220] Bluts fließen, eine Kluft entstehen, über die Jahrhunderte erst eine verbindende Brücke erbauen.

Mein Vater und Lehrer, erwiederte Ottomar, und Verklärung umleuchtete sein Antlitz, in der Freiheit des Geistes und der Liebe wünschte ich das Daseyn aller Menschen zu erhalten; so weit meine Kraft reicht, strebe ich nach dem schönen Ziel. Aber die Bande, von schwacher Menschenhand gewebt, fallen ab von der heiligen Wahrheit. Ist ein Krieg edel zu nennen, so ist es der für die Ueberzeugung, die unsre Brust entflammt, wenn irdische Absicht sie frevelnd fesseln will. Ihr erwartet von Eurem Zögling, daß er ihn führe.

Der Bahn Gottbegeisterter muß er folgen, die uns die göttlichen Schriften als ein allgemeines Eigenthum wieder geben, die das biedre Volk deutschen Stammes fremder Unterjochung des Geistes entziehen, und in unverfälschter Treue und Demuth das Ewige, die Himmelsbotschaft, die in die Menschheit tönte, sondern[221] von menschlichen Satzungen, aus der Finsterniß der Eigensucht geboren.

Quelle:
Caroline von Wolzogen: Erzählungen. 2 Bände, Band 2, Stuttgart und Tübingen 1826, S. 217-222.
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